9.33

Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Vizekanzler Dr. Dr. h.c. Clemens Jabloner: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete zum Nationalrat! Wir, die Republik, alle Menschen, die in diesem Land leben, durchlaufen derzeit eine ungewöhnliche und heikle Zeit. Zwar verlor die Bundesregierung ihre Stabilität und nach dem Misstrauensvotum vor­zeitig auch ihr Amt, von einer Verfassungs- oder Staatskrise konnte allerdings nie die Rede sein; vielmehr befinden wir uns in einer Situation, für die unsere Bundesverfas­sung in der Stammfassung von 1920 und insbesondere in der Fassung der Novelle von 1929 kluge Vorkehrungen trifft. Demnach war es Sache des Herrn Bundespräsidenten, in Anwendung von Art. 69 Abs. 1 B-VG eine Bundeskanzlerin und auf ihren Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung zu ernennen.

Die Besonderheit besteht darin, dass diese neue Bundesregierung nicht auf eine ge­sicherte Mehrheit im Hohen Haus zurückgreifen kann. Ich möchte aber dennoch – und das ist meiner Herkunft als Verfassungsrechtler zu danken – hervorheben, dass diese Bundesregierung demokratisch legitimiert ist, weil der Bundespräsident vom Bundes­volk gewählt wird und die von ihm vorgenommenen Ernennungen den Mitgliedern der Bundesregierung daher die demokratische Legitimation verleihen. (Beifall bei JETZT.) Allerdings bezieht sich dies nur quasi auf die Bundesregierung als solche, nicht auch auf ihre Aktivitäten. Infolge des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung und im Hinblick auf die ständige Kontrolle der Bundesregierung durch das Parlament sind die Handlungsmöglichkeiten einer solchen Expertenregierung, eines solchen Übergangs­kabinetts beschränkt, und dies halte ich auch für richtig und angebracht.

Den Mangel eines positiven Vertrauensvotums in unserer Bundesverfassung deute ich so, dass die Bundesregierung, wenn kein Misstrauensantrag gestellt wird, noch nicht automatisch das Vertrauen des Nationalrates genießt; vielmehr steht sie unter der Be­obachtung des Nationalrates und ist darauf angewiesen, dieses Vertrauen täglich zu erwerben. Deshalb ist mir der Austausch mit Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, ein besonders großes Anliegen.

Ich glaube, für die ganze Bundesregierung sprechen zu können, wenn ich Ihnen in die­sem Sinn versichere, dass wir unsere Aufgabe in einer sachkundigen Fortführung der Verwaltung sehen. Die Bundesregierung muss aber dort initiativ werden, wo es gilt, Schaden abzuwenden, etwa bei einer Versäumnis bei der Umsetzung des Unions­rechts. Die Bundesregierung wird aber von Initiativen absehen, denen gesellschaftliche Wertentscheidungen zugrunde liegen, die nur parlamentarisch – und das heißt, nur nach der Wahl eines neuen Nationalrates – legitimiert sein können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner Funktion als Vizekanzler ist es mei­ne verfassungsrechtliche Aufgabe, die Bundeskanzlerin, wenn sie verhindert ist, in ih­rem gesamten Wirkungsbereich zu vertreten. Darüber hinaus werde ich mich stets be­mühen, sie in ihrer Koordinationstätigkeit zu unterstützen, und ich identifiziere mich mit jedem Wort, das die Bundeskanzlerin vor mir gesagt hat.

Als Justizminister sind für mich der Rechtsstaat und die Grundrechte oberste Hand­lungsmaxime. Wenn es auch in einem trivialen Sinn richtig ist, dass letztlich die Politik das Recht bestimmt, so muss dies im Verfassungs- und Rechtsstaat in jenen Formen erfolgen, die die Verfassung, insbesondere die Grundrechte, und die völker- und uni­onsrechtlichen Verpflichtungen vorgeben. Besonders die Europäische Menschen­rechtskonvention mit ihrer beispiellosen Erfolgsgeschichte steht für mich ganz unver­rückbar im Zentrum des politischen Handelns.

Der Justizminister trägt die Verantwortung für die Justiz, die dritte Staatsfunktion. Es ist meine Kernaufgabe, sowohl die Unabhängigkeit als auch die Funktionsfähigkeit der Gerichtsbarkeit zu stärken. Dabei dürfen andere Bereiche des großen Ressorts freilich nicht ins Hintertreffen gelangen; ich nenne hier nur die Anklagebehörden und den Strafvollzug.

Den verfassungsrechtlichen Aufgaben meines Ressorts, dem Föderalismus und der Verwaltungsreform, wird in den nächsten Monaten nicht die gleiche Bedeutung zukom­men wie in der nun zu Ende gehenden Gesetzgebungsperiode. Das kann aber nicht bedeuten, dass da sämtliche Überlegungen eingestellt werden. Ich werde mich also auch um diesen Bereich bemühen.

Lassen Sie mich, Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ab­schluss sagen, dass ich dieses Amt pflichtgemäß mit großer Ehrfurcht, aber auch mit einer gewissen Heiterkeit übernommen habe. Ich bin mir der großen Verantwortung sehr bewusst. Ich bitte um Ihr Vertrauen, und ich danke auch für Ihr Vertrauen. (Allge­meiner Beifall.)

9.39

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf mich auch für die Ausführungen des Herrn Vizekanzlers herzlich bedanken, insbesondere für den Schlusssatz: Die Eleganz der Verfassung legt es auch nahe, dieses Amt mit Heiterkeit zu übernehmen. – Vielen herzlichen Dank.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Klubobmann Wöginger. – Bitte.