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Abgeordnete Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann (ohne Klubzugehörigkeit): Frau Präsi­dentin! Geschätzte Mitglieder der demokratisch legitimierten Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürgerinnen und Bürger! Verehrte Frau Bundeskanzlerin, verehrte Ministerinnen und Minister, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zur Angelobung. Danke, dass Sie diese Verantwortung übernehmen! Ich gratuliere auch der Republik Österreich, denn mit Ihnen, geschätzte Frau Kanzlerin, schließt sich eine Lücke, die sich vor 239 Jahren mit dem Ableben der Quasikaiserin Maria Theresia aufgetan hat: Seither hatten wir keine Frau mehr an der Spitze Österreichs.

Wissen Sie, welches Wort mir zu Brigitte Bierlein einfällt? – Das Jugendwort 2018 in Deutschland und Österreich: Ehrenfrau. Das bedeutet: eine Frau, die etwas Außerge­wöhnliches für einen anderen macht. Und ja, geschätzte Frau Bundeskanzlerin, Sie leisten der aufgewühlten Republik wahrlich einen außergewöhnlichen, besonderen Dienst.

Gut möglich, dass inspiriert und ermuntert durch das Vorbild Brigitte Bierleins und ihrer zur Hälfte weiblichen Regierung jetzt eine Generation junger Frauen Mut fasst, auch in die Politik zu gehen. Ich selbst orientiere mich an weiblichen Vorbildern in der Politik: einer Jacinda Ardern etwa, neuseeländische Premierministerin, einer Maneka Gandhi, amtierende Frauenministerin Indiens, diese Frauen geben mir in meiner aktuellen Rolle Anker und Orientierung. Und auf meinem Weg in die Politik war die ehemalige Präsi­dentschaftskandidatin und jetzige Kollegin Irmgard Griss ausschlaggebend für mich, selbst in die Politik zu gehen, da sie mich im Wahlkampf 2016 durch ihre integre und unabhängige Art mehr als begeistert hat.

Als partei- und fraktionsfreie Abgeordnete im Hohen Haus berührt mich die Ernennung der höchsten Hüterin der Verfassung auch ganz besonders im Sinne der Unabhängig­keit, weil das freie Mandat, welches ich täglich in meiner Arbeit hier ausübe, fest in der Bundesverfassung verankert ist: Artikel 56 der Bundesverfassung regelt, dass die Mit­glieder des Nationalrates bei der Ausübung ihres Amtes an keinen Auftrag gebunden sind, dass sie weisungsfrei entscheiden. Das, meine Damen und Herren, ist ein klares Bekenntnis zum freien Mandat, ein Grundprinzip der repräsentativen Demokratie – in der Theorie, denn in der Praxis gilt der Klubzwang.

Immer wieder wurden in der Vergangenheit Abgeordnete ausgeschlossen oder auf nicht mehr wählbare Listenplätze gesetzt, wenn sie gegen die Parteilinie gestimmt ha­ben. Sie wurden für ihren Mut und ihr Rückgrat bestraft. Ich frage mich, werte Damen und Herren: Passt eine derartige Sanktionierung der Ausübung des Artikels 56 unserer Bundesverfassung in eine moderne Demokratie des 21. Jahrhunderts? – Das hier ist wahrlich ein Hohes Haus, und alle, die in ihm wirken, verdienen es, frei und unab­hängig reden und abstimmen zu dürfen.

Liebe Klubobleute, Parteivorsitzende! Seien Sie mutig und befreien Sie Ihre Mandatare von der Angst, ausgeschlossen zu werden, wenn sie sich – selten, aber doch – gegen den Klubzwang aussprechen! Es gibt schon Pioniere des freien Mandats hier im Hohen Haus: die Liste JETZT und NEOS. Bei der Liste JETZT sieht man die Fraktion regel­mäßig heterogen abstimmen und aufstehen, in den meisten Fällen jedoch stimmen die Fraktionen geschlossen ab. Genau das, werte Damen und Herren, wird auch passie­ren, wenn Sie den Klubzwang abschaffen.

Zu 99 Prozent, sage ich Ihnen voraus, werden die Fraktionen geschlossen aufstehen, weil man einander, den Kolleginnen und Kollegen, vertraut und weil man ja auch nicht immer die Fachexpertise und die Zeit hat, sich mit jeder Gesetzesmaterie auseinander­zusetzen. Glauben Sie mir, es wird zu mehr Loyalität führen und nicht zu weniger! Es ist doch längst an der Zeit – der Zeitgeist klopft an die Tore des Hohen Hauses und tönt lautstark –: Befreit euch vom Klubzwang, liebe Großparteien ÖVP, SPÖ, FPÖ – Sie haben die Freiheit ja sogar in Ihrem Namen! (Ruf bei der FPÖ: Genau!)

Ich bin der Meinung, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt gekommen ist, um das freie Mandat zu stärken, im Spiel der freien Kräfte im Parlament, ohne eingefahrene Struk­turen, Hickhackstrukturen von Opposition kontra Regierung, Regierungsfraktionen kon­tra Oppositionsfraktionen, ohne Koalitionsvereinbarung und ohne eine Regierung der Exekutive, die dem Parlament, der Legislative, vorschreibt, wie sie abzustimmen hat.

Außerdem nehme ich an, dass es Ihnen, Frau Brigitte Bierlein, geschätzte Bundes­kanzlerin, als ehemals höchstrangige Hüterin der Verfassung ja ein ganz besonderes Anliegen sein dürfte, dass wir hier im Hohen Haus verfassungskonform arbeiten. – Vie­len Dank für die Aufmerksamkeit.

13.06