11.02

Abgeordnete Dr. Irmgard Griss (NEOS): Herr Präsident! Frau Präsidentin der Parla­mentarischen Versammlung! Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin, Sie haben gesagt, dass europäische Haus wird von drei ganz wesentlichen Elementen geprägt, und diese drei Elemente sind die Grundrechte, die Demokratie und die Rechts­staatlichkeit. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Ich kann Ihnen nur zustimmen. Für mich steht da die Rechtsstaatlichkeit an erster Stelle. Sie ist die Grundlage für alles. Wenn wir keine Rechtsstaatlichkeit haben, dann haben wir auch keine Demokratie, und wenn es keine Rechtsstaatlichkeit gibt, dann können die Grundrechte nicht durchgesetzt werden.

Mit der Rechtsstaatlichkeit ist es jedoch ähnlich wie mit der Gesundheit: Sie ist ein prekäres Gut. Ihr Wert wird uns meist erst bewusst, wenn sie gefährdet ist, wenn die Gefahr besteht, dass sie eingeschränkt wird, dass wir sie verlieren. Es gibt eine weitere Parallele zwischen der Rechtsstaatlichkeit und der Gesundheit: Man muss etwas tun, um sie zu erhalten. Sie ist nicht automatisch da, sie ist nicht garantiert. Der Europarat ist so etwas wie ein Arzt, der darauf schaut, dass die Staaten ihre Rechtsstaatlichkeit auch tatsächlich bewahren und erhalten.

Drei Bereiche sind da besonders wichtig. Der erste Bereich ist die Politik. Die Politik muss sich zum Rechtsstaat bekennen, indem es für sie klar ist, dass allgemeine Anordnungen nur im Wege des Gesetzes erlassen werden können, dass eben das Recht die Politik bestimmt und nicht die Politik das Recht – obwohl natürlich die Politik etwas auf den Weg bringen kann. Ich bin dem Europarat sehr dankbar dafür, dass die Greco-Kommission darauf hingewiesen hat, wie wichtig ein Begutachtungsverfahren ist, das diesen Namen auch verdient. Leider haben wir das nicht immer.

Der zweite Bereich, der für den Rechtsstaat ganz wichtig ist, sind die unabhängigen Gerichte, die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter, der Institution Gerichtsbar­keit und die Unbestechlichkeit der Richterinnen und Richter. Mir hat man einmal bei einem Arbeitsbesuch in einem osteuropäischen Mitgliedstaat der Union gesagt: Na ja, bei uns sagt man: Ich zahle nicht den Anwalt, ich zahle einen Richter. – Das ist schrecklich, denn Korruption ist ein Krebsübel und zerfrisst den Staat.

Wir müssen überall auf der Hut sein; da kann ich Ihnen, Frau Präsidentin, nur recht geben. Wir dürfen nicht nur in diese Staaten schauen. Auch bei uns hier und heute müssen wir alles tun, damit es in allen Bereichen, nicht nur in der Justiz – meine Erfahrung ist Gott sei Dank, dass das dort nicht vorkommt –, auch in der öffentlichen Verwaltung, in den Parteien keine Korruption gibt. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Ganz wichtig sind die Menschenrechte. In Österreich hat die Europäische Men­schenrechtskonvention Verfassungsrang, und für mich als Richterin war es ganz selbstverständlich, zu prüfen, ob ein österreichisches Gesetz, das ich anzuwenden hatte, mit der EMRK vereinbar ist. Wir haben die Rechtsprechung des EGMR genau verfolgt und wir haben sie hier angewendet. Wenn ein Gesetz nicht damit vereinbar war, dann haben wir es beim Verfassungsgerichtshof angefochten. Also da hat auch für die nationalen Gerichte der EGMR Standards gesetzt, die für die Bewahrung und für den Ausbau der Menschenrechte ganz wesentlich sind.

Es gibt noch einen dritten Bereich, und dieser dritte Bereich ist für mich ganz wesentlich: Die Rechtsstaatlichkeit macht aus Untertanen Bürgerinnen und Bürger – Bürgerinnen und Bürger, die Ansprüche an den Staat haben, die aber auch Ver­pflichtungen gegenüber dem Staat haben, denn ohne ein Rechtsbewusstsein, ohne das Bewusstsein, dass die Rechtsordnung eingehalten werden muss, auch wenn es keinen unmittelbaren Zwang gibt, kann der Rechtsstaat, kann der Staat nicht funktio­nieren.

Ernst-Wolfgang Böckenförde, der deutsche Rechtsphilosoph und Verfassungsrechtler, hat das ganz treffend ausgedrückt. Er hat gesagt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Das ist der Auftrag an uns alle, gerade an Menschen, die in der Politik tätig sind: Wir müssen das vorleben, denn das, was prägt, ist das Beispiel. Jeder ist aufgerufen, den Rechtsstaat wirklich zu leben. – Danke. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.08

Präsidentin Doris Bures: Vielen Dank, ich bedanke mich für die Debatte. Dazu ist jetzt niemand mehr zu Wort gemeldet.

Ich bedanke mich vor allem bei Ihnen, Frau Präsidentin, dass Sie als zweite Person und erste Frau diese Erklärung vor dem österreichischen Nationalrat abgegeben haben. Ich wünsche Ihnen für Ihre so wichtige Tätigkeit alles erdenklich Gute. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

Bevor ich zum 2. Tagesordnungspunkt komme, haben wir noch die Aufgabe, das tech­nische Equipment wieder einzusammeln. Deshalb hat mich die Parlamentsdirektion darum ersucht, die Sitzung kurz zu unterbrechen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Sitzung wird um 11.09 Uhr unterbrochen und um 11.11 Uhr wieder aufge­nom­men.)

*****

Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.