17.03

Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Vizekanzler Dr. Dr. h.c. Clemens Jabloner: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Der vor­liegende Antrag auf Beschlussfassung eines Gewaltschutzgesetzes gründet sich auf Ministerialentwürfe, die noch unter der vormaligen Bundesregierung zur allgemeinen Begutachtung versandt wurden und sich auf deren Regierungsprogramm stützen. Sie werden verstehen, dass ich dazu eine reservierte Haltung einnehme. Was Sie heute beschließen, ist Ihre Verantwortung und natürlich auch Zeichen eines lebendigen Par­lamentarismus. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen! Ich denke, dass im Bereich des Opfer­schutzes und der im Sinne der Prävention zu fördernden Täterarbeit Fortschritte erzielt werden. Erwähnen möchte ich die Ausdehnung des Schutzbereiches von Betretungs­verboten und die Fallkonferenzen, die zu einer besseren Gefährdungseinschätzung im Bereich der Polizei und der Justiz führen werden.

Ich finde es auch gut und richtig, dass man Personen, die von einer Wegweisung und von einem Betretungsverbot betroffen sind, engmaschiger betreut, um das Aggres­sionspotenzial in den Griff zu bekommen. Ich als Anhänger einer klaren Gesetzes­sprache freue mich auch über Änderungen in den Opferschutzbestimmungen der StPO, die im Bereich der Information von Opfern und des Antrags auf Durchführung ei­ner schonenden Vernehmung mehr Klarheit schaffen sollen.

Hohes Haus! Ich habe gerne die Gelegenheit genutzt, gemeinsam mit weiteren be­troffenen Mitgliedern der Bundesregierung am 27. August 2019 die Möglichkeit zum fachlichen Austausch mit allen Fraktionen anzubieten. Ich habe meine Rolle dabei mehr als Moderator denn als Gestalter und Lenker der Rechtspolitik verstanden. Was ich angeboten habe, war die fachliche Expertise meines Hauses, das die Schlussfolge­rungen aus den Ergebnissen des Begutachtungsverfahrens gezogen und verschiedene Lösungsalternativen ausgearbeitet und den Fraktionen zur Verfügung gestellt hat.

Ich bin noch immer beim Positiven. Ich danke allen, die diesen Termin wahrgenommen und uns zugehört haben. Ich danke auch dafür, dass in dem nun vorliegenden Abän­derungsantrag für die zweite Lesung jene technischen Änderungen aufgegriffen wur­den, die der jeweiligen Gesetzessystematik geschuldet sind und die einen ordnungsge­mäßen Vollzug sicherstellen sollen. Im zivil- und exekutionsrechtlichen Bereich haben Sie dankenswerterweise alle unsere Vorschläge berücksichtigt.

Hohes Haus! Anders sieht mein Befund für den Bereich des Strafrechts aus. Die Dis­kussion über Strafverschärfungen hat ja nach meiner Wahrnehmung von Anbeginn an die Fortschritte im Bereich des Opferschutzes und der Täterarbeit in den Hintergrund gedrängt. Nun stehen wir vor einer Situation, die mir Sorgen bereitet. (Abg. Duzdar  in Richtung ÖVP und FPÖ – : Hören Sie das?) Faktisch die gesamte Fachwelt, insbe­sondere aber die betroffenen Rechtsanwender aufseiten der Staatsanwaltschaften und Gerichte, aber auch maßgebliche Vertreter der Opferschutzorganisationen lehnen die­se Verschärfungen mit unterschiedlicher Vehemenz ab. (Abg. Duzdar  in Richtung ÖVP und FPÖ – : Was sagen Sie dazu?)

Da setzt meine Sorge an. Wie, glauben Sie, wird diese Beschlussfassung zu einer Rechtsanwendung führen, die ja die Intentionen des Gesetzgebers nachvollziehen soll? Tut es dem Verhältnis zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und Legislative wirk­lich gut, wenn deren Einwände nicht einmal im Rahmen eines Justizausschusses an­gemessen gehört und diskutiert werden? (Ruf: So ist es! – Zwischenruf der Abg. Duz­dar.) Kann es wirklich Ziel einer rationalen Strafrechtspolitik sein, grundlegende Ein­wände gleichsam vom Tisch zu fegen und damit das Gefühl zu vermitteln, Kritik sei un­erwünscht? Ich denke, dass man sich mit vielen sachlichen Einwänden ernsthaft aus­einandersetzen müsste, um begründen zu können, warum die Gesetzgebung hier ei­nen anderen Weg verfolgt. (Beifall bei SPÖ, NEOS und JETZT.)

Sehr geehrte Damen und Herren! In meiner Verantwortung als Justizminister muss ich auch dafür sorgen, dass die Absicht des Gesetzgebers Widerhall in der Praxis findet. Was wir getan haben, war daher der Versuch, die einzelnen Themen voneinander zu trennen.

Man könnte ja durchaus meinen, dass Bestimmungen über die Anhebung von Strafun­tergrenzen bei der Vergewaltigung und des Ausschlusses der gänzlich bedingten Straf­nachsicht Ausdruck des rechtspolitischen Gestaltungswillens der Mehrheit in diesem Haus und daher eben auch zu akzeptieren sind. Persönlich habe ich nie meine Skepsis dagegen verhehlt, menschliches Handeln durch das Mittel der Strafverschärfung zu steuern und individuelle Merkmale nicht zu berücksichtigen – aber natürlich stehen sich hier unterschiedliche Konzepte einer Strafrechtspolitik gegenüber. Wenig Verständnis habe ich allerdings dafür, dass Sie nicht jene Bedenken wahrnehmen, einer schon an sich belasteten Justiz weitere Mühe aufzuerlegen. Konkret sind das die Bestimmungen der §§ 33 Abs. 2 und 39a StGB, die in ihrer komplizierten Ausgestaltung die Gefahr von Fehlern in der Strafzumessung in sich bergen.

Sie wissen, dass ich in Sorge um die Leistungsfähigkeit der ordentlichen Gerichtsbar­keit und des Strafvollzugs bin. Wenn verschiedentlich zum Ausdruck gebracht wird, Strafverschärfungen würden ja nichts kosten, dann kann ich nur die Steigerung der da­raus resultierenden Hafttage entgegenhalten. Jedes Urteil, das mit einer Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 11 StPO, also schwerwiegenden Fehlern in der Strafzumessung, behaftet ist, führt nicht nur zu vermeidbarem zusätzlichen Aufwand in der Strafzumes­sung, sondern auch zu einem Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit der Strafjus­tiz.

Hohes Haus! Mag die eben genannte Problematik eine quasi justizinterne sein, so ist die Änderung des Jugendgerichtsgesetzes doch von größter strafrechtlicher und ge­sellschaftspolitischer Relevanz. Das Jugendgerichtsgesetz kennt die Alterskategorie der jungen Erwachsenen von 18 bis 21 Jahren. Sie beabsichtigen nun, Menschen die­ses Alters hinsichtlich diverser Delikte den Erwachsenen gleichzustellen. Dies bedeutet vor allem, dass nunmehr Mindeststrafen vorgesehen sind. Immerhin haben Sie es unterlassen, für junge Erwachsene die lebenslange Freiheitsstrafe vorzusehen – was uns ja ins Jahr 1851 zurückgeführt hätte –, aber auch die jetzt vorgesehenen Eingriffe sind sehr gravierend.

Wir sind doch der Auffassung – jedenfalls sind das die Theorie und Praxis der Hand­habung des Strafrechts –, dass gerade bei dieser Alterskategorie den Gerichten ein größter Spielraum zu geben ist. Es ist bei jungen Menschen stets notwendig, ihre In­tegration nach Abflauen der Adoleszenzkrise jeweils nach der individuellen Persönlich­keitsentwicklung in der Strafzumessung zu berücksichtigen. (Abg. Duzdar – in Rich­tung ÖVP und FPÖ –: Was sagen Sie dazu?) Ich denke, dass wir da Vertrauen in die bewährte österreichische Jugendgerichtsbarkeit haben könnten, ohne dem Anliegen der Antragsteller einen schweren Bruch zu tun. (Beifall bei SPÖ, NEOS und JETZT. – Abg. Duzdar: ... Skandal!)

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Die Auswirkungen dieser geplanten Regelung zeigen sich nicht nur bei den schwersten Delikten, bei denen die Änderung vielleicht noch nachvollziehbar wäre, sondern auch schon bei der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB. Versetzt zum Beispiel ein 19-Jähriger in einem Lokal einem anderen in einem Streit einen Faustschlag – was in diesem Alter leider passiert –, und das Op­fer stürzt und erleidet einen Bruch eines Fingers, so würde in Zukunft die Mindeststrafe sechs Monate betragen. (Zwischenruf der Abg. Schimanek. – Abg. Lindner – in Rich­tung Abg. Schimanek –: Zuhören! – Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Schimanek.)

Bedenken Sie, dass Sie mit einer solchen weitgehenden Änderung vielleicht nicht nur die offensichtlich beabsichtigten Zielgruppen, sondern auch den 19-Jährigen von ne­benan erwischen. (Abg. Duzdar: Ist Ihnen wurscht!) Das erscheint doch überzogen, und daher sollte eine solche Gesetzesänderung wohl überlegt, vertieft diskutiert und am Ende unterlassen werden. (Beifall bei SPÖ, NEOS und JETZT sowie der Abg. Zadić.)

Meines Erachtens bedeutet die Regelung – und ich konzentriere mich da ganz bewusst auf das Jugendgerichtsgesetz – einen zivilisatorischen Rückschritt. (Neuerlicher Beifall bei SPÖ, NEOS und JETZT. – Abg. Duzdar: ... Populismus! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Sie ist vielleicht einer vorhandenen oder auch vermuteten Stimmungslage in der Bevöl­kerung geschuldet. Ich will hier nicht der Humanität des Strafrechts das Wort reden, ich möchte Sie ja nicht provozieren. (Zwischenruf der Abg. Duzdar.) Ich will aber die Ra­tionalität des Strafrechts ansprechen, das ja die Spezial- und Generalprävention und nicht den Vergeltungsgedanken in den Vordergrund stellt und das auch nicht darauf ausgerichtet ist, einem vermuteten Volksempfinden Raum zu geben.

Ich möchte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, daher aus­drücklich darum ersuchen, zumindest der Änderung des § 19 des Jugendgerichtsge­setzes nicht zuzustimmen. – Ich danke. (Anhaltender – von Abg. Erasim stehend dar­gebrachter – Beifall bei SPÖ, NEOS und JETZT sowie der Abg. Zadić.)

17.12

Präsidentin Doris Bures: Danke, Herr Vizekanzler. Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Harald Stefan. – Bitte. (Abg. Duzdar: Jetzt bin ich neugierig!)