1.000.000 Kinder

 

Als Frau, Mutter, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Neonatologin, und derzeitige Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde möchte ich mich mit meiner Stellungnahme klar für die betroffenen Kinder äußern, deren Recht auf Leben und deren Stimme in der Debatte um Schwangerschaftsabbruch nicht gehört bzw. gar nicht in Betracht gezogen wird.

Es gehe darum, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht zu  beschneiden ... Statistisch gesehen, sind 50% der seit 1975 hochgerechnet über 1.000.000 Kinder, die durch Schwangerschaftsabbruch in Österreich getötet wurden, weiblich, also  auch Frauen - wer tritt für deren Selbstbestimmungsrecht ein?

Es gehe darum, durch ein (weiteres) Kind die Existenz einer Frau, bzw. eines Paares oder einer Familie nicht zu gefährden. Selbstverständlich verändert ein Kind das Leben einer Frau, verändert das Gefüge eines Paares, das dadurch zu Eltern wird, verändert die Struktur einer Familie, die um ein weiteres Mitglied erweitert wird. Dennoch gibt es im internationalen Vergleich wenig Länder, in denen wie in Österreich die Zeit um Schwangerschaft, Geburt, erste Wochen mit dem Kind, gesundheitlicher Begleitung des Kindes in den ersten Jahren, Bildung des Kindes, ... gesetzlich (so) klar geregelt und so umfassend unterstützt ist. Wir werden darum von vielen Familien in europäischen Nachbarländern beneidet.

Wenn ich etwas anschaffen möchte, ein Auto, ein Haus, ... überlege ich im Vorfeld, ob das leistbar ist oder nicht. Es kann doch nicht tatsächlich und ausgerechnet bei einem Kind so sein, dass ein "Umtausch- und Rückgaberecht" dem Kind das Leben kostet. Wie widersinnig ist diese Schlussfolgerung!

Es gehe darum, Frauen in der Notsituation einer "ungewollten Schwangerschaft" - durch die Option des Schwangerschaftsabbruches -  zu "helfen". Die Verknüpfung von "ungewollt" und "schwanger" ist eine Absurdität, um das Mindeste zu sagen. In Österreich weiß jeder Bürger und jede Bürgerin, wie Kinder entstehen. Dass der unverantwortliche Umgang mit Sexualität einem anderen Menschen, der sich nicht wehren kann, das Leben kostet, ist nüchtern betrachtet einfach ungeheuerlich. Der Schwangerschaftsabbruch ist bei uns in Österreich zu einer Methode der Geburtenkontrolle geworden - und das sehr effektiv, wie wir unschwer an der Entwicklung unserer Bevölkerungspyramide erkennen können. Das war mit Sicherheit nicht das Ziel des Gesetzes!

 

Die Bürgerinitiative #fairändern führt in den ausformulierten Punkten auf, was in dem Gesetz von 1975, das mit 93 zu 88 Stimmen verabschiedet wurde, nicht umgesetzt bzw. deutlich verbesserungswürdig ist. Ich kann die Forderungen nachvollziehen und unterstütze sie uneingeschränkt. Sie sind weder politisch noch religiös oder sonst wie gefärbt und motiviert, sondern einfach  LOGISCH. Wenn in einem reichen Land wie Österreich mindestens ein Drittel der Kinder vor der Geburt getötet werden, ist das nicht nur  jeweils eine menschliche, sondern in jedem Fall eine gesellschaftliche Katastrophe! Es ist höchst an der Zeit, dass wir uns als Gesellschaft den offenen Fragen stellen.




 

Stellungnahme zu den einzelnen Punkten der Bürgerinitiative #fairändern

 

(1) Soziale und gesetzliche Verbesserungen bei Konfliktschwangerschaften

 

- Offizielle Statistik und anonyme Motivforschung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich:

Jedes wissenschaftlich medizinische Gebiet fordert als Grundlage für eine valide Auswertung die Erfassung der Population, zu der eine Aussage getroffen werden soll. Schlichtweg kennen wir die Zahlen für Österreich nicht. Wir sprechen von geschätzten 30.000 bis 35.000 (?!) Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr - oder sind es vielleicht mehr? Keine wissenschaftliche Studie akzeptiert eine Unschärfe von 15% oder mehr. Daher ist die Erhebung der Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen und der Indikationen, die dazu führen, eine notwendige Voraussetzung, um valide Aussagen zu treffen.


- Hinweispflicht des Arztes auf Unterstützungs- und Beratungsangebote für schwangere Frauen: Die eratung muss alle wesentlichen Informationen zu rechtlichen, medizinischen, finanziellen und psychosozialen Unterstützungsmöglichkeiten enthalten.

Jede Beratung hat das Ziel und soll dazu führen, dass die/der Betroffene am Ende eine auf umfassender Information basierende Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen kann. Das gilt für jede medizinische Behandlung (egal, ob diagnostisch, therapeutisch oder präventiv). Durch die Information, Beratung und Aufklärung über Möglichkeiten und Folgen einer Schwangerschaft oder Abtreibung sowie die  jeweiligen Unterstützungsangebote und Alternativen ist eine informierte Entscheidung überhaupt erst möglich!


- Bedenkzeit zwischen Anmeldung und Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches: Um keine übereilte Entscheidung zu treffen, sollten alle Unterstützungs- und Beratungsangebote in Anspruch genommen werden können. Dazu benötigt es eine mindestens dreitägige Bedenkzeit vor einem Schwangerschaftsabbruch, wie es auch bei anderen operativen Eingriffen üblich ist.

Der gesetzliche Rahmen für operative Eingriffe soll auch bei einem Schwangerschaftsabbruch eingehalten werden. Dieser Punkt ist anhand des Datums und des besprochenen Inhaltes, die beide auf dem  unterzeichneten Aufklärungsbogen festgehalten werden, leicht überprüfbar bzw. nachvollziehbar.

- Informationskampagne über Adoption/Pflege als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch: Kein Kind ist ungewollt. In Österreich warten überproportional viele Adoptiveltern auf ein Kind.

Das kann ich aufgrund meiner beruflichen Erfahrung nur bestätigen. Ich kenne viele Paare, die sich ein Kind wünschen und vieles investieren, damit dies möglich wird. Es erscheint wiederum widersinnig, wenn Kinder auf der einen Seite gewollt, auf der anderen getötet werden. Die Information über Adoption als  Alternative zum Schwangerschaftsabbruch ist daher mehr als sinnvoll. Ich habe es selber erlebt, dass eine Adoption für beide Teile - leibliche Eltern und Adoptiveltern - und auch für die Kinder gut ist!

Als Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Neonatologin habe  ich mehr als einmal das Bangen und Hoffen von Eltern erlebt, während um das Leben ihres viel zu früh oder auch später im Rahmen von lebensbedrohlichen Erkrankungen betroffenen Kindes gekämpft wird.

Besonders wenn es um Frühgeborene mit 23-24 Schwangerschaftswochen und einem Gewicht von gerade mal 600-700 Gramm Gewicht - an der Grenze der Lebensfähigkeit - geht, ist es vollkommen

unverständlich, wenn unmittelbar daneben das Leben eines jüngeren Kindes, mit 12, 14 oder 16 Schwangerschaftswochen aktiv  beendet wird. Der einzige Unterschied zwischen beiden sind einige Wochen an Zeit.


(2) Ein Ende der Diskriminierung von Kindern mit Behinderung in Österreich erfordert die Abschaffung der eugenischen Indikation. Aktuell ist Abtreibung von gesunden Kindern bis zum dritten Monat möglich, jene von behinderten Kindern sogar bis zur Geburt. Dies ist nicht nur eine deutliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, sondern vor allem ein unwürdiges Werturteil über ihr Lebensrecht.

Die Streichung der eugenischen Indikation ist formal juristisch überfällig, da sie eine echte Diskriminierung darstellt.

Der Vorwurf, Eltern würden in aussichtslosen Situationen gezwungen, ein schwerst behindertes Kind zu bekommen, ist nicht haltbar - wobei über die Definition von "aussichtslos" und "schwerer Behinderung" und darüber, wer diese wann trifft, eine eigene Debatte geführt werden kann! In meinem Spezialbereich "Angeborene Stoffwechselstörungen" und "Seltene Krankheiten" betreue ich viele Kinder und Familien - und: Es stimmt einfach nicht, dass ein behindertes Kind zu haben gleichzusetzen ist mit finanziell verarmter, alleinerziehender Frau  und Mutter! Auch hierfür bräuchten wir eine vernünftige, flächendeckende statistische Erhebung.

Wir erleben es als Kinder- und JugendärztInnen oft, wie sehr auch gerade ein behindertes Kind das Familienleben bereichert, auch, wie unvorstellbar es anfänglich erschien, ein behindertes Kind zu haben, und dann, wie schlimm, wenn es fehlen würde!

                                                  

A.Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall, IBCLC                                                                

Präsidentin der  Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ)

Stellvertretende Klinikdirektorin

Medizinische Universität Innsbruck
Department für Kinder- und Jugendheilkunde
Universitätsklinik für Pädiatrie I
Bereich Angeborene Stoffwechselstörungen
Anichstrasse 35, A-6020 Innsbruck
Tel  +43 512 504 23600
Fax  +43 512 504 23599
                                     

 

Innsbruck, 18. April 2019