SCHRIFTLICHE INFORMATION gemäß § 6 EU-InfoG

zu Top 4 der Tagesordnung des

Ständigen Unterausschusses in EU-Angelegenheiten am 22. Mai 2018

 

1.      Bezeichnung des Dokuments

COM(2016) 815 final Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004

 

2.      Inhalt und Ziel der Vorlage

Die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 koordinieren die Sozialschutzsysteme der Mitgliedstaaten, um günstige Rahmenbedingungen für die Ausübung der vom Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eingeräumten Freizügigkeitsrechte zu gewährleisten. Der vorliegende Verordnungsvorschlag ist der sozialversicherungsrechtliche Teil des sogenannten „Mobilitätspakets“. Der bereits durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 im Vergleich zu den Vorgängerregelungen eingeleitete Modernisierungsprozess soll unter anderem in den Bereichen Leistungen bei Pflegebedürftigkeit, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Familienleistungen fortgesetzt werden. Die Koordinierungsvorschriften müssen mit den sich wandelnden rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen Schritt halten, in deren Rahmen sie Anwendung finden. Dazu ist es erforderlich, dass sie die Ausübung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger weiter erleichtern und gleichzeitig für Rechtsklarheit, eine faire und ausgewogene Verteilung der finanziellen Belastung zwischen den Trägern der beteiligten Mitgliedstaaten sowie für einfache Verwaltungsverfahren und die Durchsetzbarkeit der Bestimmungen sorgen.

 

Zum Inhalt des Änderungsvorschlags:

Arbeitslosenversicherung:

·        Ausdehnung der Exportverpflichtung für Arbeitslosengeld von 3 auf 6 Monate.

·        Änderung der Grenzgänger-Regelung: Anstelle des Wohnstaats soll künftig der Beschäftigungsstaat für arbeitslose ehemalige Grenzgängerinnen und Grenzgänger zuständig sein, sofern dort mindestens 12 Versicherungsmonate erworben wurden.

·        Zusammenrechnung der Versicherungszeiten erst ab einer Mindestversicherungszeit von 3 Monaten (Abgehen von der 1-Tages-Regelung); liegen weniger Versicherungsmonate vor, muss der zuvor zuständig gewesene Mitgliedstaat die Leistungen erbringen.

Gleichbehandlung:

Einführung einer Beschränkung der Gleichbehandlungsregelung nach Artikel 4 VO 883/2004 auf Fälle des rechtmäßigen Aufenthaltes bei nichtaktiven Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Diese Änderung dient der Umsetzung der einschlägigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs.

Entsendung und andere Aspekte der anwendbaren Rechtsvorschriften:

·        Ausweitung des Ablöseverbots auf Selbständige.

·        Bei gleichzeitiger Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten ist der Sitz oder Wohnsitz des Arbeitgebers für die Zuständigkeit nur maßgeblich, wenn der Arbeitgeber dort eine „wesentliche Tätigkeit“ ausübt.

·        Definition eines fiktiven Wohnsitzes in der EU für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in mehreren Mitgliedstaaten arbeiten und in einem Drittstaat wohnen.

Pflegeleistungen:

·        Pflegeleistungen werden definiert und sollen als eigene Leistungskategorie in die Verordnung 883/2004 aufgenommen werden und nicht mehr als Leistungen bei Krankheit gelten.

·        Pflegeleistungen sollen jedoch weiterhin wie Leistungen bei Krankheit koordiniert werden.

·        Eine andere Koordinierung ist optional möglich, sofern dies für die Betroffenen nicht nachteilig ist.

·        Sämtliche Pflegeleistungen sollen von der Verwaltungskommission in einer Liste erfasst werden.

Bekämpfung von Betrug und Irrtum:

·        Es wird eine Legaldefinition von Betrug vorgeschlagen.

·        Um Betrug und Irrtum besser bekämpfen zu können, wird vorgeschlagen, den Datenschutz etwas abzuschwächen bei gleichzeitiger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Familienleistungen:

Für Erziehungsleistungen mit Einkommensersatzfunktion (welche Leistungen genau unter diese Kategorie fallen, muss noch näher untersucht werden) sollen nicht mehr die allgemeinen Koordinierungsregelungen für Familienleistungen gelten. Sofern ein Mitgliedstaat sich dafür entscheidet, soll künftig diese Leistung ausschließlich jener Elternteil erhalten, der in dem betreffenden Mitgliedstaat gearbeitet hat oder wohnt, und nicht länger auch der andere Elternteil.

Verfahrensrechtliche Änderungen:

·        Die Europäische Kommission kann Durchführungsakte zu den Bestimmungen über die anwendbaren Rechtsvorschriften erlassen (z.B. Modalitäten im Zusammenhang mit der Bescheinigung A1).

·        Die Bescheinigung A1 ist nur gültig, wenn sie vollständig ausgefüllt ist.

·        Bei Betrug ist ein A1 jedenfalls rückwirkend zu widerrufen.

·        Vereinfachtes Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit bei Tätigkeiten in mehreren Mitgliedstaaten.

·        Datenaustausch nicht nur zwischen Trägern sondern auch mit sonstigen Behörden.

·        Neuordnung der Beitreibung von zu Unrecht erbrachten Leistungen oder nicht erhaltenen Beiträgen in anderen Mitgliedstaaten.

Delegierte Rechtsakte:

Sämtliche Anhänge der Verordnungen 883/2004 und 987/2009 sollen künftig durch Verordnung der Europäischen Kommission und nicht länger durch Verordnung von Rat und Europäischem Parlament geändert werden.

 

3.      Hinweise auf Mitwirkungsrechte des Nationalrates und Bundesrates

Mitwirkungsrechte bestehen gemäß Art. 23e ff B-VG.

 

4.      Auswirkungen auf die Republik Österreich einschließlich eines allfälligen Bedürfnisses nach innerstaatlicher Durchführung

Der Vorschlag ermöglicht insbesondere im Bereich der anzuwendenden Rechtsvorschriften eine bessere Bestimmung der Zuständigkeiten. Auch die spezielle Koordinierung für Erziehungsleistungen wird begrüßt. Der sich ergebende Anpassungsbedarf auf nationaler Ebene hängt vom Endergebnis der Verhandlungen ab.

 

5.      Position der zuständigen Bundesministerin samt kurzer Begründung

Österreich unterstützt grundsätzlich den Vorschlag, da er zu einer Modernisierung der VO 883/2004 beiträgt und auch etliche Klarstellungen bringen wird. Den bisher erzielten Ergebnissen hat auch Österreich zugestimmt.

Für Österreich wichtige Punkte:

Familienleistungen: Österreich tritt dafür ein, dass die Kommission Regelungen zur Indexierung von Familienleistungen in den Entwurf aufnimmt. Allerdings besteht in dieser Frage Unterstützung von lediglich vier Mitgliedstaaten. Familienministerin Juliane Bogner-Strauß hat im Ministerrat am 2. Mai die Indexierung der Familienbeihilfe durch nationales Gesetz vorgelegt.

Leistungen bei Arbeitslosigkeit: Die Änderung der Zuständigkeiten für arbeitslos gewordene Grenzgänger wird von insgesamt 11 Mitgliedstaaten abgelehnt; diese Staaten haben jedoch keine Sperrminorität. Es ist zu erwarten, dass die bulgarische Präsidentschaft vorschlagen wird, über diese Änderung mit qualifizierter Mehrheit eine allgemeine Ausrichtung im Rat im Juni zu beschließen, wobei nach aktuellem Stand der Verhandlungen der Schwellenwert für die Zuständigkeit des letzten Beschäftigungsstaats nicht 12 Monate, wie von der Kommission vorgeschlagen, sondern nur 3 Monate betragen soll. Österreich lehnt eine Änderung des bestehenden Systems (Zuständigkeit des Wohnstaats) aus grundsätzlichen Überlegungen ab.

Die Einführung einer Wartezeit, bevor eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld stattfindet, wird im Rat vermutlich eine Mehrheit finden. Es ist allerdings zu erwarten, dass sich der Rat mehrheitlich nur für einen Monat ausspricht. Österreich befürwortet weiterhin 3 Monate, wie von der Kommission vorgeschlagen.

Die Verlängerung des Exportzeitraumes für Arbeitslosengeld von drei auf sechs Monate wird hingegen von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter Österreich, abgelehnt.

 

6.      Angaben zur Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität

Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit werden gewahrt. Die Gemeinschaftsvorschriften über die soziale Sicherheit sehen eine Koordinierung der nationalen Systeme vor, keine Harmonisierung.

 

7.      Stand der Verhandlungen inklusive Zeitplan

Die Europäische Kommission hat ihren Vorschlag am 13. Dezember 2016 veröffentlicht. Die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten haben unter maltesischer Präsidentschaft Ende Jänner 2017 begonnen und befassten sich mit den Kapiteln „Gleichbehandlung nicht erwerbstätiger UnionsbürgerInnen“ und „anwendbare Rechtsvorschriften“.  Die Arbeiten an diesen beiden Kapiteln fanden unter estnischer Präsidentschaft beim Rat am 23. Oktober 2017 im Rahmen einer teilw. allgemeine Ausrichtung ihren vorläufigen Abschluss. Unter estnische Präsidentschaft wurde auch zu den Kapiteln „Pflegeleistungen“ und „Familienleistungen“ eine teilw. allgemeine Ausrichtung in der Sitzung des Rates am 7. Dezember 2017 beschlossen. Österreich hat diesen teilweisen allgemeinen Ausrichtungen jeweils zugestimmt.

Unter bulgarischem Vorsitz wird derzeit über die verbleibenden Kapitel (Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Beitreibung, Datenschutz, Kostenerstattung und sonstige Bestimmungen) verhandelt; es ist beabsichtigt, die teilweise allg. Ausrichtung dazu beim Rat im Juni zu erreichen. Falls dies gelingt, werden unter österreichischer Präsidentschaft die Trilog-Verhandlungen geführt werden. Aufgrund des Trioprogrammes zählt der Abschluss der Änderungen der VO 883/2004 zu den prioritären Dossiers.

Die Arbeiten im Europäischen Parlament haben begonnen. Die Annahme des Berichts des Beschäftigungsausschusses ist für Juni oder Juli 2018 geplant.