An das Parlament und

das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung

 

 

Betrifft: GZ BMBWF-12.660/0009-Präs.10/201

 

                                                                                                                                                                             11. April 2018

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Der Verein BildungGrenzenlos erlaubt sich, folgende Stellungnahme zum Entwurf bez. „Schulorganisationsgesetz, Schulunterrichtsgesetz und Schulpflichtgesetz 1985 betreffend Deutschförderklassen“ vorzulegen.

 

Zu begrüßen ist aus der Sicht von BildungGrenzenlos die Intention, der Deutschförderung von Kindern und Jugendlichen künftig einen hohen Stellenwert einzuräumen.

 

Allerdings wird der vorliegende Entwurf diesen Intentionen nicht gerecht.

 

Wir kritisieren daher erhebliche Teile des Entwurfs:

 

Begründung:

 

·        Alle neueren Erkenntnisse aus der einschlägigen Forschung kommen zu der Erkenntnis, dass separate Deutschklassen nicht zum gewünschten Erfolg führen. Als erfolgreich hat sich ein Modell erwiesen, das eine Balance zwischen separatem und integrativem Unterricht darstellt, wobei der integrative Anteil so schnell wie möglich zu steigern ist.

·        So ein Mischmodell setzt allerdings ausreichend personelle Ressourcen – mit entsprechender Qualifikation – voraus.

·        Im Entwurf werden Kenntnisse in der Zweit- oder sogar Drittsprache als Kriterium für Schulreife vorgesehen. Das ist  wissenschaftlich gesehen völlig abzulehnen, da nur Kenntnisse in der Erstsprache ein Kriterium für Schulreife sein können. In Hamburg, das auf dem Gebiet der durchgehenden Deutschförderung eine Vorreiterrolle einnimmt, ist das sogar verboten.

·        Gut erforscht ist, dass durch Zurückstellung von der Schulreife aufgrund von mangelnden /fehlenden Kenntnissen in der Zweitsprache die Erstsprache abgewertet wird, was sich wiederum negativ auf den Erwerb der Zweitsprache auswirkt.

·        Kinder, die künftig den Schulbeginn bis zu zwei Jahre später beginnen könnten, verlieren künftig bis zu zwei Jahre ihrer Schullaufbahn, was eine erhebliche Diskriminierung darstellt.

·        Sechsjährige und Achtjährige werden künftig erste Volksschulklassen zusammen besuchen, ohne dass diesen Klassen Ressourcen für Mehrstufenpädagogik zur Verfügung stehen werden.

·        Aus unerklärlichen Gründen wird der Status des „außerordentlichen Schülers“ künftig abgeschafft. Dieser war bislang für zwei Jahre möglich, was für viele SchülerInnen bedeutete, dass sie keinen Verlust in ihrer Schullaufbahn hatten. Künftig müssen sie gleich in allen Gegenständen beurteilt werden, was die Ausgangssituation dramatisch verschlechtert.

·        A.o.-SchülerInnen, die bereits fix seit einem Jahr (Schuljahr 2017/18) in einer Klasse verankert sind, werden ab dem nächsten Schuljahr aus diesem Verband herausgerissen und müssen ebenfalls in die Deutschklassen gehen.

·        SchülerInnen, die bereits Deutschkenntnisse haben, aber noch Förderbedarf haben, müssen künftig mit sechs Wochenstunden auskommen (statt bisher mit elf).

·        Ungeklärt ist, welche Qualifikationen die Lehrkräfte haben müssen. Sie sollten selbstverständlich eine Ausbildung in „DaZ“ haben sowie eine Ausbildung in interkultureller Kompetenz.

·        Wird es künftig diese Ausbildung für alle LehrerInnen verpflichtend geben? Bislang ist das nicht der Fall, und auch die neue PädagogInnenbildung sieht das nicht vor.

·        Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dem Fachunterricht im Erwerb der Zweitsprache eine große Bedeutung zukommt. Im Entwurf ist außer in Werken und Sport kein Fachunterricht vorgesehen.

·        Unklarheit herrscht bislang über die Curricula dieser Klassen.

·        Ebenso unklar ist, wie die Tests aussehen werden. In Österreich gibt es bisher keine von wissenschaftlicher Seite erstellten Tests. Die Frage ist also, wer diese Tests erstellen wird und wie ihre wissenschaftliche Validität aussehen wird.

·        Einigkeit herrscht unter PädagogInnen und WissenschaftlerInnen darüber, dass Integration nicht nur über  den Erwerb der Landessprache erfolgt, sondern dass es vieler zusätzlicher Maßnahmen bedarf.

·         Daher unsere Frage: Was ist an Ressourcen für zusätzliches Supportpersonal vorgesehen? Bekanntlich steht Österreich, was die Anzahl dieser Personen betrifft, jetzt schon an letzter Stelle unter vergleichbaren (OECD)Ländern.

·        Es ist bekannt, dass den Eltern eine maßgebliche Rolle im Integrationsprozess zukommt. Im Entwurf sind dafür keine Maßnahmen vorgesehen. Explizit meinen wir dabei nicht Strafmaßnahmen, sondern etwa aufsuchende Elternarbeit u.Ä.

·        Wir kritisieren auch die Nicht-Verlängerung der Ressourcen aus dem so genannten „Integrationstopf“. Welche Ressourcen wird es stattdessen geben? Werden die Schulen in urbanen Bereichen mehr Ressourcen auf Grund eines Chancenindex erhalten?

·        Ungeklärt ist die Frage der Qualitätssicherung. Wird es eine Evaluation geben? Wer wird diese durchführen? In welchem zeitlichen Rahmen soll sie stattfinden? Wird es eine wissenschaftliche Begleitung der Maßnahmen geben?

·        Ungeklärt ist bisher ebenfalls, ob der räumliche Bedarf abgedeckt werden kann. Viele Schulen haben schon jetzt so genannte „Wanderklassen“ und können keinen zusätzlichen Raum für die geplanten Deutschklassen zur Verfügung stellen.

·        Wurde diese Raumfrage geklärt, bevor der Entwurf in Begutachtung gegangen ist? Was machen Schulen, die über diese Räume nicht verfügen?

·        Völlig unverständlich ist, warum man eine zentrale Regelung für ganz Österreich einführt, obwohl die Ausgangssituation von Region zu Region, aber auch von Schule zu Schule ganz unterschiedlich ist. Warum überlässt man die konkrete Ausformung nicht den Schulen?

·        Dem Gedanken der Schulautonomie wird dabei in keiner Weise entsprochen.

·        Unklar ist, welche Regelung künftig für die Oberstufe(n) vorgesehen ist. Wird es hier den „a.o.“-Status weiterhin geben?

o   Die Ausgangslage: Der Einstieg in das österreichische Schulsystem ist für SchülerInnen höherer Schulstufen besonders schwierig, da einfach weniger Zeit bis zum angestrebten Schulabschluss zur Verfügung steht. In BHS und BMS schaffen immigrierte Jugendliche schon die Hürde der Aufnahmevoraussetzungen nicht. In der AHS kommt gesetzlich vorgesehen meist eine weitere Fremdsprache hinzu, wodurch die Probleme zusätzlich zu den notwendigen Einstufungen rasch zu Überforderung führen.  Hier müssen andere Lösungen gesucht werden z.B. die Förderung und Anrechenbarkeit von Fähigkeiten in der Muttersprache. Diese Jugendlichen kommen sonst nicht ins System oder fallen schnell wieder heraus, landen beim AMS.

o   Angesichts dessen ist zu klären: Welche gesetzliche Regelung wird es für die Oberstufe geben? Fällt es überhaupt künftig ganz in die Schulautonomie, was die beste Lösung wäre? Inwiefern werden mitgebrachte Qualifikationen / schulische Vorbildung künftig anerkannt? Macht der jetzige a.o. Status in der Oberstufe überhaupt Sinn - laut ExpertInnen aus Theorie und Praxis ist das nicht der Fall.

o    

 

 

Hochachtungsvoll,

 

Mag. Heidemarie Schrodt für Bildung Grenzenlos (Vorsitzende)

Mag. Stefan Böck (stv. Vorsitzender)

Mag. Erwin Greiner (stv. Vorsitzender)