Textfeld: Stellungnahme
zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Übergangsgesetz vom 1. Oktober 1920, in der Fassung des B. G. Bl. Nr. 368 vom Jahre 1925, das Bundesverfassungsgesetz betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien und das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz geändert werden

Datum: 12.07.2018


Aufgabe der unterzeichnenden Organisationen ist es, Hilfe von Mensch zu Mensch zu leisten. Aus dieser täglichen Arbeit, ihrer fachlich fundierten Kompetenz und jahrelangen Erfahrung als Dienstleister für die öffentliche Hand schöpfen sie Wissen und Erkenntnis über Auswirkungen gesetzlicher Regelungen und dem Vollzug staatlicher Maßnahmen. Vor allem aber auch aus ihrer umfassenden berufsethischen Verpflichtung den Betroffenen  gegenüber, beziehen sie ihre die Kompetenz, sich zum geplanten Entwurf des Bundesverfassungsgesetzes zu äußern.

 

Mit dem geplanten Vorhaben zur Änderung der Bundesverfassung sollen grundsätzlich die Zustimmungsrechte von Bund und Ländern zu Maßnahmen der jeweils gegenbeteiligten Gebietskörperschaft reduziert und die Kompetenzverteilung in Bezug auf den Kompetenztypus der Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung geändert werden.

Dabei ist unter anderem geplant, die Gesetzgebungskompetenz im Bereich „Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ vollständig den Ländern zu übertragen. Bisher hat der Bund in diesem Bereich die Kompetenz zur Erlassung von Grundsatzgesetzen und die Länder jene zur Erlassung von Ausführungsgesetzen. Damit kann der Bund Grundsätze festlegen, während die Länder für Einzelregelungen bzw. die genauere Ausführung zuständig sind.

Die vorliegende Stellungnahme bezieht sich nur auf die Änderung dieser Kompetenz.

 

Der Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen muss im Vordergrund stehen.

 

Kinder und Jugendliche gehören zu den vulnerabelsten Gruppen in unserer Gesellschaft. Gleiche Rechte und effektiver Schutz für alle Kinder in Österreich sind zentrale Aspekte der UN-Kinderrechtskonvention. Österreich hat diese Konvention ratifiziert und muss daher diese Rechte für alle Kinder in Österreich – unabhängig von ihrem Wohnort – gewährleisten. Dabei muss – auch nach dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern  – das Kindeswohl an oberster Stelle stehen. In den Materialien zum vorliegenden Entwurf findet sich weder eine Begründung, weshalb die vorgeschlagene Änderung im Sinne des Kindeswohls sei, noch eine qualitative Folgenabschätzung.

 

Kinderrechtliche Verpflichtungen verlangen klare, einheitliche Standards für Leistungen, Personal und Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendhilfe. So muss etwa auch bei einem Wohnortwechsel in ein anderes Bundesland die Leistungskontinuität gewährt werden.

 

Der UN-Kinderrechte-Ausschuss war bereits 2012 besorgt, dass es in Österreich z.B. keine einheitlichen Qualitätsstandards bei der Pflege und Unterbringung fremduntergebrachter Kinder gibt.  

 

2013 wurde nach langjähriger Vorarbeit das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz eingeführt. Dieses enthält österreichweit gültige Mindeststandards, wie beispielsweise die Einführung des sogenannten 4-Augen Prinzips in der Gefährdungsabklärung, das eine objektive und qualitativ hochwertige Kinderschutzarbeit gewährleisten soll und auch der Sicherheit der ausführenden Fachkräfte dient.

 

Die unterzeichnenden Organisationen fürchten, dass durch die „Verländerung“ der Zuständigkeit für diesen sensiblen Bereich die aktuell verbindlich festgelegten Standards wegfallen und (wieder) ein Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen entsteht. Eine solche Situation ist aktuell beispielsweise im Bereich des Jugendschutzgesetzes gegeben – in diesem Bereich gibt es Bestrebungen einer Vereinheitlichung – zur Gleichbehandlung aller Jugendlicher in Österreich.

 

Mit der geplanten „Verländerung“ werden die Qualitätsstandards, insbesondere bezüglich

Gefährdungseinschätzung,  Hilfeplanung im 4-Augen-Prinzip, Partizipation, Meldepflichten, Verschwiegenheitspflichten, Datenschutz, Ausbildung und Vorgehensweisen bei Maßnahmen des Kinderschutzes, der fachlichen Eignungsfeststellung privater Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen und deren pädagogische Orientierung, schriftliche Dokumentationspflichten und der  Leistungskontinuität massiv gefährdet.

 

Durch unterschiedliche Ressourcenausstattung der Länder drohen Ungleichbehandlungen und möglicherweise Abstriche beim Kinderschutz, im Sinne der Nivellierung der Standards nach unten. Es ist zu befürchten, dass sich ohne bundesweit einheitliche Mindestvorgaben die Standards eher an der Budgetsituation der Bundesländer als an den Rechten und Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.

 

Daneben besteht nach Ansicht der unterzeichnenden Organisationen die Gefahr, dass die Kinder- und Jugendanwaltschaften unter Druck geraten bzw. eingespart werden.

Auch die neu eingeführte einheitliche Statistik der Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen – die eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung von Interventionen darstellt – droht schon wieder verloren zu gehen, womit auch eine wichtige Grundlage für das verpflichtende Kinderrechte-Monitoring wegfallen würde. 

 

Es wird daher dringend appelliert, das Vorhaben zurückzunehmen und einen breiten, sachlichen Diskurs darüber zu führen. Dabei sollte unbedingt auch das Ergebnis der Evaluierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes, das im Herbst 2018 erwartet wird, einfließen, und Konsultationen mit ExpertInnen und PraktikerInnen auf diesem Gebiet durchgeführt werden. Qualitative Kinderschutzarbeit ist den unterzeichnenden Organisationen ein wichtiges Anliegen und sie stehen für einen sachlichen Diskurs zur Praxis zur Verfügung.