Betrifft:  Stellungnahme zum Strafprozess- und Jugendstrafrechtsänderungsgesetz  2019

                                                      

Bezug:  BMVRDJ-S884.066/0006-IV3/ 2019

 

Zu § 30:  Das erforderliche pädagogische Verständnis und entsprechende Kenntnisse ist nicht nur für Richter, Staatsanwälte und Bezirksanwälte, sondern auch für Verteidiger zu fordern.

Zu § 31a : Nach dieser Bestimmung sind Jugendstrafsachen mit besonderer Beschleunigung zu führen.

Abgesehen davon, dass § 9 StPO auf jedes Strafverfahren anzuwenden ist und die Bestimmung somit entbehrlich ist, muss in diesem Zusammenhang neuerlich aufgezeigt werden, dass die seit längerem herrschenden und sich weiter verschlimmernden Mangelzustände die Bearbeitung der Jugendstrafsachen ständig erschweren und zweifellos auch zu einer längeren Dauer der Verfahren führen werden.

So gibt es in Österreich derzeit lediglich fünf (!) eingetragene Sachverständige aus dem Fach der Kinder-und Jugendpsychiatrie. Der im Sprengel des LGZ Wien eingetragene Sachverständige ist knapp 70 Jahre alt, die übrigen vier Sachverständigen sind im Sprengel des LGZ Klagenfurt eingetragen. Gleichzeitig ist evident, dass immer mehr strafmündige Jugendliche offensichtlich schwere psychische Probleme haben und einer Begutachtung durch einen Sachverständigen bedürfen. Das Problem ist besonders schwerwiegend, wenn sich  der Jugendliche in Untersuchungshaft befindet, da sich mittlerweile kaum ein psychiatrischer Sachverständiger bereit erklärt, einen Jugendlichen zu begutachten und ein Gutachten zu erstellen. Die Gutachtenserstattung dauert in Hinblick auf die chronische Überlastung aller noch tätigen psychiatrischen Sachverständigen, die überdies zumeist schon seit einiger Zeit das Pensionsalter erreicht haben, entsprechend länger. Obgleich aufgrund der Altersstruktur damit zu rechnen ist, dass in nächster Zeit noch weniger psychiatrische Sachverständige zur Verfügung stehen werden, sind wirksame Maßnahmen, um diesem Mangel entgegenzuwirken, für mich nicht ersichtlich.

Zu § 32 Abs 3 a :

Die Beiziehung von Verteidigern für jugendliche Beschuldigte ist zu begrüßen, da sich in vielen Fällen die gesetzlichen Vertreter nicht an den Verfahren interessiert zeigen. Zu fordern ist darüber hinausgehend aber, dass die Verteidigung für jeden Jugendlichen kostenlos ist. Diese Forderung  ist mE zu den vorgeschlagenen Bestimmungen, die den Verfahrensaufwand vervielfachen, kostenneutral, beschleunigt aber jedenfalls das Ermittlungsverfahren im Vergleich zu den vorgeschlagenen Regelungen, die eine deutliche Verfahrensverzögerung nach sich ziehen werden. Auch bliebe für diesen Fall die Erhöhung des Aufwands für die Gesetzesanwender in  überschaubaren Grenzen im Gegensatz zu dem zu beurteilenden Gesetzesvorschlag, der bei mehr als angespannter Personalsitutation zu einem massiven Mehraufwand führen würde. Das vorgeschlagene Procedere widerspricht nach Ansicht der Praxis der geplanten Bestimmung des § 31 a JGG. Wesentlich effizienter als die vorgeschlagene Vorgangsweise, die zeitliche Leerläufe in sich birgt und zu einer Verfahrensverzögerung und durch nichts abgegoltenen Mehrbelastung der Staatsanwaltschaften führen würde, ist die sofortige amtswegige Beigebung eines Verteidigers für jeden jugendlichen Beschuldigten, die für den Jugendlichen NICHT mit Kosten verbunden ist. Zu fordern ist, dass – sofern der Jugendliche oder der gesetzliche Vertreter nicht binnen einer festzusetzenden Frist einen Wahlverteidiger bevollmächtigt -  der jugendliche Beschuldigte für seine Verteidigung keine Kosten zu tragen hat. Tatsächlich wird es auch kaum je zu einem Kostenersatz durch einen Jugendlichen für einen Amtsverteidiger kommen, der Mehraufwand durch die derzeit vorgeschlagene Regelung  ist somit durch nichts gerechtfertigt und spart sicherlich keine Kosten ein, sondern verzögert das Verfahren und belastet die Arbeitskapazitäten der mit den Verfahren befassten Personen.

§ 39 JGG könnte daher  lauten:

Ein jugendlicher Beschuldigter ist während des gegen ihn geführten Strafverfahrens durch einen Verteidiger, dessen Kosten er nicht zu tragen hat, zu vertreten. Dem Jugendlichen ist - sofern er nicht bereits einen Wahlverteidiger namhaft gemacht hat- von Amts wegen ein Verfahrenshilfeverteidiger beizugeben.

In diesem Zusammenhang zu ist auch zu fordern, dass sichergestellt ist, dass tatsächlich die Kontaktaufnahme für den Jugendlichen mit einem jederzeit erreichbaren Verteidiger gewährleistet sein muss, da sonst – sofern dies nicht möglich ist - richterliche Entscheidungen zeitlich verzögert würden und sich allenfalls die Enthaftung des jugendlichen Beschuldigten verzögern könnte.

Nicht nachvollziehbar ist der letzte Satz des § 32 Abs 3 a im dort angegebenen Zusammenhang: Die Staatsanwaltschaft hat in beiden Fällen nach § 59 Abs 4 StPO vorzugehen. Da es sich in den genannten Fällen offensichtlich nicht um Haftsachen handelt, ist eine weitere Mehrbelastung der Staatsanwaltschaft nicht zu tolerieren. Diese Bestimmung wird überflüssig, wenn für jeden Jugendlichen sofort ein für ihn kostenloser Verteidiger bestellt würde. Die derzeit in  § 32 Abs 3 a vorgeschlagene Vorgangsweise verzögert das Ermittlungsverfahren und führt zu vermeidbarer Mehrbelastung.

Zu § 36 a Abs 2. Die Ausstattung aller Staatsanwaltschaften  mit entsprechendem Equipment ist zu fordern, da es sonst in Hinblick auf § 31 a JGG zu Verzögerungen kommen kann.

Zusammenfassend wird festgestellt, dass die vorgeschlagenen Änderungen des JGG zu einer neuerlichen massiven Mehrbelastung der mit Jugendstrafsachen befassten Staatsanwälten und den Mitgliedern der Teamassistenz führt, da sich aufgrund der vorgeschlagenen Regelungen der Aktenumlauf in Jugendstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft vervielfachen wird und im Endeffekt trotz der Bestimmung des § 31 a JGG auch die Dauer der Ermittlungsverfahren – neben der zuvor beschriebenen Sachverständigenproblematik - verlängern wird (Verteidigerbestellung, Abwarten des Ergebnisses der Jugenderhebungen etc.).

In diesem Zusammenhang weise ich neuerlich darauf hin, dass die Instrumentarien des Jugendstrafrechts  erst einsetzen, wenn der jugendliche Täter eine Straftat bereits begangen hat. Ein Ansatz, die Strafverfahren zu beschleunigen (wie oben dargestellt, führen die geplanten Regelungen wohl zu einer längeren Verfahrensdauer) ist zwar durchaus positv zu sehen, der wesentlich wichtigere Ansatz, tatsächlich die Begehung massiver Straftaten zu verhindern, muss bereits im Vorfeld ansetzen.

Aufgrund meiner Tätigkeit im Jugendstrafrecht kann ich feststellen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Jugendlichen die Straftaten aus Langeweile oder Gleichgültigkeit begeht. Viele Jugendliche sind mangels Betreuung durch das Elternhaus - sei es aus Desinteresse, Bequemlichkeit oder Unvermögen - bereits in sehr jungen Jahren sich selbst überlassen. Mangels Förderung durch das Elternhaus oder die Schule sind sie nach Abschluss der Pflichtschule ohne Beschäftigung oder verlieren Lehrstellen aufgrund ihres eigenen Verhaltens (mangelnde Pünktlichkeit, kein Interesse an der Ausbildung,  mangelhafte Umgangsformen, surfen in sozialen Netzwerken statt zu arbeiten) bald wieder. Finden die Jugendlichen in dieser Situation die falschen Freunde, ist der Weg zu strafrechtlich relevantem Verhalten oft nicht sehr weit. Die jedenfalls qualitativ steigenden Jugendstraftaten sind ein ernst zu nehmendes soziales Problem, das mit der vorgeschlagenen Novelle  allerdings nicht  zu lösen ist.

Bestünde tatsächlich Interesse, strafrechtlich relevantes Verhalten von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu verhindern, würde dies nicht unbeträchtliche Anstrengungen der Gesellschaft mit entsprechenden Kosten erfordern.

Beginnend im Elternhaus über Betreuungseinrichtungen und Schule muss strafbaren Handlungen durch Empathie und Wertschätzung des jungen Menschen sowie Förderung seiner Begabungen gegengesteuert werden. Dass Jugendliche Halt benötigen und Personen, die als Vorbild das richtige Benehmen und Verhalten vorgeben, ist unbestritten. Die Justiz kann auch durch die Möglichkeiten des Jugendstrafrechts weder versäumte Erziehung noch versäumte Ausbildung der Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nachholen. Genau diese beiden Umstände aber entscheiden darüber, wie sich der Jugendliche in Zukunft verhalten wird. Die Investitionen in Bewährungshilfe und Einrichtungen, die den Jugendlichen nach der Straftat unterstützen und begleiten, sind zweifellos sinnvoll und unerlässlich. Noch wichtiger allerdings erscheint eine tatsächlich leicht verfügbare und personell gut ausgestattete Betreuung, die Jugendliche und/oder ihre Eltern oder Betreuer jederzeit in persönlichen Krisensituationen VOR Begehung eines Deliktes ohne Kosten und Verwaltungsaufwand jederzeit und  ohne Wartezeiten – auch an Wochenenden - in Anspruch nehmen können und von der sie tatsächlich Unterstützung und Hilfe erwarten dürfen. In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung nach ausreichender psychologischer und psychiatrischer Betreuung für Jugendliche, die diese benötigen, zu erheben. Es ist nicht zu akzeptieren, dass es in Österreich  nicht ausreichend dringend erforderliche psychologische -und /oder psychiatrische Betreuung für Kinder und Jugendlich gibt.

 

 

Staatsanwaltschaft Krems an der Donau

Krems, am 19.8.2019

Mag. Susanne Waidecker, Leitende Staatsanwältin