97/A XXVII. GP

Eingebracht am 26.11.2019
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

 

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried,

Kolleginnen und Kollegen

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird [1]

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930, zuletzt geändert durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. xxx/xxx, wird wie folgt geändert:

 

1. Art. 33 lautet:

 

Artikel 33. Jeder, der über die Verhandlungen in den Sitzungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse sowie über Verhandlungsgegenstände, sofern diese nicht vertraulich sind, wahrheitsgemäß berichtet, bleibt von jeder Verantwortung frei.“

 

2. Art. 37 Abs. 3 und 4 lauten:

 

„(3) Die Sitzungen des Bundesrates sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann jedoch gemäß den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundesrates durch Beschluss aufgehoben werden.

 

(4) Art. 33 gilt auch für die Verhandlungen in den Sitzungen des Bundesrates und seiner

Ausschüsse sowie für dessen Verhandlungsgegenstände, sofern diese nicht vertraulich sind.“

 

3. Art. 57 lautet:

 

Artikel 57. (1) Die Mitglieder des Nationalrates dürfen wegen der in Ausübung ihres Berufes vorgenommenen Abstimmungen niemals, wegen der in diesem Beruf gemachten mündlichen oder schriftlichen Äußerungen nur vom Nationalrat verantwortlich gemacht werden.

 

(2) Die Mitglieder des Nationalrates dürfen wegen einer strafbaren Handlung – den Fall der Betretung auf frischer Tat bei Begehung eines Verbrechens ausgenommen – nur mit Zustimmung des Nationalrates festgenommen werden.

Im Falle der Betretung auf frischer Tat bei Begehung eines Verbrechens hat die Behörde dem Präsidenten des Nationalrates sofort die geschehene Festnahme bekanntzugeben. Wenn es der Nationalrat oder in der tagungsfreien Zeit der mit diesen Angelegenheiten betraute ständige Ausschuss verlangt, ist der Festgenommene sofort freizulassen.

 

(3) Sachverhalte, die die Vorbereitung und Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben des

betreffenden Mitgliedes des Nationalrates unmittelbar betreffen, dürfen nicht ermittelt werden, sofern nicht gesetzlich anderes bestimmt wird. Ergebnisse unzulässiger Ermittlungsmaßnahmen dürfen nicht verwertet werden.

 

(4) Die Behörde hat den zuständigen Rechtsschutzbeauftragten über alle Ermittlungsmaßnahmen, die Mitglieder des Nationalrates betreffen, unverzüglich schriftlich zu unterrichten. Bei Verdacht eines Verstoßes gegen Abs. 3 hat der Rechtsschutzbeauftragte das betreffende Mitglied des Nationalrates unverzüglich schriftlich zu informieren. Bei offensichtlichen Verstößen hat der Rechtsschutzbeauftragte der Behörde darüber hinaus die Ermittlungsmaßnahme zu untersagen.

 

(5) Das betreffende Mitglied des Nationalrates hat das Recht, eine begründete Entscheidung des Nationalrates über die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme gemäß Abs. 3 zu verlangen. Im Falle eines solchen Verlangens hat die Fortsetzung der Ermittlungsmaßnahme und jede Verwendung der so erlangten Beweismittel sofort zu unterbleiben. Der Nationalrat hat innerhalb von acht Wochen nach Einlangen des Verlangens über die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme gemäß Abs. 3 zu entscheiden. Zum Zweck der rechtzeitigen Beschlussfassung des Nationalrates hat der Präsident ein solches Verlangen spätestens am vorletzten Tag dieser Frist zur Abstimmung zu stellen. Die tagungsfreie Zeit wird in diese Frist nicht eingerechnet. Hat der Nationalrat nicht innerhalb von acht Wochen nach Einlangen des Verlangens über die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme entschieden, so ist die Fortsetzung der Ermittlungsmaßnahme und jede Verwendung der so erlangten Beweismittel unzulässig.

 

(6) Die Mitglieder des Nationalrates und Mitarbeiter der parlamentarischen Klubs sowie sonstige Personen, die zur Unterstützung der Mitglieder des Nationalrates bei der Vorbereitung und

Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben beschäftigt und in ihrem Auftrag tätig sind, sind berechtigt, die Aussage als Zeugen vor Gericht und in Verwaltungsverfahren über Fragen zu verweigern, welche sich auf Informationen beziehen, die ihnen im Hinblick auf diese Aufgaben zugekommen sind. Dieses Recht darf durch keine Ermittlungsmaßnahme oder Beweisaufnahme, insbesondere nicht durch die Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträger gespeicherten Informationen oder durch Vernehmung, umgangen werden.

 

(7) Die Immunität der Mitglieder des Nationalrates beginnt mit dem Tag der Hinterlegung des Wahlscheines bei der Parlamentsdirektion und endet mit dem Tag des Zusammentrittes des neugewählten Nationalrates, bei Organen des Nationalrates, deren Funktion über diesen Zeitpunkt hinausgeht, mit dem Erlöschen dieser Funktion.

 

(8) Die näheren Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des

Nationalrates.“

 

 

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Antrag dem Verfassungsausschuss zuzuweisen.

 

 

 

Begründung:

 

I. Allgemeiner Teil

 

Im Juli 2009 haben Debattenbeiträge von Abgeordneten im Plenum des Nationalrates aufgrund von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, von denen auch ein Abgeordneter betroffen war, zur Einsetzung eines „Untersuchungsausschusses über Abhör- und Beeinflussungsmaßnahmen im Rahmen des Parlaments“ geführt
(sh Antrag 363/UEA XXIV. GP). Ebenso wurde im August 2009 aufgrund dieses Anlasses eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz der Präsidentin des Nationalrates eingesetzt, die sich mit der geltenden Rechtslage und Vollzugspraxis im Hinblick auf die Immunität der Abgeordneten beschäftigen und allfällige Novellierungsvorschläge erarbeiten sollte.

 

Im erwähnten Untersuchungsausschuss wurde im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand „allfällige gesetzwidrige Überwachung von Abgeordneten“ ua die Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft bei der Behandlung von Abgeordneten im Schnittstellenbereich Zeuge/Beschuldigter diskutiert. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Interpretation der sachlichen Immunität durch den Obersten Gerichtshof. Vom Bundesministerium für Justiz wurde in diesem Zeitraum ein „Erlass vom 8. Juli 2009 über die Zustimmung von gesetzgebenden Körperschaften zur behördlichen Verfolgung von Abgeordneten nach den Artikeln 57 Abs 3 und 4, 58 und 96 Abs 1 B-VG“ herausgegeben.

 

Der Untersuchungsausschuss wurde im Dezember 2009 mit dem mündlichen Bericht des Vorsitzenden Abgeordneten Dr. Martin Bartenstein und einem Entschließungsantrag an die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, 75/E XXIV. GP, beendet (sh 50. Sitzung des NR XXIV. GP StenProt S. 9ff).

 

Begleitend und weiterführend fanden intensive Beratungen in der eingesetzten Arbeitsgruppe statt, die neben den Erkenntnissen aus dem Untersuchungsausschuss auch die Empfehlungen aus dem Evaluierungsbericht der Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) vom Juni 2008 und aus dem Umsetzungsbericht vom Juni 2010 im Zusammenhang mit immunitätsrechtlichen Fragestellungen beriet. Die Arbeitsgruppe evaluierte dazu auch die Regelungen des Immunitätsrechts in anderen europäischen Staaten sowie die diesbezüglichen GRECO-Empfehlungen.

 

Im Juni 2011 konnten die Arbeiten für ein teilweise neues System des österreichischen Immunitätsrechts von Abgeordneten abgeschlossen werden. Die vorgeschlagenen Neuregelungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

 

·        Die berufliche Immunität bleibt im bisherigen Umfang erhalten.

·        Die sachliche Immunität wird geändert, um auch dem Abgeordneten eine wahrheitsgemäße Berichterstattung zu ermöglichen; damit wird auf die diesbezügliche Interpretation des Obersten Gerichtshofes reagiert.

·        Die bisherige Regelung der außerberuflichen Immunität in Art. 57 Abs. 3 B-VG wird aufgehoben und durch ein neues System ersetzt, das eng an der Wahrnehmung der parlamentarischen Aufgaben eines Abgeordneten orientiert ist und nicht mehr an seiner Person anknüpft; es soll die ungestörte Ausübung dieser Aufgaben gewährleisten. Dazu wird eine Form der begleitenden Kontrolle von Ermittlungen durch die Rechtsschutzbeauftragten und die Einräumung eines subjektiven Rechts des Abgeordneten auf Überprüfung von behördlichen Ermittlungsmaßnahmen durch den Nationalrat vorgeschlagen. Dabei soll es in Hinkunft nicht mehr darauf ankommen, ob ein Abgeordneter als Zeuge oder als Beschuldigter behandelt wird.

 

·        Die bisher in Art. 57 Abs. 5 B-VG enthaltenen Regelungen im Zusammenhang mit Verhaftungen von Abgeordneten bleiben erhalten.

·        Ergänzt wird diese neue Form der Immunität durch ein „Parlamentsgeheimnis", das dem bereits bestehenden Redaktionsgeheimnis nachempfunden ist.

 

II. Besonderer Teil

 

Zu Z 1 (Art. 33 B-VG):

 

Im Zuge der politischen Verhandlungen betreffend die Reform der parlamentarischen Immunität wurde unter anderem auf die Judikatur des OGH betreffend die sachliche und berufliche Immunität Bezug genommen.

 

In dem am 29. März 2000, 6 Ob 79/00m entschiedenen Fall hat der OGH festgestellt, dass die sachliche Immunität (Freiheit vor Verantwortung bei wahrheitsgemäßer Berichterstattung) auf vom Abgeordneten unterschiedene Dritte beschränkt bleibt. Dass der Abgeordnete selbst, wo und wann immer er will, seine Äußerungen unter Immunitätsschutz wiederholen dürfe, habe, so der OGH, mit dem Schutz der Berufsausübung des Abgeordneten nichts mehr zu tun und führe nur dazu, dass Politiker missliebige Personen ohne jede Verantwortlichkeit gegenüber dem Betroffenen nachhaltig schädigen könnten, wenn sie nur zuvor die Vorwürfe in einer Sitzung des Nationalrates geäußert haben. Das Interesse des Abgeordneten an der Aufdeckung von Missständen, ohne dass er kostenintensive Klageführungen befürchten müsste, sei durch die berufliche Immunität ausreichend gewahrt. Die Publizität des aufgedeckten Sachverhalts erscheine durch die sachliche Immunität der Berichterstattung Dritter gesichert.

 

Durch die neue Formulierung soll klargestellt werden, dass in Zukunft jeder, der über die Verhandlungen in den Sitzungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse sowie über Verhandlungsgegenstände, sofern diese nicht vertraulich sind, wahrheitsgemäß berichtet – also auch das Mitglied des Nationalrates selbst - von jeder Verantwortung frei bleibt. Die Ausnahme vertraulicher Verhandlungen und Verhandlungsgegenstände ist notwendig, weil sonst die Berichterstattung über vertrauliche Sitzungen zulässig wäre, denn die bestehenden Vertraulichkeitsbestimmungen sind auf einfachgesetzlicher Stufe normiert (sh GOG-NR/VOUA). Dadurch soll die Wahrung der Datenschutz- und Informationssicherheit, etwa von vertraulichen und geheimen EU-Dokumenten, sichergestellt werden. Durch die Anpassung in eine zeitgemäße Terminologie von „wahrheitsgetreu“ in „wahrheitsgemäß“ soll keine inhaltliche Änderung herbeigeführt werden.

 

Sollte gegen eine geschützte Berichterstattung dennoch der Klagsweg beschritten werden, so wäre die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.

 

Es ist weiters darauf hinzuweisen, dass von der sachlichen Immunität die Berichterstattung durch Veröffentlichung auf jede technisch mögliche Weise, zB in Papierform oder in elektronischen Netzwerken erfasst sein soll.

 

Zu Z 2 (Art. 37 B-VG):

 

Die Anwendung des Art. 33 soll auch für die Sitzungen des Bundesrates und seiner Ausschüsse sowie dessen Verhandlungsgegenstände angeordnet werden. Zur besseren Übersichtlichkeit wird ein neuer Abs. 4 eingefügt.

 

Zu Z 3 (Art. 57 B-VG):

 

Zu Abs. 2:

Aus Gründen der systematischen Zusammengehörigkeit und der leichteren Lesbarkeit wurde der Text des bisherigen Abs. 5 angefügt; lediglich der letzte Halbsatz des bisherigen Abs. 5 hat im Hinblick auf die Neuregelung zu entfallen.

 

Im Fall der Festnahme eines Mitglieds des Nationalrates bei Betretung auf frischer Tat bei Begehung eines Verbrechens (§§ 170 Abs. 1 Z 1, 171 Abs. 2 Z 1, 172 Abs. 2 und 3 StPO) handelt es sich um eine Provisorialmaßnahme zur Sicherung der Person und der unmittelbaren Beweisaufnahme, die der Präsidentin/dem Präsidenten des Nationalrates durch die Behörde bekanntzugeben ist.

 

Zu Abs. 3:

Die Voraussetzungen für das Ermittlungsverbot sind eng auszulegen, was durch die Formulierung „unmittelbar“ zum Ausdruck gebracht werden soll. Unzulässig sind danach Ermittlungsmaßnahmen gegen Abgeordnete zum Nationalrat und Dritte, sofern wegen Sachverhalten ermittelt wird, die die Vorbereitung und Erfüllung parlamentarischer Aufgaben des betreffenden Mitgliedes des Nationalrates unmittelbar betreffen. Dabei soll es in Hinkunft nicht mehr darauf ankommen, ob ein Abgeordneter als Zeuge oder als Beschuldigter behandelt wird.

 

Von diesem Ermittlungsverbot nicht umfasst sind hingegen Ermittlungsmaßnahmen – auch gegen den Abgeordneten zum Nationalrat selbst – wegen anderer Sachverhalte, die einen solchen Bezug nicht aufweisen. So wäre etwa der Diebstahl des Laptops eines Abgeordneten kein Sachverhalt, der der „Vorbereitung und Erfüllung parlamentarischer Aufgaben des betreffenden Mitgliedes des Nationalrates“ dient.

 

Die Wortfolge „die Vorbereitung und Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben“ orientiert sich an den verfassungsrechtlich übertragenen Aufgaben (Gesetzgebung, Mitwirkung an der Vollziehung des Bundes, Kontrolle der Vollziehung), der diesbezüglichen Handhabung der Instrumente der Geschäftsordnung durch das Mitglied des Nationalrates (zB Verfassen von parlamentarischen Anfragen, Initiativanträgen, Redebeiträgen) sowie an den damit unmittelbar zusammenhängenden Vorbereitungshandlungen.

 

2. Die Wendung „sofern nicht gesetzlich anderes bestimmt wird“ soll ermöglichen, dass hinsichtlich Straftatbeständen, die einen Konnex zur Vorbereitung und Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben aufweisen (§§ 304 ff StGB, Bestechung u.a. von Amtsträgern,
§ 310

Abs. 2 StGB, Geheimnisbruch bei geheimen Ausschüssen) Ermittlungen durchgeführt werden können.

 

3. Das Verbot von Ermittlungsmaßnahmen im Sinne dieses Absatzes kann zum Verbot der Anklageerhebung führen (sh § 211 StPO).

 

Zu Abs. 4:

1. Von der Unterrichtung des Rechtsschutzbeauftragten durch die Behörde erfasst sind nur

Ermittlungsmaßnahmen, die Mitglieder des Nationalrates betreffen.

 

2. Der Rechtsschutzbeauftragte ist jeweils derjenige im Sinne des § 91a SPG, des § 47a StPO und des § 57 MBG.

 

3. Die Unterrichtungspflicht der Behörde umfasst alle Ermittlungsmaßnahmen auf Grundlage der genannten Bundesgesetze (SPG, StPO, MBG). Damit wird von Verfassungs wegen ein neuer Aufgabenbereich der Rechtsschutzbeauftragten geschaffen.

 

4. Ergibt sich aus der Unterrichtung, dass ein Sachverhalt ermittelt wird, der die Vorbereitung und Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben des betreffenden Mitglieds des Nationalrates unmittelbar betrifft, ist der Rechtsschutzbeauftragte verpflichtet, das betreffende Mitglied zu verständigen, um diesem die Wahrnehmung seiner Rechte nach Abs. 5 zu ermöglichen.

 

5. Neben einer solchen Verständigung des betreffenden Mitglieds des Nationalrates hat der Rechtsschutzbeauftragte bei offensichtlichen Verstößen der Behörde die Ermittlungsmaßnahme zum untersagen. In diesem Fall wird für die Untersagung einer Ermittlungsmaßnahme das Vorliegen des Kriteriums der Offensichtlichkeit – aufgrund der dem Rechtsschutzbeauftragten vorliegenden Informationen - zu prüfen sein. Dem Rechtsschutzbeauftragten soll damit keine zusätzliche eigene Ermittlungstätigkeit aufgetragen werden. Für die weitere Verwendung von Informationen gelten die allgemeinen rechtlichen Schranken (zB Art. 20 Abs. 3 B-VG).

 

Zu Abs. 5:

Bei Verdacht eines Verstoßes gegen Abs. 3 hat der Rechtsschutzbeauftragte das betreffende Mitglied des Nationalrates unverzüglich schriftlich zu informieren. In dieser Information wird der Rechtsschutzbeauftragte die Verdachtsgründe darzulegen haben. Der Nationalrat wird diese Verdachtsgründe in der Begründung der Entscheidung über die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme gemäß Abs. 5 abzuwägen und anzuführen haben. Damit soll der Empfehlung x., Punkt 50 der Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) im Umsetzungsbericht vom Juni 2010 über die 1. und 2. Evaluierungsrunde betreffend die Begründung der Immunitätsentscheidung nachgekommen werden.

 

Der letzte Satz trifft Vorkehrungen für den Fall des Unterbleibens einer Entscheidung des Nationalrates über das Verlangen des Abgeordneten. Ergänzend ist im GOG–NR eine Regelung erforderlich, welche vorsieht, dass der Nationalrat das Verlangen nach Einlangen unverzüglich der ermittelnden Behörde zuzustellen hat.

 

Es ist darauf hinzuweisen, dass die bestehenden einfachgesetzlichen Informationspflichten der Behörden gegenüber dem Beschuldigten nach der Strafprozessordnung, dem Sicherheitspolizeigesetz und dem Militärbefugnisgesetz einzuhalten sind.

 

Zu Abs. 6:

1. Wesen der Bestimmung: Abs. 6 normiert erstmals für die österreichische Rechtslage ein Aussageverweigerungsrecht als Zeugen für den parlamentarischen Bereich. Es handelt sich um einen neuen Schutzbereich und nicht um einen Unterfall der parlamentarischen Immunität von Abgeordneten. Nach alter Rechtslage konnten gegen den Abgeordnete nach den allgemeinen Bestimmungen alle Ermittlungsmaßnahmen ohne Befassung des Nationalrats gesetzt werden, solange nicht gegen sie selbst als Beschuldigte, sondern als Zeugen ermittelt wurde.

 

2. Schutzzweck: Zweck dieser Bestimmung ist es nun einerseits zu verhindern, dass die Immunitätsbestimmungen umgangen werden können, indem ein Abgeordneter statt als Beschuldigter als Zeuge Ermittlungsmaßnahmen ausgesetzt ist. Der weitergehende Schutzzweck dieser Bestimmung ist die ungestörte Kommunikation zwischen Abgeordneten und Bürger. Dies dient der Funktionsfähigkeit des Parlaments im Hinblick auf seine Aufgaben zur Kontrolle und zu offener demokratischer Willensbildung.

 

3. Personenkreis: Das „Parlamentsgeheimnis“ umfasst außer Mitgliedern des Nationalrates folgende Personengruppen:

1. den Klubs gemäß Art. 30 Abs. 5 zugewiesene Bedienstete der Parlamentsdirektion

2. von den Klubs sonstige vertraglich verpflichtete Mitarbeiter/innen

3. Mitarbeiter/innen von Mitgliedern des Nationalrates nach dem Parlamentsmitarbeiterinnen- und Parlamentsmitarbeitergesetz BGBl. Nr. 288/1992 idgF.

Betreffend die Wortfolge „bei der Vorbereitung und Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben“ ist auf Abs. 3 zu verweisen.

 

4. Aussageverweigerungsrecht: Das Aussageverweigerungsrecht steht den Berechtigten im Sinn eines parlamentarischen Berufsgeheimnisses zu und ist § 31 Mediengesetz nachgebildet. Das Aussageverweigerungsrecht besteht in allen Verfahren vor Gericht und vor Verwaltungsbehörden; insbesondere auch in Disziplinarverfahren. Es umfasst während des Bestehens des Mandats anvertraute Tatsachen, die Identität von Personen, die den Abgeordneten informiert haben (Informanten) sowie die Modalitäten der Übermittlung. Das Recht zur Aussageverweigerung ist ein individuelles subjektives Recht, über das der Berechtigte nur selbst disponieren kann. Der Berechtigte ist nicht zur Aussageverweigerung verpflichtet, kann aber nicht im Vorhinein darauf verzichten.

 

5. Umgehungsverbot: Alle Maßnahmen, die geeignet sind, das Aussageverweigerungsrecht zu umgehen, müssen unterlassen werden und unterliegen dem Verwertungsverbot des Abs. 3. Umfasst sind davon alle Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahmen, beispielsweise nach dem 8. Hauptstück der StPO, insbesondere auch die Überwachung von Nachrichten und eine optische oder akustische Überwachung der betroffenen Personen.

 

6. Geltungszeitraum: Das „Parlamentsgeheimnis“ umfasst während des Mandats anvertraute Tatsachen, wirkt aber zeitlich unbegrenzt über die Dauer des Mandats hinaus. Insofern bezieht sich Abs. 7 – wie sich schon aus dessen Wortlaut ergibt – nur auf die parlamentarische Immunität und ist somit nicht auf das Aussageverweigerungsrecht des Abs. 6 anzuwenden.

 

Im Übrigen ist das Mitglied des Nationalrates im Rahmen des Ermittlungs- und Verwertungsverbots gemäß Abs. 3 geschützt.

 

Zu Abs. 7:

Der Beginn der Immunität der Mitglieder des Nationalrates bei Erwerb der Mitgliedschaft zum Nationalrat, insbesondere auch während der Gesetzgebungsperiode, soll ausdrücklich normiert werden. Das Wort „endigt“ wird durch das zeitgemäßere Wort „endet“ ersetzt. Endet die Mitgliedschaft zum Nationalrat schon früher, so führt dies wie bisher – wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Immunität und Mandat – zum Verlust des Immunitätsschutzes nach Abs. 3 [vgl Kopetzki, Art 57 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht, Rz 79 (1999)]. – Anderes gilt für das Aussageverweigerungsrecht nach Abs. 6.

 

 



[1] Dieser Antrag entspricht voll inhaltlich dem Antrag 1619/A der Abgeordneten Pendl, Mag. Donnerbauer,
Dr. Fichtenbauer, Brosz, Kolleginnen und Kollegen vom 6. Juli 2011 (XXIV. GP.). Mit diesem Antrag von 4 Fraktionen soll eine Verhandlungsgrundlage zur Weiterführung der Debatte über die Modernisierung der Immunität geschaffen werden, wie dies anlässlich der versuchten Beschlagnahme eines Mobiltelefons der Abgeordneten Krisper durch das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung in Aussicht genommen wurde.