172/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 10.01.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten KO Kickl, Dr. Kassegger

und weiterer Abgeordneter

betreffend Maßnahmenpaket Türkei

 

Nach der überraschenden Abwendung von US-Präsident Donald Trump von der Unterstützung für weite Teile Nordsyriens kontrollierenden kurdischen Miliz und dem angekündigten Abzug amerikanischer Truppen aus der Region marschierte die Türkei am 9. Oktober 2019 in Nordsyrien ein. Damit verstößt die Türkei nicht nur gegen Völkerrecht, sondern trägt maßgeblich zur weiteren Destabilisierung der Lage in der Region bei. Schließlich waren es gerade die Kurden, die durch ihre Bemühungen im Kampf gegen den IS erst zur Verbesserung der Lage beigetragen haben. Die langfristigen Folgen dieser Eskalation in Hinblick auf das mögliche Wiedererstarken islamistischer Gruppen sowie auf den syrischen Bürgerkrieg könnten nun verheerend sein. Insbesondere ist eine drastische Verschlechterung der ohnehin schlechten humanitären Situation und der Lage der Zivilbevölkerung zu befürchten.

Die EU und Österreich müssen auf eine solche gewalttätige Eskalation und den Bruch internationalen Rechts durch die Türkei entschlossen und eindeutig reagieren. Ein Verhalten wie jenes der Türkei darf nicht toleriert werden, zumal der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der EU droht: Wenn ihr unsere Operation als Invasion darzustellen versucht, ist unsere Aufgabe einfach: Wir werden die Tore öffnen und 3,6 Millionen Menschen werden zu euch kommen.”

Es muss damit mit einer neuen Flüchtlingswelle gerechnet werden, die ebenso bisher gefangene IS-Kämpfer nach Europa und Österreich bringen wird, zumal bereits fünf Tage nach der militärischen Offensive ein EU-Büro von rund 100.000 flüchtenden Menschen berichtete.

Die Entwicklungen in der Türkei sind bereits seit dem Amtsantritt von Erdogan im August 2014 aus demokratiepolitscher und rechtsstaatlicher Sicht und insbesondere nach dem vermeintlichen Putschversuch am 15./16. Juli 2016, der zu hunderten Toten und Verletzten, tausenden Verhaftungen, insbesondere beim Militär, und Überlegungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe führten, als äußerst problematisch anzusehen. Nach dem Verfassungsreferendum am 16. April 2017 wurde mit der Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Juli 2018 das parlamentarische System in der Türkei mit weitgehend repräsentativem Präsidentenamt in ein Präsidialsystem umgewandelt. Selbst nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes im Juli 2018 hat die Türkei viele seiner restriktiveren Elemente ins geltende türkische Recht übernommen. Mit dem neuen Präsidialsystem wurden viele Komponenten der zuvor bestehenden Gewaltenteilung abgeschafft. Seither stehen die Verfolgung der Opposition, Verdacht der Korruption, Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie staatliche Internetkontrolle im medialen Fokus. Noch im Juni 2019 klagte die türkische Justiz sogar Journalisten wegen kritischer Berichterstattung.

Bereits im März 2018 hat der EU-Rechnungshof festgestellt, dass die EU-Finanzhilfen an die Türkei zur Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit "nur begrenzte Wirkung" zeigen. Als vernachlässigte Bedingungen für die EU-Hilfen nannte der EU-Rechnungshof die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, die Bekämpfung von Korruption auf hoher Ebene und von organisiertem Verbrechen, die Pressefreiheit, die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Stärkung der externen Prüfung und der Zivilgesellschaft in der Türkei.

Auch die Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission der letzten Jahre dokumentieren, dass die Türkei die Beitrittskriterien für eine Mitgliedschaft in der EU nicht erfüllt. Zudem würde eine Aufnahme der Türkei als Mitglied der Europäischen Union die Kapazitäten der EU in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht überfordern.

Im Rahmen des EU-Instruments für Heranführungshilfe (IPA) werden der Türkei dennoch für den Zeitraum von 2007 bis 2020 EU-Finanzhilfen von mehr als 9 Milliarden Euro bereitgestellt.

Aufgrund der aktuellen Ereignisse in Nordsyrien, der Menschenrechtsverletzungen, der undemokratischen Vorgehensweise gegenüber kritischen Medien und dem Umgang mit den eigenen Minderheiten in der Türkei, die den Grundwerten der Europäischen Union nicht entsprechen, ist eine Beitrittsperspektive der Türkei zur EU nicht gegeben. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind Grundrechte und Grundwerte der Europäischen Union, die nicht verhandelbar sind. Europa und das Friedensprojekt Europäische Union würden einen EU-Beitritt der Türkei nicht verkraften.

Aus diesen Gründen dürfen die Beitrittsverhandlungen nicht nur stillgelegt, sondern müssen jetzt per Antrag endgültig abgebrochen, sämtliche EU-Zahlungen an die Türkei eingestellt sowie angesichts der strikt zu verurteilenden türkischen Militäroffensive in Nordsyrien weitere Maßnahmen zum Schutze Europas und der österreichischen Bevölkerung ergriffen werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

"Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert,

 

auf Europäischer Ebene

 

-       alle Maßnahmen, insbesondere durch die Stellung eines Antrags, zu ergreifen, um umgehend einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu erwirken;

-       auf die Einstellung aller EU-Zahlungen an die Türkei hinzuwirken;

-       das EU-Türkei-Assoziierungsabkommen 1963 aufzukündigen;

-       den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei einer Revision zu unterziehen;

-       für eine Verurteilung der einseitigen militärischen Intervention der Türkei in den Kurdengebieten Nordsyriens durch die EU einzutreten und einen sofortigen Stopp derselben zu fordern;

-       alle verfügbaren diplomatischen Maßnahmen als Reaktion auf die einseitige türkische Militärintervention in Betracht zu ziehen und insbesondere einen EU-weiten Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei zu verlangen;

-       rasch die notwendigen Vorbereitungen für die möglichen sicherheitspolitischen Folgen der türkischen Offensive (wie etwa das Freikommen von IS-Kämpfern) einzufordern;

-       sich für einen verstärkten EU-Außengrenzschutz einzusetzen;

 

sowie auf nationaler Ebene

-          alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der österreichischen Grenzen vorzubereiten;

-          sämtliche Förderungen an türkische Institutionen (wie beispielsweise Kultur- und Bildungsvereine) einzustellen;

-          gegen radikale, die völkerrechtswidrigen türkischen Aggressionen in Syrien glorifizierenden Gebete in Moscheen vorzugehen;

-          die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Türken vorerst auszusetzen.“

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Antrag dem Außenpolitischen Ausschuss zuzuweisen.