316/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 27.02.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Modernisierung der Selbstverwaltung - Versichertenvertreterwahlen jetzt

 

Problem: die Kammer-beschickten Kassen und Ärztekammern betreiben entgegen der Versicherteninteressen eine restriktive Stellenplanungspolitik

Die Anzahl der Vertragsarztstellen ist seit 2006 um 3% zurückgegangen, gleichzeitig ist der Bevölkerungsanteil mit einem Alter über 75 Jahren um 26% angestiegen. Das Angebot an Vertragsärzt_innen und die Demographie sind somit seit längerem nicht mehr im Gleichgewicht. Es ist zudem ein starker Anstieg des Wahlarztsektors zu beobachten (seit 2006: +36%). Aufgrund dieser Entwicklungen ist die Bevölkerung mit immer höheren privaten Gesundheitskosten konfrontiert.

Die Aufgabe der vertragsärztlichen Stellenplanung wurde vom Staat an die Selbstverwaltung (Kammern, Krankenkassen und Ärztekammern) übertragen. Aufgrund der oben geschilderten Entwicklungen ist diese Situation nicht mehr hinnehmbar. Die Diskussion über die Sonderklasse-Ambulanzen hat zudem gezeigt, dass die Ärztekammern an steigender privatmedizinischer Versorgung interessiert sind. Die Krankenkassen haben ebenfalls ein Interesse daran, Kosteneinsparungen über eine restriktive Stellenplanung zu erwirken. Zwar ist gegen die Privatmedizin grundsätzlich nichts einzuwenden, aber der zunehmende Privatmedizinanteil in der Grundversorgung ist auf keinen Fall wünschenswert, vor allem wenn die Versicherten mit konstant hohen KV-Beitragssätzen konfrontiert sind.

Es braucht echte Versicherten-Vertretung statt Kammerfunktionärs-Nicht-Vertretung

Auch die SV-„Reform“ 2018 macht das österreichische Gesundheitswesen weder fairer noch effizienter oder effektiver. Bei den Wahlfreiheiten der Versicherten ändert sich nichts. So dürfen die Versicherten nicht einmal ihre eigenen Versichertenvertreter_innen direkt wählen. Genau diese Direktwahl der Versichertenvertreter_innen würde aber dazu führen, dass Versicherteninteressen endlich wahrgenommen werden. Derzeit erfolgt glaubwürdige Versichertenvertretung nur über die Patientenanwaltschaft. Bezeichnend ist hier zudem, dass die Arbeiterkammern, welche sich gern als die Versichertenvertretung sehen, keine Konsumentenschutztests zu den enormen Kassenleistungsunterschieden machen. Dadurch würde man aber erst erkennen, dass ÖGK-Versicherte bei den Leistungen mit erheblichen Nachteilen konfrontiert sind. Stattdessen schützen die Arbeiterkammern ihre eigenen Kassen-Funktionär_innen dadurch, indem Konsumentenschutztests nur für private Versicherungen durchgeführt werden.

Versichertenvertreterwahlen („Urwahlen“) hat es bereits in der Anfangsphase der Republik gegeben.

Ursprünglich gab es in Österreich Versichertenvertreterwahlen, die sogenannten „Urwahlen“. Nach dem zweiten Weltkrieg hat man sich aber dazu entschieden, die Versichertenvertreter_innen durch Kammerfunktionär_innen zu ersetzen. Unter anderem mit der Begründung, dass die „Vornahme solcher Urwahlen bei den gegenwärtigen Verhältnissen (Verkehrshindernisse, Papiermangel, unvollständige Versicherungsevidenz usw.) größten Schwierigkeiten begegnen würde“. Das war 1947. Mittlerweile kann keine Rede mehr von Verkehrshindernissen, Papiermangel oder unvollständigen Versicherungsevidenzen sein, womit wieder zu den ursprünglichen Urwahlen übergegangen werden kann.

Experten im SV-Reform-Experten-Hearing zu Versichertenvertreterwahlen

Mehrere Experten haben im SV-Reform-Experten-Hearing auf Versichertenvertreterwahlen hingewiesen (Pichlbauer, Leisch). Zudem wurden die Demokratisierung und mehr Anreize zur Beteiligung der Versicherten gefordert (Hofmarcher). Ein Experte wies sogar darauf hin, dass er als Nicht-Kammermitglied nicht einmal indirekt an der Entsendung von Kammerfunktionär_innen in die SV-Gremien beteiligt sei (Raschauer). In Zusammenhang mit den Versichertenvertreter_innen stellte ein Experte zudem fest, dass eine höhere Zahl an Versichertenvertreter_innen nicht notwendigerweise nachteilig sei, sofern sie sich als echte Versichertenvertreter_innen sehen (anstatt als Kammerfunktionär_innen) und ihre Aufgabe dementsprechend im Sinne der Versichertenvertretung wahrnehmen (Pichlbauer).

Deutsche Sozialversicherung als Vorbild ("Sozialwahlen") - Beispiel: Techniker Krankenkasse (TK)

In der deutschen SV sind Versichertenvertreterwahlen (Sozialwahlen) etwas völlig Normales (https://www.tk.de/techniker/unternehmensseiten/unternehmen/verwaltungsrat-der-tk/sozialwahl-2017-2012900). Dabei können die Versicherten und Unternehmen ihre eigenen Listen erstellen. Danach wählen die Versicherten und Unternehmen getrennt Versichertenvertreter_innen aus beiden Gruppen (z.B.: TK-Verwaltungsrat: 15 Vertreter_innen der Versicherten, 15 Vertreter_innen der Unternehmen). Dabei haben die Mitglieder der Kasse je ein Stimmrecht. Das Stimmrecht der Unternehmen orientiert sich an der Zahl ihrer Mitarbeiter_innen, die bei der jeweiligen Kasse versichert sind.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat schnellstmöglich eine Regierungsvorlage vorzulegen, die zum Inhalt hat, dass die Mitglieder in den Gremien der Sozialversicherungsträger künftig nicht mehr von den Kammern beschickt werden, sondern von den Versicherten und Unternehmen direkt gewählt werden."


In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.