498/A XXVII. GP

Eingebracht am 28.04.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

gem. § 75 Abs. 1 GOG-NR

 

 

der Abgeordneten KO Herbert Kickl, Dr. Susanne Fürst

und weiterer Abgeordneter

betreffend Ministeranklage gemäß Art. 142 Abs. 2 lit. b wider den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober

 

Das österreichische Parlament hat im Zuge der Eindämmung von COVID-19 gezeigt, dass sich die österreichischen Bürger auf die Gesetzgebung verlassen können, wenn es schwere Entscheidungen zu treffen gilt. Über alle Fraktionen hinweg wurde das Verbindende vor das Trennende gestellt, um reflektierte Entscheidungen zum Wohle der Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher zu treffen.

 

Ohne die gelebte parlamentarische Kontrolle, die regelmäßig durch Sammelgesetze mit unzusammenhängenden Materien und kurzer Begutachtungszeit erschwert wurde, wäre die Anzahl an fehlerhaften Rechtsnormen wohl exponentiell angestiegen.

Dabei wurden jedoch von der Regierung konstruktive Beiträge der Abgeordneten zum Nationalrat zum Gesundheitsschutz, zur Abwicklung des Härtefallfonds, aber auch mahnende Worte zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ignoriert.

 

Wenn aber Regierende eine nationale Kooperation unter Verzicht auf individuelle Rechte einfordern, braucht es auch eine laufende Debatte über die Sinnhaftigkeit, zeitliche Angemessenheit und Grundrechtskonformität entsprechender Maßnahmen. Das Ausrufen einer scheinbaren Alternativlosigkeit seitens der Regierung und die Ablehnung begleitender Kontrollmaßnahmen wurde daher zu Recht von einer Vielzahl an Experten öffentlich kritisiert.

Die von der Bundesregierung gesetzten Maßnahmen greifen in sämtliche Lebensbereiche ein und berühren eine Vielzahl unserer verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte. Umso mehr braucht es juristische Klarheit über potentiell verfassungswidriges Handeln des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Rudolf Anschober, der seine Amtstätigkeit nicht nur besonders sorglos, sondern auch schuldhaft und rechtswidrig ausgeführt hat.

 

Hervorzuheben sind dabei insbesondere freiheitsbeschränkende Maßnahmen, die aus der verfassungsrechtlich geschützten Normalität eine „neue Normalität“ gemacht haben und dafür die Angst der Bürgerinnen und Bürger instrumentalisiert haben:

 

·        Rechtswidrige Verordnung: Bundesminister Anschober hat entgegen des Gesetzestextes ein „generelles Vertretungsverbot“ für den gesamten öffentlichen Raum verordnet, obwohl aufgrund des COVID-19-Maßnahmengesetz nur das Betreten einzelner abgegrenzter Orte hätte untersagt werden dürfen. Die Österreicherinnen und Österreicher wurden somit von Bundesminister Anschober rechtswidrig und ohne gesetzliche Grundlage in ihrer Freiheit eingeschränkt.

 

Rudolf Anschober hat sohin als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch das in § 1 der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15.03.2020, verlautbart durch BGBl. II Nr. 98/2020, normierte generelle Verbot des Betretens öffentlicher Orte, den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten.

 

·        Rechtswidriger Erlass: Der von sämtlichen Experten kritisierte sogenannte „Oster-Erlass“ sollte private Zusammenkünfte von mehr als fünf Personen in einem Raum verbieten und zudem Begräbnisse und Hochzeiten einschränken, obwohl sich Erlässe ausschließlich nachgeordnete Verwaltungsorgane richten und nicht wie Gesetze oder Verordnungen unmittelbar an die Bürgerinnen und Bürger. Doch auch Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden wurden über die mit dem Erlass ergangene Anordnung getäuscht – es fehlte abermals die rechtliche Grundlage.

 

Rudolf Anschober hat sohin als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch den Erlass, § 15 Epidemiegesetz 1950, Verbot von Zusammenkünften GZ 2020-0.201.688 vom 01.04.2020, den Landeshauptleuten und den Bezirksverwaltungsbehörden eine nicht durch gesetzliche Ermächtigung gedeckte Anordnung erteilt und diese dadurch anzuleiten versucht, verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig einzuschränken.

 

Auf Grund der vorliegenden Rechtsverletzung stellen die unterfertigten Abgeordneten den folgenden

 

Antrag

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Der Nationalrat erhebt gegen Bundesminister Rudolf Anschober Anklage gemäß Art. 142 B-VG und legt ihm folgendes zur Last:

 

Es hat Bundesminister Rudolf Anschober

 

1.         durch das in § 1 der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15.03.2020, verlautbart durch BGBl. II Nr. 98/2020, normierte generelle Verbot des Betretens öffentlicher Orte den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten und eine gesetzeswidrige Verordnung erlassen;

 

2.         durch den Erlass, § 15 Epidemiegesetz 1950, Verbot von Zusammenkünften GZ 2020-0.201.688 vom 01.04.2020, den Landeshauptleuten und den Bezirksverwaltungsbehörden eine nicht durch gesetzliche Ermächtigung gedeckte Anordnung erteilt und diese dadurch anzuleiten versucht, verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig einzuschränken.

 

Bundesminister Rudolf Anschober hat dadurch eine schuldhafte Rechtsverletzung gemäß Art 142 Abs 1 B-VG begangen.

 

Unter Anwendung des Art 142 Abs 4 B-VG ist Bundesminister Rudolf Anschober seines Amtes als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit sofortiger Wirkung zu entheben, wobei folgender Schriftsatz beantragt wird:

 

„An den

Verfassungsgerichtshof

Freyung 8

1010 Wien

 

 

 

 

 

Ankläger:

Nationalrat

Dr.-Karl-Renner-Ring 3

1017 Wien

 

 

 

 

vertreten durch

 

Dr. Susanne Fürst

gemäß § 72 Abs 2 VfGG

 

 

 

 

Angeklagter:

 

Rudolf Anschober
Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Stubenring 1

1010 Wien

 

 

wegen:                          Art. 142 Abs 1 und Abs 2 lit b B-VG

 

 

ANKLAGE

gemäß Artikel 142 B-VG

 

 

2-fach

beglaubigte Abschrift des Protokolls der Sitzung des Nationalrats

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Nationalrat erhebt gegen Bundesminister Rudolf Anschober

 

ANKLAGE

 

gemäß Art. 142 B-VG und legt ihm folgendes zur Last:

 

Es hat Bundesminister Rudolf Anschober

 

1.         durch das in § 1 der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15.03.2020, verlautbart durch BGBl. II Nr. 98/2020, normierte generelle Verbot des Betretens öffentlicher Orte den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten und eine gesetzeswidrige Verordnung erlassen;

 

2.         durch den Erlass, § 15 Epidemiegesetz 1950, Verbot von Zusammenkünften GZ 2020-0.201.688 vom 01.04.2020, den Landeshauptleuten und den Bezirksverwaltungsbehörden eine nicht durch gesetzliche Ermächtigung gedeckte Anordnung erteilt und diese dadurch anzuleiten versucht, verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig einzuschränken.

 

Bundesminister Rudolf Anschober hat dadurch eine schuldhafte Rechtsverletzung gemäß Art 142 Abs 1 B-VG begangen.

 

Unter Anwendung des Art 142 Abs 4 B-VG ist Bundesminister Rudolf Anschober seines Amtes als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit sofortiger Wirkung zu entheben.

 

Dem beigelegten beglaubigten Protokoll zu entnehmenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art 76 Abs 2 B-VG wurde die Erhebung der gegenständlichen Anklage gemäß Art 142 B-VG beschlossen und der umseits ausgewiesene Vertreter gemäß § 72 Abs 2 VfGG bestellt.

 

 

 

Es werden sohin folgende

 

ANTRÄGE

 

gestellt:

 

Der Verfassungsgerichtshof möge

 

1.         gemäß §§ 19 und 75ff VfGG, nach Abschluss der Voruntersuchung gem. § 74 VfGG, eine mündliche Verhandlung anordnen und

 

2.         gemäß Art 142 Abs 1 iVm Art 142 Abs 4 B-VG feststellen,

 

dass Rudolf Anschober als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch das in § 1 der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15.03.2020, verlautbart durch BGBl. II Nr. 98/2020, normierte generelle Verbot des Betretens öffentlicher Orte, den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten hat,

 

sowie

 

dass Rudolf Anschober durch den Erlass, § 15 Epidemiegesetz 1950, Verbot von Zusammenkünften GZ 2020-0.201.688 vom 01.04.2020, den Landeshauptleuten und den Bezirksverwaltungsbehörden eine nicht durch gesetzliche Ermächtigung gedeckte Anordnung erteilte und diese dadurch anzuleiten versuchte, verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig einzuschränken;

 

3.         Rudolf Anschober daher gemäß Art 142 Abs 4 B-VG seines Amtes als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit sofortiger Wirkung entheben.

 

 

 

Begründung:

 

A.         Sachverhalt

 

a.         98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes

 

1.         Mit Bundesgesetzblatt 12/2020 vom 15.03.2020 wurde das Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds (COVID-19-FondsG) und ein Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) erlassen sowie das Gesetzliche Budgetprovisorium 2020, das Bundesfinanzrahmengesetz 2019 bis 2022, das Bundesgesetz über die Einrichtung einer Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz und das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert werden (COVID-19 Gesetz), verlautbart.

 

2.         Mit Artikel 8 des COVID-19 Gesetzes wurde das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) erlassen.

 

3.         Das COVID-19-Maßnahmengesetz sieht in § 2 eine Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen vor, durch die das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden kann. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wurde zur Erlassung von Verordnungen, sofern sich deren Anwendung auf das ganze Bundesgebiet bezieht, ermächtigt.

 

4.         Der Angeklagte erließ darauf am selben Tag die 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15.03.2020, verlautbart durch BGBl. II Nr. 98/2020.

 

5.         In § 1 dieser Verordnung wurde für das gesamte Bundesgebiet das Betreten öffentlicher Orte generell verboten („Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.“).

 

 

b.         Erlass, § 15 Epidemiegesetz 1950, Verbot von Zusammenkünften GZ 2020-0.201.688 vom 01.04.2020

 

1.         Am 01.04.2020 verlautbarte der Angeklagte einen Erlass zu GZ 2020-0.201.688. In diesem erteilte der Angeklagte die ausdrückliche Anordnung an die Landeshauptleute, dass die Bezirksverwaltungsbehörden sämtliche Zusammenkünfte in einem geschlossenen Raum, an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht im selben Haushalt leben, ab Erhalt dieses Erlasses bis auf Weiteres zu untersagen haben. Begräbnisse dürfen nur im engsten Familienkreis mit einer Teilnehmerzahl von höchstens zehn Personen stattfinden; die Teilnahme an Hochzeiten ist auf 5 Personen limitiert.

 

2.         Aufgrund dieses Erlasses erließ zumindest eine Bezirksverwaltungsbehörde, die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, am 04.04.2020 eine Verordnung, mit der diese den Erlass des Angeklagten umsetzte.

 


B.        Rechtliche Beurteilung

 

1.         Gemäß Art 142 Abs 1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anklage, mit der die Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.

 

Gemäß Art 142 Abs 2 lit b B-VG kann Anklage gegen die Mitglieder der Bundesregierung durch Beschluss des Nationalrates erhoben werden.

 

Gemäß Art 142 Abs 4 B-VG hat das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auch den Amtsverlust auszusprechen.

 

2.         Die Zuständigkeitsbereiche der obersten Staatsorgane sind in der Bundesverfassung erschöpfend geregelt (VfSlg 1454). Bezüglich der Bundesregierung trifft Art 69 Abs 1 B-VG die Anordnung, dass mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut sind. Der den Mitgliedern der Bundesregierung übertragene Wirkungsbereich umfasst somit ausschließlich Akte der staatlichen Verwaltung. Unter dem Begriff "Amtstätigkeit" der Mitglieder der Bundesregierung kann daher nur die Besorgung der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung verstanden werden.

 

Zum Begriff der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung, die durch die Mitglieder der Bundesregierung zu besorgen sind, ergibt sich aus § 2 Abs 3 Bundesministeriengesetz 1986, dass darunter Regierungsakte, Angelegenheiten der behördlichen Verwaltung oder der Verwaltung des Bundes als Träger von Privatrechten zu verstehen sind. Demnach zählen zu den Geschäften der obersten Bundesverwaltung sämtliche nicht der Gerichtsbarkeit zuzuzählende Vollzugsakte, die durch die Bundesverfassung oder durch die einfache Gesetzgebung nicht anderen Organen, seien es oberste oder nachgeordnete, zur Besorgung zugewiesen sind.

 

3.         Voraussetzung einer Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof ist ferner eine schuldhafte Rechtsverletzung durch den betreffenden Organwalter. Damit wird jede Form der Schuld, also Vorsatz, grobe und auch leichte Fahrlässigkeit, erfasst. Bei Mitgliedern der Bundesregierung und diesen gleichgestellten Organwaltern muss es sich um Gesetzesverletzungen handeln, die der betreffende Organwalter durch seine Amtstätigkeit begangen hat.

a.         Zur rechtswidrigen Verordnung

 

1.         Die Erlassung einer Verordnung ist eine Amtstätigkeit im Sinne des Art 142 Abs 1 B-VG.

 

2.         Kern der rechtsstaatlichen Komponente der verfassungsrechtlichen Grundordnung ist das Legalitätsprinzip. Es besagt in der Formulierung des Art 18 Abs 1 B-VG, dass die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf. Ausnahmen vom Legalitätsprinzip bedürfen einer expliziten verfassungsrechtlichen Regelung.

 

Art 18 Abs 2 B-VG normiert ausdrücklich, dass jede Verwaltungsbehörde im Rahmen ihrer (gesetzlich geregelten) Zuständigkeit Verordnungen erlassen kann, dies jedoch nur auf Grund der Gesetze.

 

3.         Mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz wurde der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ermächtigt, Verordnungen zu erlassen, mit denen er das Betreten von bestimmten Orten untersagen kann, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt.

 

Die Ermächtigung ist klar dahingehend zu verstehen und vom Gesetzgeber gewollt, dass der Bundesminister nur über bestimmte - somit klar zu definierende Orte - ein Betretungsverbot verhängen kann. Durch das Gesetz ist nicht gedeckt, dass der Bundesminister ein generelles Betretungsverbot für den gesamten öffentlichen (sohin nicht privaten) Raum verhängen kann. Dies kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass einzelne, klar definierte Bereiche von diesem Verbot ausgenommen sind.

 

4.         Dennoch hat der Angeklagte mit der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15.03.2020 ein generelles Betretungsverbot öffentlicher Orte ausgesprochen.

 

b.         Der Angeklagte hat durch Erlassung der genannten Verordnung schuldhaft gegen die ihm in § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes eingeräumte Verordnungsermächtigung verstoßen. Dadurch hat der Angeklagte auch das Legalitätsprinzip gemäß Art 18 B-VG gröblich missachtet und gegen tragende verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen.
Zum rechtswidrigen Erlass

 

1.         Bei einem Erlass handelt es sich grundsätzlich um eine generelle Anordnung einer Verwaltungsbehörde, deren Adressat ausschließlich nachgeordnete Verwaltungsorgane sind. Ein solcher Erlass ist dann als Verordnung zu qualifizieren, wenn er weiters eine imperative Formulierung aufweist (VfSlg. 14.154/1995, 18.495/2008).

 

2.         Mit dem gegenständlichen Erlass erteilt der Angeklagte als Bundesminister und somit oberste Behörde den Landeshauptleuten und Bezirksverwaltungsbehörden, sohin nachgeordneten Verwaltungsorganen, eine im Imperativ formulierte Anordnung (Weisung). Es liegt demnach eine Verwaltungsverordnung vor (VfSlg. 13.635/1993).

 

3.         Es handelt sich somit auch hierbei um ein Amtsgeschäft im Sinne des Art 142 Abs 1 B-VG.

 

4.         Die mit dem Erlass ergangene Anordnung an die Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden ist nicht gesetzlich gedeckt.

 

5.         Sie stellt außerdem einen unzulässigen Aufruf zu unverhältnismäßigen Eingriffen in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK dar.

 

6.         Auch durch diesen Erlass und die damit verbundene Anordnung an die Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden hat der Angeklagte schuldhaft gegen das Legalitätsprinzip gemäß Art 18 B-VG verstoßen, indem er eine gesetzwidrige Anordnung durch Erlass erteilt hat.

 

7.         Weiters hat der Angeklagte die Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden mit dem Erlass zur unrechtmäßigen Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte anzuleiten versucht.

 

 

 

 

 

 

 

 

c.         Zum Verschulden

 

1.         Der Angeklagte handelte bei den durch seine Amtstätigkeit erfolgen Rechtsverletzungen ohne Zweifel schuldhaft iSd Art 142 Abs 1 B-VG.

 

2.         Dem Angeklagten steht ein fachkundiger Beraterkreis zur Verfügung. Er kann mit dessen Hilfe die Gesetzeskonformität von Erlässen und Verordnungen prüfen lassen.

 

3.         Der Angeklagte kann sich auch nicht auf einen Rechtsirrtum berufen. Wegen Rechtsirrtums handelt nämlich nur der nicht schuldhaft, dem der Irrtum nicht vorzuwerfen ist. Dies kann der Angeklagte aber für sich nicht ins Treffen führen. Er ist jedenfalls dazu verpflichtet, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt zu machen (vgl. § 9 Abs. 2 StGB; VfGH vom 28.6.1985, E2/84).

 

4.         Der Angeklagte hat die Verordnung aber sogar in Kraft belassen, obwohl er wiederholt durch verschiedene fachlich versiertere Personen aus dem Bereich der Lehre und Rechtsprechung, sowie durch Mitglieder des Nationalrates auf die grobe (Verfassungs-)Rechtswidrigkeit hingewiesen wurde.

 

5.         Dass die Verordnung in Folge (mehrfach) geändert wurde und der Erlass zurückgenommen wurde, vermag an der Verantwortung des Angeklagten nichts zu ändern. Es handelt sich um schlichte Tätigkeitsdelikte, die mit Kundmachung abgeschlossen sind.

 

6.         Das Handeln des Angeklagten ist daher zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich. Der Umstand, dass diese Verordnung bzw. dieser Erlass mit allen anderen Regierungsmitgliedern akkordiert war (Spiegelung von Vorlagen) exkulpiert den fachzuständigen Minister nicht.

 

d.         Zur Strafe

 

Die Sanktion der Enthebung des Amtes ist in Art 142 B-VG ausdrücklich als Folge eines Schuldspruches - somit der Feststellung der verschuldeten Rechtsverletzung - vorgesehen.“

 

Dem beigelegten beglaubigten Protokoll zu entnehmenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art 76 Abs 2 B-VG wurde die Erhebung der gegenständlichen Anklage gemäß Art 142 B-VG beschlossen und der umseits ausgewiesene Vertreter gemäß § 72 Abs 2 VfGG bestellt.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.