530/A XXVII. GP

Eingebracht am 13.05.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

 

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 5. März 1986 über die staatsanwaltschaftlichen Behörden (Staatsanwaltschaftsgesetz - StAG) geändert wird

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesgesetz, mit dem das  Bundesgesetz vom 5. März 1986 über die staatsanwaltschaftlichen Behörden (Staatsanwaltschaftsgesetz - StAG) geändert wird

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

Das  Bundesgesetz vom 5. März 1986 über die staatsanwaltschaftlichen Behörden (Staatsanwaltschaftsgesetz - StAG), BGBl. Nr. 164/1986, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 32/2018, wird wie folgt geändert:

 

§ 8 Abs 1 StAG lautet:

"Die Staatsanwaltschaften haben über Strafsachen, in denen noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind, von sich aus der jeweils übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft zu berichten."

Begründung

Abschaffung der staatsanwaltschaftlichen Berichtspflichten in clamorosen Fällen

§ 8 Abs 1 StAG legt bestimmte Berichtspflichten für die Staatsanwaltschaft fest. Dies bedeutet, dass in den dort genannten Fällen die Sachbearbeiter_innen ihre Fälle nicht selbst erledigen können, sondern von sich aus den Oberbehörden zu ihren jeweiligen Vorhaben (Festnahmen, Einvernahmen, Anklage, Einstellung, ...) berichten müssen. Die Oberbehörden (OStA, sowie die Weisungsabteilung im BMJ) können dann den Vorhabensbericht "zur Kenntnis nehmen", was einer Genehmigung des Vorhabens entspricht, oder aber mittels Weisung eine andere Vorgangsweise anordnen. Zu einer Weisung im formellen Sinn kommt es freilich selten, zumal diese auch gem. § 29a Abs 3 StAG dem Nationalrat zu berichten sind. Viel häufiger sind sogenannte "Dienstbesprechungen", in welchen dann den jeweiligen Sachbearbeiter_innen die "Rechtsansicht" der Oberbehörde mitgeteilt wird. Dass diese informellen Gesprächsrunden in der Praxis quasi Weisungscharakter entfalten und sich damit mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Bundesverfassung nur schwer vertragen, ist hinlänglich bekannt. Neben solchen Dienstbesprechungen gibt es aber auch andere Mittel und Wege, die jeweiligen Sachbearbeiter_innen auf Linie zu bringen. So werden Anordnungen mit Weisungscharakter (um Weisungen im formellen Sinn handelt es sich dabei freilich nicht) durch Anforderung von Ergänzungsberichten in Verbindung mit Anmerkungen, wie eine Sache bevorzugt zu erledigen sei, versehen, um damit aufzuzeigen, welches Verhalten seitens der Fachaufsicht gewünscht ist. Andererseits kann die Berichtspflicht auch zur systematischen Verlangsamung oder auch Lenkung eines Ermittlungsverfahrens führen. So zum Beispiel, wenn über nahezu jeden Ermittlungsschritt ein Bericht angefordert wird oder bereits im Vorhinein festgelegt wird, welche Ermittlungsschritte zu berichten sind.

So wurde mittels Anfragebeantwortung der Justizministerin 771/AB mitgeteilt, dass sich im Extremfall die Anzahl der fachaufsichtlichen Prüfer_innen in berichtspflichtigen Verfahren auf bis zu acht (!) Personen (exklusive Befassung des Weisungsrates) beläuft, welche in einem jeweils eigenen Schritt Berichte zu prüfen haben bzw. können. Die damit verbundene enorme Dauer eines solchen Prozesses liegt auf der Hand. Gerade in komplizierteren Causen scheint zudem eine eingehende Prüfung durch derart viele Personen schon aus zeitlichen Gründen quasi ausgeschlossen, was auch die Sinnhaftigkeit derartiger Berichtspflichten in rechtlich unproblematischen Fällen in Frage stellt. So ist zum Beispiel unerklärlich, wie leitende Beamte im BMJ, wie zum Beispiel eine Sektionschefin oder ein Leiter einer OStA, die Zeit finden sollen, sich mit der Beweiswürdigung oder auch einzelnen detaillierten Rechtsfragen ausgiebig auseinanderzusetzen. Dies gilt umso mehr in Großverfahren, die oft weit über tausend Seiten Aktenstudium erfordern, um sich ein genaues Bild über die Lage verschaffen zu können. 

Diese auch zeitliche Komponente der fachaufsichtlichen Prüfung stellt gerade im Zusammenhang mit dem Beschleunigungsgebot (§ 9 StPO) ein Problem dar, zumal dieses als einfachgesetzliche Anordnung grundrechtlicher Vorgaben ein unbedingtes Muss des Strafprozesses darstellt. Desgleichen erscheint es auch vor dem Hintergrund des Gebots der Sparsamkeit in der Verwaltung sinnwidrig, in rechtlich unproblematischen Fällen, die sich lediglich durch die Beteiligung einer "Person des öffentlichen Interesses" auszeichnen, eine (oder gar mehrere) zusätzliche bürokratische "Schleifen" einzuziehen.

In Verfahren, die keiner Berichtspflicht unterliegen, sieht das Bild hingegen wesentlich anders aus. Hier wird bei Staatsanwält_innen mit mehr als fünf Dienstjahren im Falle der Anklage grundsätzlich gar keine weitere Prüfung durchgeführt. Wenn doch – einer internen Usance folgend – eine Prüfung stattfindet, so wird diese von der Gruppenleitung durchgeführt. Es wird eine Anklage in weniger clamorosen Fällen, also maximal von einer weiteren Person, geprüft. Inwiefern jedoch bei clamorosen, rechtlich aber im Grunde unproblematischen Fällen derartige Berichtspflichten der „Qualitätssicherung“ dienen sollen, ist nicht klar. An dieser Stelle bringt das aktuelle System der fachaufsichtlichen Prüfung die Gefahr einer Zweiklassenjustiz mit sich, in welcher prominenten Persönlichkeiten noch eine „politische Ehrenrunde“ vergönnt wird, während der gemeine Bürger bzw. die gemeine Bürgerin schon längst auf der Anklagebank sitzt.

Anstatt der Implementierung zweier verschiedener Modi der Strafverfolgung - eine für Prominente und eine für Normalbürger_innen - kann lediglich eine einheitliche Rechtsanwendung Sinn und Zweck staatsanwaltschaftlicher Berichterstattung sein. Daher soll dieser Antrag die Berichtspflicht in rechtlich unklaren Fällen (vorerst) auch weiterhin aufrecht erhalten, um erst nach weiterer Evaluierung einen nächsten Schritt in Richtung unabhängige Ermittlungsbehörde zu gehen. 

Der vorliegende Initiativantrag wird als notwendig empfunden, um nach vielfachen Debatten um die Unabhängigkeit der Justiz eine systemische Verbesserung vorzunehmen. In die Reihe aktueller medialer Berichte zu äußerst merkwürdigen Vorgängen innerhalb der Strafverfolgungsbehörden (Stichwort "daschlogts es"), reiht sich auch das Stelldichein prominenter Persönlichkeiten bei Sektionschef Pilnacek, während sie als Beschuldigte in einem der bedeutendsten Strafverfahren der zweiten Republik geführt werden. Zahlreiche Bürger_innen, welchen derartige Mittel und Wege naturgemäß verwehrt bleiben, fragen sich bei solchen Ereignissen zurecht, ob in Strafverfahren alle vor dem Gesetz gleich sind (d.h. ob Art 7 B-VG universelle Geltung für alle in der Republik Österreich lebenden Menschen beansprucht). Es gilt daher in Strafverfahren, ähnlich dem in § 3 StPO verbürgten Objetivitätsgebot, bereits jeden Anschein einer Befangenheit zu vermeiden. Eine Abschaffung der Berichtspflicht "von sich aus" in clamorosen Fällen ist hier ein erster Schritt in diese Richtung.

 

In formeller Hinsicht wird vorgeschlagen‚ diesen Antrag unter Verzicht auf die erste Lesung dem Justizausschuss zuzuweisen.