617/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 29.05.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim

und GenossInnen

betreffend ein Amnestiegesetz im Zusammenhang mit der zum Teil fragwürdigen bzw. unverhältnismäßigen Vollziehung der COVID-19 Gesetzgebung

 

 

 

Infolge der COVID-19 Pandemie ist in Österreich ein umfangreiches rechtliches Regelwerk geschaffen worden, um die Weiterverbreitung dieser Pandemie möglichst einzuschränken bzw. zu verhindern. Dazu zählt das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), in dessen Paragraph 2 festgelegt ist, dass beim Auftreten von COVID-19 durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden kann, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.

 

Aufgrund von § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes BGBl. II 98/2020 wurde vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz verordnet:

 

§ 1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.

§ 2. Ausgenommen vom Verbot gemäß § 1 sind Betretungen,

           1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erforderlich sind;

           2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;

           3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;

           4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;

           5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.


Das gesetzliche Verbot, bestimmte Orte zu betreten, wurde vom Gesundheitsminister damit mit einer Verordnung konkretisiert. Schon gesetzlich scheint dieses Verbot höchst problematisch, weil es beabsichtigt, das Betreten aller Orte zu regeln, was die Verordnungsermächtigung überschreitet. Dies wird von höchst qualifizierten Verfassungsexperten bestätigt .

Noch schlimmer ist: darüber hinaus wurden von Mitgliedern der Bundesregierung – insbesondere im aufgrund der hohen Zuschauerzahl meinungsbildenden ORF – wiederholend Rechtsmeinungen in diesem Zusammenhang vertreten, die sogar der selbst geschaffenen Rechtslage widersprachen. Insbesondere wurde die rechtsunrichtige Meinung verbreitet, dass eine Betretung des öffentlichen Raums im Freien nur zum Spazieren und Sport zulässig wäre und der Besuch in Privaträumen verboten sei.

 

Es ist nicht auszuschließen, vielmehr sogar anzunehmen, dass sowohl die Sicherheits- als auch die Gesundheitsbehörden in der Vollziehung der Gesetze durch diese öffentlichen Äußerungen von Regierungsmitgliedern beeinflusst wurden. Dadurch wurden in der Folge Menschen für Handlungen bestraft, die gar nicht gegen das Gesetz verstoßen haben.

 

Ein Beispiel dafür bietet ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 8. April 2020, durch welches Herr A. gemäß § 1 iVm § 2 der Verordnung gemäß § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II 98/2020 iVm § 3 Abs. 3 COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl. I 12/2020 idgF. zu einer Geldstrafe von insgesamt 660€ verurteilt wurde, im Uneinbringlichkeitsfall mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Stunden.

Herr A. hat gegen den gegenständlichen Bescheid Beschwerde erhoben und hat vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich Recht bekommen (Entscheidung vom 12. Mai 2020, GZ LVwG-S-891/001-2020).

 

Das Landesverwaltungsgericht hat in seiner Begründung unter anderem ausgeführt:

 

„Der Beschwerdeführer hat mit seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau den öffentlichen Ort betreten, um Freunde zu besuchen. Die Verordnung sieht keine Beschränkung des Zweckes für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnahmebestimmung des § 2 Z5 vor, auch wenn medial immer nur das ,Luftschnappen‘ oder ,Sport‘ als zulässig dargestellt wurden… Der Aufenthalt in privaten Räumen unterlag zu keinem Zeitpunkt einem Verbot durch die gegenständliche Verordnung. Der Beschwerdeführer hat daher die ihm zu Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen.“

Ähnliche Fehlentscheidungen sind in einer Vielzahl an Fällen zu befürchten, weil laut Medienberichten auf der gleichen gesetzlichen Grundlage zehntausende polizeiliche Anzeigen gegen Menschen in ganz Österreich erhoben worden sein sollen. Die Entscheidungen sind vielfach auch bereits rechtskräftig und zwingend, wenn Fristen versäumt wurden, oder Menschen sich – auch aufgrund der finanziell angespannten Lage aufgrund der Covid 19 -Krise – eine Rechtsberatung hinsichtlich der Bescheide nicht leisten konnten.

 

Frau Abg. z. NR. und SPÖ-Justizsprecherin Mag.a Selma Yildirim hat nach Bekanntwerden dieses Urteils eine Generalamnestie für alle gefordert, die eine Verwaltungsstrafe für das Betreten öffentlicher Räume oder für Treffen in privaten Rahmen, bei vergleichbaren Sachverhalten, bekommen haben. Das soll auch für alle gelten, die kein Rechtsmittel gegen die Strafe ergriffen haben.

 

Mitglieder der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen haben nicht nur bewusst Angst verbreitet, sondern auch Verwirrung über die wahre Bedeutung der Gesetze. Die Tatsache, dass zahlreiche Personen in Österreich zum Teil ohne schuldhaftes Verhalten, zum Teil auch aufgrund sehr geringen Unrechtsgehaltes aufgrund der geschilderten fragwürdigen Vollziehung der gegenständlichen COVID-19 Normen hohe Strafen erhalten haben, macht die Forderung nach einer geeigneten Amnestie oder einem sonst geeigneten Vorgehen zwingend erforderlich. Ein koordiniertes einheitliches Vorgehen schafft zudem Rechtssicherheit und Effizienz in der Verwaltung. Die Verwaltungsgerichte haben ohnehin Corona-bedingt zahlreiche Rückstände und könnten somit ihre Kräfte darauf konzentrieren, dass die BürgerInnen in anderen wichtigen Rechtsmaterien – Baurecht, Gewerberecht, Betriebsanlageverfahren uvm – rasch zu ihrem Recht kommen.

 

Zu bedenken ist hierbei auch, dass die Verwaltungsbehörden auch in Vollziehung der Covid 19-Maßnahmen von Amtswegen eine Aufhebung selbst von rechtskräftigen Bescheiden nach § 52a VStG verfügen können, wenn das Gesetz zum Nachteil des Bestraften offenkundig verletzt worden ist. Auch hierfür wäre aber ein klarstellender Erlass des zuständigen Bundesministers notwendig, der die Unrichtigkeit der von Regierungsmitgliedern zuvor geäußerten Rechtsansichten verlässlich feststellt.

 

Von der Regelung sind alle Sachverhaltskonstellationen zu umfassen, in welchen Personen nach der VO BGBl. II 98/2020 vom anzeigenden Organ oder der anzeigenden Person lediglich im privaten Raum und nicht im öffentlichen Raum angetroffen wurden und sich der Vorwurf in der angeblich zweckwidrigen Benützung des öffentlichen Raums im Freien zur An- oder Abreise beschränkt. Überdies sind vergleichbare Sachverhaltskonstellationen zu beheben, in welchen eine Unterschreitung des Mindestabstandes ohne nähere Nachweise im Verfahren lediglich aufgrund der Behauptungen der Anzeiger pauschal behauptet wurde.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

1)    Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird ersucht, als vorläufige Maßnahme umgehend durch Erlass gegenüber den zuständigen Vollziehungsbehörden die Unrichtigkeit der in der Einleitung dargelegten vormaligen Rechtsmeinung der Regierung zur Betretung im Freien nach der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz idgF. gemäß § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes zu bestätigen und diese Behörden aufzufordern, die Verfolgung in allen betroffenen Fällen einzustellen oder nach § 52a VStG vorzugehen.

 

2)    Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Justiz werden ersucht,

 

dem Nationalrat ehestmöglich, nach einem ordentlichen Begutachtungsverfahren, eine Regierungsvorlage für ein Amnestiegesetz vorzulegen, nach welchem unter Berücksichtigung der in der Einleitung dargelegten Maßstäbe der von rechtlichen Fehlinformationen durch Regierungsmitglieder erfassten Sachverhaltskonstellationen:

a)Verwaltungsstrafverfahren im Zusammenhang mit der 98. Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in der jeweils geltenden Fassung gemäß § 2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes einzustellen sind und

b)Strafnachsicht gegenüber diesbezüglich bereits rechtskräftigen Verwaltungsstrafen verfügt wird (d.h. bereits verhängte Strafen nachgesehen werden).

 

Zueisungsvorschlag: Justizausschuss