702/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 18.06.2020
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Generalamnestie bei Corona-Strafen

 

Im Zuge der Corona-Pandemie wurde das COVID-19-Maßnahmengesetz beschlossen, dessen § 2 vorsieht, dass beim Auftreten von COVID-19 das Betreten von bestimmten Orten durch Verordnung untersagt werden kann, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Gemäß § 3 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3.600 Euro zu bestrafen, wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß § 2 leg cit untersagt ist.

Am 15. März 2020 erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020. Darin ist in § 1 vorgesehen, dass zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 das Betreten öffentlicher Orte verboten ist. In § 2 der Verordnung des BMSGPK wurden folgende Ausnahmen vom Verbot des Betretens öffentlicher Orte normiert:

"§ 2. Ausgenommen vom Verbot gemäß § 1 sind Betretungen,
1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erforderlich sind;
2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;
3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;
4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;
5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten."

Gemäß § 2 Z 5 der Verordnung des BMSGPK sind Betretungen vom Verbot gemäß § 1 ausgenommen, wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich ganz eindeutig, dass das Betreten öffentlicher Orte nicht auf bestimmte Zwecke beschränkt war. Private Räumlichkeiten wurden im gegenständlichen Verbot gar nicht angesprochen. Diese Auffassung bestätigen nicht nur namhafte Jurist_innen, sondern mittlerweile liegt auch entsprechende Judikatur der Verwaltungsgerichte vor (siehe unten). Dennoch wurde im Widerspruch zur geltenden Rechtslage von verschiedenen Regierungsmitgliedern bei Pressekonferenzen und anderen öffentlichen Erklärungen vertreten, dass es etwa nur zum "Luftschnappen", "Spazierengehen" oder für "Sport" gestattet sei, öffentliche Orte zu betreten und Besuche in privaten Wohnungen verboten seien.

Daraufhin wurden in den Wochen der Geltung der sogenannten "Ausgangsbeschränkungen" zahlreiche Fälle bekannt, in denen Menschen für Handlungen bestraft wurden, die gar nicht verboten waren. Zu zwei Sachverhalten, in denen Personen zu Unrecht bestraft wurden, weil sie Freunde in deren Privatwohnung besuchten, liegen mittlerweile Entscheidungen der Verwaltungsgerichte vor.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stellte in seinem Erkenntnis vom 12. Mai 2020, GZ: LVwG-S-891/001-2020, fest:

"Der Beschwerdeführer hat mit seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau den öffentlichen Ort betreten, um Freunde zu besuchen. Die Verordnung sieht keine Beschränkung des Zweckes für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnahmebestimmung des § 2 Z 5 vor, auch wenn medial immer nur das „Luftschnappen“ oder „Sport“ als zulässig dargestellt wurden. [...]

Der Aufenthalt in der Wohnung des befreundeten Ehepaares ist von den gegenständlichen Bestimmungen nicht umfasst, da diese Wohnung kein „öffentlicher Ort“ ist.

Der Aufenthalt in privaten Räumen unterlag zu keinem Zeitpunkt einem Verbot durch die gegenständliche Verordnung."

Das Verwaltungsgericht Wien führte in seinem Erkenntnis vom 5. Juni 2020, GZ: VGW-031/047/5718/2020-2, aus:

"Insofern die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 29.5.2020 die Auffassung vertritt, dass bei Auslegung des § 2 Z. 5 der genannten Verordnung danach zu differenzieren sei, welchem Zweck das Betreten des öffentlichen Ortes im Freien nach dem Willen des Betretenden dienen solle, ist zunächst darauf zu verweisen, dass sich dem Verordnungstext nicht annähernd entnehmen lässt, zu welchen (bloß eingeschränkten) Zwecken dies gestattet sein sollte. Dazu kommt, dass die Nichteinhaltung der genannten Bestimmung unter Strafsanktion steht, sodass der einzelne Normunterworfene bereits zum Zeitpunkt seines Handelns klar erkennen können muss, durch welches Verhalten er sich allenfalls strafbar macht. Dies wäre jedoch dann nicht gegeben, wenn erst im Nachhinein seitens der Strafbehörde (oder des Verordnungsgebers) der genannte Ausnahmetatbestand dahingehend einschränkend ausgelegt wird, dass das Betreten des öffentlichen Ortes nur zu bestimmten - im Normtext selbst nicht näher genannten - Zwecken gestattet sei. [...]

Angesichts des dargestellten unzweifelhaften Auslegungsergebnisses ist dem Umstand, dass der zuständige Verordnungsgeber (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) allenfalls in Presseerklärungen oder dergleichen eine davon abweichende Auffassung vertreten hat, keine rechtserhebliche Bedeutung beizumessen."

Der Umstand, dass über das Ausmaß des Betretungsverbots öffentlicher Orte in der Bevölkerung und bei den Sicherheits- und Gesundheitsbehörden große Unklarheit herrschte, ist maßgeblich auch Mitgliedern der türkis-grünen Bundesregierung zuzuschreiben. Diese haben mit der geltenden Rechtslage widersprechenden Behauptungen Verwirrung gestiftet, sodass ein Großteil der Normunterworfenen nicht mehr erkennen konnte, was nun verboten ist und was erlaubt. Außerdem kam es in der Folge auch zu zahlreichen Strafen für eigentlich erlaubtes Verhalten, viele in der Höhe von mehreren hundert Euro. Nicht alle Betroffenen haben jedoch ein Rechtsmittel ergriffen oder hatten die Möglichkeit dazu. Damit die die Rechtslage verkennenden Darstellungen der Regierung nicht zulasten der Bürgerinnen und Bürger gehen, ist eine Generalamnestie im Zusammenhang mit Corona-Strafen geboten. Im Konkreten sollen alle aufgrund von § 3 Abs 3 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 1 der Verordnung gem § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020 idjgF, eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren eingestellt, bereits verhängte Strafen nachgesehen und bereits bezahlte Strafen rückerstattet werden.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG


Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, ehestmöglich Maßnahmen zu setzen, die sicherstellen, dass alle aufgrund von § 3 Abs 3 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 1 der Verordnung gem § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020 idjgF, eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren eingestellt, bereits verhängte Strafen nachgesehen und bereits bezahlte Strafen rückerstattet werden." 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.