768/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 07.07.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Angleichung der Tagessätze in der Grundversorgung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete

 

Seit Jahren schon führen die niedrigen Tagessätze für die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) zu inakzeptablen Zuständen. 2019 haben 859 unbegleitete Minderjährige einen Asylantrag in Österreich gestellt. Für die Unterbringung und Betreuung der UMF sind im Zulassungsverfahren die Bundesbetreuungsstellen des Innenministeriums zuständig, wobei oftmals nicht die notwendigen Bedingungen für Minderjährige geboten werden. Die Bundeseinrichtungen sind nur als vorübergehende Unterkünfte geplant, bevor die Übernahme in die Grundversorgung durch die Bundesländer erfolgt.

Organisationen, die im Rahmen der Grundversorgung der Länder schutzsuchende Kinder und Jugendliche unterbringen, bewerkstelligen diese Leistung zu einem Tagessatz von bis zu max. 95 Euro (abhängig von der Betreuungsform und Bundesland). Dieser Betrag ist bei weitem nicht kostendeckend und die Finanzierung der Betreuungsstellen nur durch zusätzliche Spendengelder aufrechtzuerhalten. Das sieht man auch daran, dass im Gegensatz dazu der Tagessatz der Kinder- und Jugendhilfe für die Betreuung von österreichischen Kindern deutlich höher ist - dieser beträgt mindestens 120-150 Euro/Tag (wobei für traumatisierte oder schwer beeinträchtigte Kinder ein höherer Betrag ausgezahlt wird).

In ihrem aktuellen Prüfbericht 2019 - "Präventive Menschenrechtskontrolle" zeigt die Volksanwaltschaft unter der Überschrift "Diskriminierung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen" unmissverständlich die untragbaren Zustände auf (S. 89):

"Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) erfahren in Österreich nach wie vor nicht dieselbe Behandlung und denselben Schutz wie elternlose inländische Kinder. Aufgrund der niedrigeren Tagessätze im Rahmen der Grundversorgung erhalten UMF weder die notwendige therapeutische noch sozialarbeiterische Begleitung (siehe ausführlich PB 2018, Band „Präventive Menschenrechtskontrolle“, S. 86 ff.). In den Einrichtungen arbeiten noch immer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne einschlägige Ausbildung. Fortbildungen wären insbesondere im Bereich der Gewaltprävention und Deeskalation erforderlich, werden aber meist nicht finanziert. Die Kinder- und Jugendhilfeabteilungen haben nicht in allen Ländern die Fachaufsicht über die UMF Einrichtungen. Dadurch kommt es zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von UMF, wenn im Rahmen der Grundversorgung kein Verständnis für Qualitätsentwicklung im Interesse der Jugendlichen besteht. Gerade Jugendliche mit Fluchterfahrung brauchen Ansprechpersonen, die sie ernst nehmen, zu ihnen eine Beziehung aufbauen, sie gleichzeitig fordern und ihnen ermöglichen, etwas Sinnvolles zu unternehmen."

Angesichts dieser Missstände spricht die Volksanwaltschaft folgende zentrale Empfehlungen in diesem Zusammenhang aus (PB 2019, Band „Präventive Menschenrechtskontrolle“, S. 90):

·         "Die Ungleichbehandlung zwischen UMF und anderen Minderjährigen muss behoben werden."

·         "Für UMF und junge Erwachsene mit besonderem Bedarf müssen spezialisierte Unterbringungsformen mit entsprechender Betreuung vorhanden sein und Kriseninterventionen bereitgestellt werden."

Auch im Sonderbericht "Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen" 2017 weist die Volksanwaltschaft auf die höchst problematische Situation hin: 

"Eine Ursache für viele Missstände liegt in der Finanzierung der Betreuung. Die finanziellen Mittel, die für die Betreuung von UMF in der Grundversorgung zur Verfügung stehen, sind zumeist deutlich niedriger als die Tagessätze für die Betreuung von österreichischen Kindern in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die Qualität der Betreuung aus; die Unterscheidung zwischen österreichischen Kindern und Fremden in diesem Bereich ist aus der Sicht der VA gesetz- und verfassungswidrig. Auch der OGH hat entschieden, dass Minderjährige ohne österreichische Staatsbürgerschaft im Hinblick auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe österreichischen Minderjährigen gleichgestellt sind (OGH 4Ob 7/06t)."

Laut den verfassungsrechtlich verankerten Kinderrechten hat jedes Kind Anspruch auf den "Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen" (Art 1 BVG Kinderrechte). Jedes Kind, das aus seinem familiären Umfeld herausgelöst ist, hat außerdem Anspruch auf "besonderen Schutz und Beistand des Staates" (Art 2 Abs. 2 leg cit). Laut der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) müssen UMF in für "Minderjährige geeigneten Unterkünften" untergebracht werden (Art 24 Abs. 2). Weiters sieht die EU-Aufnahmerichtlinie vor, dass das Betreuungspersonal "im Hinblick auf die Bedürfnisse von Minderjährigen adäquat ausgebildet sein und sich angemessen fortbilden" muss (Art 24 Abs. 4). Abgesehen von der Diskrepanz zu den eigenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ist es fraglich, ob Österreich in diesem Zusammenhang den europäischen Anforderungen nachkommt.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, hinsichtlich der Grundversorgungsvereinbarung gemäß Art 15a B-VG mit den Ländern in Verhandlungen zu treten, um die Tagessätze der Grundversorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bundesweit verbindlich auf das Niveau der Tagessätze der Kinder- und Jugendhilfe zu erhöhen."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für innere Angelegenheiten vorgeschlagen.