941/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 14.10.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Kalte Progression endlich abschaffen

 

Die versteckte Steuererhöhung

Die Kalte Progression, also die versteckte jährliche Steuererhöhung, entsteht, weil die Einkommen zwar Jahr für Jahr steigen, die Steuerstufen aber nicht an die Inflation angepasst werden. Somit erhöhen sich der Durchschnittssteuersatz und die Steuerschuld stärker als die Inflation. Die Kalte Progression betrifft also alle Lohnsteuerpflichtigen und, entgegen der gängigen Auffassung, nicht nur jene, die aufgrund der Inflationsabgeltung, in die nächst höhere Steuerstufe rutschen. Wenn der Bruttolohn steigt, steigt auch der Durchschnittssteuersatz – jener Anteil des Einkommens, der an den Finanzminister geht, nimmt also zu. Sie entsteht sobald das zu versteuernde Einkommen einer Person an die Inflation angepasst wird und in der Folge zumindest den ersten Grenzsteuersatz überschreitet.

 

Steuerdynamik abseits der Gesetzgebung

Durch die Kalte Progression verändert sich nicht nur die Steuerbelastung, sondern auch deren Verteilung. Das kann zu einer einkommensbezogenen Steuerverteilung führen, die in dieser Form niemals vom Gesetzgeber legitimiert wurde. Durch das Hineinrutschen in höhere Grenzsteuersätze kommt es auch zu einer Verschiebung der Steuerlast und somit zu einer Abweichung von den ursprünglich vom Gesetzgeber intendierten Verteilungswirkungen des Steuersystems. Die Beschlüsse des Gesetzgebers werden durch die Kalte Progression also nachträglich (automatisch) geändert. Diese Steuerlastverteilung ist aber nicht explizit demokratisch legitimiert. Das Phänomen der Kalten Progression kann als Irrtum des Steuersystems bezeichnet werden. Die Kalte Progression schwächt zum Teil auch die Verteilungswirkungen des Steuersystems und führt zu einer Ausweitung der Steuerquote, die sich der demokratischen Kontrolle entzieht. 

Bei der Verteilung der Last geht es aber nicht nur um die Verteilung zwischen den verschiedenen Einkommensklassen, sondern um die Aufteilung von erwirtschafteten Erträgen zwischen privat und öffentlich. Die zusätzlichen Mittel, welche an die öffentliche Hand gehen, sind auch aus ökonomischer Sicht problematisch – vor allem vor dem Hintergrund der hohen Abgabenbelastung auf den Faktor Arbeit, hier nimmt Österreich einen absoluten Spitzenplatz unter allen OECD Ländern ein. Es mangelt dem mit der Kalten Progression verbundenen Anstieg der Steuerquote an Rechtfertigung. Auch aus ökonomischer Sicht ist es nicht schlüssig, warum eine schleichende Steuererhöhung im Sinne der Bürger_innen wäre, ohne dass der Gesetzgeber darlegt, dass die Nachfrage nach öffentlichen Gütern schneller steigt als die Nachfrage nach privaten Gütern – nur eine solche Nachfrageverschiebung würde eine Erhöhung der Steuerbelastung rechtfertigen.

D.h. eine Diskussion über eine Belastungsverteilung steht dem Gesetzgeber in jeder Form zu, diese sollte aber unabhängig von einer illegitimen, automatisierten Zusatzbelastung stattfinden. Fakt ist jedenfalls: Jede Steuerreform ohne der Abschaffung der Kalten Progression stellt nicht anderes als eine zukünftige Steuererhöhung dar. Eine Steuererhöhung, welche nicht vom Parlament beschlossen werden muss und welche somit nur selten das Ergebnis einer öffentlichen politischen Debatte ist. Diese Debatte ist aber dringend zu führen.

Nutznießer der Kalten Progression ist der Staat, durch ein Mehr an Steuereinnahmen sozusagen durch die Hintertür. Wie die folgende Grafik zeigt, hat die Kalte Progression wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Löhne seit 1990 zwar verdoppelt-, die staatlichen Einnahmen aus der Lohnsteuer sich allerdings mehr als verdreifacht haben:

 

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Tariflöhne:

http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=030947

Lohnsteuereinnahmen:

https://www.oenb.at/isaweb/report.do;jsessionid=8982EB069AF2BE63162E5A0A9B91C2E5?report=7.20

 

Ohne die Abschaffung der Kalten Progression wird es keinen Druck für echte Strukturreformen geben

Man war sich dieser Problematik seitens der Bundesregierung lange Zeit durchaus bewusst – und zwar schon seit Jahren:

Im März 2017 brachte Staatssekretär Fuchs selbst noch einen Unselbständigen Entschließungsantrag ein, der zum Ziel hatte, die Kalte Progression abzuschaffen.

Weitere hochrangige Regierungsvertreter der Vergangenheit dazu:

·         „Die kalte Progression ist ungerecht“ und „Nach jetzigem Plan könnte es 2016 soweit sein“, sagte der wahlkämpfende damalige Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger am 23.8.2013 in den Vorarlberger Nachrichten.

·         „Meine Wunschvorstellung wäre, dass die kalte Progression ab 2018 abgeschafft ist. Man muss das wie bei der Steuerreform machen: klare Ziele, klare Terminvorgaben – dann wird geliefert.“ Das hörten wir von BM Schelling am 22.6.2016.

Der Einsicht folgten - wie so oft - keine Taten. Mittlerweile hat man sich wiederum wunderbar mit der Kalten Progression arrangiert und gibt freimütig zu, dass die Steuerreformen der Bundesregierung der letzten Jahre ohne die Kalte Progression gar nicht möglich wären. Mit dem Ergebnis, dass Österreichs Bürger_Innen jährlich höhere Steuern zahlen - völlig ungefragt.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG




Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat ein Gesetz zuzuleiten, welches ab 1.1.2021 vorsieht, die Tarife bzw. Tarifgrenzen von Lohn- und Einkommenssteuer so anzupassen, dass die Kalte Progression in voller Höhe jährlich abgegolten wird."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Finanzausschuss vorgeschlagen.