1167/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 11.12.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Kucher, Muchitsch,

Genossinnen und Genossen

betreffend die grob fahrlässige Vernachlässigung einer umfassenden Pflegereform

Die Pflegereform - eine anscheinend „never endig story“!

Diese Regierung schafft es einfach nicht, das drängende Problem einer Pflegereform auf den Weg zu bringen.

Wir befinden uns in der größten Gesundheitskrise seit über 100 Jahren, Pflegeberufe sind gefragt und gebraucht wie noch nie, die Pflegebedürftigkeit der Bevölkerung nimmt vor allem durch die Demographie enorm zu und was tut diese Regierung?

Imagevideos produzieren! Leider werden diese Videos die Probleme nicht lösen.

Die Sicherstellung einer menschenwürdigen und hochwertigen Pflege nach dem Stand der Pflegewissenschaft und Medizin sowie die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen müssen in Österreich höchste Priorität haben. Nach der Bevölkerungsprognose wird der Anteil der über 80- Jährigen bis zum Jahr 2030 von derzeit 5 % auf 6,8 % angestiegen sein. Bedingt durch diese Verschiebung der Altersstruktur in der Bevölkerung sagen sämtliche Studien und Prognosen für die nächsten Jahre einen steigenden Bedarf an Pflegepersonen voraus.

Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit ist ein Risiko, das nicht jeden trifft, aber aufgrund der demographischen Entwicklung immer mehr Menschen in Österreich betreffen wird und diese Betroffenen langfristig auf hochwertige Betreuung und Pflege angewiesen sein werden. Um zu verhindern, dass Pflegebedürftigkeit zu Altersarmut führt, wurde als erster Schritt aufgrund einer sozialdemokratischen Initiative der Pflegeregress abgeschafft. Weitere Schritte in Form einer umfassenden, zukunftsfitten Pflegereform hätten aber schon längst folgen müssen.

Aber außer Ankündigungen ist bisher nichts geschehen.

Die drängendsten und wichtigsten Punkte - einheitliches Pflegesystem, garantierte Finanzierung der Pflegeleistungen, etc. - wurden bisher nicht angegangen:

Bundesweit einheitliches Pflegesystem

Es braucht anstelle von neun unterschiedlichen Systemen bundesweite Festlegungen: welche Leistungen, welche Angebote sollen in welcher Qualität und Quantität zu welchen Kosten verfügbar sein. Damit kann man Transparenz und Vergleichbarkeit für alle sicherstellen.

Pflege qualitativ ausbauen und die Qualität sicherstellen kann nur durch eine gesamtheitliche Steuerung der Pflege geschehen, die Rücksicht auf regionale Gegebenheiten nimmt und Mindestkriterien festlegt sowie unabhängig kontrolliert.

Garantierte Finanzierung des Pflegeangebotes durch Pflegegarantiefonds

Die Finanzierung aus einem Topf ist ein wichtiger Baustein dazu. Derzeit besteht der Pflegefonds als Provisorium und dient als Ausgleichfonds für die Sozialhilfeträger. Dieser Fonds muss umgestaltet und dauerhaft finanziert werden.

Am wichtigsten aber: Er muss für die Menschen spürbar werden!

Durch Schaffung eines Pflegegarantiefonds sollen die Mitteln der Länder und des Bundes zusammengeführt und durch eine zweckgewidmete Besteuerung von Vermögen (Erbschaften, Schenkungen) deutlich erhöht werden.

Aus diesem Fonds sollen alle Pflegeleistungen den Pflegebedürftigen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Menschen muss in einer Pflegesituation unverzüglich die erforderliche Pflegeleistung vor allem auch durch Ausbau alternativer und mobiler Betreuung und Pflege garantiert werden können und diese Leistungen sollen in Hinkunft ohne zusätzliche Kosten für die Pflegebedürftigen zur Verfügung gestellt werden.

Dazu braucht es einen niederschwelligen Zugang zu Leistungen. Fachkundige Personen, die vor Ort alle Leistungen koordinieren: rasche Auskunft über alle Angebote und Möglichkeiten, Beratung und Hilfestellung im eigenen Heim,

Aufnahme des Pflegebedarfs durch geschultes Personal.

Pflegeservicestelle

Eine trägerunabhängige Pflegeservicestelle soll daher in allen Bundesländern als einheitliche Anlaufstelle vor Ort eingerichtet werden. Sie gewährleistet:

           die Evaluierung des individuellen Pflegebedarfs,

           Auskunft über alle Angebote und Möglichkeiten vor Ort auf Basis der Evaluierung,

           Beratung über die richtige Auswahl unter den verschiedenen Angeboten,

           die Abwicklung der Behördenwege bei stationärer Pflege bzw. direkte Kontaktaufnahme mit den Einrichtungen bei mobiler Pflege,

           begleitenden Betreuung durch die gesamte Pflegephase - laufende Evaluierung des tatsächlichen Pflegebedarfs, Vorschlag neuer Angebote, z.B.: Umstellung von mobiler Pflege zu stationärer Pflege,

           Abwicklungshilfe bei der Beantragung des Pflegegeldes

Das Ziel einer Pflegeservicestelle ist die Steuerung der gesamten Abwicklung von der Bedarfserhebung bis zur Hilfe bei der Beantragung des Pflegegeldes. Es soll als echte Serviceeinrichtung die Bürgerinnen und Bürger unterstützen und zwar nicht nur zu Beginn, sondern auch während der gesamten Zeit der Pflege. Das Pflegeservicecenter sowie seine Leistungen werden aus dem Pflegegarantiefonds bezahlt.

Wenn wir von einer Weiterentwicklung und Verbesserung der Pflege in Österreich reden, dann muss das Thema Qualitätssicherung auf der Prioritätenliste ganz oben stehen. Das gilt sowohl für die stationäre Pflege in Pflege- und Altenheimen als auch in der Pflege und Betreuung zuhause.

Pflegequalitätsgesetz

In Österreich existieren keine bundesweit einheitlichen Qualitätskriterien - weder für die stationäre Pflege, noch für die Pflege zuhause. Nur eine bundesgesetzliche Verankerung von Qualitätsstandards inklusive verpflichtender Kontrollen stellt sicher, dass alle Pflegebedürftigen in Österreich eine qualitativ hochstehende Pflegeversorgung auf gleichem Niveau erhalten.

Dafür ist es auch erforderlich, einen Personalbedarfsschlüssel (z.B. ab welcher Anzahl an Pflegebedürftigen, bei welcher Pflegestufe brauche ich wie viel und wie qualifiziertes Personal) zu errechnen und festzulegen.

Es geht auch darum, wie die Privatsphäre der Betroffenen gewahrt werden kann, Barrierefreiheit herzustellen, Aktivierungs- und Beschäftigungsangebote für Pflegebedürftige anzubieten (z.B. Maßnahmen zur Sturzprophylaxe).

Es bedarf eines professionellen Beschwerdemanagements (mündlich, schriftlich, anonym) und einheitlicher, regelmäßiger Kontrollen, ob die Standards eingehalten werden. Zusätzlich auch Gewaltpräventionskonzepte als Voraussetzung für die Genehmigung und den Betrieb von Pflegeheimen.

Ausbildungsoffensive und faire Arbeitsbedingungen

Laut Berechnungen der Gesundheit Österreich GmbH wird bis zum Jahr 2030 in Österreich von einem zusätzlichen Bedarf von insgesamt 34.200 Personen ausgegangen. Da rund ein Drittel der derzeit beschäftigten Pflege- und Betreuungspersonen älter als 50 Jahre alt sind und im Jahr 2030 nicht mehr im Erwerbsleben stehen, ist damit zu rechnen, dass weitere 41.500 Personen in den Berufssektor einsteigen müssen, um den Bedarf decken zu können. Dies entspricht für Pflegefachkräfte (DGKP, PFA und PA) daher einem jährlichen Bedarf von 3.900 bis 6.700 zusätzlichen Personen.

Es braucht daher sofort eine Ausbildungsoffensive, mit der z.B. Personen, die eine Pflegeausbildung machen, eine Entlohnung (ähnlich den Polizeischülern) angeboten wird, mit der auch die Fachhochschulbeiträge erlassen und weitere Anreize geboten werden (fixer Arbeitsplatz nach der Ausbildung).

Um einen Beruf mit Zukunftschancen zu ergreifen, ist es auch wichtig, dass die Arbeitsbedingungen ansprechend sind. Gerade die letzten Monate der Gesundheitskrise haben uns gezeigt, dass Pflegeberufe oft unter dramatischen Bedingungen ihre Arbeit erbringen müssen. Es braucht daher einen Personalbedarfsschlüssel und mehr finanzielle Mittel, um ausreichend Personal beschäftigen zu können. Damit kann auch die Drop-Out-Rate erheblich reduziert werden.

Pflegende Angehörige

Pflege durch Angehörige passiert - das wissen wir! Und wie wir auch wissen - hauptsächlich durch Frauen. Wir müssen daher die Augen aufmachen und diesen Personen jede mögliche Hilfe zuteilwerden lassen.

Laut einer Studie im Auftrag des Sozialministeriums aus 2018 gibt es rund 950.000 pflegende Angehörige in Österreich. Aus dieser Studie ergibt sich, dass pflegenden Angehörigen überwiegend weiblich (73 % davon sind Frauen), die Mehrheit ist bereits in Pension (53 %) und 31 % erwerbstätig sind.

13 % haben ihre Berufstätigkeit für die Pflege und Betreuung ganz aufgegeben und
15 % haben sie eingeschränkt.

In Zahlen bedeutet das, dass wir im häuslichen Bereich rund 250.000 und in Pflegeheimen rund 57.000 berufstätige Angehörige in Österreich haben, also über 300.000 Personen im berufsfähigen Alter, die Angehörige pflegen.

Wie sind nicht in Pension befindliche pflegende Angehörige abgesichert:

Derzeit gibt es 4 Möglichkeiten:

1.  Sozialhilfe

2.   Kostenlose Selbstversicherung § 18b ASVG

3.   Pflegekarenz oder Pflegeteilzeit - allerdings nur 3 Monate (mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit auf 6 Monate nur bei erneuter Erhöhung der Pflegestufe) und seit 1.1.2020 mit Rechtsanspruch

4.   Familienhospizkarenz - 3-6 Monate, Rechtsanspruch und Kündigungsschutz- aber nur auf diesen Zeitraum befristet.

Seit Kurzem gibt es allerdings im Burgenland eine 5. Möglichkeit: das „Modell Burgenland“: Pflegende Angehörige können ihre Leistungen in einem Dienstverhältnis erbringen. Sie müssen eine Grundausbildung absolvieren und es besteht auch die Möglichkeit für eine weiterführende Heimhilfe-Ausbildung, was der betreuenden und pflegenden Person die Chance einräumt, in einem Sozial- und Gesundheitsberuf weiterhin tätig zu sein.

Das „Modell Burgenland“ ist ein innovativer Ansatz, den man ausbauen kann. Zunächst sollte eine Evaluierung durchgeführt werden um eventuelle Schwächen zu beseitigen und danach sollten Möglichkeiten einer bundesweiten Einführung geprüft werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem unverzüglich eine Regierungsvorlage auszuarbeiten und dem Nationalrat zu übermitteln, mit der

           ein Pflegegarantiefonds geschaffen wird, indem die bisherigen finanziellen

Aufwendungen für Pflegeleistungen von Bund und Ländern zusammengefasst, diese Mittel entsprechend dem Bedarf aus Budgetmittel erhöht werden und aus dem sämtliche Pflegeleistungen für Betroffene finanziert werden,

           eine trägerunabhängige einheitliche Anlaufstelle für Pflegehilfestellungen (Pflegeservicestelle) in allen Bundesländern geschaffen wird, die pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen in allen Pflege- bzw. Betreuungsbelangen für die gesamte Dauer des Pflege- oder Betreuungsbedarfs unterstützt,

           ein Pflegequalitätsgesetz geschaffen wird, mit dem bundesweit einheitliche Qualitätsstandards im Bereich der Pflege - stationär wie ambulant-festgelegt und durch ein verpflichtendes Kontrollsystem die Einhaltung dieser Standards auch überprüft werden und

           eine Ausbildungsoffensive und eine Verbesserung der Arbeitssituation für Pflegeberufe wie oben beschrieben gestartet wird.

Darüber hinaus soll das „Modell Burgenland“, also die Möglichkeit, dass pflegende Angehörige ihre Leistungen in einem Dienstverhältnis erbringen sowie die Einführung dieses Angebotes für ganz Österreich geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden.“

Zuweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales