1179/A XXVII. GP

Eingebracht am 11.12.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

 

der Abgeordneten Dr. Fürst

und weiterer Abgeordneter

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger geändert wird.

           Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesverfassungsgesetz zum Schutz vor mittelbarer Zensur

           Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. Nr. 142/1867 zuletzt geändert durch das BGBl. Nr. 684/1988, wird wie folgt geändert:

 

1.    In Artikel 13 wird nach der Wortfolge „Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern.“ folgender Satz eingefügt:

„Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit obliegt ausschließlich den ordentlichen Gerichten.“

 

Begründung:

Mit der Entstehung der sozialen Medien und dem Web 2.0 begann im Jahre 2004 die Demokratisierung des Internets. Die Österreicherinnen und Österreicher konnten mit modernen Technologien und auf verschiedenen Plattformen (Blogs, YouTube, Twitter, Facebook etc.), eigene Inhalte erstellen und verbreiten. Plötzlich wurden Nachrichten nicht mehr nur vom öffentlichen Rundfunk oder von einigen wenigen kommerziell orientierten Verlegern produziert, sondern es war jedem möglich, seine Meinung zu veröffentlichen und sich einer öffentlichen Diskussion zu stellen, ohne durch einen „Gatekeeper“ mit politischen Interessen gefiltert zu werden.

Aufbauend auf der Prämisse, dass die Entwicklung dieser neuen Technologien und Kommunikationskanäle „auch eine neue Form der Gewalt etabliert hat und Hass im Netz in Form von Beleidigungen über Bloßstellungen, Falschinformationen, bis hin zu Gewalt- und Morddrohungen“ gebracht habe und diese „Angriffe (…) überwiegend auf rassistischen, ausländerfeindlichen, frauenfeindlichen und homophoben Motiven basieren würden1, werden nunmehr Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit insbesondere in sozialen Medien vorgenommen.

Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs stellt diese Prämisse jedoch in Frage:

Inwieweit der Entwurf geeignet ist, Abhilfe gegen alle in der in den Erläuterungen vorangestellten „Problemanalyse“ angeführten Erscheinungsformen von „Hass im Netz“ zu schaffen, entzieht sich einer umfassenden Beurteilung, weil die dort erwähnten Angriffe nur allgemein umschrieben sind. Die Palette der erwähnten Angriffe reicht von Beleidigungen über Bloßstellungen und Falschinformationen bis hin zu Gewalt- und Morddrohungen. In der Folge wird angeführt, die Angriffe basierten überwiegend auf rassistischen, ausländerfeindlichen, frauenfeindlichen und homophoben Motiven, wobei empirische Grundlage für diese Einschätzung offenbar im Wesentlichen an den Verein ZARA erstattete Meldungen sind.2

Wenn Plattformbetreiber aufgrund von engen gesetzlichen Vorgaben beurteilen müssen, ob ein Straftatbestand verwirklicht wurde, kommt es folglich zu einer Vorabzensur durch diese Unternehmen. Es droht im Ergebnis eine mittelbare staatliche Zensur, denn im Zweifel werden Unternehmen unliebsame Meinungen eher löschen, um ihrerseits Strafzahlungen zu vermeiden, wie auch Facebook in seiner Stellungnahme ausführt:

Das System des KoPl-G – Verpflichtung zur Entfernung von nach dem nationalen Recht illegalen Inhalten unter sehr kurzen Zeitfristen und unter Androhung hoher Bußgelder – setzt den Anreiz, im Zweifel eher mehr Inhalte zu löschen als zu wenige. Dies kann für die Meinungsfreiheit negative Effekte haben, nicht nur in Österreich.3

Google schreibt in seiner Stellungnahme von einer Privatisierung staatlicher Verantwortung:

Bei der rechtlichen Bewertung zeigt die Erfahrung, dass ein Großteil der beanstandeten Inhalte weder klar rechtswidrig noch klarrechtmäßig ist, sondern sich in einem „Graubereich” befindet. Dieser erfordert eine umfassende und komplexe rechtliche Prüfung, die in einem Rechtsstaat den Gerichten vorbehalten bleiben sollte. Selbst diese weichen in ihren Urteilen regelmäßig voneinander ab und auch innerhalb eines Richtergremiums herrscht oft Uneinigkeit über die rechtliche Qualifikation bestimmter Sachverhalte.4

In diesem Zusammenhang erscheint es auch problematisch, dass zur Beurteilung der Inhalte von weitgehend unbestimmten Gesetzesbegriffen ausgegangen wird (zB im Gesetzestext zum KoPlG5 „... soweit deren Rechtswidrigkeit bereits für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig ist ...“ [§3 Abs.3 Z1 lit.a]). Im Ergebnis kann das bedeuten, dass juristisch nicht ausreichend qualifiziertes Personal, welches nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt und nicht in Österreich berufstätig ist, sondern in einem Callcenter im Ausland arbeitet, über die Rechtmäßigkeit einer Meinungsäußerung eines österreichischen Staatsbürgers entscheidet.

 

1.     https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00049/imfname_819535.pdf

2.   https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SNME/SNME_17760/imfname_840882.pdf

3.   https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SNME/SNME_17985/imfname_843193.pdf

4.   https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SNME/SNME_17973/imfname_843142.pdf

5.   https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/I/I_00509/index.shtml

Wenngleich die Problemanalyse stimmt, dass der Staat bei der Rechtsdurchsetzung im Internet nicht schnell genug agiert, darf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Meinungsäußerung eines österreichischen Staatsbürgers nicht Dritten überantwortet und privatisiert werden. Vielmehr braucht es eine rasche und unbürokratische Möglichkeit für Staatsbürger vor einem ordentlichen Gericht Recht zu bekommen.

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.