27/BI XXVII. GP

Eingebracht am 16.06.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Parlamentarische Bürgerinitiative

betreffend

Kroatisch als eigenständiger muttersprachlicher Unterricht

 

Seitens der EinbringerInnen wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in folgender Hinsicht angenommen:

Muttersprachlicher Unterricht ist geregelt in BGBl. Nr. 528/1992 für Volksschulen/Sonderschulen und in BGBI.II Nr.185/2012 in der geltenden Fassung für Neue Mittelschulen und in BGBI.II Nr.133/2000 in der geltenden Fassung für die AHS-Unterstufe.

Dieses Anliegen wurde bis zur Einbringung im Nationalrat von      705       BürgerInnen mit ihrer Unterschrift unterstützt. (Anm.: zumindest 500 rechtsgültige Unterschriften müssen für die Einbringung im Nationalrat vorliegen.)

Anliegen:

Der Nationalrat wird ersucht,

die Kroatisch als eigenständigen muttersprachlichen Unterricht zu sichern, das Vermischen mit anderen Sprachen zu vermeiden und die kroatische Sprache aus dem künstlichen BKS-Konstrukt (BKS - Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) zu lösen bzw. ein endgültiges Trennen dieser drei Sprachen zu gewährleisten.

Das soll auch die richtige Datendifferenzierung in der dazugehörigen, offiziellen Statistik ermöglichen. Ebenfalls soll es die Republik ermöglichen, dem Kroatischen als der offiziellen Sprache eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und Sprache einer anerkannten Volksgruppe in Österreich eine gleichwertige Stellung gegenüber den anderen Muttersprachen zu sichern, die in unserem Bildungssystem unterrichtet werden.

In der Folge werden einige der Aspekte der Forderung nach einer Trennung der im Fach BKS zusammengepferchten Sprachen erörtert:

Das Bundesministerium für Bildung initiiert schon jahrelang eine lobenswerte Initiative für den muttersprachlichen Unterricht, der „grundsätzlich in jeder Sprache möglich, sofern Bedarf angemeldet wird und die personellen und stellenplanmäßigen Ressourcen gegeben sind.“ Der muttersprachliche Unterricht wird mit gutem Recht als ein großer Erfolg des österreichischen Unterrichtswesens gesehen. Denn es ist allgemein bekannt, dass ein Kind auch andere Sprachen erfasst, wenn es die Muttersprache gut beherrscht.

(Falls der Vordruck nicht ausreicht, bitte auf Beiblatt fortsetzen)

Der muttersprachliche Unterricht bietet eine wertvolle Möglichkeit, den Kindern vielseitiges und übergreifendes Wissen zu vermitteln, Sprachbarrieren zu überwinden und ihr Verständigungsvermögen zu verbessern.

Des Weiteren soll der muttersprachliche Unterricht neben den Sprachkenntnissen auch Kenntnisse über das Herkunftsland vermitteln. Alles dies mit dem Ziel, durch die Festigung der Muttersprache eine bessere Grundlage für den Bildungsprozess sowie für den Erwerb weiterer Sprachen zu schaffen[1]. Voraussetzung ist, dass der muttersprachliche Unterricht qualitativ erfüllt, was er verspricht.

Obwohl es eine beachtliche Zahl[2] an Bürger*innen mit kroatischen Wurzeln in Österreich gibt (man spricht von über 83.000), wird den kroatischen Kindern das Recht auf einen eigenständigen muttersprachlichen Unterricht für Kroatisch verweigert. Kroatisch wird nur im Paket mit Bosnisch und Serbisch unterrichtet. Auch die Schulbücher bieten nur ein gemischtes sprachliches Angebot.

Befürworter dieser Praxis beziehen sich auf die noch immer geltende Empfehlung des Bildungsministeriums aus dem Jahr 1996, die besagt,

„nach Möglichkeit keine Trennung nach ethnischen Zugehörigkeiten vorzunehmen "[3].

Heutzutage ist diese Empfehlung, die noch das alte Jugoslawien im Blick hatte, völlig anachronistisch und längst überholt. Als wolle man in einer Zeit bleiben, die schon längst vorbei ist.

Jugoslawien ist Geschichte. Heute haben wir souveräne, selbständige Staaten mit einer eigenen Amtssprache, die in der jeweiligen Verfassung verankert ist. Durch den EU-Beitritt wurde Kroatisch auch zur 24. Amtssprache der EU, was zusätzlich ihr Recht auf Eigenständigkeit belegt.

Ein eigenständiger muttersprachlicher Unterricht für Kroatisch ist also sowohl rechtlich als auch sprach- und kulturwissenschaftlich und pädagogisch begründbar. In der Folge werden einige dieser Aspekte näher begründet:

Die rechtlichen Grundlagen:

o   Kroatisch ist eine völkerrechtlich anerkannte Sprache

o   Kroatisch ist eine der 24 Amtssprachen der EU

o   Kroatisch ist eine der Amtssprachen Österreichs nach dem Volksgruppengesetz

o   Kooperationsprogramm gemäß Artikel 19 Absatz 1 des Abkommens zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Kroatien im Bereich der Kultur und der Bildung

Ein Unterricht „im Paket“ steht auch nicht im Einklang zu den Aufgaben des muttersprachlichen Unterrichts, die im Lehrplan der Volksschule enthalten sind und die besagen2:

Ø  Festigung der Muttersprache/Primärsprache als Grundlage für den Bildungsprozess überhaupt sowie für den Erwerb weiterer Sprachen

Ø  Vermittlung von Kenntnissen über das Herkunftsland (Kultur, Literatur, gesellschaftliche Struktur, ökonomische, politische Verhältnisse usw.)

Ø  Auseinandersetzung mit dem bikulturellen Prozess (d. i. Migrantenkultur, neue Sozialisationsbedingungen, neues kulturelles Umfeld, soziokulturelle und psychosoziale Konfliktfelder usw.)

Kulturwissenschaftlich:

Ein muttersprachlicher Unterricht sollte also, neben den Sprachkenntnissen auch die Kenntnisse über die Kultur des Herkunftslandes vermitteln. Im Falle der Kinder mit kroatischem Migrationshintergrund ist das Kroatien, im Falle der serbischen Kinder Serbien im Falle der bosnischen Kinder ist es Bosnien-Herzegowina. Und auch wenn die drei Kulturen im Laufe der Geschichte zeitweise gemeinsame Entwicklungen gehabt haben, ist es nicht zu bestreiten, dass es sich um eigenständige Kulturkreise handelt. Kroatien war z.B. 400 Jahre ein Teil der Habsburger- bzw. Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Somit teilten die Kroaten mit den Österreichern und anderen Bürgern der Monarchie viele Gemeinsamkeiten wie Werte, Kultur, Geschichte, Musik und Religion. Viele Kroaten prägt diese Zeit heute noch. Kroatische Kinder und Enkelkinder haben teilweise österreichische und kroatische Eltern und Großeltern. Geben wir ihnen doch die Möglichkeit, beide Muttersprachen unter dem richtigen Namen zu erlernen.

In Österreich wird der muttersprachliche Unterricht in 26 unterschiedlichen Sprachen angeboten. Auch ähnliche Sprachen wie Russisch, Tschetschenisch; Kurdisch, Türkisch; Slowakisch, Tschechisch; Norwegisch, Schwedisch; Persisch Dari, Persisch Farsi usw. werden mit einem guten Recht getrennt unterrichtet. Für keine der genannten Sprachen stellt man ihre Eigenständigkeit in Frage. Warum tut Österreich das im Falle des Kroatischen?

Sprachwissenschaftlich:

Bei der Nichtunterscheidung der Sprachen Kroatisch, Serbisch und Bosnisch wird oft auf die gegenseitige Verständlichkeit und die gleiche „Grammatik" der drei Sprachen hingewiesen. Diese Argumentation führt jedoch in die Irre. Abgesehen davon, dass es viele Beispiele gegenseitig verständlicher und dennoch unterschiedener Sprachen gibt, beruht die Eigenständigkeit der kroatischen Sprache gegenüber der bosnischen und der serbischen ja auch gar nicht auf ihrer „Grammatik", sondern auf dem zweifellos besonderen kroatischen literarischen Kanon, an dem sich Stilistik, Diktion und Ausdrucksgewohnheiten der kroatischen Sprache, und nur dieser, herausgebildet haben und heute orientieren. Es ist somit vornehmlich die kroatische Literatur, die - bei entsprechender Belesenheit - das Profil und die Identität des Kroatischen prägt und letztlich hinter der sogenannten „sprachlichen Loyalität" der Kroatinnen und Kroaten gegenüber ihrer Sprache steht. Diese „sprachliche Loyalität" ist identitätsstiftend, die betreffenden Völker definieren sich hauptsächlich über sie, und sich von Seiten österreichischer Behörden über die sprachliche Loyalität einer Nation hinwegzusetzen, würde nur böses Blut erzeugen.

Pädagogisch:

Auch pädagogisch ist die Gestaltung des Unterrichts „im Paket" bedenklich, und in der Praxis schwierig, allen Kindern einen gleichermaßen qualitativen Unterricht in der jeweiligen Muttersprache zu bieten.

Aus den obigen Erörterungen kommt man zum Schluss, dass die kroatischen, serbischen und bosnischen Kinder/Schüler*innen im österreichischen Unterrichtswesen im muttersprachlichen Unterricht mit der Herausforderung konfrontiert sind, sich gleichzeitig mit mehreren Sprachen auseinanderzusetzen. An und für sich ist Sprachenvielfalt eine positive Sache, aber nicht dann wenn es um das Erlernen der Muttersprache geht, wo man die Grundlagen lernt, die Lexik und Syntax beherrschen und festigen muss und sich Grundkenntnisse über die Kultur des Herkunftslandes der Eltern aneignen soll. Für jede der drei Sprachen scheint hier mangelhafter und nicht ausreichender Unterricht vorprogrammiert. Ziel des Unterrichtes sollte sein, dass die Kinder die jeweilige Sprache später auch konkret verwenden und einsetzen können, auch im Zuge einer weiteren Ausbildung, Studiums und beruflich. „Irgendwie sprechen" kann man ja auch zu Hause lernen.

Schulplangemäß:

Auch von der jeweiligen Lehrkraft ist es illusorisch zu erwarten, dass sie den Kindern alle drei Sprachen und Kulturen, sowie zwei unterschiedliche Schriften in den wenigen zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden beibringen kann. Der Unterricht kann in einigen Bereichen nur lückenhaft bleiben, oder wird zu einem Mischmasch, der eher eine Verarmung als eine Bereicherung für das Kind darstellt. Diese Situation ist oft auch für Lehrer*innen frustrierend, die ihre Aufgabe pflicht- und verantwortungsbewusst erfüllen möchten.

Weiteres:

Schlussendlich gibt es auch weitere Gründe für eine Trennung. Die sinkenden Teilnehmerzahlen für den „BKS" muttersprachlichen Unterricht trotz der steigenden Zahl der Migranten, vor allem aus Kroatien, sind ein Signal, dass das Modell BKS reorganisiert werden muss. Die Abnahme der Anmeldungen zu BKS wird von Befürwortern dieses Unterrichts als Signal verstanden mit allen Mitteln eine Trennung zu verhindern und noch stärker auf dem Konzept zu beharren. Doch die Wahrheit ist eine ganz andere: Die Zahlen sinken, weil das Modell des „BKS-Pakets" nicht mehr den Anforderungen der Zeit entspricht und daher eine schlechte Akzeptanz hat. Die Eltern verlangen für ihre Kinder einen entsprechenden muttersprachlichen Unterricht, denn nur eine der drei Sprachen ist die jeweilige Muttersprache. Da der BKS-Unterricht diese Anforderung nicht berücksichtigt, melden sie ihre Kinder für den Unterricht gar nicht an. Das betrifft sowohl kroatische als auch serbische Kinder, wobei die letztgenannten vor allem wegen der kyrillischen Schrift zu kurz kommen. Wegen dieser Umstände und Faktoren wird das sonst so wertvolle Angebot des muttersprachlichen Unterrichts in Österreich von vielen nicht in Anspruch genommen.

Historisch:

Und noch ein zusätzlicher Aspekt. Die kroatische Volksgruppe lebt schon seit dem 16. Jahrhundert in Österreich. Kroatisch ist hier keine unbekannte Sprache, sie ist als Minderheiten- und Volksgruppensprache sehr wohl im österreichischen Schulwesen anerkannt und berücksichtigt. Umso mehr haben alle Beteiligten das Gefühl der ungleichen Behandlung im Vergleich zu den anderen Sprachen.

Der Nationalrat wird daher gebeten, das Modell „Drei in Eins" zu überdenken und dem oben genannten Anliegen entgegenzukommen. Das ist die einzige Lösung, die der gesellschaftlichen, politischen, pädagogischen und nicht zuletzt linguistischen Realität entsprechen würde.

 

 

 

 

 

 

Parlamentarische Bürgerinitiative betreffend

Kroatisch als eigenständiger muttersprachlicher Unterricht

Erstunterzeichner/in

Name

Anschrift und
E-Mail Adresse

Geb. Datum

Datum der Unterzeichnung

Eingetragen in die Wählerevidenz der Gemeinde

Lidija Mihalic

 

 

 

 

 

 



[1] Fachlehrpläne für den muttersprachlichen Unterricht:

https://www.schule-mehrsprachig.at/fileadmin/schule_mehrsprachig/redaktion/hintergrundinfo/info6-16-17.pdf

Muttersprachlicher Unterricht Bildungs- und Lehraufgabe:

https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1992_528_0/1992_528_0.pdf

[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/293019/umfrage/auslaender-in-oesterreich-nach-staatsangehoerigkeit/

[3] https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulrecht/rs/1997-2017/1996_10.html