Anlage

 

Begründung

des Einspruches gegen den Beschluss des Nationalrates vom 28. April 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Integrationsgesetz, das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz, das Zustellgesetz und das Agrarmarkt Austria Gesetz (AMA-Gesetz 1992) geändert werden (12. COVID-19-Gesetz)

Die FPÖ aus folgenden Gründen:

 

Mit dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates vom 28. April 2020 betreffend Bundesgesetz, mit dem das Integrationsgesetz, das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz, das Zustellgesetz und das Agrarmarkt Austria Gesetz (AMA-Gesetz 1992) geändert werden (12. COVID-19-Gesetz) werden neuerlich weitreichende Gesetzesänderungen vorgenommen. Grundlage dieser weitreichenden Änderungen ist ein Initiativantrag von ÖVP und Grünen, der am 22. April im Nationalrat eingebracht und bereits am folgenden Tag im zuständigen Verfassungsausschuss behandelt wurde.

Ein Expertenhearing zu dieser Gesetzesmaterie konnte auf Grund des verkürzten Verfahrens nicht stattfinden und wurde von den Regierungsfraktionen auch nicht zugelassen. Dies obwohl es sich um eine Gesetzesnovelle handelt, die verschiedenste unzusammenhängende Rechtsbereiche vermengt. Eine von den drei Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS gewünschte Ausschussbegutachtung wurde von den Regierungsfraktionen mit Mehrheitsbeschluss abgelehnt. Ebenso abgelehnt wurde ein Vertagungsantrag zum Zweck der ausführlichen Begutachtung.

Nur sechs Tage später und ohne Expertenhearing oder Ausschussbegutachtung wurde die Gesetzesnovelle im Plenum des Nationalrats behandelt. In dieser Sitzung kam es zu Abänderungen, die insbesondere aufgrund der Kurzfristigkeit des Zustandekommens des Gesetzes notwendig geworden waren. Ein Oppositionsantrag auf Rückverweisung des Antrags in den Verfassungsausschuss wurde mehrheitlich abgelehnt.

Der Bundesrat spricht sich generell dagegen aus, dass komplexe und unzusammenhängende Gesetzesmaterien in nur wenigen Tagen und ohne qualifizierte und umfassende Behandlung den parlamentarischen Prozess im Eiltempo durchlaufen. Mit einer solchen Vorgangsweise wird der Opposition, den Staatsbürgern und den von der Regelung Betroffenen die Möglichkeit genommen, sachpolitische Bedenken zu äußern oder der Regelungsmaterie geschuldete Verbesserungsvorschläge vorzubringen. Trotz Bewältigung der COVID-19-Krise sollte der Gesetzgebungsprozess im Parlament zu einem normalen Gesetzgebungsverfahren inklusive Begutachtungsverfahren und möglichen Expertenhearings zurückkehren.

Dem Nationalrat soll daher durch diesen Einspruch die Gelegenheit gegeben werden, durch eine neuerliche Behandlung des 12. COVID-19-Gesetzes die Mängel des Entwurfs unter Einbindung von Experten und zu beheben.

Dabei sind zur Wahrung des Rechtsstaates entsprechende Änderungen der Gesetzesvorlage insbesondere in folgenden Punkten dringend erforderlich:

Verstärkter Einsatz von Videotechnologie bei Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstrafverfahren

Einschränkungen des mündlichen Verkehrs zwischen Behörde, Parteien und anderen Beteiligten, der forcierte Einsatz von Videotechnologie auch bei mündlichen Verhandlungen und Vernehmungen sowie Verhaltensmaßregeln in jenen Fällen, wo die physische Anwesenheit von Personen erforderlich ist, etwa bei Lokalaugenscheinen, bedeuten weitreichende Änderungen für Verwaltungs- und Verwaltungsstrafverfahren.

Amtshandlungen auch in Abwesenheit betroffener Personen durchzuführen, selbst wenn ihre nachträgliche Einbindung gewährleistet werden kann, droht dabei den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu widersprechen. Insbesondere die Frage, ob die nachträgliche Erhebung von Einwendungen von Personen ohne Smartphone oder andere geeignete technische Einrichtungen um an audiovisuellen Verhandlungen teilnehmen können, keinen Verfahrensnachteil bedeutet, bleibt unbeantwortet. Ohne Kritik der Oppositionsparteien im Verfassungsausschusses des Nationalrates hätte man das Szenario, dass Personen nicht über geeignete technische Mittel verfügen, gänzlich hinweggesehen.

Mehr Zeit für die von Drittstaatsangehörigen abzulegende Integrationsprüfung

Da derzeit keine Integrationsprüfungen zur Erfüllung des Moduls I abgenommen werden und betroffenen Drittstaatsangehörigen außerdem eine Kursteilnahme de facto nicht möglich ist, wird die Frist für die Ablegung der Integrationsprüfung bis 31. Oktober, mit begleitenden Fristhemmungen, verlängert.

Von jenen Personen, die rechtmäßig und dauerhaft in unserem Land leben wollen, muss jedoch auch in Zeiten der Krise ein Bemühen um Integration eingefordert werden, um ein späteres Fortkommen sowie das Hochhalten unserer verfassungsmäßig verankerten Werte zu gewährleisten. Die Arbeit an dem Fundament dieser gemeinsamen Wertebasis ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben und darf nicht alternativlos für ein halbes Jahr pausieren. 

Beschlüsse der AMA-Gremien im Umlaufweg bzw. per Videokonferenz

Die Änderung des AMA-Gesetzes hat zum Ziel, auch dem AMA-Verwaltungsrat und dem AMA-Kontrollausschuss Beschlüsse befristet im Umlaufweg bzw. per Videokonferenz zu ermöglichen. Da die Agrarmarkt Austria (AMA) den Härtefallfonds für die Land- und Forstwirtschaft abwickelt braucht es hier jedoch das größtmögliche Maß an Kontrolle und Transparenz, weshalb im Verfassungsausschuss auch ein entsprechender Antrag (442/A) der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Errichtung der Marktordnungsstelle "Agrarmarkt Austria" (AMA-Gesetz 1992) geändert wird, diskutiert wurde um den AMA-Verwaltungsrat um eine parlamentarische Kontrolle zu erweitern.

 

Die SPÖ aus folgenden Gründen:

 

Fehlende Begutachtung und kurzfristige Änderungen

Der gegenständliche Beschluss wurde – so wie auch andere der zuletzt gefassten Beschlüsse des Nationalrates – kurzfristig per Initiativantrag eingebracht und bereits eine Woche später vom Nationalrat beschlossen. Eine Ausschussbegutachtung fand trotz des sensiblen Inhalts nicht statt – ein entsprechender Antrag wurde im Verfassungsausschuss des Nationalrates abgelehnt. In der 2. Lesung des Gesetzentwurfs wurden überdies noch weitreichende Änderungen vorgenommen. Eine solche Vorgangsweise entspricht nicht den Voraussetzungen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens, welches sicherstellt, dass Gesetze mit der notwendigen Sorgfalt beschlossen werden. Eine Rückkehr zum normalen Gesetzgebungsverfahren ist dringend geboten.

Überdies wird darauf hingewiesen, dass die Änderungen am Integrationsgesetz und am Zustellgesetz, die unnötigerweise ebenfalls im gegenständlichen Beschluss des Nationalrates gesammelt wurden, rückwirkend ihre materielle Wirkung entfalten.

Eingriff in Grundrechte

Die vom Nationalrat beschlossenen Änderungen des Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetzes sollen die Durchführung von mündlichen Verhandlungen und dergleichen in Verwaltungsverfahren wieder ermöglichen. Die Regelungen sind jedoch überschießend und schränken entgegen der Zielsetzung den normalen Verwaltungsbetrieb unnötig zu Lasten der Parteien ein.  

Darüber hinaus wird auf diese Art in Grundrechte der Verfahrensparteien (Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK) eingegriffen, ohne dass dafür eine Notwendigkeit besteht, die einen solchen Eingriff rechtfertigen würde. Dies ist insbesondere im Verwaltungsstrafverfahren und im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten rechtsstaatlich bedenklich.

Die in der vorgeschlagenen Fassung des § 3 Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz enthaltenen Vorschriften sind nicht mit den sonstigen Regelungen harmonisiert: selbst bei einem Meter Abstand können Personen ohne Mund-Nasen-Schutz von der Amtshandlung ausgeschlossen werden. Über sie können außerdem Ordnungsstrafen verhängt werden. Dies ist überschießend, als dass somit sogar Personen etwa bei Augenscheinen im Freien und fünf Metern Abstand zu anderen Personen von Amtshandlungen ausgeschlossen werden könnten. Dafür fehlt jede sachliche Rechtfertigung, sind die entsprechenden Regelungen doch in der aktuellen, das Verhalten im öffentlichen Raum regelnden 197. Verordnung des Gesundheitsministers wesentlich präziser gefasst.

Gleichzeitig sollen hinkünftig mündliche Verhandlungen, Augenscheine, Beweisaufnahmen, etc. überhaupt nur stattfinden, wenn ein Mindestabstand von einem Meter eingehalten werden kann. Fraglich ist, an welchen Anwendungsfall der Nationalrat hier gedacht hat: Schließlich gilt für Amtsräume und dgl. als öffentliche Orte in geschlossenen Räumen ohnehin die 197. Verordnung des Gesundheitsministers. Eine mündliche Verhandlung, die Verfahrensparteien zur mit bis zu 3.600 Euro Strafe bedrohten Verletzung der COVID-Verordnung des Gesundheitsministers zwingt, dürfte ohnehin nicht anberaumt werden. Die Bestimmung ist insofern überflüssig. Die Aufhebung des bisher geltenden § 3 wäre ausreichend.

Weitreichende Befugnisse an die Behörden

Die weiteren Bestimmungen des § 3 stellen es in das alleinige Ermessen der Behörde, Amtshandlungen, die ansonsten eine persönliche Anwesenheit erfordern würden, mittels Videokonferenztechnologie durchzuführen. Diese Wahlmöglichkeit der Behörde besteht jedenfalls auch dann, wenn der nötige Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten werden könnte. Die Verhandlung mittels Videokonferenz wird so zur echten Alternative zur persönlichen Verhandlung und nicht nur zum außerordentlichen Mittel, um überhaupt einen Fortgang des Verwaltungsverfahrens zu ermöglichen. Dies ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Insbesondere tragen das Risiko technischer Probleme die Parteien und nicht die Behörde.

Die Begründung des Initiativantrags verwies noch darauf, dass die Behörde ihr Ermessen zum Einsatz von Videokonferenztechnologie nur in Einklang mit Art. 6 EMRK ausüben darf. Dieser Hinweis entfiel in der Neufassung des § 3 durch den Abänderungsantrag in 2. Lesung jedoch vollständig.

Der Nationalrat sollte im weiteren Verfahren eine klare Formulierung vorsehen, wonach die Durchführung per Videokonferenz den Ausnahmefall bildet und auch dann die Anforderungen des Art. 6 EMRK einzuhalten sind.

Keine verfassungsrechtliche Deckung

Die vom Nationalrat vorgeschlagenen Bestimmungen sollen im Übrigen auch für die Verwaltungsgerichtsbarkeit gelten. Der aktuell geltende § 6 Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz enthält eine diesbezügliche Verfassungsbestimmung. Dabei handelt es sich jedoch um einen statischen Verweis. Hätte der Nationalrat eine Anwendung der nunmehr beschlossenen Neuregelung auch für die Verwaltungsgerichte gewünscht, so hätte er dies wiederum ausdrücklich durch Verfassungsbestimmung regeln müssen. Durch die nun vom Nationalrat beschlossene Fassung steht in diesem Sinne für die Verwaltungsgerichte weiterhin die ursprüngliche Fassung des § 3 in Geltung, der eine Durchführung mündlicher Verhandlungen nur im Notfall zulässt.

Der gegenständliche Einspruch soll dem Nationalrat die Möglichkeit geben, auch diesen Mangel zu beheben. Die Einheit der Rechtsordnung sollte nicht leichtfertig riskiert werden, nur um erhöhte Beschlusserfordernisse zu vermeiden.

Aus all diesen Gründen wird der Antrag gestellt, gegen den genannten Gesetzesbeschluss des Nationalrates Einspruch zu erheben.