Begründung

Inhalt:

Änderung des Bundesministeriengesetzes 1986 mit dem Bestreben einer Dezentralisierung und einer Verpflichtung zur Prüfung, ob bei Errichtung einer neuen Dienststelle des Bundes diese außerhalb der Bundeshauptstadt angesiedelt werden kann.

Alternativen:

Beibehaltung des unbefriedigenden Zustands.

Auswirkungen des Regelungsvorhabens:

-       Finanzielle Auswirkungen:

Durch die vorgesehenen Änderungen ergeben sich unmittelbar keine finanziellen Auswirkungen.

-       Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Die vorgeschlagenen Änderungen unterstützen das Bestreben der Schaffung dezentraler Standorte von Dienststellen der Bundesverwaltung im weiteren Sinn und tragen damit zur Stärkung strukturschwacher Regionen bei.

-       Auswirkungen auf die Verwaltungslasten für Unternehmen:

Es sind keine Informationsverpflichtungen für Unternehmen vorgesehen.

-       Auswirkungen in umweltpolitischer, konsumentenschutzpolitischer sowie sozialer Hinsicht:

Die vorgeschlagenen Änderungen unterstützen das Bestreben der Schaffung dezentraler Standorte von Dienststellen der Bundesverwaltung im weiteren Sinn und tragen damit einerseits zur Bürgerinnen- und Bürgernähe dieser Einrichtung, andererseits zur Vermeidung unnötig langer Anfahrtswege sowohl für diese als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Dienststellen bei.

-       Geschlechtsspezifische Auswirkungen:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Die vorgesehenen Regelungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

 


 

Die fortschreitende Urbanisierung und die damit verbundenen demografischen Entwicklungen stellen viele Regionen Österreichs vor neue Herausforderungen. Stichworte für den Paradigmenwechsel, der im Laufe von Jahrzehnten stattgefunden und sich verstärkt hat, sind die Entwicklung zur Bildungs- und Wissensgesellschaft, die Digitalisierung aller Lebens- und Wirtschaftsbereiche, eine historisch nie gekannte Mobilität auf regionaler wie auf globaler Ebene sowie neue Ansprüche an die demokratische Partizipation.

Ohne Gegensteuerung wird sich die demografische Entwicklung in bestimmten Regionen weiter verschlechtern. Ursachen dafür sind:

-       Der Rückgang der produzierenden Wirtschaft, die in ländlichen Regionen traditionell einen hohen Anteil hat;

-       Die enorme Zunahme der Wissensökonomie mit einer Vielzahl neuer Berufe, die sich überwiegend in den Ballungsräumen konzentrieren;

-       Die Konzentration von Forschung, Entwicklung und Produktion der digitalen Wirtschaft in Großstädten und Metropolregionen;

-       Die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Bedeutung der universitären und außeruniversitären Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen mit ihrer zentralisierenden Wirkung.

In Österreich wird das bestehende Mehr-Ebenen-System, das verfassungsrechtlich föderalistisch ausgerichtet ist, zentralistisch umgesetzt. Dies gilt sowohl für die Gesetzgebung als auch für die Verwaltung. Der Zentralisierungsgrad in der Vollziehung fällt nicht nur im direkten Vergleich mit den Nachbarstaaten Deutschland und Schweiz auf, sondern auch im Hinblick auf viele weitere Staaten Europas und letztlich auch die Europäische Union.

Wie das Institut für Föderalismus erhoben hat, haben 65 von 68 Bundesdienststellen ihren Sitz in Wien, darunter sämtliche Ministerien und Höchstgerichte. Demgegenüber ist die Verteilung der Bundeseinrichtungen in Deutschland und in der Schweiz wesentlich ausgewogener. Die Sitzfrage ist insofern von strategischer Bedeutung, weil auch die räumliche Verteilung des höher qualifizierten Personals ein wichtiger Faktor ist.

Die Konzentration eines großen Teils der Verwaltung sowie des tertiären Bildungs- und Forschungssektors in wenigen Großräumen verursacht einerseits eine Überhitzung in den Ballungsräumen und andererseits Entleerungstendenzen in vielen Regionen des Landes. Nach derzeitigen Prognosen sind 30 Prozent der politischen Bezirke und 40 Prozent der österreichischen Gemeinden von einem Bevölkerungsrückgang betroffen (Regionen mit Bevölkerungsrückgang, Rosinak & Partner, Bundesanstalt für Bergbauernfragen und ÖAR Regionalberatung, Oktober 2017). Ähnlich ist die Entwicklung in Europa: Während die Hauptstadtregionen mit großen Wachstumsschüben zu kämpfen haben, müssen sich viele ländliche Räume mit Abwanderungstendenzen und verminderter wirtschaftlicher Prosperität auseinandersetzen. In Österreich ist die reale Entwicklung an den Zahlen der Statistik Austria abzulesen: Die Metropolregion Wien wird bis zum Jahr 2050 um rund 550.000 Personen wachsen, das entspricht dem heutigen Bevölkerungsstand von Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt zusammen.

Eine Reihe europäischer Länder hat mittlerweile beachtliche Dezentralisierungsprogramme im öffentlichen Sektor auf den Weg gebracht, hier einige Beispiele:

-       Bayerische Heimatstrategie: Das Ziel dieser Strategie ist es, gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern zu gewährleisten. Das 2015 gestartete Konzept sieht die Verlagerung von mehr als 50 Behörden und staatlichen Einrichtungen mit 2.225 Beschäftigten und 930 Studierenden in allen Regierungsbezirken Bayerns vor.

-       Dezentralisierung der hessischen Finanzverwaltung: In Hessen verlegt alleine das Finanzministerium 500 Dienststellen in ländliche Regionen. Die derzeitig 28 kleinen Finanzkassen werden zu regionalen Kompetenzzentren ausgebaut und mit zusätzlichen Posten versehen. Konkret werden die Administration der Grunderwerbssteuern und der Körperschaftssteuern sowie der landwirtschaftlichen Betriebsprüfung ausgelagert.

-       Behördenverlagerungen in Schweden: Die schwedische Initiative sieht die teilweise oder gänzliche Verlagerung von insgesamt elf Einrichtungen der Zentralverwaltung aus Stockholm in andere Städte Schwedens vor. Das Ziel ist die Stärkung der ländlichen Räume. Das Projekt wird in zwei Wellen durchgeführt, die zweite Welle wurde im August 2017 beschlossen.

-       Behördenverlagerungen in Finnland: In Finnland läuft die Verlagerungspolitik bereits seit dem Jahr 2002. Die derzeitige Regierung hat sich eine Verlagerung von 4.500 Regierungsstellen zum Ziel gesetzt. Dazu wurde eine „Coordination Group for Relocation of State Functions“ eingerichtet, die die Verlagerungen fachlich begleitet. Jede größere Reorganisation oder Neugründung ist dieser Dienststelle zu melden. Sie hat die Aufgabe, unterschiedliche Dezentralisierungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung operationaler, finanzieller, personeller und regionaler Faktoren zu bewerten und eine Empfehlung für eine effiziente Auslagerung auszusprechen.

-       Behördenverlagerungen in Dänemark: Auch in Dänemark wird die Verlagerung in zwei Wellen durchgeführt. Die erste Welle wurde 2015 mit dem Ziel, 3.900 Stellen zu verlegen, gestartet. Tatsächlich wurden 2.546 Stellen dezentralisiert. Im Jänner 2018 wurde die zweite Welle beschlossen, l.788 Dienstposten sollen aus Kopenhagen in dezentrale Zielorte verlegt werden.

-       In Südtirol wurde die gesetzliche Grundlage für eine Verlagerung von derzeitigen Landesagenden auf die Gemeinden geschaffen; gleichzeitig wurde die Möglichkeit eröffnet, Gemeindesprengel zu bilden, um die Erfüllung neuer Aufgaben durch die Gemeinden sicherzustellen.

-       Europäische Agenturen: Wie ein dezentrales Konzept im hochqualifizierten Bereich dezentral umgesetzt werden kann, demonstriert die Europäische Kommission mit ihren Agenturen seit vielen Jahren. Die 45 Spezialeinrichtungen sind auf 22 Mitgliedsländer und 32 Städte verteilt und funktionieren klaglos.

Auch in Österreich gibt es mittlerweile gute Beispiele. Das Land Niederösterreich verlegt in einem ersten Schritt 500 Dienststellen in ländliche Regionen, ein umfassendes Dezentralisierungskonzept wird gerade erarbeitet. Ein ähnlicher Prozess wurde im Land Salzburg angestoßen; der Start erfolgt mit 200 Dienststellen, an einem nachhaltigen Konzept der Dezentralisierung der Landesverwaltung wird gearbeitet. Im Arbeitsprogramm der Tiroler Landesregierung wird die Dezentralisierung ebenso erwähnt.

Viele Argumente, die früher für eine zentrale Aufgabenwahmehmung gesprochen haben, wurden mit der Digitalisierung hinfällig. Selbst behördenintern wird der Großteil der Kommunikation digital und telefonisch abgewickelt. Zudem sind große Verwaltungsorganisationen und auch Bildungs- und Forschungseinrichtungen inhomogen und die Zentralität ist aus der Sicht von Leistungserbringung, Professionalität und Kundenorientierung vielfach nicht erforderlich. Die Digitalisierung ermöglicht es, die räumlichen Dimensionen neu zu denken und zu planen. Im Sinn einer ganzheitlichen Raumplanung und Raumentwicklung sind die Entscheidungen über den Sitz von Einrichtungen der öffentlichen Hand, die von hoher wirtschaftlicher, aber auch regional- und standortpolitischer Bedeutung sind, einer politischen Bewertung und Diskussion zu unterziehen. Die damit angesprochene Dezentralisierung bedarf einer gewissen Flexibilität der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, insbesondere aber auch intelligenter Übergangs- und Begleitregelungen. In diesem Sinn werden einerseits allgemeine Maßnahmen, wie beispielsweise die Einrichtung bzw. der Ausbau von Verkehrsverbindungen, andererseits auch individuelle Maßnahmen zur Vermeidung persönlicher Härtefälle, wie etwa die Ermöglichung von Teilzeit- und Telearbeitsmodellen nötig werden.

Finanzielle Auswirkungen:

Durch die vorgesehenen Änderungen ergeben sich unmittelbar keine finanziellen Auswirkungen.

Kompetenzgrundlage:

Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes ergibt sich in erster Linie aus Art. 10 Abs. 1 Z 16 B-VG („Einrichtung der Bundesbehörden und sonstiger Bundesämter“).

 

 

Änderung des Bundesministeriengesetzes 1986:

Zu Z 1 (§ 3a):

Bereits nach dem geltenden § 3a BMG 1986 haben die Bundesminister in geeigneter Weise dafür Sorge zu tragen, dass die ihren Bundesministerien nachgeordneten Verwaltungsbehörden, Ämter und Einrichtungen des Bundes so strukturiert sind, dass sie den Grundsätzen der Wirkungsorientierung, Effizienz und Transparenz gemäß Art. 51 Abs. 8 B-VG dienen.

Diese Regelung wird nun dahingehend ergänzt, dass bei der Errichtung einer neuen Dienststelle des Bundes zu prüfen ist, ob diese außerhalb der Bundeshauptstadt angesiedelt werden kann.