73 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 266/A(E) der Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend umfassende Pflegereform

Die Abgeordneten Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 22. Jänner 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit ist ein Risiko, das nicht jeden trifft, aber aufgrund der demographischen Entwicklung immer mehr Menschen in Österreich betreffen wird und diese Betroffenen langfristig auf hochwertige Betreuung und Pflege angewiesen sein werden. Um zu verhindern, dass Pflegebedürftigkeit zu Altersarmut führt, wurde als erster Schritt der Pflegeregress abgeschafft. Weitere Schritte in Form einer umfassenden, zukunftsfitten Pflegereform müssen nun folgen.

Das Regierungsprogramm beinhaltet zwar einzelne Ansätze, bleibt aber in den wichtigsten Punkten – einheitliches Pflegesystem, garantierte Finanzierung der Pflegeleistungen, etc. – Antworten schuldig.

Bundesweit einheitliches Pflegesystem

Es braucht anstelle von neun unterschiedlichen Systemen bundesweite Festlegungen: welche Leistungen, welche Angebote sollen in welcher Qualität und Quantität zu welchen Kosten verfügbar sein. Damit kann man Transparenz und Vergleichbarkeit für alle sicherstellen.

Pflege qualitativ ausbauen und die Qualität sicherstellen kann nur durch eine gesamtheitliche Steuerung der Pflege geschehen, die Rücksicht auf regionale Gegebenheiten nimmt und Mindestkriterien festlegt sowie unabhängig kontrolliert.

Garantierte Finanzierung des Pflegeangebotes durch Pflegegarantiefonds

Die Finanzierung aus einem Topf ist ein wichtiger Baustein dazu. Derzeit besteht der Pflegefonds als Provisorium und dient als Ausgleichfonds für die Sozialhilfeträger. Dieser Fonds muss umgestaltet und dauerhaft finanziert werden.

Am wichtigsten aber: Er muss für die Menschen spürbar werden!

Durch Schaffung eines Pflegegarantiefonds sollen die Mitteln der Länder und des Bundes zusammengeführt und durch eine zweckgewidmete Besteuerung von Vermögen (Erbschaften, Schenkungen) deutlich erhöht werden.

Aus diesem Fonds sollen alle Pflegeleistungen den Pflegebedürftigen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Menschen muss in einer Pflegesituation unverzüglich die erforderliche Pflegeleistung vor allem auch durch Ausbau alternativer und mobiler Betreuung und Pflege garantiert werden können und diese Leistungen sollen in Hinkunft ohne zusätzliche Kosten für die Pflegebedürftigen zur Verfügung gestellt werden.

Dazu braucht es einen niederschwelligen Zugang zu Leistungen. Fachkundige Personen, die vor Ort alle Leistungen koordinieren: rasche Auskunft über alle Angebote und Möglichkeiten, Beratung und Hilfestellung im eigenen Heim, Aufnahme des Pflegebedarfs durch geschultes Personal.


 

Pflegeservicestelle

Eine trägerunabhängige Pflegeservicestelle soll daher in allen Bundesländern als einheitliche Anlaufstelle vor Ort eingerichtet werden. Sie gewährleistet:

•       die Evaluierung des individuellen Pflegebedarfs,

•       Auskunft über alle Angebote und Möglichkeiten vor Ort auf Basis der Evaluierung,

•       Beratung über die richtige Auswahl unter den verschiedenen Angeboten,

•       die Abwicklung der Behördenwege bei stationärer Pflege bzw. direkte Kontaktaufnahme mit den Einrichtungen bei mobiler Pflege,

•       begleitenden Betreuung durch die gesamte Pflegephase – laufende Evaluierung des tatsächlichen Pflegebedarfs, Vorschlag neuer Angebote, z.B.: Umstellung von mobiler Pflege zu stationärer Pflege,

•       Abwicklungshilfe bei der Beantragung des Pflegegeldes

Das Ziel einer Pflegeservicestelle ist die Steuerung der gesamten Abwicklung von der Bedarfserhebung bis zur Hilfe bei der Beantragung des Pflegegeldes. Es soll als echte Serviceeinrichtung die Bürgerinnen und Bürger unterstützen und zwar nicht nur zu Beginn, sondern auch während der gesamten Zeit der Pflege. Das Pflegeservicecenter sowie seine Leistungen werden aus dem Pflegegarantiefonds bezahlt.

Wenn wir von einer Weiterentwicklung und Verbesserung der Pflege in Österreich reden, dann muss das Thema Qualitätssicherung auf der Prioritätenliste ganz oben stehen. Das gilt sowohl für die stationäre Pflege in Pflege- und Altenheimen als auch in der Pflege und Betreuung zuhause.

Pflegequalitätsgesetz

In Österreich existieren keine bundesweit einheitlichen Qualitätskriterien – weder für die stationäre Pflege, noch für die Pflege zuhause. Nur eine bundesgesetzliche Verankerung von Qualitätsstandards inklusive verpflichtender Kontrollen stellt sicher, dass alle Pflegebedürftigen in Österreich eine qualitativ hochstehende Pflegeversorgung auf gleichem Niveau erhalten.

Dafür ist es auch erforderlich, einen               Personalbedarfsschlüssel (z.B. ab welcher Anzahl an Pflegebedürftigen, bei welcher Pflegestufe brauche ich wie viel und wie qualifiziertes Personal) zu errechnen und festzulegen.

Es geht auch darum, wie die             Privatsphäre der Betroffenen gewahrt werden kann, Barrierefreiheit herzustellen, Aktivierungs- und Beschäftigungsangebote für Pflegebedürftige anzubieten
(z.B. Maßnahmen zur Sturzprophylaxe).

Es bedarf eines professionellen Beschwerdemanagements (mündlich, schriftlich, anonym) und einheitlicher, regelmäßiger Kontrollen, ob die Standards eingehalten werden. Zusätzlich auch Gewaltpräventionskonzepte als Voraussetzung für die Genehmigung und den Betrieb von Pflegeheimen.

Pflegende Angehörige

Pflege durch Angehörige passiert – das wissen wir! Und wie wir auch wissen -  hauptsächlich durch Frauen. Wir müssen daher die Augen aufmachen und diesen Personen jede mögliche Hilfe zuteilwerden lassen.

Laut einer Studie im Auftrag des Sozialministeriums aus 2018 gibt es rund 950.000 pflegende Angehörige in Österreich. Aus dieser Studie ergibt sich, dass pflegenden Angehörigen überwiegend weiblich (73 % davon sind Frauen), die Mehrheit ist bereits in Pension (53 %) und 31 % erwerbstätig sind.

13 % haben ihre Berufstätigkeit für die Pflege und Betreuung ganz aufgegeben und 15 % haben sie eingeschränkt.

In Zahlen bedeutet das, dass wir im häuslichen Bereich rund 250.000 und in Pflegeheimen rund 57.000 berufstätige Angehörige in Österreich haben, also über 300.000 Personen im berufsfähigen Alter, die Angehörige pflegen.

Wie sind nicht in Pension befindliche pflegende Angehörige abgesichert:


 

Derzeit gibt es 4 Möglichkeiten:

1.      Sozialhilfe

2.      Kostenlose Selbstversicherung §18b ASVG

3.      Pflegekarenz oder Pflegeteilzeit – allerdings nur 3 Monate (mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit auf 6 Monate nur bei erneuter Erhöhung der Pflegestufe) und seit 1.1.2020 mit Rechtsanspruch

4.      Familienhospizkarenz – 3-6 Monate, Rechtsanspruch und Kündigungsschutz – aber nur auf diesen Zeitraum befristet.

Seit Kurzem gibt es allerdings im Burgenland eine 5. Möglichkeit: das ‚Modell Burgenland‘: Pflegende Angehörige können ihre Leistungen in einem Dienstverhältnis erbringen. Sie müssen eine Grundausbildung absolvieren und es besteht auch die Möglichkeit für eine weiterführende Heimhilfe-Ausbildung, was der betreuenden und pflegenden Person die Chance einräumt, in einem Sozial- und Gesundheitsberuf weiterhin tätig zu sein.

Das ‚Modell Burgenland‘ ist ein innovativer Ansatz, den man ausbauen kann. Zunächst sollte eine Evaluierung durchgeführt werden um eventuelle Schwächen zu beseitigen und danach sollten Möglichkeiten einer bundesweiten Einführung geprüft werden.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 5. März 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Verena Nussbaum die Abgeordneten Dietmar Keck, Mag. Christian Ragger,
Mag. Gerald Loacker, Bedrana Ribo, MA, Mag. Ernst Gödl, Dr. Dagmar Belakowitsch,
Mag. Markus Koza und der Ausschussobmann Abgeordneter Josef Muchitsch.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Bedrana Ribo, MA, Mag. Ernst Gödl, Kolleginnen und Kollegen einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Berücksichtigung der Vorschläge in der Pflege-Taskforce des Sozialministeriums eingebracht, der einstimmig beschlossen wurde.

 

Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Pflege ist gesamtgesellschaftlich gesehen eine der zentralsten Fragen der Zukunft des österreichischen Sozial- und Gesundheitssystems.

Das Regierungsprogramm befasst sich im Kapitel Pflege ausführlich mit der vorgesehenen Reform des Pflegesystems und sieht in der Einleitung und in den Grundsätzen sowie in den Handlungsfeldern Unterstützung pflegender Angehöriger, Finanzierung, Weiterentwicklung des Pflegegeldes, Personal und Ausbildung sowie Chancen der Digitalisierung eine detailliere Liste vielfältiger Maßnahmen vor, darunter die Einrichtung einer ‚Task Force Pflege‘. Der Reformarbeit kann und soll aber nicht durch Herausgreifen von nicht zusammenhängenden Einzelaspekten vorgegriffen werden. Dennoch sind alle sinnvollen Vorschläge grundsätzlich willkommen und sollen in den Beratungen zur Umsetzung der Pflegereform diskutiert, geprüft und bewertet werden. Die Pflegereform eignet sich aber im Hinblick auf ihre Bedeutung nicht für parteipolitisches Hickhack.“

 

Der den Verhandlungen zu Grunde liegende Entschließungsantrag 266/A(E) der Abgeordneten
Josef Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen fand keine Stimmenmehrheit (für den Antrag: S, F,
dagegen: V, G, N).

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Bedrana Ribo, MA gewählt.


 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.      diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 266/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.      die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2020 03 05

                               Bedrana Ribo, MA                                                               Josef Muchitsch

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann