85 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

Berichtigte Fassung vom 29. April 2020

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses

über den Antrag 75/A(E) der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sofortmaßnahmen für Syrien

Die Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 29. November 2019 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Am 9. Oktober 2019 begann die türkische Armee Luft- und Artillerieangriffe auf syrischem Staatsgebiet auszuführen, die am darauffolgenden Tag mit dem Einmarsch türkischer Bodentruppen und verbündeter Milizen fortgesetzt wurde. Während die türkische Regierung argumentiert, es handle sich bei dem Angriff um Selbstverteidigung gegen eine immanente terroristische Bedrohung durch kurdische Milizen und den IS, verurteilten Kritiker_innen den Angriff als klar völkerrechtswidrig. So schreiben etwa die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am 17. Oktober 2019: "Mangels erkennbarer Rechtfertigung stellt die türkische Offensive im Ergebnis offensichtlich einen Verstoß gegen das Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta dar. Nachdem die Vertragsstaaten des Römischen Statuts im Dezember 2017 die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Bezug auf das Aggressionsverbrechen (crime of aggression) ausgedehnt haben, kann der IStGH nun gemäß Art. 15ter des Rö-mischen Statuts auch über die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit von staatlichen Führungsorganen in Bezug auf das Verbrechen der Aggression ent-scheiden. Der Völkerstrafrechtler Claus Kreß sieht daher die rechtliche Möglich-keit zu Vorermittlungen gegen den türkischen Präsidenten Erdoğan wegen der Militäroperation „Friedensquelle“, sofern der VN-Sicherheitsrat gemäß Art. 13 lit. b) des Römischen Statuts den Fall an den IStGH überweisen sollte."

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, über "erdrü-ckende Beweise für willkürliche Angriffe in Wohngebieten" zu verfü-gen. Amnesty-Generalsekretär Kumi Naidoo bescheinigte der türkischen Armee und ihren syrischen Verbündeten eine "vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben von Zivilisten". Dem Amnesty-Bericht zufolge griffen die von Ankara kontrollierten Streitkräfte unter anderem ein Wohnhaus, eine Bäckerei und eine Schule an. Amnesty beruft sich dabei auf Videoaufnahmen sowie Aussagen von 17 Zeug_innen, unter ihnen Rettungskräfte, medizinisches Personal, humanitäre Helfer_innen, Vertriebene und Journalist_innen.

Die Situation der Zivilbevölkerung im Kampfgebiet ist katastrophal. Der UNHCR spricht von einer weiteren Zunahme des menschlichen Leidens in der ohnehin größten Flüchtlingskrise der Welt und von hunderttausenden Zivilist_innen, die von den Kämpfen betroffen sind und weist darauf hin, dass besonders die sin-kenden Temperaturen die Situation noch weiter drastisch verschlimmern.

Während des Höhepunktes der Flüchtlingskrise ab 2015 machte Europa die Er-fahrung, dass die mangelnden finanziellen Mittel für internationale humanitäre Hilfe sowie ein Mangel an Strukturen für Direct Resettlement zu unkontrollierten Fluchtbewegungen und einer noch drastischeren Eskalation der Lage führten. Der österreichische Beitrag zur Linderung des Leidens der Menschen in der be-troffenen Region und zur Unterstützung jener Staaten, die Flüchtlinge aufnah-men und immer noch aufnehmen ist weiterhin erschütternd gering. Bei Festle-gung des jährlichen Budgets für den österreichischen Auslandskatastrophen-fonds versicherten die damaligen Mitglieder der Bundesregierung, dass der Fonds "wenn notwendig" durch Rücklagen und zusätzliche Mittel aufgestockt würde. Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass die Situation im Norden Syriens eine solche Aufstockung rechtfertigt.“

 

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 10. März 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Dr. Reinhold Lopatka, Mag. Jörg Leichtfried und Michel Reimon, MBA.

 

Die Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen brachten einen Abänderungsantrag ein. Weiters brachten die Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kollegen und Kolleginnen einen selbständigen Entschließungsantrag gemäß §  27 Abs. 3 GOG-NR betreffend eine substantielle Aufstockung der humanitären Hilfe für Syrien, die Flüchtlingsbetreuung an der türkisch-griechischen Grenze und in den griechischen Flüchtlingslagern ein.

Schließlich brachten auch die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Kolleginnen und Kollegen einen selbständigen Entschließungsantrag gemäß § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Maßnahmenpaket Syrien und Griechenland ein, der wie folgt begründet war:

„Der Krieg in Syrien, vor allem die Kämpfe in der Provinz Idlib, haben zu einer der schlimmsten humanitären Katastrophen geführt. Schätzungen zufolge befinden sich 980.000 Menschen auf der Flucht; die meisten davon sind Frauen, Kinder und Familien. Seit Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien nimmt Griechenland aufgrund seiner geographischen Lage und EU-Außengrenze die meisten Asylsuchenden auf. Die Mehrheit von ihnen kommt aus den der Türkei vorgelagerten Inseln in der Ägäis an. Laut Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) sind dieses Jahr bereits 8.432 Personen über die Seegrenze nach Griechenland gelangt (Stand 2. März 2020). Die Kapazität der auf diesen Inseln errichteten Flüchtlingsunterkünfte ist mit mehr als 41.000 Personen weit ausgereizt. Das UNHCR macht seit längerem auf die katastrophalen Zustände in diesen Camps aufmerksam.

Ordnung und Humanität gehören zusammen. Um Griechenland zu entlasten, muss neben dem EU-Außengrenzschutz auch der Flüchtlingsschutz umfassend gewährleistet werden. Neben Sofortmaßnahmen zur Schaffung menschenwürdiger Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften sowie fairer und rascher Verfahren für die Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln, gilt es langfristig nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Die Unterstützung der griechischen Asylbehörden in Abstimmung mit EASO bei der Registrierung der Schutzsuchenden und der Durchführung der Asylverfahren würde die Situation an der griechisch-türkischen Grenze wesentlich entschärfen; ebenso der Einsatz von österreichischem medizinischem und psychologischem Know-how in den griechischen Flüchtlingslagern, auf Basis des von Griechenland definierten Bedarfs.

Die österreichische Bundesregierung hat sich im Regierungsprogramm ausdrücklich dazu bekannt, sich weiterhin für eine gemeinsame europäische Lösung der Asylfrage auf Basis eines kohärenten rechtlichen Rahmens und einheitlichen Standards für menschenrechtskonforme Verfahren, Aufnahme und Rückführung (entsprechend der geltenden EU-Richtlinien) einzusetzen. Darüberhinaus sieht das Regierungsprogramm vor, UNHCR und andere Hilfsorganisationen in Krisenregionen zur Bewältigung von Flüchtlingskrisen vor Ort zu unterstützen.

Die € 3 Mio. aus dem AFK für Nordwestsyrien, die dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zur Linderung der humanitären Situation in Syrien zur Verfügung gestellt wurden, sowie die € 1 Mio für den UNHCR zur Linderung der Flüchtlingskrise in Griechenland sind als erster wichtiger Schritt und Teil eines Maßnahmenpakets zu verstehen.“

 

Bei der Abstimmung fand der Antrag 75/A(E) der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sofortmaßnahmen für Syrien in der Fassung des vorerwähnten Abänderungsantrages nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: N, dagegen: V, S, F, G).

 

Der von den Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte selbständige Entschließungsantrag gemäß § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend eine substantielle Aufstockung der humanitären Hilfe für Syrien, die Flüchtlingsbetreuung an der türkisch-griechischen Grenze und in den griechischen Flüchtlingslagern fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: S, N, dagegen: V, F, G).

Der selbständige Entschließungsantrag gemäß § 27 Abs. 3 GOG-NR der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Reinhold Lopatka, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmenpaket Syrien und Griechenland wurde mit Stimmenmehrheit (für den Antrag: V, S, G, N, dagegen: F) angenommen.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.      diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 75/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.      die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2020 03 10

                            Dr. Reinhold Lopatka                                             Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau