262 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 610/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausführungsgesetze zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz und Adaptierung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes in COVID-19-Zeiten

Die Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 29. Mai 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

Einzelne Bundesländer wie insbesondere das rot-grün regierte Bundesland Wien haben die Nichtumsetzung der Bestimmungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SH-GG) seit dessen Inkrafttreten damit begründet, dass man ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu diesem Gesetz abwarten müsse und erst dann eine Ausführungsgesetzgebung entsprechend umsetzen werden.

Im diesbezüglichen VfGH-Erkenntnis vom Dezember 2019 wurden lediglich 3 von 13 angefochtenen Gesetzespassagen teilweise aufgehoben. Alle anderen 10 angefochtenen Gesetzespassagen und insbesondere auch die nicht angefochtenen Gesetzespassagen blieben vom VfGH-Erkenntnis ausdrücklich unangetastet und damit weiterhin in Kraft.

Zum VfGH-Erkenntnis (G 164/2019) ist inhaltlich darüber hinaus folgendes anzuführen:

1.      Der VfGH widerspricht sich selbst. Noch vor einem Jahr wurde zur oberösterreichischen Mindestsicherung (VfGH 11.12.2018, G 156/2018 ua) eine funktionsgleiche degressive Staffelung von Sozialleistungen bei einer hohen Kinderanzahl, die ja zusätzlich zur ohnehin bestehenden Familienbeihilfe ausbezahlt werden, als zulässig anerkannt.

2.      Der VfGH negiert den klaren sachlichen Zusammenhang zwischen Spracherwerb und Berufsqualifikation. Das ist eine weltfremde Botschaft aus dem Elfenbeinturm.

3.      Für die aufgehobenen Regelungen können funktionsgleiche Ersatzregelungen getroffen werden, die den Spruch des VfGH berücksichtigen.

Das SH-GG ist ein Auftrag an die Landesgesetzgebung. Demzufolge werden Oberösterreich und Niederösterreich ihre bereits erlassenen Ausführungsgesetze in puncto ‚Kinderzuschläge‘ und ‚Arbeitsqualifizierungsbonus‘ anzupassen haben, wobei eine Ersatzregelung in Bezug auf die Kinderzuschläge relativ leicht umzusetzen ist. Sämtliche anderen Bundesländer sind und bleiben aber verpflichtet, alle übrigen Regelungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes durch Ausführungsgesetze umzusetzen.

Zahlreiche Regelungen des SH-GG, die der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung im Gesetzwerdungsprozess ein Anliegen waren, wurden gar nicht angefochten, darunter etwa:

-       Die Unzulässigkeit der gleichzeitigen Auszahlung von Mindestsicherung und Wohnbeihilfe, wie bisher etwa in Wien üblich (§ 2 Abs. 5 SH-GG).

-       Die Unzulässigkeit, Sperren des AlVG-Arbeitslosengeldes, die durch das Arbeitsmarktservice (AMS) veranlasst werden, zu 100 Prozent durch Mindestsicherung auszugleichen, wie es in Wien oft vorkam (zur Vermeidung von Härtefällen bleibt ein Ausgleich von bis zu 50 Prozent zulässig, § 7 Abs. 3 SH-GG).

-       Die Verpflichtung des Landesgesetzgebers, ein wirksames Kontroll- und Sanktionensystem zu schaffen und aufrechtzuerhalten (§ 9 Abs. 1 und 2 SH-GG).

Darüber hinaus sind die vor dem VfGH angefochtenen, aber verfassungskonformen Regelungen des
SH-GG anzuführen:

-       Fremdenrecht

-     Der Ausschluss von Fremden vor Ablauf von fünf Jahren tatsächlichem und rechtmäßigem Aufenthalt in Österreich (mit Ausnahme von Asylberechtigten und erwerbstätigen Unionsbürgern, wobei hier aber erstmals die Fremdenbehörde im Verfahren anzuhören ist). Subsidiär Schutzberechtigte werden österreichweit auf das Niveau der Grundversorgung beschränkt. Ausreisepflichtige bzw. bloß geduldete Fremde sind überhaupt von jeder Leistung auszuschließen (§ 4 SH-GG). Hier sieht etwa das Land Wien derzeit großzügigere Regelungen vor, die nun entsprechend anzupassen sein werden.

-     In Voraussicht einer möglichen späteren Aufhebung des Arbeitsqualifizierungsbonus wurde die Pflicht zur Absolvierung einer B1-Integrationsprüfung des ÖIF sowie zur vollständigen Teilnahme, zur gehörigen Mitwirkung und zum Abschluss eines Werte- und Orientierungskurses auch in § 16c Abs. 1 IntG verankert. Eine schuldhafte Verletzung von Integrationspflichten gemäß § 6c Abs. 1 IntG ist mit Leistungskürzungen im Ausmaß von zumindest 25 Prozent über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten zu sanktionieren (§ 9 Abs. 3 SH-GG). Das bedeutet, dass etwa ein alleinlebender Asylwerber, der 900 Euro Mindestsicherung beziehen will, sich aber fahrlässig oder vorsätzlich weigert, Deutsch bis auf B1-Niveau zu lernen oder Wertekurse zu besuchen, mit einer Anzeige des ÖIF an die Sozialbehörden der Länder und sodann mit einem Abzug auf zumindest 625 Euro für mindestens drei Monate zu rechnen hat.

-       Sachleistungen

-     Der grundsätzliche Vorrang von Sachleistungen ist verfassungskonform (§ 3 Abs. 5 SH-GG), ebenso die Wohnkostenpauschalregelung (§ 5 Abs. 5 SH-GG).

-     Die zwangsweise Befristung von Bescheiden mit 12 Monaten (zur effektiven Vermeidung mehrjähriger Fortzahlungen ohne jedweder neuerlichen Prüfung) ist verfassungskonform
(§ 3 Abs. 6 SH-GG).

-     Auch der Grundsatz der verpflichtend degressiven Staffelung von Sozialhilfeleistungen je nach Größe der Haushaltsgemeinschaft, aber auch diesbezügliche Höchstgrenzen für Erwachsene bleiben bestehen (100 % / 70 % / 45 %). Gleiches gilt für die strenge Definition, welche Formen des wirtschaftlichen Zusammenlebens bereits als Haushaltsgemeinschaft einzustufen sind sowie für die Haushaltsdeckelung an Geldleistungen, die Erwachsenen-Wohngemeinschaften beziehen, auf dzt. ca. 1.575 Euro (§ 5 SH-GG).

Für die durch den VfGH beanstandeten und aufgehobenen Regelungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bestehen auf der Ebene der Bundesgesetzgebung ebenfalls rasch umsetzende Varianten einer verfassungskonformen Sanierung:

-       Die degressive Staffelung für Kinderzuschläge: Eine mögliche jedenfalls verfassungskonforme Variante ist bereits vorgezeichnet: Da die von den Anfechtungswerbern behauptete Überdeterminierung des Grundsatzgesetzes letztlich in keinem Punkt beanstandet wurde, dürfte wohl auch die vollinhaltliche Übernahme der Haushaltsdeckelregelung des Oö. MSG nicht zu beanstanden sein. Ebenso könnte etwa ein einheitlicher prozentueller Zuschlag pro Kind vorgesehen werden.

-       Arbeitsqualifizierungsbonus:  Eine mögliche jedenfalls verfassungskonforme Variante könnte darin bestehen, dass die Pflichten nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) und/oder dem Integrationsgesetz (IntG) weiter präzisiert und engmaschig verschärft werden, sodass im Ergebnis nur jene Asylberechtigten eine volle Leistungshöhe beanspruchen können, die in Vollzeit mit der Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse bzw. weiterer Arbeitsqualifizierung beschäftigt sind. Ebenso ist es durchaus denkbar, für die Inanspruchnahme von ÖIF-Kursangeboten des Staates einen direkten Selbstbehalt vorzusehen.

-       § 1 Abs. 1 Sozialhilfe-Statistikgesetz: Dieses technische Detail ist durch die geforderte nähere Konkretisierung problemlos zu reparieren. Eine Reparatur könnte aber entbehrlich sein, da die Länder ohnehin in ihren Ausführungsgesetzen entsprechende Verpflichtungen zur zwischenbehördlichen Datenweitergabe vorzusehen haben (§ 8 SH-GG).

 

Die Tageszeitung ‚Der Standard‘ hat eine interessante Studie der Princeton University an die Öffentlichkeit gebracht, die einen nachhaltigen Einblick in die innerösterreichische Migrationswanderung von den Bundesländern in die Bundeshauptstadt Wien offenlegt:

https://www.derstandard.at/story/2000114779084/wien-zieht-mit-hoeherer-sozialhilfe-fluechtlinge-an

Dazu kommentiert Redakteur Andreas Schnauder unter dem Titel ‚Pull-Effekt der Sozialhilfe: Falsche Anreize‘:

Dass ein kleines Land derartige Unterschiede aufrechterhält, mag typisch österreichisch sein, macht es aber auch nicht besser. Die unterschiedlichen Leistungen sorgen nicht nur dafür, dass Asylberechtigte wandern. Es gibt auch – abseits der Studie – einen Pull-Effekt aus der Beschäftigung in die Mindestsicherung. Das ist der Fall, wenn Jobs schlecht bezahlt sind – man denke nur an Küchengehilfen. Für geflüchtete Familien kann es attraktiver sein, in Wien von Sozialleistungen zu leben, als in Tirol von Arbeit.

Die FPÖ hat dazu einen klaren Standpunkt, den Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch so formulierte:

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200220_OTS0035/fpoe-belakowitsch-neue-studie-zeigt-wiener-mindestsicherung-zieht-asylberechtigte-an

Diese Langzeitstudie zweier unabhängiger Wissenschaftler zeigt eindeutig, dass die Reise in Sachen Mindestsicherung in die falsche Richtung gegangen ist. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass das unter Türkis-Blau 2019 beschlossene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz in allen österreichischen Bundesländern umgesetzt werden muss. Die vom VfGH monierten Änderungen sind in einer Novelle leicht durchzuführen und insbesondere das rot-grün geführte Wien hätte keine Ausrede mehr, die Ausführungsgesetzgebung vorzulegen.

Dazu ist aber insbesondere die ÖVP auf Bundesebene aufgerufen, hier endlich gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner dieses Projekt auch weiter zu verfolgen und umzusetzen. Als FPÖ würden wir im ‚koalitionsfreien Raum‘ hier auch sachpolitisch unterstützend dazu beitragen, dass das sinnhafte und notwendige Sozialhilfe-Grundsatzgesetz endlich bundesweit inklusive Ausführungsgesetzen in Kraft treten kann. Verschweigt sich die ÖVP hier weiterhin und verabschiedet sie sich von diesem Reformschritt, dann würde das wieder einmal zeigen, dass hier nach hinlänglich bekannter ÖVP-Methode wieder nur Wasser gepredigt und Wein getrunken wird.

-       Für Sozialhilfebezieher und –bezieherinnen wurde auch ein neues Leistungsrecht etabliert, das Zuschläge für besonders schützenswerte Personengruppen (Alleinerziehende und Menschen mit Behinderung) vorsieht.

-       Auch die Abdeckung nachweislich höherer Wohnkosten (Wohnkostenpauschale) wurde zusätzlich möglich gemacht, ebenso die Gewährung von Zusatzleistungen im Härtefall für Sonderbedarfe.

Alle diese sinnvollen und notwendigen Maßnahmen wurden durch die Nichtumsetzung der Ausführungsgesetzgebung in einzelnen Bundesländern verhindert. Gerade in Konfrontation mit den Auswirkungen der COVID-19-Krise und ihren sozialen Folgen sollte daher im Interesse jener, die unverschuldet in Not geraten sind und die ihren Beitrag ins Sozialsystem über viele Jahre geleistet haben, eine rasche Adaptierung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes und Umsetzung in den Ausführungsgesetzen erfolgen.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 25. Juni 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Mag. Hannes Amesbauer, BA die Abgeordneten Mag. Michael Hammer,
Gabriele Heinisch-Hosek, Mag. Markus Koza, Peter Wurm, Rebecca Kirchbaumer sowie der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober und der Ausschussobmann Abgeordneter Josef Muchitsch.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten
Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen keine Stimmenmehrheit (für den Antrag: F, dagegen: V, S, G, N).

 

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Mag. Markus Koza gewählt.


 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2020 06 25

                              Mag. Markus Koza                                                              Josef Muchitsch

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann