317 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Unterrichtsausschusses

über den Antrag 696/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Sonja Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen betreffend "Bildungsmilliarde: die Zukunft unserer Kinder ist systemrelevant" 

Die Abgeordneten Mag. Dr. Sonja Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 17. Juni 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Koste es, was es wolle“ hat die Bundesregierung angekündigt, um die Folgen der Corona-Krise auf allen Ebenen zu entgegnen. Die Realität ist jedoch: die Hilfe für die Betriebe kam zu zögerlich, zu gering und zu bürokratisch. Die Folge: Österreich hat fast 600.000 Arbeitslose, viele hätten mit treffsicherer Hilfe der Bundesregierung verhindert werden können.

Insgesamt wurden 42 Mrd. Euro an Hilfsgeldern versprochen. Nach und nach wurden besondere Hilfspakete für einzelne Branchen und Betroffene vorgestellt:

-       Ein 500 Mio. Euro schweres Wirtshauspaket, davon 25 Mio. Euro für die Abschaffung der Schaumweinsteuer

-       Odermweitere 700 Mio. Euro für KünstlerInnen und Non-Profit-Organisationen

-       Einveigens für Bäuerinnen und Bauern durch die AMA abgewickelter Topf im Rahmen des Härtefallfonds

Und die Kinder? Und Eltern? Sie wurden in der Corona-Krise zu BittstellerInnen degradiert, die nur darauf „hoffen“ konnten, dass sie ihre Kinder in die Schulen und Kindergärten bringen „dürfen“. Generell muss man leider sagen: die Regierung hat bisher den Kindern nur wenig Priorität geschenkt. Erst nach massivem öffentlichen Druck wurde ein Plan für Schulen vorgelegt. Den Eltern und Kindern wurde dabei einiges abverlangt. Erschwerend kommt hinzu: für Kinder und Eltern sucht man vergebens nach einem Hilfspaket, obwohl doch unbestritten ist, dass die Zukunft unserer Kinder systemrelevant ist!

Dabei hat die Corona-Krise unser Bildungssystem und unsere Kinder besonders hart getroffen. Die Wochen der Schulschließungen haben viele an ihre Grenzen gebracht. Die Mammutaufgabe beginnt aber an den Schulen erst so richtig. Nicht nur, weil es eine immense Herausforderung ist, den Schulalltag im restlichen Schuljahr mit seinen neuen Corona-Regeln zu organisieren. Sondern auch, weil die Wochen der Schulschließungen Probleme und Defizite unseres Schulsystems erst so richtig deutlich gemacht haben. Leider hat Bildungsminister Faßmann schon in der Kurz/Strache Regierung bei der Digitalisierung wertvolle Zeit verstreichen lassen. Noch unter Bildungsministerin Hammerschmid wurde ein umfangreiches Konzept zur Schule 4.0 fertig auf den Tisch gelegt. Man hätte es nur weiter umsetzen müssen, leider wurde dies unter Schwarz-Blau gestoppt. Und auch seit dem Schließen der Schulen hat Minister Faßmann sehr zögerlich reagiert. Laptops wurden erst Mitte April bestellt, und das nur für die Bundesschulen. Die Zivilgesellschaft musste vielerorts einspringen, um Geräte für Kinder zur Verfügung zu stellen. 12.000 Laptops für mehr als 1,1 Mio. SchülerInnen, die erst nach zwei Monaten der Schulschließung überhaupt bei den Kindern ankamen, waren zu wenig. Die Folgen: 16% der SchülerInnen gaben in der aktuellen Studie der Uni Wien [Schober, Barbara/ Lüftenegger, Marko/ Spiel, Christiane (2020): Lernen unter COVID-19-Bedingungen: https://lernencovid19.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_lernencovid19/Zwischenergebnisse_Schueler_innen.pdf] an, im Home-Schooling kein eigenes digitales Endgerät zur Verfügung gehabt zu haben.

In der Befragung von SchülerInnen (zwischen 10 und 19 Jahren) ergab sich, dass sie sich durchschnittlich 5 Stunden pro Tag mit schulbezogenen Aktivitäten auseinandersetzten, ein Viertel der SchülerInnen jedoch weniger als 3,5 Stunden. 21% erhielten laut Studie der Uni Wien keine Unterstützung beim Lernen durch die Familie, 7% gab an, gröbere Probleme bei der Bewältigung der schulischen Anforderungen im Home-Learning zu haben. Unser Bildungssystem ist im internationalen Vergleich ohnehin von starken Bildungsungleichheiten geprägt. Die Bildungsschere droht noch weiter aufzugehen und das vorgelegte – zu Vor-Coronazeiten unveränderte - Budget wird nicht reichen, um die Herausforderungen zu meistern.

Die vom Ministerium nun angekündigten Summer Schools sind zwar positiv, aber bloß ein kleiner erster Schritt in die richtige Richtung, der aber sicher nicht ausreichen wird, damit jene Kinder, die im Home-Schooling nicht erreicht werden konnten bzw. dadurch zurückgefallen sind, das wieder aufholen können. Ein großer Wermutstropfen ist, dass nur Deutsch angeboten wird, nicht aber alle Hauptgegenstände. Vor allem in Mathematik bräuchte es dringend mehr Unterstützung, ist es doch das Schulfach, wo mit Abstand am häufigsten Nachhilfe benötigt wird, wie der AK-Nachhilfemonitor gezeigt hat. Auch die schlechten Ergebnisse bei der Mathematikmatura verdeutlichen: hier brauchen Schülerinnen und Schüler dringend mehr Unterstützung.

Es braucht daher dringend ein umfassendes Corona-Schulpaket und eine Bildungsmilliarde. Die Gesundheitskrise jetzt droht ansonsten eine Schulkrise zu werden! Der Ruf zur Normalität zurück zu kehren, bedeutet eine Rückkehr zum Mittelmaß. Dabei könnte die Krise durchaus auch eine einmalige Chance sein, unser Schulsystem umzukrempeln und zu zeigen: Schule könnte auch ganz anders, vor allem besser sein! Der Erfolg der Kinder darf nicht länger vom Talent und Einkommen der Eltern abhängen. Es braucht daher eine Bildungsmilliarde, aus der folgende Maßnahmen finanziert werden:

1. Zusätzliche 100 SchulpsychologInnen und SchulsozialarbeiterInnen: SchülerInnen müssen derzeit nicht nur eine Gesundheits- sondern auch eine soziale Krise bewältigen. Viele Familien sind von Stress, Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen betroffen. Viele sind mit der Situation bisher erstaunlich gut umgegangen, aber bei einigen haben sich in den eigenen vier Wänden belastende Situationen abgespielt. Schule ist nicht nur Lern- sondern auch Sozialraum, der Kinder unterstützen soll.

2. Gratis Tablet oder Laptop für alle SchülerInnen und endlich Umsetzung eines umfassenden Digitalisierungsplans. Was unter Bruno Kreisky das gratis Schulbuch war, ist heute der gratis Laptop oder Tablet. Die Digitalisierung muss fixer Bestandteil der Schule werden. Damit alle Kinder daran teilnehmen können, braucht es eine entsprechende Ausstattung. Der Sommer sollte auch für Schulungen des Lehrpersonals genutzt werden.

3. Ausbau der schulischen Ferienbetreuung und attraktive Summer Schools: Die nahenden Sommerferien mit 9 Wochen schulfrei stellen Familien vor erneute Probleme. Viele Eltern haben die Betreuung in den letzten Wochen mit dem Aufbrauchen von Zeitguthaben und Urlaubstagen überbrückt, nach 6 Wochen ist ein Großteil davon jedoch aufgebraucht. Laut SORA-Umfrage hat rund die Hälfte der Eltern für die Kinderbetreuung ihren Urlaub bereits verbraucht, jeder Vierte schätzt, im Sommer nun nicht genug Urlaubstage für Kinderbetreuung zu haben. Der Bildungsminister muss jetzt rasch schulische Angebote für die Sommerferien organisieren. Dort soll auch Lernbetreuung angeboten werden – v.a. für jene, die in den letzten Wochen beim Home-Schooling nicht erreicht werden konnten. Das von der Bundesregierung vorgestellte Konzept reicht bei weitem nicht aus. Als Vorbild dient das Angebot der Stadt Wien, das seine „Summer City Camps“ für 6- bis 12-Jährige – also Ferienbetreuung – nun um Lernförderung in Deutsch, Mathematik und Englisch ergänzt. Dieses Modell gilt es vom Bund flächendeckend auszurollen.

4. Gratis Nachhilfe Stunden und Förderunterricht in den Schulen: Laut Studie der Uni Wien hatten derzeit 21% der SchülerInnen keine Unterstützung – dies entspricht rund 240.000 SchülerInnen [AutorInnen gehen von einer Unterschätzung dieser Zahl aus], die zu Hause keine Unterstützung haben. Diese sollen sie in der Schule bekommen. Ab Herbst soll jede/r SchülerIn die Möglichkeit für kostenlose Nachhilfe in den Hauptgegenständen haben. Organisiert wird dies von den Schulen. Diese sollen in Form von zwei Fördereinheiten/Nachhilfestunden in jedem Hauptgegenstand pro Jahrgang, pro Woche, in Kleingruppen organisiert (max. 5 SchülerInnen) unterstützt werden. Schulstandorte mit besonders großen Herausforderungen („Brennpunktschulen“) brauchen in Zukunft mehr Ressourcen und Personal („Chancenindex“). Private Nachhilfe soll damit in Zukunft nicht mehr notwendig sein.

5.Elementarpädagogik endlich aufwerten: In der Krise hat sich auch der Stellenwert der Elementarpädagogik gezeigt, gleichzeitig aber auch die schwierige Situation in der sich viele Einrichtungen befinden. Es braucht endlich einen bundesweiten Qualitätsrahmen.

6. Inklusion: Kaum bis gar keine Aufmerksamkeit hat das Bildungsministerium bisher Kindern mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung geschenkt. Dabei ist die schulische Begleitung von Kindern mit sonderpädagogischen Bedürfnissen auch in normalen Zeiten herausfordernd. Hygienepläne können bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung schwer eingehalten werden. Der eingeforderte Abstand von einem Meter ist nicht praxistauglich. Kinder müssten zwar keine Masken tragen, die Verwendung von Masken von LehrerInnen könne aber gerade bei Kindern mit Behinderung Angst erzeugen. Bei der schrittweisen Öffnung der Schulen darf auf die Inklusion nicht vergessen werden. Es braucht abgestimmte Hygienepläne und praxistaugliche Vorgaben sowie geeignete Schutzkonzepte für LehrerInnen und Kinder.

7. Die Krise als Chance – Bildungssystem umkrempeln: Das Schulsystem wurde in den letzten Wochen in seinen Grundfesten ziemlich durcheinander gewürfelt: von heute auf morgen findet Unterricht ganz anders als vorher statt – in Lernpaketen, digital unterstützt, nicht täglich um 8:00. Den Schulstandorten wurde plötzlich die Autonomie gegeben zu gestalten. Starre Strukturen sind zumindest vorübergehend aufgebrochen worden. Dies könnten wir auch nützen und aus den vergangenen Wochen lernen. Es wäre also die einmalige Chance, SchülerInnen und Eltern von dem zu „befreien“, was für das Lernen hinderlich ist: kontextloses auswendig lernen, Langeweile, Fächer im Stundentakt, frühes Aufstehen. Es wäre auch die ideale Gelegenheit alle Fächer und Lehrpläne, den „Lehrstoff“ aller Schulen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Neue pädagogische Konzepte, die themenspezifisches Lernen in den Mittelpunkt stellen, sind gefragt und damit die Pädagogischen Hochschulen in der Aus- und Weiterbildung. Auch die Bildungsungleichheit, die in den vergangenen Wochen scharf zu Tage getreten ist, in Wirklichkeit aber schon seit Jahren das Problem ist, muss jetzt mit Vehemenz angegangen werden. Dazu gehört aus unserer Sicht: Ausbau der Ganztagsschulen, mehr kostenlose Förderung statt teure private Nachhilfe und individuelle Förderung statt Trennung mit zehn Jahren. Die SPÖ schlägt einen nationalen Bildungskonvent vor: wir sollten jetzt in einem parteiübergreifenden Bildungskonvent die Bildungsziele außer Streit stellen und den Weg zur Erreichung dieser Ziele mit WissenschafterInnen, ExpertInnen und den SchulpartnerInnen erarbeiten.“

 

Der Unterrichtsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 02. Juli 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Dr. Sonja Hammerschmid die Abgeordneten Barbara Neßler, Fiona Fiedler, BEd Eva Maria Holzleitner, BSc und der Ausschussobmann Abgeordneter Mag. Dr. Rudolf Taschner.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Dr. Sonja Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: S, N, dagegen: V, F, G).

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Barbara Neßler gewählt.


 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2020 07 02

                                Barbara Neßler                                                      Mag. Dr. Rudolf Taschner

                                  Berichterstatterin                                                                          Obmann