322 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 684/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend Arbeitsmarktreform- Reform aktive Arbeitsmarktpolitik

Die Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 17. Juni 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Die wirtschaftlichen und technischen Veränderungen haben zu einer Veränderung des sozialpolitischen Paradigmas in Europa geführt. In modernen Politikkonzeptionen werden die Elemente aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik nicht als getrennte Systeme verstanden, sondern vielmehr als interagierende Mechanismen (Hemerick 2017). Eine Reform der Arbeitsmarktpolitik muss immer Maßnahmen der aktiven und der passiven Arbeitsmarktpolitik umfassen, um zu einem nachhaltigen und ausbalancierten Ergebnis zu kommen. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Daher brauchen wir Maßnahmen und Lösungen, die sowohl den Bedürfnissen der Arbeitnehmer_innen als auch jenen der Betriebe entsprechen. Außerdem besteht Bedarf an sinnvollen Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen für Menschen, deren Branche aufgrund der Covid-19-Pandemie einen dauerhaften oder jedenfalls nachhaltigen Einbruch erlitten haben. Zudem hat die Wirtschaftskrise 2008 bereits gezeigt, dass solche Krisen die Digitalisierung vorantreiben. Dadurch wird Berufsqualifizierung immer wichtiger. Aktive Arbeitsmarktpolitik ist unumstritten von besonderer Bedeutung, um langfristige Erwerbschancen zu steigern und nachhaltig zu sichern. Gerade vor dem Hintergrund einer alternden Erwerbsbevölkerung ist auf das Arbeitskräftepotenzial älterer Arbeitnehmer_innen und auf die Weiterbildungschancen dieser Gruppe ein Hauptaugenmerk zu legen. Der Länderbericht der Europäischen Union hält fest, dass besonders ältere Arbeitnehmer_innen und schlecht qualifizierte Personen in Österreich unverhältnismäßig oft von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind (Länderspezifische Empfehlungen 2019):

Mehr als 44 Prozent (in 2019) aller Arbeitslosen haben lediglich die Pflichtschule abgeschlossen. Aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, einschließlich des lebenslangen Lernens‚ die Menschen dazu ermutigen, zu arbeiten oder eine Arbeit zu suchen, sind nach wie vor von entscheidender Bedeutung, um das Arbeitskräftepotenzial von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund und von gering qualifizierten Erwachsenen auszuschöpfen.

Außerdem sieht sich Österreich mit einem Fachkräftemangel konfrontiert (Fachkräfteradar 2018). Um diesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, kommen zahlreiche Studien zu der Empfehlung, Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen zu fördern. Das gilt insbesondere für die Weiterbildung von Geringqualifizierten und die Förderung von Mehrfachqualifikationen.

Betrachtet man jedoch die Ausgaben für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Verhältnis zum BIP nach Art der Maßnahme im europäischen Vergleich, zeigt sich für Österreich ein interessantes Bild (siehe Grafik 1). Österreich gehört zu jenen Ländern, die gemessen am BIP am meisten für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ausgeben. Dies ist den hohen Ausgaben für passive Leistungen geschuldet, die bei fast 63 Prozent der Gesamtausgaben für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen liegen. 28 Prozent der Gesamtausgaben für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen fallen auf aktivierende Maßnahmen aus.  Vorzeigeländer, wie Dänemark, mit einer geringeren Langzeitarbeitslosigkeit und mit flexibleren passiven Leistungen zeigen im Vergleich zu Österreich eine geringere Ausgabenquote für passive Leistungen (35 Prozent der Gesamtausgaben für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen). 

 

 

Quelle: https://data.europa.eu/euodp/en/data/dataset/cTe8hPyWtcMfVEJU9uzzWQ

Nicht nur die Höhe der Gesamtleistungen ist entscheidend, sondern ein ausbalanciertes treffsicheres und effizientes System. Die Ausgestaltung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Österreich zeigt, dass dies zu weiten Teilen weder treffsicher ist noch den Anforderungen der Wirtschaft gerecht wird.

Im Jahr 2019 belaufen sich die Ausgaben für aktive und aktivierte passive Mittel auf 2.702,3 Millionen Euro ohne Sozialversicherungsbeiträge (Datenbankabfrage: geb_aktiv_gruppen 2019). Ein großer Teil der Ausgaben entfällt auf Altersteilzeitgeld und Teilpensionen (618,2 Millionen Euro), aber auch auf Weiterbildungsgeld und Bildungsteilzeit (155,4 Millionen Euro).  Die geblockte Altersteilzeit stellt aufgrund der festgelegten geblockten Freizeitphase maximal 2,5 Jahre vor Pensionsantritt nichts anderes dar als eine, durch das AMS finanzierte, Frühpensionierungsmöglichkeit. Damit subventioniert das AMS frühzeitige Ruhestände. Auch die Teilpension ist nur eine Verlängerung der Altersteilzeit. 

Die Bildungskarenz stellt im eigentlichen Sinne eine potenzialstarke, aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahme dar, die bereits frühzeitig den Zugang zu Qualifizierungsmaßnahmen erleichtert und präventiv vor Arbeitslosigkeit schützen kann. Von der Bildungskarenz (und der monetären Förderung durch das Weiterbildungsgeld) sollen Personen profitieren, die ausbildungsbedingt Probleme haben, um sich vor Arbeitslosigkeit abzusichern. Es zeigt sich aber, dass diese Gruppen nur bedingt gefördert werden. Während sich der Anteil jener, die eine akademische Ausbildung haben und Weiterbildungsgeld in Anspruch genommen haben, zwischen 2010 und 2018 von 17 Prozent auf 21 Prozent gesteigert hat, ist der Anteil derjenigen mit Pflichtschulabschluss gesunken: 2018 waren lediglich knapp 12 Prozent aller Weiterbildungsgeldbezieher_innen mit Pflichtschulabschluss - im Jahr 2010 immerhin noch 16 Prozent (vgl. 1484/AB, XXVI.GP).  Und auch 2019 ist die Bildungskarenz jung, weiblich und akademisch. Somit zeigt sich, dass die Bildungskarenz die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt zwischen weniger und höher gebildeten Menschen verstärken. Aufgrund der kumulativen Vorteile von Personen mit höherem Bildungsniveau und der kumulativen Nachteile von Personen mit niedrigerem Bildungsniveau, bewirkt die jetzige Ausgestaltung der Bildungskarenz einen ‚Matthäus-Effekt‘ (Luc Benda et al., 2019).

Um einer durch die Krise verursachten Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken, fordern wir eine in die Zukunft gerichtete Umgestaltung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Österreich, die einen Fokus auf schlecht qualifizierte Personengruppen setzt und diese schnellstmöglich wieder in den Arbeitsmarkt integriert und dabei den Anforderungen der Wirtschaft gerecht wird.“


 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 02. Juli 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Mag. Gerald Loacker die Abgeordneten Mag. Markus Koza, August Wöginger, Dr. Dagmar Belakowitsch, Tanja Graf, Fiona Fiedler, BEd, Alois Stöger, diplômé, Norbert Sieber, Ing. Markus Vogl, Julia Elisabeth Herr, Rebecca Kirchbaumer, Mag. Christian Drobits, Dr. Gudrun Kugler, Bedrana Ribo, MA, Michael Schnedlitz, die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Mag. (FH) Christine Aschbacher sowie der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober und der Ausschussobmann Abgeordneter Josef Muchitsch

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen keine Stimmenmehrheit (für den Antrag: F, N, dagegen: V, S, G).

 

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Mag. Markus Koza gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2020 07 02

                              Mag. Markus Koza                                                              Josef Muchitsch

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann