328 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für innere Angelegenheiten

über den Antrag 186/A(E) der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen betreffend Kriminalstatistik Straftaten gegen LGBTI

Die Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 10. Jänner 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„2013 veröffentlichte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte eine europaweite Studie über die Wahrung, den Schutz und die Verwirklichung der Grundrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen (LGBT). Diese Studie zeigte deutlich, dass es auch in Österreich massive Missstände in diesem Bereich gibt. 48% aller Befragten gaben an, auf Grund ihrer sexuellen Orientierung Zielscheibe von Diskriminierung gewesen zu sein. EU-weit wurden 26% der Homosexuellen und 35% der Transgender-Personen zwischen 2008 und 2013 Opfer verbaler oder körperlicher Attacken. 

In Wien haben laut der Studie ‚Queer in Wien‘ des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Auftrag der Wiener Antidiskriminierungsstelle rund ein Drittel der Befragten in den vergangenen 12 Monaten Gewalt oder/und Diskriminierung erlebt (2015). Der Studie zufolge liegt die Anzeigenquote von Betroffenen bei ca. 1%. 

Diverse Opferschutzeinrichtungen weisen immer wieder darauf hin, dass es eine hohe Dunkelziffer von Hassverbrechen gegen LGBTI Personen gibt. Die Daten- und Studienlage diesbezüglich ist in Österreich veraltet und unzureichend. Eine Erfassung, Auswertung und Veröffentlichung entsprechender Daten, wie es sie etwa in Deutschland gibt, ist hierzulande immer noch nicht umgesetzt. Dort werden derartige Straftaten im Rahmen des kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen politisch motivierter Kriminalität im Themenfeld ‚Sexuelle Orientierung/Hasskriminalität‘ erfasst. Das Erfassen von politischer Kriminalität (zu der auch Hasskriminalität zählt) via Eingangsstatistik (Straftaten werden erfasst, sobald ein Anfangsverdacht besteht) wird in Deutschland als Frühwarnsystem gesehen, da diese als eine besondere Bedrohung der dortigen freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstanden wird (vgl. https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/kriminalitaetsbekaempfung-und-gefahrenabwehr/politisch-motivierte-kriminalitaet/politisch-motivierte-kriminalitaet-node.html). 

Im jährlichen Sicherheitsbericht werden Straftaten, die in Zusammenhang mit Diskriminierung gegenüber LGBTI Personen stehen, nach wie vor nicht separat ausgewiesen. Derzeit fehlt nicht nur in Bezug auf die österreichische Kriminalstatistik valides Datenmaterial, sondern auch in Bezug auf die Lebensrealität von LGBTI Personen und welche Entwicklungen in diesem Zusammenhang zu beobachten sind. Dementsprechend ist es schwierig, festzustellen, ob Fälle von Diskriminierung auf Grund von sexueller Orientierung oder sexueller Identität generell zu- oder abnehmen.

Um seitens der Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen zu treffen, und Diskriminierung auf unterschiedlichen Ebenen präventiv vorbeugen zu können, ist es essentiell, entsprechende Daten und damit einhergehenden Entwicklungen im Sinne evidenzbasierter Politik sichtbar zu machen.“

 

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 06. Juli 2020 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Michael Seemayer und Eva-Maria Himmelbauer, BSc.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen keine Stimmmenmehrheit (für den Antrag: N, dagegen: V, S, F, G).

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Karl Mahrer, Kolleginnen und Kollegen einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Erfassung von hassmotivierten Übergriffen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung eingebracht, der mit Stimmenmehrheit (für den Antrag: V, S, G, N, dagegen: F) beschlossen wurde.

 

Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Während der letzten Jahre waren Grundrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender- und intergeschlechtlichen Personen (LGBTI) zunehmend Gegenstand internationaler und österreichischer Entwicklungen. Sexuelle Orientierung und Geschlecht (Geschlechtsmerkmale, -identität und -ausdruck) finden heute in verschiedensten Rechtsvorschriften als Diskriminierungsgründe Anerkennung, nicht nur in Österreich sondern auch in jenen der Europäischen Union (EU) und den Vereinten Nationen (UN).

Parallel zu diesen Entwicklungen entstanden in den vergangenen Jahren auch eine kleine Anzahl an Studien, die sich mit den Lebensrealitäten von LGBTI-Personen auseinandersetzen. Die Ergebnisse dieser Studien sind zum Teil besorgniserregend. In einer 2013 von der Grundrechteagentur der EU (FRA) veröffentlichten Studie geben fast die Hälfte (47%) der Befragten an, Ziel von Diskriminierung und Belästigungen geworden zu sein, welche der Großteil darauf zurückführte, Teil der LGBTI-Community zu sein. In einer Folgestudie der FRA aus 2020 berichtet jede 10. LGBTI-Person in Österreich (11%) davon, innerhalb der letzten 5 Jahre physische oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Mehr als die Hälfte davon berichtet von mehr als einem gewaltvollen körperlichen oder sexuellen Übergriff. Insbesondere an öffentlichen Orten, wie Straßen, Plätzen oder Parks, sind LGBTI-Personen erhöht Gewalt ausgesetzt. Knapp 40% der Befragten geben an, dass sie es in der Öffentlichkeit immer oder oft vermeiden die Hand ihres gleichgeschlechtlichen Partners oder ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerin zu halten.

Eine speziell für Wien erstellte Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Auftrag der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen, zeichnet ein konkretes Bild für die Bundeshauptstadt: 79% der Befragten wurden im öffentlichen Raum beschimpft, ein Viertel war sexualisierten Übergriffen oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt, 20% wurden körperlich attackiert. Diese Zahlen werden im 2017 veröffentlichten Männerbericht des Sozialministeriums als Anlass genommen, auch über die Langzeitschäden der erfahrenen Diskriminierung zu berichten.

Solche vorurteilsmotivierten Straftaten im Sinne einer ‚gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit‘, für die sich international der Begriff ‚Hate Crime‘ eingebürgert hat, sind unter anderem gemäß ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 der EMRK (Benachteiligungsverbot) sowie der EU-Opferschutzrichtlinie durch die Mitgliedsstaaten sichtbar zu machen und umfassend statistisch zu dokumentieren.

Vorurteilskriminalität wird in Österreich derzeit ausschließlich im Rahmen ideologisch, religiös bzw. extremistisch motivierter Kriminalität – vor allem im Hinblick auf Rechtsextremismus – erfasst. Deshalb ist es unklar, wie viele Anzeigen und Übergriffe es jährlich gibt, die im Zusammenhang mit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung stehen.

Aus diesem Grund plant das BMI in Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie momentan ein Projekt zur systematischen Erfassung von Vorurteilsmotiven bei Strafanzeigen (‚Hate Crime‘), das darauf abzielt, die polizeiliche Registrierung abwertender Motivlagen bei angezeigten Straftaten auf wissenschaftlicher Basis zu verbessern. Im Rahmen dieses Projekts wird die Sensibilisierung der Polizei durch flächendeckende Schulungen angestrebt.“

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic gewählt.


 

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für innere Angelegenheiten somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.     diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 186/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.     die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2020 07 06

                         Dr. Ewa Ernst-Dziedzic                                                       Karl Mahrer, BA

                                  Berichterstatterin                                                                          Obmann