Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Hauptgesichtspunkte:

Das jüdische gesellschaftliche und kulturelle Leben ist ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen Geistes- und Kulturgeschichte. Zahlreiche Persönlichkeiten, die zur Bildung des österreichischen Selbstverständnisses beitrugen und unser Land auch in seiner Außenwirkung bis heute prägen, waren und sind Jüdinnen und Juden bzw. jüdischer Herkunft. Tina Blau, Ferdinand Bloch-Bauer, Gerhard Bronner, Veza Canetti, Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal, Marie Jahoda, Hans Kelsen, Hedy Lamarr, Gustav Mahler, Lise Meitner, Ludwig von Mises, Marcel Prawy, Max Reinhardt, Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Helene Taussig, Friedrich Torberg, Vally Wieselthier und Stefan Zweig sollen nur als einige wenige Beispiele genannt werden. Sowohl in der Alltags- als auch in der Hochkultur hat das jüdische Leben in Österreich deutliche Spuren hinterlassen – von volkssprachlichen Ausdrücken und Redewendungen bis hin zur Gründungsgeschichte der Salzburger Festspiele – und trug so wesentlich zu dem bei, was wir als „typisch österreichisch“ empfinden. Aber auch die jüdischen Handwerker, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Arbeiterinnen und Arbeiter waren Teil der österreichischen Gesellschaft.

Aufgrund von Repressalien, Terror und Verfolgung durch die NS-Herrschaft, an der sich viele Österreicherinnen und Österreicher beteiligt haben, mussten zwischen März 1938 und November 1941 126.000 bis 128.000 Jüdinnen und Juden ihre Heimat verlassen. Über 64.000 jüdische Österreicherinnen und Österreicher wurden Opfer des Holocaust. Die Vertreibung und Ermordung von Jüdinnen und Juden hinterließ eine unwiederbringliche Lücke und bedeutet einen Verlust, der nicht abgegolten werden kann, ein Verbrechen, das unentschuldbar ist.

Die jüdische Bevölkerung in Österreich wird heute auf etwa 15.000 Personen geschätzt, die Israelitische Religionsgesellschaft - IRG hat rund 8.000 Mitglieder; davon leben die meisten in Wien. Trotz dieser im Vergleich überschaubaren Zahl wird die jüdische Gemeinde in Österreich und vor allem in Wien als bedeutend erachtet, nicht zuletzt aufgrund des vielfältigen materiellen und immateriellen kulturellen Erbes des Judentums in Österreich.

Dieses Erbe wird von der gesamten jüdischen Gemeinschaft in Österreich gepflegt, erhalten und weiterentwickelt. Dies gelingt nur durch hohen ideellen und materiellen Einsatz der Gemeinschaft. Auch das Bestehen und die Zukunft von Gemeinden ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis von vielfachen Möglichkeiten der Verbundenheit und Verwurzelung.

Die Republik Österreich hat hier Verantwortung für die jüdischen Gemeinden und erbringt seit Jahren Leistungen im Interesse des jüdischen Gemeindelebens. Dennoch ist jüdisches Leben in Österreich nicht selbstverständlich, sondern lebt gerade aus Sicht der jüngeren Generation von nachhaltigen Zukunftsperspektiven. Solche Perspektiven sind:

-       der Schutz jüdischer Einrichtungen,

-       die Erhaltung und Pflege des gemeinsamen zukunftsorientierten materiellen und immateriellen österreichisch-jüdischen Kulturerbes,

-       die Aufrechterhaltung des jüdischen Gemeindelebens und seiner Struktur in Österreich,

-       der Dialog der Religionen,

-       die Förderung von Projekten mit und zugunsten der jungen Generation und

-       die Förderung von Initiativen des gesellschaftlichen Austausches und des Zusammenhalts.

Die Bundesregierung bekennt sich im Interesse eines lebendigen jüdischen Lebens zu einer nachhaltigen Realisierung dieser Ziele und beabsichtigt, dies durch eine in einem Bundesgesetz über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes (Österreichisch-Jüdisches Kulturerbegesetz – ÖJKG) gesetzlich verankerte jährliche finanzielle Zuwendung des Bundes an die Israelitische Religionsgesellschaft in Österreich als gesamthafte Repräsentantin jüdischen Lebens zu realisieren.

Die Höhe dieser finanziellen Zuwendung wird im Hinblick auf die beschriebenen erforderlichen Aufgaben und Leistungen der Israelitischen Religionsgesellschaft mit jährlich vier Millionen Euro festgelegt. Finanzielle Zuwendungen sollen ab 1. Jänner 2020 gewährt werden. Diese dienen nicht der Absicherung der Bedürfnisse des religiösen Lebens innerhalb der Israelitischen Religionsgesellschaft selbst, sondern den in § 1 dieses Gesetzes genannten allgemeinen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen. Von dieser Zuwendung bleiben sämtliche bestehende Leistungen und sonstige Zuwendungen unberührt, die von der Republik Österreich, ihren Gebietskörperschaften oder sonstigen Körperschaften öffentlichen Rechts aufgrund von allgemeinen Gesetzen und Verordnungen sowie Individualrechtsakten, Vereinbarungen, einseitigen Zusicherungen oder auf sonstiger Basis bereits gewährt werden. Dazu gehören insbesondere die jährlichen finanziellen Zuwendungen gemäß Art. 26 des Staatsvertrags von Wien in Verbindung mit § 14 des Gesetzes vom 21. März 1890 betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft (StF: RGBl. Nr. 57/1890) idgF („Israelitengesetz“) oder die Leistungen und sonstige Zuwendungen zum Personal- und Sachaufwand für den Schul- und Religionsunterricht und die Jugenderziehung gemäß § 9 des Israelitengesetzes, dem Religionsunterrichtsgesetz und dem Privatschulgesetz, die Leistungen und sonstige Zuwendungen zur dauernden Pflege und zum Schutz verwaister israelitischer Friedhöfe in Österreich. Die im ÖJKG vorgesehenen Zuwendungen sind sondergesetzlich geregelte Förderungen im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung im Sinne des § 3 Z 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über Allgemeine Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln (ARR 2014), BGBl. II Nr. 208/2014 in der Fassung der Novelle BGBl. II Nr. 190/2018.

Kompetenzgrundlage:

Beim vorgeschlagenen Gesetz handelt es sich um ein Selbstbindungsgesetz (Art. 17 B-VG).

Besonderer Teil

Zu § 1:

§ 1 regelt die Höhe und den Zweck der finanziellen Zuwendung an die Israelitische Religionsgesellschaft, die gemäß § 3 Z 11 des Israelitengesetzes alle innerhalb der Religionsgesellschaft bestehenden Traditionen vertritt. Der Bund leistet an sie jährlich einen Betrag in Höhe von vier Millionen Euro. Damit soll die nachhaltige Realisierung folgender Ziele für die zahlreichen gesamtgesellschaftlichen Bereiche, in denen jüdisches Leben besteht, unterstützt werden: 1. Schutz jüdischer Einrichtungen, 2. Erhaltung und Pflege des gemeinsamen zukunftsorientierten österreichisch-jüdischen materiellen und immateriellen Kulturerbes, 3. Aufrechterhaltung des jüdischen Gemeindelebens und seiner Struktur in Österreich, 4. Dialog der Religionen, 5. Förderung von Projekten mit und zugunsten der jungen Generation und 6. Förderung von Initiativen des gesellschaftlichen Austausches und des Zusammenhalts.

Zu § 2:

§ 2 regelt die Art der Auszahlung: Die in § 1 genannten vier Millionen Euro werden in vier jährlichen Teilbeträgen in gleicher Höhe (zu je einer Million Euro) jeweils zum Ende der Monate März, Juni, September und November an die Israelitische Religionsgesellschaft ausbezahlt.

Zu § 3:

§ 3 Abs. 1 sieht den zahlenmäßigen Nachweis und eine Berichtslegung vor: Die Israelitische Religionsgesellschaft hat bis zum 31. Mai des Kalenderjahres dem Bundeskanzleramt eine Belegaufstellung samt einer Bestätigung eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers oder einer unabhängigen Wirtschaftsprüferin oder einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu übermitteln, womit die zweckgebundene Verwendung der Zuwendung (gemäß § 1) im vorangegangenen Kalenderjahr in Form einer Abrechnung bestätigt und über die zur Erreichung der in § 1 (Z 1 bis 6) genannten Ziele gesetzten Maßnahmen berichtet wird. Die Schwerpunktsetzung und Gewichtung der Maßnahmen innerhalb der Ziele des § 1 obliegt dem Zahlungsempfänger.

Für den Fall eines nicht fristgerechten oder nicht vollständigen Nachweises kann nach § 3 Abs. 2 eine angemessene Nachfrist für die Nachreichung der ausständigen Nachweise gesetzt werden. Bei ungenütztem Verstreichen dieser Nachfrist ist die im vorangegangenen Kalenderjahr erfolgte Zuwendung zurückzuzahlen und unterbleibt die Auszahlung der Teilbeträge des laufenden Kalenderjahres bis zum vollständigen Nachweis der zweckgebundenen Verwendung der Zuwendung im vorangegangenen Kalenderjahr. Betrifft der mangelhafte Nachweis nur Teile der Zuwendung, so sind nur diese Teile von der Pflicht zur Rückzahlung erfasst.

§ 3 Abs. 3 sieht eine Evaluierung hinsichtlich einer allfälligen Erhöhung der Zuwendung gemäß § 1 nach drei Jahren ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, dh. ab 1. Jänner 2023, vor.

Zu § 4:

Das ÖJKG darf als Selbstbindungsgesetz des Rechtsträgers Bund nur Regelungen enthalten, mit denen sich der Bund selbst bindet (zB inhaltliche Vorgaben für den Zuwendungsvertrag), aber keine Rechte und Pflichten für andere normieren. Es ist daher vorgesehen, dass die Zuwendung unter der Voraussetzung erfolgt, dass ein Zuwendungsvertrag mit dem in § 4 genannten Inhalt zustande kommt, welcher die Rechte und Pflichten der Israelitischen Religionsgesellschaft festlegt und dem Rechtsschutzsystem der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterliegt. Konkret sieht § 4 den – vor der erstmaligen Auszahlung der Zuwendung (dh. vor der Auszahlung der Zuwendung für das Jahr 2020 gemäß § 6 Abs. 2 Z 1 ÖJKG) vorzunehmenden – Abschluss eines Zuwendungsvertrags zwischen dem Bund und der Israelitische Religionsgesellschaft vor, welcher alle Bedingungen und Auflagen enthalten soll, die den zweckgebundenen sowie sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Einsatz der Zuwendung sicherstellen. Und zwar sollen in diesem Vertrag neben den in Abs. 2 genannten Verpflichtungen auch die näheren Modalitäten der Abrechnung und Berichtslegung (§ 3 Abs. 1 und 2) festgelegt werden. Bei Vereinbarung dieser Bedingungen und Auflagen ist auf die Gegebenheiten der Israelitischen Religionsgesellschaft und die Art der in § 1 genannten Ziele Rücksicht zu nehmen. Es darf insbesondere kein Eingriff in die inneren Angelegenheiten der Religionsgesellschaft erfolgen.

Nach Abs. 2 sind insbesondere (dh. jedenfalls) folgende Verpflichtungen der Israelitischen Religionsgesellschaft in den (alle Zuwendungen ab 2020 erfassenden) Zuwendungsvertrag aufzunehmen: (1.) Verwendung der Zuwendungsmittel zur Erreichung der in § 1 genannten Ziele entsprechend den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten der Aufgabenerfüllung durch die Israelitische Religionsgesellschaft; (2.) Führen der erforderlichen Aufzeichnungen und Aufbewahrung der Belege, die die zweckgebundene sowie sparsame, wirtschaftliche und zweckmäßige Verwendung der Zuwendung ermöglichen; (3.) Gestatten der Einsicht in die Bücher und Belege sowie in sonstige der Überprüfung der zur Erreichung der in § 1 genannten Ziele gesetzten Maßnahmen dienenden Unterlagen und der Besichtigung an Ort und Stelle durch Vertreter des Bundeskanzleramts und Erteilung der erforderlichen Auskünfte im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen, wobei Einsicht vor Ort nur nach Terminvereinbarung und bei Bedarf zu nehmen ist, dh etwa wenn der Prüfbericht nicht zufriedenstellend ist und eine Einsicht in die Originaldokumente nicht anders möglich ist; (4.) im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelungen Ermöglichen der Prüfung der Verwendung der Zuwendungsmittel durch den Rechnungshof im Sinne des § 13 Abs. 3 des Rechnungshofgesetzes 1948; (5.) Unterlassen der Zession von (allfälligen) Ansprüchen aus dem Zuwendungsvertrag; (6.) Rückzahlung der Zuwendung des vorangegangenen Kalenderjahres, sofern die Berichtslegung und Abrechnung gemäß § 3 Abs. 1 nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 (Möglichkeit eines Auftrags zur Nachreichung der ausständigen Nachweise innerhalb einer angemessenen Frist) nicht fristgerecht oder nicht vollständig erfolgen (zur weiteren Rechtsfolge des Unterbleibens der Auszahlung der folgenden Teilbeträge siehe § 3 Abs. 2). Die Rückzahlung ist als ultima ratio vorzusehen; zunächst ist der Israelitischen Religionsgesellschaft die Möglichkeit der Verbesserung zu geben.

Zu § 5:

§ 5 enthält eine Vollzugsklausel: Die vorgesehene finanzielle Zuwendung fällt in den Vollzugsbereich des Bundeskanzlers.

Zu § 6:

§ 6 Abs. 1 regelt das Inkrafttreten. Das Gesetz soll am 1. Jänner 2020 in Kraft treten.

In Bezug auf die im Jahr 2020 auszuzahlende Zuwendung ist in § 6 Abs. 2 Folgendes vorgesehen: Der Bund leistet in Abweichung von § 1 der Israelitischen Religionsgesellschaft eine Zuwendung in Höhe von fünf Millionen Euro. Diese ist vom Bundeskanzleramt ohne unnötigen Aufschub an die Israelitische Religionsgesellschaft anzuweisen. Der Nachweis über die zweckgebundene Verwendung der Zuwendung gemäß § 6 Abs. 2 Z 1 ist in Form einer Bestätigung eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers oder einer unabhängigen Wirtschaftsprüferin oder einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und eines Berichts über die zur Erreichung der in § 1 genannten Ziele gesetzten Maßnahmen (erst) bis 31. Mai 2022 von der Israelitischen Religionsgesellschaft dem Bundeskanzleramt zu übermitteln.