641 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (605 der Beilagen): Bundesgesetz über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes (Österreichisch-Jüdisches Kulturerbegesetz – ÖJKG)

Das jüdische gesellschaftliche und kulturelle Leben ist ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen Geistes- und Kulturgeschichte. Zahlreiche Persönlichkeiten, die zur Bildung des österreichischen Selbstverständnisses beitrugen und unser Land auch in seiner Außenwirkung bis heute prägen, waren und sind Jüdinnen und Juden bzw. jüdischer Herkunft. Tina Blau, Ferdinand Bloch-Bauer, Gerhard Bronner, Veza Canetti, Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal, Marie Jahoda, Hans Kelsen, Hedy Lamarr, Gustav Mahler, Lise Meitner, Ludwig von Mises, Marcel Prawy, Max Reinhardt, Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Helene Taussig, Friedrich Torberg, Vally Wieselthier und Stefan Zweig sollen nur als einige wenige Beispiele genannt werden. Sowohl in der Alltags- als auch in der Hochkultur hat das jüdische Leben in Österreich deutliche Spuren hinterlassen – von volkssprachlichen Ausdrücken und Redewendungen bis hin zur Gründungsgeschichte der Salzburger Festspiele – und trug so wesentlich zu dem bei, was wir als „typisch österreichisch“ empfinden. Aber auch die jüdischen Handwerker, Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Arbeiterinnen und Arbeiter waren Teil der österreichischen Gesellschaft.

Aufgrund von Repressalien, Terror und Verfolgung durch die NS-Herrschaft, an der sich viele Österreicherinnen und Österreicher beteiligt haben, mussten zwischen März 1938 und November 1941 126.000 bis 128.000 Jüdinnen und Juden ihre Heimat verlassen. Über 64.000 jüdische Österreicherinnen und Österreicher wurden Opfer des Holocaust. Die Vertreibung und Ermordung von Jüdinnen und Juden hinterließ eine unwiederbringliche Lücke und bedeutet einen Verlust, der nicht abgegolten werden kann, ein Verbrechen, das unentschuldbar ist.

Die jüdische Bevölkerung in Österreich wird heute auf etwa 15.000 Personen geschätzt, die Israelitische Religionsgesellschaft - IRG hat rund 8.000 Mitglieder; davon leben die meisten in Wien. Trotz dieser im Vergleich überschaubaren Zahl wird die jüdische Gemeinde in Österreich und vor allem in Wien als bedeutend erachtet, nicht zuletzt aufgrund des vielfältigen materiellen und immateriellen kulturellen Erbes des Judentums in Österreich.

Dieses Erbe wird von der gesamten jüdischen Gemeinschaft in Österreich gepflegt, erhalten und weiterentwickelt. Dies gelingt nur durch hohen ideellen und materiellen Einsatz der Gemeinschaft. Auch das Bestehen und die Zukunft von Gemeinden ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis von vielfachen Möglichkeiten der Verbundenheit und Verwurzelung.

Die Republik Österreich hat hier Verantwortung für die jüdischen Gemeinden und erbringt seit Jahren Leistungen im Interesse des jüdischen Gemeindelebens. Dennoch ist jüdisches Leben in Österreich nicht selbstverständlich, sondern lebt gerade aus Sicht der jüngeren Generation von nachhaltigen Zukunftsperspektiven. Solche Perspektiven sind:

-       der Schutz jüdischer Einrichtungen,

-       die Erhaltung und Pflege des gemeinsamen zukunftsorientierten materiellen und immateriellen österreichisch-jüdischen Kulturerbes,

-       die Aufrechterhaltung des jüdischen Gemeindelebens und seiner Struktur in Österreich,

-       der Dialog der Religionen,

-       die Förderung von Projekten mit und zugunsten der jungen Generation und

-       die Förderung von Initiativen des gesellschaftlichen Austausches und des Zusammenhalts.

Die Bundesregierung bekennt sich im Interesse eines lebendigen jüdischen Lebens zu einer nachhaltigen Realisierung dieser Ziele und beabsichtigt, dies durch eine in einem Bundesgesetz über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes (Österreichisch-Jüdisches Kulturerbegesetz – ÖJKG) gesetzlich verankerte jährliche finanzielle Zuwendung des Bundes an die Israelitische Religionsgesellschaft in Österreich als gesamthafte Repräsentantin jüdischen Lebens zu realisieren.

Die Höhe dieser finanziellen Zuwendung wird im Hinblick auf die beschriebenen erforderlichen Aufgaben und Leistungen der Israelitischen Religionsgesellschaft mit jährlich vier Millionen Euro festgelegt. Finanzielle Zuwendungen sollen ab 1. Jänner 2020 gewährt werden. Diese dienen nicht der Absicherung der Bedürfnisse des religiösen Lebens innerhalb der Israelitischen Religionsgesellschaft selbst, sondern den in § 1 dieses Gesetzes genannten allgemeinen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen. Von dieser Zuwendung bleiben sämtliche bestehende Leistungen und sonstige Zuwendungen unberührt, die von der Republik Österreich, ihren Gebietskörperschaften oder sonstigen Körperschaften öffentlichen Rechts aufgrund von allgemeinen Gesetzen und Verordnungen sowie Individualrechtsakten, Vereinbarungen, einseitigen Zusicherungen oder auf sonstiger Basis bereits gewährt werden. Dazu gehören insbesondere die jährlichen finanziellen Zuwendungen gemäß Art. 26 des Staatsvertrags von Wien in Verbindung mit § 14 des Gesetzes vom 21. März 1890 betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft (StF: RGBl. Nr. 57/1890) idgF („Israelitengesetz“) oder die Leistungen und sonstige Zuwendungen zum Personal- und Sachaufwand für den Schul- und Religionsunterricht und die Jugenderziehung gemäß § 9 des Israelitengesetzes, dem Religionsunterrichtsgesetz und dem Privatschulgesetz, die Leistungen und sonstige Zuwendungen zur dauernden Pflege und zum Schutz verwaister israelitischer Friedhöfe in Österreich. Die im ÖJKG vorgesehenen Zuwendungen sind sondergesetzlich geregelte Förderungen im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung im Sinne des § 3 Z 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über Allgemeine Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Förderungen aus Bundesmitteln (ARR 2014), BGBl. II Nr. 208/2014 in der Fassung der Novelle BGBl. II Nr. 190/2018.

 

Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 9. Februar 2021 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneter Mag. Martin Engelberg die Abgeordneten Mag. Eva Blimlinger,
Dr. Helmut Brandstätter, Mag. Thomas Drozda und Dr. Susanne Fürst sowie die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler.

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf einstimmig beschlossen.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (605 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2021 02 09

                         Mag. Martin Engelberg                                                   Mag. Jörg Leichtfried

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann