1153 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Antrag 1080/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. Gerald Loacker, Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Rettung der direkten Demokratie in Vorarlberg 

Die Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. Gerald Loacker, Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 20. November 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

Am 23. April 2019 wurde in der Gemeinde Ludesch gemäß § 58 Vbg. Landes-Volksabstimmungsgesetz bei der Gemeindewahlbehörde die Durchführung einer Volksabstimmung über die "Widmung von Flächen im Neugut" beantragt. Diese wurde am 10. November 2019 durchgeführt.

Bei der Volksabstimmung ging es um die Umwidmung von rund 6,5 Hektar landwirtschaftlicher Fläche zur Expansion des Fruchtsaftherstellers Rauch, die abgelehnt wurde. Von 1.745 gültigen Stimmen entfielen 982 auf „Ja“ (gegen die Umwidmung) und 763 auf „Nein“ (für die Umwidmung). Etwa einen Monat nach der Volksabstimmung wurde sie von 15 Privatpersonen angefochten, darunter auch von Eigentümern der Grundstücke, die für die Erweiterung umgewidmet werden sollten. Sie verlangten aus verschiedenen Gründen die Aufhebung der Volksabstimmung.[1]

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 6. Oktober 2020 jene Bestimmungen des Vbg. Gemeindegesetzes und des Vbg. Landes-Volksabstimmungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben, die festlegen, dass Volksabstimmungen mit bindender Wirkung auf Verlangen einer gewissen Zahl von Stimmberechtigten der Gemeinde auch ohne Zustimmung des Gemeinderates durchzuführen sind.

Der VfGH führt bezugnehmend auf die bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung der Landesgesetzgebung gemäß Art. 117 Abs. 8 B-VG, eine „unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten“ vorzusehen, aus:

Diese Überlegungen sind im Hinblick darauf, dass im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß Art. 118 Abs. 5 B-VG letztlich alle Gemeindeorgane dem Gemeinderat verantwortlich, diesem gegenüber also weisungsgebunden sind, generell auf verbindliche Entscheidungen des Gemeindevolkes anstelle von Gemeindeorganen in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu übertragen. Die Verbindlichkeit einer Volksabstimmung für das jeweils zuständige Gemeindeorgan konkurriert mit der Bindung dieses Organs an Weisungen des Gemeinderates nach Art. 118 Abs. 5 B-VG. Daher hat Art. 117 Abs. 8 B-VG auch keine Grundlage dafür geschaffen, dass ein Gemeindeorgan, das an Weisungen des Gemeinderates gebunden ist, auch gegen dessen Willen durch eine vom Gemeindevolk eingeleitete Volksabstimmung zur Erlassung eines verbindlichen Rechtsaktes und zur Unterlassung entgegenstehender Rechtsakte verpflichtet werden kann. (Rz 35)[2]

Im Ergebnis entscheidet der VfGH, dass das Vorarlberger Gemeindegesetz und das Vorarlberger Landes-Volksabstimmungsgesetz in seinen Augen gegen den Grundsatz der repräsentativen Demokratie verstoßen würde. Im Vbg. Landes-Volksabstimmungsgesetz ist derzeit vorgesehen, dass eine derartige Entscheidung des Volkes die Entscheidung des sonst zuständigen Gemeindeorgans ersetzt. Ein solches Modell aber widerspreche „dem repräsentativ-demokratischen System der Gemeindeselbstverwaltung“.

Im Mittelpunkt des repräsentativ-demokratischen Systems stehe nämlich die Gemeindevertretung, die vom Gemeindevolk gewählt wird und der alle anderen Gemeindeorgane für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde verantwortlich sind.

Dass die Gemeindevertretung auch gegen ihren Willen durch eine Volksabstimmung an eine bestimmte Entscheidung gebunden werden könne, stehe im Widerspruch zum repräsentativ-demokratischen System.

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 15. März 2021 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Dr. Susanne Fürst, der Abgeordnete Mag. Wolfgang Gerstl. Auf Antrag des Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl werden die Verhandlungen vertagt.

Die Verhandlungen wurden am 4. November 2021 wieder aufgenommen und es meldeten sich die Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. Johannes Margreiter, Mag. Selma Yildirim und Mag. Agnes Sirkka Prammer sowie die Bundesministerin für EU und Verfassung Mag. Karoline Edtstadler und der Ausschussobmannstellvertreter Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl zur Wort.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. Gerald Loacker, Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: S, F, N, dagegen: V, G).

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl, Mag. Agnes Sirkka Prammer, Kolleginnen und Kollegen einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Länder-Dialog zu direkter Demokratie auf Gemeindeebene starten eingebracht, der mit Stimmenmehrheit (für den Antrag: V, G, dagegen: S, F, N) beschlossen wurde.

 

Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 6. Oktober 2020 jene Bestimmungen des Vbg. Gemeindegesetzes und des Vbg. Landes-Volksabstimmungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben, die festlegen, dass Volksabstimmungen mit bindender Wirkung auf Verlangen einer gewissen Zahl von Stimmberechtigten der Gemeinde auch ohne Zustimmung des Gemeinderates durchzuführen sind. Die Aufhebung tritt mit 1.1.2022 in Kraft. Nach dieser Bestimmung war es möglich, dass Gemeindeorgane gegen ihren Willen oder gegen den Willen des ihnen gegenüber weisungsberechtigten Gemeinderates (Art. 118 Abs. 5 B-VG) durch eine vom Gemeindevolk eingeleitete Volksabstimmung zur Erlassung eines verbindlichen Rechtsaktes und zur Unterlassung entgegenstehender Rechtsakte verpflichtet werden.

Im Mittelpunkt des repräsentativ-demokratischen Systems steht nämlich laut Verfassungsgerichtshof die Gemeindevertretung, die vom Gemeindevolk gewählt wird und der alle anderen Gemeindeorgane für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde verantwortlich sind. Dass die Gemeindevertretung auch gegen ihren Willen durch eine Volksabstimmung an eine bestimmte Entscheidung gebunden werden könne, stehe im Widerspruch zum repräsentativ-demokratischen System.

Eine entsprechende verfassungsrechtliche Normierung würde aber - da ein Bauprinzip unserer Verfassung betroffen ist - eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bedeuten und wäre einer Volksabstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. Diese Änderung würde den rechtlichen Rahmen für direktdemokratische Elemente auf Gemeindeebene in allen Bundesländern betreffen. Daher ist vorab mit allen Bundesländern ein gemeinsames Verständnis darüber herzustellen.“

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer gewählt.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.     diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 1080/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.     die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2021 11 04

                    Mag. Agnes Sirkka Prammer                                             Mag. Wolfgang Gerstl

                                  Berichterstatterin                                                                Obmannstellvertreter



[1] https://vorarlberg.orf.at/stories/3072783/

[2] https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_Erkenntnis_G_166_2020_vom_6._Oktober_2020.pdf