1255 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (1177 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen wird sowie das Suchtmittelgesetz und das Strafgesetzbuch geändert werden

Mit Erkenntnis vom 11.12.2020 zu G 139/2019 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ in § 78 StGB mit Wirkung ab 1.1.2022 als verfassungswidrig aufgehoben. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es strafbar, jemandem bei dessen Selbsttötung Hilfe zu leisten. Das Verbot, jemanden auf dessen Verlangen zu töten (§ 77 StGB), und auch das weiter gehende Verbot, jemanden dazu zu verleiten, sich selbst zu töten (§ 78 erster Fall StGB), hat der Gerichtshof nicht angetastet; die darauf gerichteten Anträge hat er zurückgewiesen. Er hat auch darauf hingewiesen, dass seine Überlegungen zur Verfassungswidrigkeit des § 78 zweiter Fall StGB nicht ohne weiteres auch für das Verbot der Tötung auf Verlangen gelten.

Da die Strafbarkeit einer Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) nicht angetastet wurde, beschränkt sich der vorliegende Entwurf allein auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen es künftig zulässig sein soll, jemandem bei seinem Suizid Hilfe zu leisten. Die Befürchtung, dass die Entscheidung des VfGH und der darauf aufbauende Entwurf zu einem verwerflichen Umgang mit kranken Menschen oder Menschen mit Behinderung führen werden, erscheint unter diesem Aspekt nicht gerechtfertigt: Denn in Ländern, die sowohl die Tötung auf Verlangen als auch die Suizidassistenz erlauben, wird die Tötung auf Verlangen ungleich häufiger durchgeführt. Und obwohl die Häufigkeit der Tötung auf Verlangen in den Niederlanden und Belgien in den letzten Jahren signifikant gestiegen ist, bleibt der assistierte Suizid in diesen Ländern weiterhin eine Seltenheit (Borasio ua, Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben² [2020] 69). Rechtlich, medizinisch und ethisch besteht ein gravierender Unterschied zwischen der Tötung einer anderen Person auf deren Verlangen und ihrer Unterstützung bei der freiverantwortlichen Selbsttötung: Dort stirbt eine sterbewillige Person von fremder Hand, hier wird ihr durch die Verschaffung einer tödlichen Substanz geholfen, wobei sie die Tatherrschaft (Handlungskontrolle) behält und ohne ihre notwendige letzte Handlung nicht sterben würde.

Dass sich der Entwurf auf die Regulierung der Suizidassistenz beschränkt, kann dazu führen, dass Menschen, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu töten, in ihrem Wunsch, ihr Leben zu beenden, nicht unterstützt werden können. Das nimmt der Entwurf in Kauf, um die Probleme zu umgehen, die mit einer Erweiterung der Suizidassistenz auf Fälle der Tötung auf Verlangen verbunden wären. Der vorliegende Entwurf will weiters nur solche Fälle der Suizidassistenz regeln, in denen der Suizident oder die Suizidentin auch im Zeitpunkt seines/ihres Todes entsprechend entscheidungsfähig ist. Wenn eine nicht ausreichend entscheidungsfähige Person bei der Beendigung ihres Lebens unterstützt wird, kann damit aus strafrechtlicher Sicht die Grenze zum Fremdtötungsdelikt überschritten werden. Im Übrigen ist es ein zentrales Anliegen des Entwurfs, das vom VfGH in das Zentrum seiner Erwägungen gestellte Grundrecht auf Selbstbestimmung auszuführen und gegen damit allenfalls verbundenen Missbrauch abzusichern.

Um die Auswirkungen des Erkenntnisses und den daraus für den Gesetzgeber erzeugten Handlungsbedarf auszuloten, veranstaltete das Bundesministerium für Justiz zwischen 26. und 30.4.2021 ein Dialogforum. Dazu waren insbesondere Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der Bioethikkommission, von Kirchen und Religionsgemeinschaften, von Organisationen, Kammern und Berufsgruppen, die mit dem Thema des Wunsches nach einer selbstbestimmten Lebensbeendigung konfrontiert sind oder sein könnten, der Rechtsberufe und der Befürworterinnen und Befürworter des assistierten Suizids eingeladen. Die Diskussion wurde anhand von einigen Themenkreisen strukturiert, die nachstehend angeführt werden. Parallel wurden auch alle übrigen Interessenten und Interessentinnen dazu aufgerufen, gegenüber dem Bundesministerium für Justiz Stellung zu nehmen. Daraufhin langten 85 schriftliche Stellungnahmen ein, davon 50 von Privatpersonen und 35 von Einrichtungen und Organisationen, die teilweise auch an den Gesprächen im Dialogforum beteiligt waren. Die Zusammenfassung der Diskussionen und der eingelangten Stellungnahmen wurden am 28.6.2021 auf der Webseite des Bundesministeriums für Justiz veröffentlicht. Der vorliegende Entwurf nimmt auf die Ergebnisse dieses Dialogforums sowie anderer nach Veröffentlichung der Entscheidung des VfGH durchgeführter Veranstaltungen, wie zum Beispiel die vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin (IERM) der Universität Wien veranstaltete Tagung „Beihilfe zum Suizid“ am 22.4.2021 samt des anschließenden „Human Rights Talk“ des Ludwig Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, ebenso wie auf die sehr lebhafte und kontroverse wissenschaftliche Diskussion der Entscheidung des VfGH Bedacht. Das Dialogforum diskutierte am 29.10.2021 noch einmal über konkrete Fragen des Begutachtungsentwurfs.

Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung

Der VfGH hat ausgesprochen, dass gesetzgeberische und sonstige staatliche Maßnahmen notwendig seien, um den Unterschieden in den Lebensbedingungen von Betroffenen entgegenzuwirken und allen einen Zugang zu palliativmedizinischer Versorgung zu ermöglichen. Dessen ungeachtet dürfe die Freiheit des Einzelnen, über sein Leben in Integrität und Identität selbst zu bestimmen und damit in diesem Zusammenhang zu entscheiden, dieses auch mit Hilfe Dritter zu beenden, nicht schlechthin verneint werden (VfGH G 139/2019-71 Rz 102). Hier hat sich im Dialogforum wie auch in anderen Gremien ein breiter Konsens herausgebildet, dass eine gut ausgebaute Palliativ- und Hospizversorgung den Wunsch nach frühzeitiger Beendigung des Lebens reduziert. Das wurde auch von den Vertreterinnen und Vertretern der Suizidprävention bestätigt. Ein entsprechendes Leistungsangebot entlastet auch die Angehörigen und vermindert die Sorge, diesen zur Last zu fallen. Hiefür ist ein österreichweites, wohnortnahes, öffentlich finanziertes und gut zugängliches Angebot erforderlich.

Zu diesem Zweck ist vorgesehen, den österreichweiten, bedarfsgerechten und flächendeckenden Aus- und Aufbau sowie die Sicherung des laufenden Betriebes des modular abgestuften Versorgungsangebotes unter Erarbeitung und Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien und -indikatoren im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung finanziell zu unterstützen.

Die Aufhebung der Strafbarkeit der Hilfeleistung zur Selbsttötung würde allerdings auch ohne konkrete flankierende Maßnahmen mit 1.1.2022 eintreten. Ungeachtet der tatsächlichen Verfügbarkeit einer ausreichenden Hospiz- und Palliativversorgung bis zu diesem Zeitpunkt und parallel zu den gesetzgeberischen Initiativen in diesem Bereich schlägt der Entwurf daher Regelungen vor, die die Absicherung des freien und selbstbestimmten Entschlusses bezwecken. Menschen, die unter unheilbaren, lebensbegrenzenden Erkrankungen leiden, denken nicht selten über Suizid und assistierten Suizid nach – selbst dann, wenn sie optimal palliativmedizinisch betreut sind (Borasio ua, Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben², 60). Das Ansprechen und Ernstnehmen dieses Wunsches hat an sich schon eine suizidpräventive Wirkung, die durch die Verfügbarkeit einer prozedural klar geregelten Möglichkeit zur Suizidassistenz noch verstärkt wird (Borasio aaO).

Sicherstellung eines freien und selbstbestimmten Willens

Der VfGH hat den Gesetzgeber aufgefordert, Sicherungsinstrumente zur Verhinderung von Missbrauch vorzusehen, damit die sterbewillige Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss einer dritten Person fasst (VfGH G 139/2019-71 Rz 70, 99). Der oder die helfende Dritte soll eine hinreichende Grundlage dafür haben, dass die sterbewillige Person tatsächlich eine auf freier Selbstbestimmung gegründete Entscheidung zur Selbsttötung gefasst hat (Rz 85). Die Umsetzung dieses für den Gesetzgeber zwar nicht verbindlichen, aus der Sache heraus aber gebotenen Auftrags ist ein Hauptgesichtspunkt des Entwurfs.

Dass es ein „Verfahren“ zur Sicherstellung und Dokumentation des dauerhaften, freien und selbstbestimmten Entschlusses zur Selbsttötung geben sollte, ist in den bisherigen Diskussionen weithin anerkannt worden. Ebenso besteht ein weitgehender Konsens dahin, dass ein Aufklärungsgespräch einschließlich einer Beratung über medizinische Alternativen vorgesehen werden sollte; dabei haben sich im Dialogforum die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Aufklärung durch einen Arzt/eine Ärztin sehr gut vorstellen können, insbesondere dann, wenn der Todeswunsch aus einem körperlichen Leiden resultiert. Unterschiedliche Ansichten bestehen aber dazu, ob eine einmalige Aufklärung über Alternativen ausreichen soll, oder ob eine darüberhinausgehende Beratung, die als längerer Prozess ausgestaltet werden könnte, notwendig oder sogar verpflichtend sein soll.

Kontrovers wird auch die Frage beurteilt, ob eine Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben zur Ermittlung und Dokumentation des freien und selbstbestimmten Entschlusses wieder zu einer Strafbarkeit führen sollte. Vielfach wird betont, dass die Hilfeleistung zur Selbsttötung einer nicht (mehr) entscheidungsfähigen Person bei entsprechendem Tatvorsatz ohnedies als Fremdtötung auch in Zukunft strafbar bleibe. Außerdem wurden Abgrenzungsprobleme besonders im Fall einer psychischen Beihilfehandlung angesprochen, wenn etwa lediglich über den Sterbewunsch gesprochen wird.

Unter Berücksichtigung dieser Argumente sieht der Entwurf eine Neuregelung der Hilfeleistung bei der Selbsttötung im Sinne einer eingeschränkten Strafbarkeit vor.

Im Dialogforum wurde die Überlegung, nach dem Muster des Patientenverfügungs-Gesetzes (PatVG) nach einer ärztlichen Aufklärung und einer Wartefrist (siehe dazu unten Punkt c) eine Dokumentation durch Angehörige der rechtsberatenden Berufe vorzunehmen, allgemein positiv aufgenommen. Der vorliegende Entwurf übernimmt daher diesen Ansatz. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben darüber hinaus zusätzlich noch eine Beratung gefordert, wobei bisweilen auch von einem interdisziplinär zusammengesetzten „Konsil“ die Rede war. Andere Vertreterinnen und Vertreter haben das aber abgelehnt, insbesondere in Anbetracht von sterbewilligen Personen, die an einer terminalen schweren Erkrankung leiden und dadurch zusätzlich belastet werden würden. Es war auch nicht deutlich zu trennen, ob das Ziel einer weitergehenden Beratung tatsächlich nur die ergebnisoffene Aufklärung von Alternativen oder die detailliertere Erforschung und Hinterfragung des Sterbewunsches sein soll und ob damit nicht die Gefahr einer Bevormundung der sterbewilligen Person entsteht. Der VfGH hat im Zusammenhang mit dem Recht auf Selbstbestimmung darauf hingewiesen, dass angesichts der realen gesellschaftlichen Verhältnisse die tatsächlichen Lebensbedingungen, die zu einer solchen Entscheidung führen, nicht gleich sind. Bei einem solchen Entschluss könnten auch Umstände eine entscheidende Rolle spielen, die nicht ausschließlich in der Sphäre bzw. Disposition der suizidwilligen Person lägen, wie ihre Familienverhältnisse, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die Pflegebedingungen, die Hilfsbedürftigkeit, der eingeschränkte Aktivitätsspielraum, der real zu erwartende Sterbeprozess und dessen Begleitung sowie sonstige Lebensumstände und erwartbare Konsequenzen. Es seien daher gesetzgeberische und sonstige staatliche Maßnahmen notwendig, um den Unterschieden in den Lebensbedingungen von Betroffenen entgegenzuwirken. Dessen ungeachtet dürfe die Freiheit der einzelnen Person, über ihr Leben in Integrität und Identität selbst zu bestimmen und damit in diesem Zusammenhang zu entscheiden, dieses auch mit Hilfe Dritter zu beenden, nicht schlechthin verneint werden. Der Gesetzgeber wird daraus aber nicht gehalten sein, eine Regelung so auszugestalten, dass im Rahmen der Beratung und Aufklärung durch mehrere Personen über längere Zeit die Lebensumstände der sterbewilligen Person untersucht werden sollen, und allenfalls auch Motive festzulegen, die dem Staat das Recht geben, dieser Person die Hilfe zu verweigern. Das liefe letztlich auf eine Bewertung der Beweggründe der sterbewilligen Person hinaus.

Der Entwurf schlägt daher vor, dass eine Aufklärung über Alternativen durch zwei ärztliche Personen in Anlehnung an die Regelungen im PatVG und im Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG) durchgeführt werden soll. Bestehen Zweifel darüber, ob der Sterbewunsch in einer krankheitswertigen psychischen Störung begründet liegt, die die Entscheidungsfähigkeit ausschließt, so soll zusätzlich eine Abklärung durch eine Psychiaterin (einen Psychiater) oder einen klinischen Psychologen (eine klinische Psychologin) erfolgen. Ansonsten soll die Entscheidungsfähigkeit durch zwei ärztliche Personen und eine Angehörige bzw. einen Angehörigen der rechtsberatenden Berufe beurteilt und dokumentiert werden; zwischen dem ersten Aufklärungstermin und dem Errichtungszeitpunkt soll eine ausreichend bemessene Wartefrist liegen, um die Dauerhaftigkeit des Entschlusses sicherzustellen.

Wer darf Suizidassistenz in Anspruch nehmen?

Die Frage, ob bestimmte Personengruppen von der Suizidassistenz ausgeschlossen werden sollen, hat ebenfalls mit der Frage nach dem freien Willen zu tun. So war in der Debatte des Dialogforums unstrittig, dass der assistierte Suizid für nicht entscheidungsfähige Personen von vorhinein nicht in Betracht kommt. Entscheidungsfähig ist nach § 24 ABGB, wer die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann. Im Gegensatz zu der mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz eingeführten Grundregel des § 24 Abs. 2 zweiter Satz ABGB, wonach die Entscheidungsfähigkeit bei Volljährigen vermutet wird, soll in Anbetracht der letalen Auswirkungen der Entscheidung zur Inanspruchnahme einer Suizidassistenz die Entscheidungsfähigkeit für denjenigen, der sie zu dokumentieren hat, zweifelsfrei vorliegen müssen. Auch wird vorgeschlagen, das Instrument der Sterbeverfügung nur für volljährige Personen zur Verfügung zu stellen. Minderjährige stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs. 1 ABGB), weshalb eine gesetzliche Sonderbestimmung gerechtfertigt ist, um sie vor irreversiblen Entscheidungen dieser Tragweite zu schützen. Auch insoweit weicht der Entwurf von den allgemeinen Regelungen (vgl. etwa § 173 Abs. 1 und 2 ABGB, § 3 PatVG) ab, die minderjährigen Patientinnen und Patienten die Befugnis über die Einwilligung oder Ablehnung einer Behandlung zuweisen, wenn sie entscheidungsfähig sind. Das soll auch verhindern, dass einem Sterbewunsch etwa in einer Adoleszenzkrise im Wege der Sterbeverfügung nachgekommen wird.

Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob die Suizidassistenz nur einer bestimmten Personengruppe vorbehalten werden sollte, etwa solchen Personen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und bei denen das Lebensende aufgrund dieser unheilbaren Krankheit bereits absehbar ist. In der Literatur werden unterschiedliche Ansichten darüber vertreten, ob eine Einschränkung auf schwer kranke Menschen verfassungskonform wäre: Gamper (JBl 2021, 137 [145]), Khakzadeh (RdM 2021, 48 [54]) und einige andere Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft (z. B. Prof. Fremuth anlässlich des „Human Rights Talk“ vom 22.4.2021) haben Zweifel geäußert, dass eine Einschränkung auf bestimmte (erkrankte) Personengruppen mit der Entscheidung des VfGH vereinbar ist. Auch Schmoller (JBl 2021, 147 [148]) kann aus der Entscheidung keine solche Möglichkeit der Einschränkung ableiten, er hält aber eine Beschränkung „in der Regel“ („insbesondere“) auf Menschen für möglich, die in einer terminalen Lage sind. Burda (ÖJZ 2021, 220 [222]) hingegen vertritt, dass der VfGH vor allem Personen vor Augen hatte, die an einer schweren Krankheit leiden, und hält daher eine Einschränkung auf solche Personen für zulässig. Auch Pöschl (EuGRZ 2021, 12 ff. [14, 16]) betont, dass eine „schrankenlose Garantie“ nicht vorstellbar sei, und deutet eine zulässige Differenzierung zwischen schwer kranken und sonstigen Personen an.

Um eine verfassungskonforme Neuregelung des assistierten Suizids zu gewährleisten, hat das Bundesministerium für Justiz mit dem Verfassungsdienst Rücksprache hinsichtlich der Reichweite des Rechts auf freie Selbstbestimmung gehalten. Nach Ansicht des Verfassungsdienstes gehe aus dem Erkenntnis des VfGH nicht eindeutig hervor, wie weit das Recht auf freie Selbstbestimmung reiche:

̶ Einerseits fasst der VfGH das Recht auf freie Selbstbestimmung im Hinblick auf die Beendigung des Lebens sehr weit, indem er ausdrücklich festhält, dass „es nicht um eine Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens des Suizidwilligen und dessen Selbstbestimmungsrecht“ gehe, sondern allein maßgeblich sei, „dass der Entschluss der Selbsttötung auf einer freien Selbstbestimmung gründet“; der Gesetzgeber habe „dies zu respektieren“ (vgl. Rz 84). Der VfGH formuliert den Vorrang der Autonomie des Einzelnen damit nicht nur für schwer kranke, leidende Patientinnen und Patienten am Ende ihres Lebens, sondern für alle suizidwilligen Menschen, unabhängig von der Situation und dem Motiv des oder der Betroffenen.

̶ Andererseits hat der VfGH aber offenkundig schwer kranke Personen im Fokus, wenn er das Recht der suizidwilligen Person auf Inanspruchnahme der Hilfe eines/einer (dazu bereiten) Dritten damit begründet, dass „[der] Suizidwillige […] nämlich vielfach zur tatsächlichen Ausübung seiner selbstbestimmten Entscheidung zur Selbsttötung und deren gewählter Durchführung auf die Hilfe Dritter angewiesen sein [kann]“ (Rz 74).

̶ Der VfGH geht letztlich offenbar selbst nicht davon aus, dass eine Hilfeleistung zum Suizid generell straflos sein müsste. Vielmehr betont er mehrfach, dass nur das ausnahmslose Verbot der Hilfeleistung zum Suizid die Verfassungswidrigkeit begründe (vgl. Rz 81, 103 und 104); maßgeblich für den Ausspruch der Verfassungswidrigkeit sei, dass § 78 zweiter Fall StGB „pauschal und ohne Differenzierung alle denkbaren Hilfestellungen zur Selbsttötung“ unter Strafe stelle (vgl. Rz 105). Der VfGH hält an anderer Stelle ausdrücklich fest, dass vulnerable Personen vor Handlungen zu schützen seien, mit denen sie ihr eigenes Leben gefährdeten (vgl. Rz 69, 71), und setzt insofern bereits die Möglichkeit der Einschränkung des Rechts auf freie Selbstbestimmung voraus.

̶ Der VfGH stützt schließlich seine Argumentation zum Recht auf freie Selbstbestimmung auch auf medizinrechtliche Vorschriften und befürwortet ausdrücklich einen Vergleich mit § 49a Abs. 2 des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I Nr. 169/1998, der ebenfalls (hinsichtlich einer lebensverkürzenden Schmerzbehandlung) auf eine eng umschriebene Leidenssituation am Lebensende abstellt. Der Anwendungsbereich des § 49a des Ärztegesetzes 1998 ist auf Sterbende beschränkt, die an „schwersten Schmerzen und Qualen“ leiden.

Ausgehend von diesen Überlegungen schlägt der Entwurf daher vor, die Inanspruchnahme der Suizidassistenz auf volljährige Personen, die entweder an einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit oder an einer schweren und dauerhaften Krankheit leiden, zu beschränken.

Wie und durch wen darf Suizidassistenz geleistet werden?

Im Dialogforum hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einem würdigen Tod an die Einnahme eines tödlichen Präparats denken. Allerdings gab es unterschiedliche Auffassungen dazu, wie dieses Präparat zur Verfügung gestellt werden soll. Während einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Verschreibung durch Ärztinnen und Ärzte befürworteten, nicht zuletzt, weil diese einem strengen Standesrecht unterliegen, lehnten das viele andere, darunter namentlich Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft, ab. Diese kritischen Stimmen sehen hier Konflikte mit dem Rollenverständnis vieler ärztlichen Personen, die ihre Patientinnen und Patienten heilen oder zumindest ihr Leiden lindern, aber nicht zu ihrem Tod beitragen wollen. Sie warnten aber auch davor, dass ein Vorbehalt für den Ärzteberuf die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Art, aus dem Leben zu scheiden, stärke und außerdem eine Tendenz fördere, wonach sterbewillige Menschen ihr Schicksal in die Hände von Ärztinnen und Ärzten legten, was die notwendige selbstbestimmte Steuerung des Sterbensprozesses unterminiere.

Der vorliegende Entwurf trägt diesen Gedanken Rechnung und sieht eine kontrollierte Abgabe eines letalen Präparats durch öffentliche Apotheken vor, ohne dass eine ärztliche Verschreibung erforderlich wäre. Die Aufklärung bleibt ohnedies ärztlichen Personen vorbehalten, dagegen gibt es auch keinen Widerstand aus der Ärzteschaft. Damit wird auch die Anzahl der Personen, die im bisherigen Sinne beim eigentlichen Sterbeprozess „Hilfe leisten“, so weit wie möglich eingeschränkt: Letztlich bedarf es nur einer Person, die das Präparat ausfolgt.

Diskutiert wurde auch, ob andere Formen der Hilfeleistung als die Abgabe des Präparats, etwa die Beistellung des locus morti, staatlichen Stellen vorbehalten werden soll. Relativ einig war sich das Dialogforum, dass die Werbung für solche Dienstleistungen eingeschränkt werden sollte. Der Entwurf sieht daher ein solches verwaltungsstrafrechtlich zu ahndendes Werbeverbot vor; die Information über die zur Abgabe bereiten Apotheken sollten den dokumentierenden Personen zur Verfügung gestellt werden. Wenn die Werbung die Grenze zum „Verleiten“ überschreitet, bleibt sie ohnedies weiterhin strafbar.

Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Im Zentrum des vorliegenden Entwurfs steht – im Bestreben einer konsequenten Umsetzung des Erkenntnisses des VfGH – das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, sein Leben nach einem freien und selbstbestimmten Entschluss zu beenden und sich dabei allenfalls auch der Hilfe eines oder einer dazu bereiten Dritten zu bedienen. Dazu kommen die vom VfGH geforderten Absicherungsmechanismen, damit sich auch der oder die zur Hilfe bereite Dritte darauf verlassen kann, dass die Entscheidung zur Selbsttötung auf freier Selbstbestimmung gegründet wurde.

Ein freier und selbstbestimmter Willensentschluss setzt eine Aufklärung über Krankheit und Krankheitsverlauf, Therapie- und Behandlungsoptionen sowie die Konsequenzen und Alternativen voraus, was durch mindestens zwei ärztliche Personen, von denen eine eine Qualifikation in Palliativmedizin aufzuweisen hat, geleistet werden soll. Mit der dokumentierenden Person müssen daher letztlich mindestens drei Personen das Vorliegen eines freien und selbstbestimmten Willensentschlusses bestätigen. Um die Dauerhaftigkeit dieses Entschlusses zu gewährleisten, muss eine Frist von zwölf Wochen verstreichen. Während bei dieser Frist die Überwindung der aus der Suizidforschung bekannten „Krisenphase“ von etwa drei Monaten im Vordergrund steht, soll bei dem Eintritt in die terminale Phase einer Erkrankung eine wesentlich kürzere Frist (zwei Wochen) herangezogen werden. Angesichts der überblickbaren letzten Lebensphase ist die Dauerhaftigkeit schon früher gegeben; außerdem wäre diese Personengruppe ansonsten faktisch von der Inanspruchnahme der Suizidassistenz ausgeschlossen.

Die konkrete Ausführung des lebensbeendenden Entschlusses soll dann in einem privaten Rahmen erfolgen, der Entwurf sieht von einer Institutionalisierung der Suizidassistenz in Form von staatlichen Einrichtungen oder „Suizidstationen“ ebenso ab wie von der Überwälzung dieser Aufgabe ausschließlich an die Ärzteschaft oder der Einrichtung eines Berufsbildes von professionellen Suizidassistentinnen und Suizidassistenten oder einer Suizidorganisation. Nach der Konzeption des vorliegenden Entwurfs soll sich die sterbewillige Person, deren freier und selbstbestimmter Entschluss durch die vorgesehenen Kautelen soweit wie möglich abgesichert wurde, durch Vorlage ihrer Sterbeverfügung binnen eines Jahres nach der Errichtung das Präparat bei einer Apotheke abholen und dieses dann – in dem von ihr gewählten, privaten Rahmen – zu sich nehmen können. Bei diesem durch das Gesetz vorgezeichneten Weg soll es sich um den Hauptanwendungsfall handeln; andere Formen der Hilfeleistung (z. B. Reisebegleitung in die Schweiz) sind außerhalb der Tatbestände des vorgeschlagenen § 78 Abs. 2 StGB (vgl. Art. 3) grundsätzlich zulässig, wobei sich sterbewillige und Hilfe leistende Person mit einer entsprechenden Sterbeverfügung absichern können. Weiters sieht der Entwurf die Verankerung des Grundsatzes der Freiwilligkeit der hilfeleistenden Person ebenso wie einen Schutz vor Benachteiligung vor. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Suizidpräventionsforschung (Stichwort „Werther-Effekt“) wird auch ein Werbeverbot unter gleichzeitiger Sicherstellung sachlicher Informationen vorgeschlagen. Dazu kommt ein Verbot wirtschaftlicher Vorteile bei der Hilfeleistung zur Selbsttötung. Letztlich soll sichergestellt werden, dass eine wissenschaftliche Begleitforschung ermöglicht wird, indem – unter Wahrung datenschutzrechtlicher Interessen – die Einrichtung eines Registers für eine Erhebung und Analyse der wichtigsten Daten erfolgt.

Insgesamt bemüht sich der Entwurf um einfache und klare Regelungen; eine Überregulierung könnte den Eindruck einer staatlichen Förderung bzw. Institutionalisierung erwecken und nahelegen, dass Personen der Entschluss zur Selbsttötung durch Professionisten (wie Ärztinnen und Ärzte) gleichsam „abgenommen“ wird.

Im Rahmen des Gesamtpakets soll darüber hinaus die Strafbarkeit der Hilfeleistung zur Selbsttötung in § 78 Abs. 2 StGB neu geregelt werden: Die physische Hilfeleistung zur Selbsttötung soll bei bestimmten Personengruppen sowie unter bestimmten Umständen unter Strafe gestellt werden. Zu ersteren zählen minderjährige Personen und solche, die nicht an einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 3 des StVfG leiden. Unter letzteres fallen die Hilfeleistung aus einem verwerflichen Beweggrund und wenn die sterbewillige Person nicht gemäß § 7 StVfG ärztlich aufgeklärt wurde. Der Entwurf geht damit von einem Verständnis des Erkenntnisses des VfGH zu G 139/2019 aus, demzufolge es dem einfachen Gesetzgeber zwar untersagt ist, die Hilfeleistung zur Selbsttötung ausnahmslos zu kriminalisieren, es jedoch zulässig ist, die Straflosigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung bestimmten materiellen Kriterien zu unterwerfen. Die Strafbarkeit des Verleitens soll hingegen unverändert bleiben (§ 78 Abs. 1 StGB). Die Strafdrohung soll nach Abs. 1 und Abs. 2 (weiterhin) sechs Monate bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe betragen.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 7. Dezember 2021 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Johanna Jachs die Abgeordneten Mag. Selma Yildirim,
Mag. Harald Stefan, Dr. Johannes Margreiter, Mag. Agnes Sirkka Prammer, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Dr. Gudrun Kugler, Dr. Harald Troch und Mag. Wolfgang Gerstl sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M. und die Ausschussobfrau Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker.

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, S, G, N, dagegen: F) beschlossen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (1177 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2021 12 07

                            Mag. Johanna Jachs                                                  Mag. Michaela Steinacker

                                  Berichterstatterin                                                                           Obfrau