EU-JAHRESVORSCHAU 2020

 

 

BUNDESMINISTERIUM
FINANZEN

 

MÄRZ 2020


 

Inhalt

LEGISLATIV- UND ARBEITSPROGRAMM DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION   3

ARBEITSPROGRAMM DES ECOFIN-RATES   5

1. Überblick  5

2. Förderung von Wachstum und Beschäftigung   6

3. Sicherstellung der makroökonomischen Stabilität  9

4. Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion   11

5. Errichtung der Banken- und Kapitalmarktunion   13

5.1. Bankenunion   13

5.2 Kapitalmarktunion (CMU)  15

6. Vertiefung der Zusammenarbeit in Steuerfragen   17

6.1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft  17

6.2. Einführung einer gemeinsamen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage  18

6.3. Reform des Mehrwertsteuersystems  19

6.4. Sonstige Steuerthemen   20

7. Zukunft der EU-Finanzen   22

Geplante Tagungen des ECOFIN-Rates 2020   23

 


 

LEGISLATIV- UND ARBEITSPROGRAMM DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION

Für die neue Europäische Kommission (EK), die wegen des verspäteten Antritts ihr Arbeitsprogramm erst Ende Jänner vorgelegt hat, steht der Übergang zu einer klimaneutralen, digitalen und gerechten Wirtschaft im Zentrum der künftigen Schwerpunktsetzungen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat angekündigt, die wichtigsten Vorhaben bereits in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit, d.h. bis Mitte/Ende März auf Schiene zu bringen. Auf Basis der Leitlinien, die von der Leyen im Juli 2019 dem Europäischen Parlament (EP) vorgestellt hat, sind die geplanten sowie bereits schon länger auf dem Tisch liegenden Maßnahmen und Initiativen, von denen viele in die Zuständigkeit oder Mitzuständigkeit des ECOFIN-Rates fallen, jeweils sechs übergreifenden Zielen zugeordnet.

An erster Stelle steht der „Europäischer Green Deal“, mit dem die Basis für eine ressourcen-effiziente und wettbewerbsfähige Wirtshaft geschaffen und bis 2050 das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft verwirklicht werden soll. Kernstück der Strategie ist - neben Änderungen im regulatorischen/ ordnungsrechtlichen Bereich (Stichwort: „Europäisches Klimagesetz“) - die Umsetzung eines Europäischen Investitionsplans, mit dem innerhalb der nächsten 10 Jahre zusätzliche öffentliche und private Investitionen von 1000 Mrd. Euro mobilisiert werden sollen. Außerdem hat die EK eine Ausweitung des Handels mit Emissionszertifikaten, die Überprüfung der Richtlinie zur Energiebesteuerung sowie die Einführung eines „Border Adjustment Mechanism“ angekündigt. Bereits Mitte Jänner hat die EK einen Vorschlag für einen „Just Transition Mechanism“ vorgelegt, mit dem den Mitgliedstaaten der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft erleichtert werden soll.

Außerdem will die EK sicherstellen, dass Europa für das digitale Zeitalter gerüstet ist. Elemente, die in diesem Zusammenhang im Arbeitsprogramm besonders betont werden, sind die Entwicklung einer umfassenden europäischen Datenstrategie sowie einer Strategie für künstliche Intelligenz und die Stärkung des Binnenmarktes für digitale Dienstleistungen. Ein wichtiges Thema bei allen Initiativen ist die uneingeschränkte Achtung europäischer Werte und Grundrechte sowie die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen. Um das digitale Finanzwesen besser gegen Cyperangriffe zu schützen, will die EK u.a. auch einen Vorschlag über Kryptoanlagen vorlegen.

Die dritte Zielsetzung der EK ist eine „Wirtschaft im Dienste der Menschen“, bei der Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Nachhaltigkeit möglichst eng miteinander verknüpft sind. Als konkrete Maßnahmen kündigt die EK u.a. ein Rechtsinstrument für Mindestlöhne sowie einen Vorschlag für eine europäische Arbeitslosenrückversicherung an. Außerdem will sie eine Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung durchführen und dabei die Mitgliedstaaten und andere Interessensträger im Rahmen einer breit angelegten Konsultation eng einbeziehen. Bei Bulgarien und Kroatien will die EK weiterhin sorgfältig beobachten, inwieweit die beiden Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen im Hinblick auf den Beitritt zum Europäischen Wechselkursmechanismus bzw. (in weitere Folge) auf die Einführung der gemeinsamen Währung erfüllen. Die Integration der Kapitalmärkte, mit mehr Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten für Unternehmen und private Haushalte, soll durch einen neuen Aktionsplan mit Vorschlägen für konkrete Maßnahmen und Initiativen weiter vorangetrieben werden. Ebenso plant die EK einen neuen Aktionsplan zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, mit dem das Aufsichtssystem und die Umsetzung der diversen Vorschriften verbessert werden soll. Im steuerlichen Bereich will die EK, vor dem Hintergrund von Globalisierung und technologischem Wandel, den Schwerpunkt auf die Unternehmensbesteuerung und die Bekämpfung des Steuerbetrugs legen.

Ein weiteres übergreifendes Ziel ist die Stärkung Europas im internationalen Kontext. Zu diesem Zweck soll die EU geopolitischer ausgerichtet werden und in internationalen Fragen geeinter und effektiver auftreten.  In Zusammenhang mit der Reform der WTO will sich die EK an die Spitze der internationalen Bemühungen setzen und für faire und durchsetzbare Regeln eintreten. In Bezug auf Afrika soll eine neue umfassende Strategie ausgearbeitet werden, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Kontinenten zu fördern und die Partnerschaft in allen Politikbereichen zu vertiefen. Die EK will weiterhin auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien drängen und generell die Partnerschaft mit den westlichen Balkanstaaten weiter vertiefen.

Initiativen in den Bereichen Sicherheit (Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität, Verhinderung von hybriden Bedrohungen) und Migration (Ausarbeitung eines neuen Migrations- und Asylpaktes) sowie Gesundheit und Bildung werden unter dem fünften übergreifenden Ziel „Förderung der europäischen Lebensweise“ gruppiert. Als sechstes Ziel nennt die EK schließlich die Stärkung der Demokratie in Europa; ein wichtiges Thema hier ist die Abhaltung einer Konferenz über die Zukunft Europas.

Als die wichtigsten „horizontalen“ Prioritäten nennt die EK die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen und den Eigenmittelbeschluss sowie die Verhandlungen über die künftige Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich. Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung soll künftig auch im Europäischen Semester ihren Niederschlag finden. Schließlich will die EK die Initiative zur besseren Rechtsetzung fortsetzen und die Umsetzung und Anwendung der Rechtsvorschriften weiterhin genau überwachen.

ARBEITSPROGRAMM DES ECOFIN-RATES

1. Überblick

Für die Präsidentschaft stehen im ECOFIN-Rat die (weiter) Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die Vollendung der Bankenunion, die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion, die Verbesserung der Steuerkoordination sowie Budgetthemen im Mittelpunkt.

Die kroatische Präsidentschaft will sich im Rahmen der WWU-Vertiefung besonders auf die Unterstützung von Reformprozessen und wirtschaftlicher Konvergenz konzentrieren, und in diesem Zusammenhang u.a. eine Einigung über das Reform- und Investitionshilfeprogramm („Reform and Investment Support Programme“-RISP) erzielen. In Bezug auf die Bankenunion sollen die Verhandlungen über die Errichtung eines Europäischen Einlagensicherungssystems (EDIS) und die Maßnahmen zur Verringerung/ Beseitigung von Non-Performing Loans (NPL) fortgesetzt werden.

Ebenfalls hervorgehoben wird im Arbeitsprogramm der Präsidentschaft die Schaffung einer Kapitalmarktunion – einerseits sollen die Verhandlungen über die (wenigen) noch offenen Legislativvorhaben im Rahmen des Aktionsplans 2015 abgeschlossen werden; anderseits will die Präsidentschaft die Identifizierung künftiger Prioritäten und die Ausarbeitung eines neuen Aktionsplans aktiv unterstützen. Ein wichtiger Aspekt soll dabei insbesondere auch die Rolle und der Beitrag des Finanzsektors beim Übergang auf eine nachhaltige Wirtschaft haben.

Im Steuerbereich betont die Präsidentschaft in ihrem Arbeitsprogramm insbesondere die aus der Globalisierung und Digitalisierung resultierenden Herausforderungen, die Änderungen bei den internationalen Steuerregeln notwendig machen, um eine gerechte Verteilung der Steuereinnahmen sicherzustellen. Ebenso wird im Arbeitsprogramm betont, dass die Steuersysteme den Erfordernissen des Klimaschutzes stärker als bisher Rechnung tragen müssen. Als weitere Themenschwerpunkte werden im Arbeitsprogramm die Verbesserung der Steuertransparenz sowie die Bekämpfung von unfairen Steuerpraktiken und Steuerbetrug genannt.

In Bezug auf die EU-Finanzen will die Präsidentschaft den Schwerpunkt auf die Verhandlungen über den künftigen Eigenmittelbeschluss sowie die Betrugsbekämpfung legen. Außerdem möchte sie das Entlastungsverfahren zum EU-Budget 2018 zu einem erfolgreichen Abschluss bringen und zu einer reibungslosen Umsetzung des EU-Budgets 2020 beitragen.

Als voraussichtliche Themen für den informellen ECOFIN-Rat am 24./25. April in Zagreb plant die Präsidentschaft u.a. die Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Stärkung der internationalen Rolle des Euro, die Finanzierung von KMU im Rahmen des Green Deal, Implikationen der Bevölkerungsalterung sowie FinTech.  

2. Förderung von Wachstum und Beschäftigung

Hintergrund

Die EK erwartet in ihrer Winterprognose (Februar 2020), dass die Wirtschaft der Eurozone heuer und im nächsten Jahr mit jeweils 1,2% weiterhin moderat wachsen wird, nach ebenfalls 1,2% im letzten Jahr. Damit befindet sich die Eurozone derzeit in ihrer längsten ununterbrochenen Wachstumsphase seit Einführung der gemeinsamen Währung im Jahr 1999. Nach Einschätzung der EK haben sich einige Abwärtsrisiken zuletzt abgeschwächt, gleichzeitig bestehen aber nach wie vor erhebliche Unsicherheiten für die globale Wirtschaftsentwicklung, darunter die Handelspolitik der USA, die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten sowie (zuletzt) der Ausbruch des Coronavirus. Infolge der schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen resultiert das Wirtschaftswachstum in Europa vor allem aus der Binnennachfrage, die von der gestiegenen Beschäftigung, einer robusten Lohnentwicklung sowie günstigen Finanzierungsbedingungen unterstützt wird.

 

Aktueller Stand

Die EK hat im Dezember 2019 im Rahmen des Europäischen Semesters 2020 den Bericht über die jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum (bis zum ES 2019: „Jahreswachstumsbericht“), den Frühwarnbericht zu möglichen makroökonomischen Ungleichgewichten sowie die Empfehlung zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik in der Eurozone vorgelegt.

Im Bericht über die jährliche Wachstumsstrategie werden die wesentlichen wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen für die nächsten zwölf Monate skizziert. Vor dem Hintergrund des European Green Deal werden von der EK dabei vier sich ergänzende Dimensionen in das Zentrum gestellt: (1) Klima und Umwelt, (2) Produktivität, (3) Stabilität und (4) Fairness.

Nach den Vorstellungen der EK soll der größere Fokus auf Klima und Umwelt das Europäische Semester „als umfassendes Instrument für die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik“ stärken. Den Mitgliedstaaten sollen konkrete Orientierungshilfen gegeben werden, in welchen Bereichen im Hinblick auf ein nachhaltigeres und wettbewerbsfähigeres Wirtschaftsmodell Strukturreformen und Investitionen am dringendsten benötigt werden. Im Rahmen des EU-Investitionsplans soll die EU eine Katalysatorrolle bei der Mobilisierung von privaten und öffentlichen Investitionen zukommen. 

Um beim Produktivitätswachstum gegenüber anderen globalen Akteuren aufzuholen, bedarf es aus Sicht der EK einer systematischen und zukunftsorientierten Forschungs- und Innovationsstrategie. Für den Wandel durch digitale Technologien wie künstliche Intelligenz sowie Datenaustausch und Datennutzung braucht Europa, so der Bericht, eine starke industrielle Basis und eine Bündelung von Ressourcen in Schlüsselbereichen. Der Finanzsektor sollte Innovationen und Investitionen besser als bisher unterstützen; durch weitere Maßnahmen zur Errichtung einer Kapitalmarktunion sollte innovativen und wachstumsorientierten Unternehmen der Zugang zu Finanzmitteln erleichtert werden.

Zur Sicherstellung makroökonomischer Stabilität fordert die EK, dass die Ursachen für Ungleichgewichte beseitigt und gleichzeitig Investitionen in Nachhaltigkeit und Produktivität gefördert werden. Das Niedrigzinsumfeld sollten die Mitgliedstaaten zur Verringerung ihrer Schulden und zum Aufbau von budgetären Spielräumen für künftige Herausforderungen nutzen. Der Finanzsektor sollte durch die Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion weiter gestärkt werden. Die nationalen Steuersysteme sollten ausreichende Einnahmen für die Finanzierung von Investitionen, Bildung- und Gesundheitseinrichtungen sowie für öffentliche Wohlfahrt sicherstellen. Als wichtige Maßnahmen nennt die EK die Bekämpfung aggressiver Steuerpraktiken sowie die gerechte Besteuerung globaler Unternehmen. 

Der Frühwarnmechanismus dient als Ausgangspunkt für das Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte (MIP). Die EK sieht, wie in den Vorjahren, diesbezüglich weitere Verbesserungen; in mehreren Mitgliedstaaten bestehen allerdings weiterhin erhebliche Risiken und Herausforderungen, etwa bei Schuldenquoten und Leistungsbilanzen, beim Potential- und Produktivitätswachstum sowie beim Abbau notleidender Kredite. Von der EK bereits festgestellte Ungleichgewichte weisen weiterhin IT, EL und CY auf. Bei neun weiteren Mitgliedstaten (FR, DE, ES, RO, NL, PT, BG, SE, HR) wird sie auch diesmal wieder vertiefte Analysen durchführen. Für Österreich ist keine vertiefte Analyse vorgesehen; wie bei einigen anderen Mitgliedstaaten sieht die EK allerdings auch bei Österreich Anzeichen für eine Überhitzung bei den Preisen für Wohnimmobilien.

In der Empfehlung zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone nennt die EK fünf Schwerpunkte: (1) Bekämpfung von makroökonomischen Ungleichgewichten durch Förderung der Wettbewerbsfähigkeit (bei Defiziten) bzw. Förderung von Lohnwachstum und öffentlichen/privaten Investitionen (bei Überschüssen); (2) Schuldenabbau in Mitgliedstaaten mit hoher Verschuldung, Förderung von Investitionen in Mitgliedstaaten mit guter fiskalischer Ausgangslage; (3) Stärkung von Investitionen in Bildung, Weiterbildung und Humankapital; Verbesserung der aktiven Arbeitsmarktpolitik; Vermeidung von Arbeitsmarktsegmentierung; Förderung des sozialen Dialogs; (4) Vollendung der Bankenunion und Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion; Stärkung des regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Rahmens; inkl. einer wirksamen Anwendung der Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche; Abbau hoher Privatschulden sowie von notleidenden Krediten; (5) Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion; Stärkung der internationalen Rolle des Euro.

 

Der ECOFIN-Rat hat bei seiner Tagung im Februar Schlussfolgerungen zur Wachstumsstrategie sowie zum Frühwarnbericht angenommen und die wirtschaftspolitischen Empfehlungen gebilligt. Demnach werden die Einschätzungen und Schwerpunktsetzungen der EK von den Finanzministern/innen weitgehend unterstützt. Die Schlussfolgerungen zur Wachstumsstrategie dienen als Input für die Festlegung der Politikprioritäten für die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie die nationalen Reformprogramme durch die Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat im März. Die Schlussfolgerungen zum Frühwarnbericht sind vor allem als Input für die EK bei der Durchführung der Tiefenanalysen im Rahmen der makroökonomischen Überwachung gedacht. Die wirtschaftspolitischen Empfehlungen sollen schließlich vom Europäischen Rat im März bestätigt und im Anschluss vom ECOFIN-Rat formell angenommen werden.

Position des BMF

Das BMF steht der Einführung und Weiterentwicklung des Europäischen Semesters grundsätzlich positiv gegenüber, weil damit die verschiedenen Verfahren und Instrumente der wirtschaftspolitischen Koordination und Überwachung stärker zusammengeführt und die Voraussetzungen für eine kohärentere Wirtschafts- und Budgetpolitik verbessert worden sind. Positiv gesehen werden in diesem Zusammenhang auch die regelmäßigen thematischen Debatten in der Euro-Gruppe, durch die das Verständnis für die Notwendigkeit von Strukturreformen gefördert wird. Eine Ausweitung des Europäischen Semesters auf neue Themenfelder ist aus Sicht des BMF kritisch, weil dies zu einer Verwässerung der wirtschaftspolitischen Steuerung führen könnte. Mehr Aufmerksamkeit sollte daraufgelegt werden, dass die länderspezifischen Empfehlungen von den Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt werden.

3. Sicherstellung der makroökonomischen Stabilität

Hintergrund

Als Folge der Finanz- und Schuldenkrise wurden zahlreiche Maßnahmen getroffen, um einerseits die Wirtschaft der Euro-Zone bzw. der EU wieder zu stabilisieren und andererseits die Krisenvorsorge auf eine solidere Basis zu stellen. Im Zuge des kurzfristigen Krisenmanagements wurden mit fünf Eurostaaten (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Zypern) sowie drei Nicht-Eurostaaten (Ungarn, Lettland, Rumänien) Unterstützungsprogramme ausverhandelt und gemeinsam mit dem IWF sowie in Verbindung mit strengen Programmkonditionalitäten Finanzhilfen bereitgestellt. Ebenso haben in den letzten Jahren auch die anderen Mitgliedstaaten erhebliche Anstrengungen unternommen, um im Wege struktureller Reformen die makrofinanzielle Stabilität zu erhöhen und die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung zu verbessern. Im Rahmen der Krisenvorsorge wurde sowohl die wirtschaftspolitische Governance als auch die Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte grundlegenden Reformen unterzogen. Durch diese Maßnahmen konnten die makroökonomischen Ungleichgewichte deutlich verringert und die Glaubwürdigkeit der europäischen Wirtschafts- und Budgetpolitik sowie das Vertrauen in die gemeinsame Währung wiederhergestellt werden.

Aktueller Stand

Gemäß der Herbstprognose der EK (November 2020) soll das nominelle Budgetdefizit 2020 und 2021 in der Euro-Zone bei 0,9 % bzw. 1,0 % des BIP liegen, und damit gegenüber 2019 geringfügig steigen. Gleichzeitig rechnet die EK mit einer weiteren Verringerung der öffentlichen Verschuldung auf knapp über 85 % in diesem und 84 % im nächsten Jahr.

Gemäß der von der EK durchgeführten Bewertung, die von der Euro-Gruppe bei der Tagung im Dezember weitgehend bestätigt worden ist, stehen bei neun Mitgliedstaaten (CY, DE, EL, IE, LT, LU, MT, NL und Österreich) die für 2020 übermittelten Budgetpläne in Einklang mit den Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Zwei Mitgliedstaaten (EE, LV) haben Budgetpläne übermittelt, die laut EK weitgehend in Einklang mit dem SWP stehen, während bei acht Mitgliedstaaten (BE, ES, FR, IT, PT, SI, SK, FI) das Risiko besteht, dass die Vorgaben des SWP nicht erfüllt werden.

Mit Spanien, Portugal, Irland und Zypern konnten bis 2016 vier Unterstützungsprogramme in der Euro-Zone zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Diese Mitgliedstaaten unterliegen seitdem der so genannten Post-Programm-Überwachung, die so lange durchgeführt wird, bis mindestens 75 % der Finanzhilfe (EFSF, ESM, bilateral) zurückbezahlt wird. Bei sämtlichen bisher durchgeführten Prüfmissionen wurde festgestellt, dass sich die wirtschaftliche und finanzielle Situation dieser Mitgliedstaaten aufgrund der umgesetzten Strukturreformen mittlerweile nachhaltig verbessert hat und bei allen vier Mitgliedstaaten von einer gesicherten Rückzahlungskapazität der Schulden ausgegangen werden kann.

Bezüglich Griechenland hat sich die Euro-Gruppe Ende Juni 2018 auf den Abschluss des Programms sowie auf weitere schuldenerleichternde Maßnahmen (darunter: Wiederaufnahme der Überweisungen von SMP-/ ANFA-Gewinnen; Reprofiling der EFSF-Darlehen) geeinigt, die an die Einhaltung wirtschafts- und finanzpolitischer Vorgaben im Rahmen einer verstärkten Post-Programm Überwachung geknüpft sind. Diese Überwachung kommt in Form von vierteljährlichen Überprüfungen zur Anwendung.

Der letzte Prüfbericht wurde von der EK im Dezember 2019 der Euro-Gruppe vorgelegt. Demnach ist davon auszugehen, dass der vereinbarte Primärüberschuss in Höhe von 3,5% des BIP 2019 erreicht wird und auch der Haushaltsplan für 2020 diese Bedingung erfüllt. Darüber hinaus hat Griechenland laut Prüfbericht deutliche Fortschritte bei der Durchführung von Strukturreformen, u.a. in den Bereichen Arbeitsmarkt, Digitales und Unternehmensumfeld erzielt.

Position des BMF

Das BMF tritt dafür ein, dass die EU-Fiskalregeln von allen Mitgliedstaaten konsequent angewendet und die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem von Mitgliedstaaten mit hohen Verschuldungsquoten zur weiteren Budgetkonsolidierung genutzt werden. Auf internationaler Ebene, etwa im G-20 und IWF Kontext, muss die EU - unter Einbeziehung der Interessen aller Mitgliedstaaten - ihre Positionen aktiv einbringen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu einer ausgewogenen und spannungsfreien Entwicklung der Weltwirtschaft beitragen.

4. Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion

Hintergrund

Die EK hat im Mai 2017 ein Reflexionspapier über die weitere Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) vorgelegt. Bis Ende 2019 sollten demnach vor allem die Vollendung der Bankenunion und die Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Vordergrund stehen. Im Dezember 2017 hat die EK ein erstes Paket mit Legislativvorschlägen vorgelegt, darunter eine Reform des ESM, inklusive seiner Integration in das Unionsrecht. Im Mai 2018 hat die EK (in Zusammenhang mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027) einen Vorschlag für ein Programm zur Förderung von Strukturreformen („Reform Support Programme - RSP“) sowie einen Vorschlag für eine Europäische Investitionsstabilisierungsfazilität („European Investment Stabilisation Function - EISF) zur Unterstützung bei asymmetrischen Schocks und im Dezember 2018 eine Mitteilung sowie eine Empfehlung zur Stärkung der internationalen Rolle des Euro vorgelegt. Anfang Februar 2020 hat die EK schließlich eine Mitteilung über das Funktionieren der wirtschaftspolitischen Governance („Six Pack/ Two Pack“) vorgelegt, auf deren Basis nun bis Jahresmitte eine breit angelegte Konsultation durchgeführt wird. Bis Jahresende will die EK dann unter Einbeziehung der Ergebnisse dieser Konsultation über die weiteren Schritte entscheiden.

Aktueller Stand

Die (weitere) Vertiefung der WWU war im abgelaufenen Jahr regelmäßig Gegenstand von Beratungen sowohl in der Euro-Gruppe (im inklusiven Format) als auch im ECOFIN-Rat; außerdem haben sich die Staats- und Regierungschefs auf Basis von Inputs der Finanzminister/innen mehrmals mit dem Thema befasst und Orientierung im Hinblick auf die weiteren Arbeiten gegeben.

Bei der Euro-Gruppe im Dezember wurden die letzten noch offenen Punkte in Bezug auf die Reform des ESM geklärt. Demnach wird dieser in Form einer revolvierenden Kreditlinie künftig die Rolle des Common Backstop für den Einheitlichen Abwicklungsfonds übernehmen, wobei die Obergrenze für das Volumen der Kreditlinie mit 68 Mrd. Euro festgelegt wurde. Außerdem wird die Rolle des ESM bei der Krisenvorsorge und -bewältigung gestärkt und die Kooperation zwischen der EK und dem ESM verbessert. Schließlich zielt das Reformpaket auf eine Steigerung der Effektivität der vorsorglichen Instrumente sowie auf eine Vereinfachung von Schuldenrestrukturierungen (Stichwort: „Single Limb Collective Action Clauses“).

Eine grundsätzliche Einigung konnte zwischenzeitlich auch über das Reform Support Programme (nunmehr „Reform and Investment Support Programme“ - RISP) erzielt werden. Demnach umfasst das Programm ein “Budgetary Instrument for Convergence and Competitiveness” (BICC), das grundsätzlich nur für Euro-Staaten zur Verfügung steht sowie ein „Convergence and Reform Instrument“ (CRI) für jene Mitgliedstaaten, die an der gemeinsamen Währung (noch) nicht teilnehmen. Mit dem BICC sollen Mitgliedstaaten der Eurozone auf Ko-Finanzierungsbasis (EU-Budget/ nationale Budgets) bei der Umsetzung von (im Rahmen des Europäischen Semesters vereinbarten) Reform- und Investitionspaketen unterstützt werden. Von mehreren Mitgliedstaaten wird verlangt, das in Zusammenhang mit der Finanzierung des BICC zusätzliche Mittel im Wege eines Intergouvernmentalen Abkommens zur Verfügung gestellt werden (Stichwort: „Eurozonenbudget“). Bei der Euro-Gruppe im Februar wurde dazu (gemäß einem Arbeitsauftrag der Staats- und Regierungschefs vom Dezember) ein Bericht über die Notwendigkeit, den Inhalt und die Modalitäten sowie die (rechtliche) Machbarkeit eines solchen Abkommens angenommen.

Ebenfalls bei der Euro-Gruppe im Februar ist ein erster Meinungsaustausch über die EK-Mitteilung zur wirtschaftspolitischen Governance („Six Pack/ Two Pack“) erfolgt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Analyse der EK über die Stärken und Schwächen der Governance von den Finanzministern/innen im Wesentlichen geteilt und grundlegende Änderungen als nicht notwendig erachtet werden. Gewisse Unterstützung hat die Debatte für die Themen Vereinfachung der Regeln und Stärkung der Transparenz, Vermeidung von Pro-Zyklizität sowie Berücksichtigung neuer Herausforderungen (Stichwort: Klimainvestitionen) gezeigt.

Position des BMF

Das BMF steht Überlegungen in Richtung einer weiteren Vertiefung der WWU grundsätzlich positiv gegenüber. Allerdings sollte der Fokus diesbezüglich weniger auf der Schaffung neuer Instrumente, sondern auf der konsequenteren Umsetzung bereits existierender Instrumente (darunter vor allem auch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes) liegen. In Zusammenhang mit dem BICC sieht das BMF keine Notwendigkeit für eine zusätzliche Finanzierung im Wege eines intergouvernmentalen Abkommens. Es sollte zunächst Erfahrung mit dem neuen Instrument gesammelt und im Lichte dessen über die Anpassungen bei Governance und Finanzierung entschieden werden. Bei einer allfälligen Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes muss die Zielsetzung im Vordergrund stehen, dass die Anwendung und Durchsetzung der Regeln verbessert wird. Eine weitere Flexibilisierung der Fiskalregeln (z.B. in Bezug auf öffentliche Investitionen) lehnt das BMF ab.

5. Errichtung der Banken- und Kapitalmarktunion

5.1. Bankenunion

 

Hintergrund

 

Vor dem Hintergrund der Finanz- und Schuldenkrise hat die EU in den vergangenen Jahren umfassende Reformen bei der Regulierung und Aufsicht im Bankensektor durchgeführt, um die Stabilität der Finanz- und Kapitalmärkte zu stärken und die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen dem Bankensektor und den öffentlichen Finanzen zu durchbrechen. Zentrale Elemente sind das Single Rule Book, das die Basis für die Bankenunion bildet und Bestimmungen u.a. über Eigenkapital- und Liquiditätserfordernisse, Offenlegungs- und Berichtspflichten sowie Aufsichtsstandards (CRD/CRR) umfasst, der Europäische Aufsichtsmechanismus, der u.a. die Europäische Aufsicht über bedeutende Banken (SSM) umfasst, einheitliche Regeln zur Bankensanierung und -abwicklung (BRRD/SRMR) mit einem Europäischen Abwicklungsfonds (SRF) sowie (als Ziel) die Errichtung einer Europäischen Einlagensicherung (EDIS).

 

Aktueller Stand

Im Juni 2016 hat der ECOFIN-Rat Schlussfolgerungen über eine „Roadmap zur Vervollständigung der Bankenunion“ angenommen und in Bezug auf EDIS Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen auf politischer Ebene definiert. Seither konnten bereits zahlreiche in der Roadmap genannte Dossiers ganz oder zumindest weitgehend abgeschlossen und damit die Voraussetzungen für die Sicherstellung eines stabilen Finanzsektors weiter verbessert werden. Konkrete Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang die umfangreichen Änderungen bei der CRD/CRR und BRRD/SRMR („Risk Reduction Package“), die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Verringerung/ Vermeidung von notleidenden Krediten sowie die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die u.a. auch eine Letztsicherung für den Einheitlichen Abwicklungsfonds umfasst.

Nachdem trotz dieser Fortschritte aus Sicht mancher Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für politische Verhandlungen über EDIS weiterhin nicht erfüllt sind, wurden Anfang 2019 hochrangige Arbeitsgruppen eingerichtet, die die mögliche Ausgestaltung der Einlagensicherung, das (grenzüberschreitende) Krisenmanagement, die regulatorische Behandlung von Staatsanleihen sowie die Sequenzierung der einzelnen Maßnahmen derzeit weiter prüfen. Beim Eurogipfel im Dezember 2019 wurde die Euro-Gruppe von den Staats- und Regierungschefs beauftragt, „weiter an allen Elementen zur weiteren Stärkung der Bankunion zu arbeiten“.

Um Bewegung in die Verhandlungen zu bringen, hat die EK bereits 2017, abweichend von ihrem ursprünglichen Vorschlag, ein Modell zu EDIS in die Diskussion eingebracht, wonach den nationalen Einlagensicherungssystemen in einer ersten Phase lediglich Liquidität (in Form von Krediten) zur Verfügung gestellt würde. Erst in einer zweiten Phase und nur bei Erfüllung bestimmter Bedingungen würde dann eine ansteigende Übernahme von Verlusten, bis hin zur vollständigen Vergemeinschaftung, durch EDIS erfolgen.

Position des BMF

Die Errichtung einer Europäischen Einlagensicherung ist grundsätzlich ein wichtiges Element, um das Vertrauen in den europäischen Bankensektor weiter zu stärken. Für die Sparer/innen ist wesentlich, dass die Auszahlung gesicherter Einlagen fristgerecht erfolgt; die wichtigste Rolle von EDIS ist daher die Bereitstellung von Liquidität. Der mögliche Vollausbau in Richtung Risikoteilung (Verlusttragung) wird allenfalls als langfristiges Ziel und in Verbindung mit dem weiteren Abbau von Risiken im Bankensektor gesehen. Eine diesbezüglich schrittweise Vorgangsweise (wie auch von der EK angedacht) wird in diesem Zusammenhang grundsätzlich unterstützt.

5.2 Kapitalmarktunion (CMU)

Hintergrund

Mit dem 2015 beim ECOFIN-Rat präsentierten „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion (CMU)“ hat die EK eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die zu einem besser funktionierenden europäischen Kapitalmarkt beitragen sollen. Insbesondere soll die Kapitalbeschaffung für Unternehmen erleichtert, Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten erweitert sowie die Integration des Finanzsystems gestärkt werden. Wichtige Elemente des Aktionsplans sind u.a. die Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen, die Verordnung über den Prospekt bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren, die Verordnung über ein europaweites privates Altersvorsorgeprodukt („PEPP“) sowie - in Zusammenhang mit dem Legislativpaket „Nachhaltige Finanzierung“ - die Verordnungen zu Offenlegungspflichten sowie zu Referenzwerten und die Verordnung über die Errichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen.

Aktueller Stand

Nachdem über einen Großteil der Maßnahmen in der Zwischenzeit bereits eine Einigung erzielt werden konnte, hat der ECOFIN-Rat im Dezember 2019 Schlussfolgerungen zur weiteren Vertiefung der Kapitalmärkte angenommen. Als Kernziele werden darin u.a. die (weitere) Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen, insbesondere für KMU, die Verringerung von Barrieren im grenzüberschreitenden Kapitalverkehr, die Schaffung eines wirksameren Anreizsystems für Kleinanleger bei gleichzeitiger Sicherstellung hoher Standards beim Verbraucherschutz, die Beschleunigung des Übergangs auf ein nachhaltiges Finanzsystem sowie die Förderung der Digitalisierung und des technologischen Fortschritts genannt. Außerdem wurde von der EK eine hochrangige Expertengruppe eingerichtet, die Vorschläge zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung, zur Kapitalmarktteilnahme von Kleinanlegern und zur europäischen Marktarchitektur machen soll.

Bereits im Dezember 2019 hat eine (weitere) von der EK eingerichtete Expertengruppe ihren Bericht über regulatorische Hindernisse bei FinTech/ Finanzinnovationen, verknüpft mit zahlreichen Empfehlungen vorgelegt. Diese betreffen u.a. die Notwendigkeit rechtlicher Anpassungen angesichts neuer Risiken in Zusammenhang mit innovativen Technologien (Stichwort: Künstliche Intelligenz, Blockchain und andere „Distributed Ledger“ Technologien), die Sicherstellung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen zwischen BigTech Firmen und FinTech Start-ups, den Umgang mit Daten bzw. das Thema Datenschutz sowie die Implikationen von FinTech in Bezug auf finanzielle Inklusion.

Schließlich haben der ECOFIN-Rat und die EK als Reaktion auf die Ankündigung von Facebook, ein digitales Zahlungsmittel bzw. ein dazugehöriges Netzwerk (Stichwort: „Libra“) einzuführen, eine gemeinsame Erklärung zu (globalen) „Stablecoins“ angenommen. Darin werden einerseits mögliche positive Effekte, wie mehr Wettbewerb und Wahlmöglichkeiten sowie Inklusion und Kosteneffizienz betont, gleichzeitig aber ebenso auf signifikante Risiken, u.a. in den Bereichen Rechtsicherheit und Datenschutz sowie Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung hingewiesen.

 

Position des BMF

Seitens des BMF werden Maßnahmen zur weiteren Vertiefung der Kapitalmarktunion grundsätzlich unterstützt, insbesondere, wenn sie zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung beitragen, den Zugang zu Liquidität erleichtern und die Proportionalität im Rechtsrahmen stärken. In Bezug auf FinTech unterstützt das BMF die Ziele eines gemeinsamen EU-Ansatzes, inklusive einer „technologieneutralen“ Aufsicht und Regulierung. Auch beim Thema „Stablecoins“ befürwortet das BMF eine enge Abstimmung auf EU-Ebene (bzw. eine einheitliche EU-Position in internationalen Gremien wie G20 und IWF); solange regulatorische/ aufsichtsrechtliche Fragen nicht geklärt sind, spricht sich das BMF gegen den Betrieb von (globalen) „Stablecoins“ aus.

6. Vertiefung der Zusammenarbeit in Steuerfragen

6.1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft

Hintergrund

Die digitale Wirtschaft ist eine der großen Herausforderungen für die Steuerpolitik, nachdem traditionelle Konzepte nicht mehr ausreichend sind, um eine wirksame Besteuerung von in diesem Bereich tätigen Unternehmen sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund hat die EK im März 2018 zwei Legislativvorschläge vorgelegt, die zum einen die Einführung einer temporären Steuer auf digitale Umsätze (Digital Services Tax - DST) als kurzfristige und zum anderen die Einführung einer „signifikanten digitalen Präsenz“ als längerfristige Lösung vorsahen. Nachdem es trotz intensiver Verhandlungen auf EU-Ebene zu keiner Einigung gekommen ist, soll nun eine gemeinsame Lösung auf Ebene der OECD/G20 vorangetrieben werden. Bereits Anfang 2019 wurde in diesem Zusammenhang eine „Zwei-Säulen Strategie“ vorgestellt, die über die ursprüngliche Debatte zum „Digitalthema“ hinausgeht. Die erste Säule befasst sich mit Möglichkeiten zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten (darunter die Gewinnzurechnung auf Basis der Nutzerbeteiligung). Die zweite Säule zielt nicht speziell auf die Besteuerung der digitalen Wirtschaft ab, sondern generell auf eine Eindämmung von unfairem Steuerwettbewerb durch eine weltweite Mindestbesteuerung. Eine Einigung über die beiden Säulen soll bis Ende 2020 erfolgen.

Aktueller Stand

In der Zwischenzeit hat bereits fast die Hälfte aller Mitgliedstaaten eigenständige Lösungen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft entweder eingeführt oder geplant. Der ECOFIN-Rat hat sich zuletzt bei seiner Tagung im Jänner mit dem Thema befasst. Dabei hat sich einmal mehr gezeigt, dass die meisten Mitgliedstaaten das Ziel einer globalen Lösung im Rahmen der Zwei-Säulen Strategie unterstützen, wiewohl es seitens mehrerer Mitgliedstaaten nach wie vor grundsätzliche Bedenken bzw. technische Einwände gibt.

Position des BMF

Auch seitens des BMF wird eine globale Lösung unterstützt. Ebenso spricht sich das BMF für eine enge Koordination auf EU-Ebene aus, um möglichst einheitliche Positionen bei den OECD-Verhandlungen sicherzustellen.

6.2. Einführung einer gemeinsamen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage

Hintergrund

Die EK hat im Oktober 2016 neue Vorschläge zur Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) vorgelegt. Die Vorschläge die den Vorschlag aus dem Jahr 2011 ersetzen, sehen ein zweistufiges Verfahren vor: In einem 1. Schritt soll eine Einigung über die Definition der gemeinsamen Bemessungsgrundlage, und erst in einem 2. Schritt dann auch eine Einigung über die grenzüberschreitende Konsolidierung erzielt werden. Durch die Richtlinien sollen künftig alle Unternehmen, die Teil einer konsolidierten Gruppe mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Mio. Euro sind, bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage zwingend den einheitlichen Regeln unterliegen; für kleinere Unternehmen soll die Anwendung der Richtlinie optional erfolgen. Außerdem sieht der Vorschlag spezifische Regelungen einerseits für die Förderung von Forschung und Entwicklung (durch erhöhte Abzugsmöglichkeiten von Ausgaben für Forschung und Entwicklung) und andererseits für die Finanzierung durch Eigenkapital/ Beschaffung von Beteiligungskapital (durch einen „Freibetrag für Wachstum und Investitionen“) vor. Schließlich soll es bis zum Inkrafttreten der Konsolidierung unter „strengen Bedingungen“ die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs in Bezug auf Tochtergesellschaften und Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten geben.

Aktueller Stand

Die bisherigen Verhandlungen haben sich im Wesentlichen auf die erste der beiden Richtlinien bezogen. Bereits anlässlich der Präsentation der Vorschläge im ECOFIN-Rat wurde der EK-Ansatz von den meisten Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich positiv kommentiert, in zahlreichen Wortmeldungen aber ebenso betont, dass vor einer endgültigen Positionierung eine genaue Analyse der budgetären Auswirkungen erfolgen müsse. Eine zwischenzeitlich durchgeführte Erhebung zeigt allerdings, dass diese für die meisten Mitgliedstaaten eher gering wären. Weitere Bedenken einzelner Mitgliedstaaten beziehen sich auch auf die vorgeschlagene Umsatzschwelle sowie auf die Berücksichtigung nicht-fiskalischer Ziele.

Position des BMF

Das BMF unterstützt den Vorschlag zur Einführung einer gemeinsamen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage; sie wäre ein wichtiges Element bei der Bekämpfung der Steuerumgehung und -vermeidung sowie zur Stärkung des Binnenmarktes. Allerdings wird auch seitens des BMF die Auffassung vertreten, dass sich die Richtlinie auf die Kernelemente einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage beschränken und die steuerliche Regelung in Bezug auf Forschung und Entwicklung und/ oder Eigenfinanzierung/ Fremdfinanzierung weiterhin in nationaler Zuständigkeit bleiben sollte.

6.3. Reform des Mehrwertsteuersystems

Hintergrund

Die EK hat im April 2016 einen Aktionsplan für die Ausgestaltung eines einfacheren, robusteren und weniger betrugsanfälligen Mehrwertsteuersystems auf europäischer Ebene und in weiterer Folge im Oktober 2017 ein größeres Paket mit konkreten (Legislativ-)-vorschlägen vorgelegt. Dieses umfasste einerseits „Eckpunkte des endgültigen Systems“ sowie andererseits Sofortmaßnahmen („Quick Fixes“) zur Verbesserung/ Vereinfachung des derzeitigen Systems (betreffend Reihengeschäfte, Konsignationslager, MwSt-Identifikationsnummer). Im Dezember 2017 hat die EK außerdem Vorschläge zur „Modernisierung“ der Besteuerungsstruktur mit mehr Flexibilität für die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Steuersätze sowie zur Vereinfachung der Besteuerungsregeln für KMU und zur weiteren Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Steuerverwaltungen veröffentlicht. Im Mai 2018 hat die EK schließlich einen Vorschlag zur Änderung der MwSt-Richtlinie in Bezug auf die Anwendung des endgültigen Systems vorgelegt.

Aktueller Stand

Zu den meisten Vorschlägen konnte mittlerweile eine Einigung im Rat erzielt werden; die zwei wichtigsten ausstehenden Dossiers sind die Flexibilisierung der Steuersätze sowie die Änderung der MwSt-Richtlinie in Bezug auf die Anwendung des endgültigen Systems. Für letztere ist, abgesehen von den auseinanderliegenden Positionen der Mitgliedstaaten, allein aufgrund des großen Umfangs an Artikeländerungen mit einem langen Verhandlungszeitraum zu rechnen.

Position des BMF

Das BMF unterstützt die Diskussion zur Reform des Mehrwertsteuersystems, darunter insbesondere das Ziel einfacherer und weniger betrugsanfälliger Regeln. Vor diesem Hintergrund werden die Vorschläge zur Flexibilisierung der Steuersätze sowie zur Anwendung des endgültigen Systems abgelehnt. Die Flexibilisierung der Steuersätze würde zu höheren Befolgungskosten führen und die Gefahr von Marktverzerrungen (vor allem in grenznahen Regionen) nach sich ziehen. Durch das von der EK vorgeschlagene endgültige Mehrwertsteuersystem würde aus Sicht des BMF das Betrugsrisiko erhöht.

6.4. Sonstige Steuerthemen

Hintergrund und aktueller Stand

Seit Mitte 2018 wurde das Modell der französischen Finanztransaktionssteuer (FTT), d.h. einer Aktienbesteuerung nach dem Emissionsprinzip, in der Gruppe der verstärkten Zusammenarbeit zur FTT eingehender geprüft; im Dezember letzten Jahres hat Deutschland einen konkreten Vorschlag dazu präsentiert. Demnach würden Unternehmen mit einem Börsenwert von mehr als 1 Mrd. Euro unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen; der Steuersatz würde 0,2 % betragen.

Ebenfalls bereits seit längerem liegt ein EK-Vorschlag zur Änderung der Bilanzrichtlinie vor, mit der eine Erhöhung der Steuertransparenz erreicht werden soll. Konkret schlägt die EK vor, dass in der EU tätige multinationale Konzerne (mit weltweiten Einnahmen von jährlich mehr als 750 Mio. Euro) Informationen u.a. über Umsatz, erwirtschafteten Gewinn, Anzahl der Mitarbeiter/innen sowie noch zu zahlende bzw. bereits gezahlte Steuern veröffentlichen sollen.

Anfang 2019 hat die EK eine Mitteilung vorgelegt, in der sie eine schrittweise Abkehr des Einstimmigkeitsprinzips im Steuerbereich zur Diskussion stellt, um künftig Entscheidungen in Steuerfragen zu erleichtern. Grundlage dafür wäre die im Vertrag verankerte „Passerelle-Klausel“, wonach der Rat - nach Aktivierung der Klausel durch den Europäischen Rat und nach Zustimmung der nationalen Parlamente sowie des EP - für bestimmte Politikbereiche (darunter Steuern) das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (mit qualifizierter Mehrheit) anwenden kann. In einem ersten Schritt (und bereits sehr kurzfristig) sollte laut EK die qualifizierte Mehrheit in Fragen der Verwaltungszusammenarbeit und Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerbetrug angewendet werden; längerfristig (bis 2025) sollte eine Ausweitung auf weitere Steuerbereiche wie die Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage oder die Mehrwertsteuer erfolgen.

Position des BMF

Das BMF hat sich in den Verhandlungen über die Einführung einer FTT immer für eine möglichst breite Bemessungsgrundlage mit niedrigen Steuersätzen ausgesprochen. Bei der vorgeschlagenen Aktiensteuer wäre das nicht der Fall; in der Realwirtschaft tätige Unternehmen würden benachteiligt; (hoch-)spekulative Instrumente hingegen begünstigt. Vor diesem Hintergrund wird das Modell vom BMF abgelehnt. In Bezug auf die Anwendung der qualifizierten Mehrheit in Steuerfragen kann sich das BMF diese allenfalls sehr beschränkt in bestimmten Teilbereichen vorstellen, wie Verwaltungszusammenarbeit oder Betrugsbekämpfung, wobei die nationale Souveränität in Steuerfragen sichergestellt werden muss.

 

 


 

7. Zukunft der EU-Finanzen

 

Hintergrund

 

Die EK hat im Mai 2018 ihren Vorschlag zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (2021-27) vorgelegt. Dieser ist Teil eines größeren Legislativpakets, das neben der Ausgabenseite auch Vorschläge zur Finanzierung (Eigenmittelbeschluss, begleitende Rechtsakte) sowie rund 70 Basisrechtsakte zu den einzelnen Gemeinschaftsprogrammen und die Ausführung des Budgets (Haushaltsordnung) umfasst. Der EK-Vorschlag sieht für 2021-27 Ausgaben (Verpflichtungsermächtigungen) in Höhe von 1.279 Mrd. Euro oder 1,11 % des BNE vor (verglichen mit 1,03 % 2014-2020). Laut EK steht der Vorschlag im Einklang mit neuen bzw. verstärkten Prioritäten und beinhaltet u.a. eine Fokussierung auf die Bereiche europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, Migration und Außengrenzschutz, Förderung von Forschung, Innovation, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sowie Nutzung des Potentials im Zuge der Digitalisierung. Im Hinblick auf die künftige Finanzierung schlägt die EK neben einer Erhöhung der Eigenmittelobergrenze das Auslaufen aller Rabatte und eine Reform der MwSt.-abhängigen Eigenmittel vor. Außerdem sind im EK-Vorschlag neue Eigenmittelquellen vorgesehen: Einnahmen auf Basis des Verbrauchs nicht wiederverwerteter Kunststoffabfälle, Anteile an der gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und Anteile an den Einnahmen aus dem Emissionshandel (ETS).

 

Aktueller Stand

Gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember wird der Präsident des Europäischen Rates aufgefordert, „die Verhandlungen voranzubringen, um zu einer endgültigen Einigung zu gelangen.“ Vor diesem Hintergrund hat Präsident Charles Michel am 14. Februar eine überarbeitete „Verhandlungsbox“ vorgelegt. Bei der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates am 20. Februar konnte darüber allerdings keine Einigung erzielt werden.

 

Position des BMF

 

Als Nettozahler räumt Österreich der Reform der EU-Finanzen bzw. der zugrundeliegenden EU-Politiken hohe Priorität ein. Die von der EK vorgeschlagene Fokussierung der Ausgaben auf Bereiche mit einem besonders hohen europäischen Mehrwert im Einklang mit neuen bzw. verstärkten Prioritäten wird daher unterstützt. Wie andere Mitgliedstaaten vertritt aber auch Österreich die Auffassung, dass diese Prioritäten innerhalb eines Gesamtvolumens von 1% des EU 27 Bruttonationaleinkommens finanziert werden können. Außerdem fordert Österreich als drittgrößter Nettozahler eine spürbare und dauerhafte Entlastung bei den Beitragszahlungen.

 

Geplante Tagungen des ECOFIN-Rates 2020

Im 1. Halbjahr (Vorsitz Kroatien):

                         Dienstag, 21. Jänner (Brüssel)

                         Dienstag, 18. Februar (Brüssel)

                         Dienstag, 17. März (Brüssel)

                         Freitag, 24. und Samstag, 25. April (Zagreb; informell)

                         Dienstag, 19. Mai (Brüssel)

                         Freitag, 12. Juni (Luxemburg)

 

Im 2. Halbjahr (Vorsitz Deutschland):

                         Freitag, 10. Juli (Brüssel)

                         Freitag, 11. und Samstag, 12. September (Berlin; informell)

                         Dienstag, 6. Oktober (Luxemburg)

                         Mittwoch, 4. November (Brüssel)

                         Freitag, 13. November (Budget-ECOFIN, Brüssel)

                         Dienstag, 1. Dezember (Brüssel)

                         Donnerstag, 17. Dezember (möglich)

 

Beilagen:

Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission

Arbeitsprogramm der kroatischen Präsidentschaft