43/J XXVII. GP

Eingelangt am 07.11.2019
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Folgeanfrage Stand der Evaluierung des Medienerlasses

 

Nach wie vor ist aufgrund Ausbleiben gegenteiliger medialer Berichterstattung davon auszugehen, dass der umstrittene Medienerlass (Kommunikations-Richtlinien des BMI und der Bundespolizei aufbauend auf den Erlass vom 20.12.2017 und in Ergänzung zum „Erlass für die interne und externe Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums für Inneres (BMI) und der nachgeordneten Behörden und Dienststellen“ vom 29. April 2019) vom entlassenen Innenminister Kickl unverändert in Geltung steht. 

Seit 1. Mai 2019 müssen daher weiterhin auf Betreiben des ehem. Innenministers Herbert Kickl die Pressesprecher der Landespolizeidirektionen Herkunft und Aufenthaltsstatus von Verdächtigen aktiv nennen. Unterbleiben kann das nur, wenn dadurch eindeutige Rückschlüsse auf konkrete Personen gezogen werden kann. (Siehe unter Punkt 4. I. a. https://www.bmi.gv.at/bmi_documents/2323.pdf)

Erinnert wird auch an das brisante Schreiben aus dem Innenministerium, in dem den Kommunikationschefs der Landespolizeidirektionen nahe gelegt wird, die Kooperation mit kritischen Medien "auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerln wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen ...". (https://diepresse.com/home/innenpolitik/5502089/Innenministerium-will-Informationssperre-fuer-kritische-Medienhttps://www.derstandard.de/story/2000087988184/innenministerium-beschraenkt-infos-fuer-kritische-medien)

Die proaktive Nennung von Herkunft und Aufenthaltsstatus von Verdächtigen ist besonders kritisch zu sehen.

Im aktuellen Medienerlass des Bundesministeriums für Verfassung‚ Reformen‚ Deregulierung und Justiz heißt es dazu im Vergleich:

"Bei der Informationserteilung soll auf die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe oder auf persönliche Merkmale (Hautfarbe etc.) nur hingewiesen werden, wenn dies für das Verständnis des berichteten Vorgangs unbedingt notwendig ist."

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates empfiehlt den Regierungen der Mitgliedsstaaten des Europarates:

Sicherzustellen, dass sich die Polizei gegenüber den Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit in einer Weise äußert, die feindselige Haltung und Vorurteilen gegenüber Angehörigen von Minderheitsgruppen keinen Vorschub leistet“

Die Polizei darf weder den Medien noch der Öffentlichkeit Informationen über die Rasse, die Hautfarbe, die Sprache, die Religion, die Staatsangehörigkeit oder die nationale oder ethnische Herkunft eines Tatverdächtigen zukommen lassen. Der Polizei kann die Verbreitung solcher Informationen nur gestattet werden, wenn dies unbedingt erforderlich ist und damit ein rechtmäßiger Zweck verfolgt wird, was etwa bei einem Fahndungsaufruf der Fall ist.

Die Polizei hat auch – vor allem bei der Weitergabe statistischer Daten – sorgfältig darauf achten, dass sie nicht zur Verbreitung und Aufrechterhaltung des Mythos beiträgt, dem zufolge Kriminalität und ethnische Herkunft zusammenhängen; desgleichen darf sie nicht den Eindruck erwecken, dass der Anstieg der Kriminalität etwas mit zunehmender Einwanderung zu tun hat. Die Polizei muss darauf achten, nur objektive Informationen in einer Weise herauszugeben, welche die Vielfalt der Gesellschaft respektiert und den Gedanken der Gleichbehandlung aller stärkt."

(Quelle: Allgemeine Politik-Empfehlung Nr.11; Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit; Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates)

Der Pressekodex des deutschen Medienrates ist in diesem Punkt (Ziffer 12) noch genauer: "In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Der deutsche Pressekodex enthält kein Verbot, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen. Sie verpflichten die Redaktion jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt oder die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung überwiegt.

Reine Neugier – egal ob angenommen oder tatsächlich vorhanden, egal, ob individuell oder kollektiv – ist kein geeigneter Maßstab für presseethisch verantwortliche Abwägungsentscheidungen.

Vermutungen über den Zusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeiten und Taten müssen von Tatsachen gestützt sein. Bloße Spekulationen und Hörensagen sind insofern keine Grundlage für verantwortliche Berichterstattung.

Für ein begründetes öffentliches Interesse an der Nennung der Zugehörigkeit von Tätern oder Tatverdächtigen zu einer Gruppe oder Minderheit kann unter anderem jedoch sprechen, wenn zumindest einer der folgenden Sachverhalte vorliegt:

·        Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor.

·        Eine Straftat wird aus einer größeren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist.

·        Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung

·        Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung.

·        Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt.

·        Die Gruppenzugehörigkeit eines Tatverdächtigen hat eine besondere Behandlung im Ermittlungsverfahren zur Folge.

·        Während eines Strafverfahrens wird die Gruppenzugehörigkeit eines Verdächtigen durch Verfahrensbeteiligte in besonderem Maße thematisiert.

Auf der anderen Seite besteht das Risiko einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens durch die Nennung einer Zugehörigkeit, wenn zumindest eines der folgenden Kriterien zutrifft:

·        Durch die Nennung der Gruppenzugehörigkeit oder Herkunft oder durch die Verknüpfung mit abwertenden Begriffen oder Formulierungen werden lediglich diskriminierende Stereotype bedient oder Gruppen verunglimpft.

·        Die Gruppenzugehörigkeit wird unangemessen herausgestellt, etwa durch Erwähnung in der Überschrift oder Wiederholungen.

·        Die Gruppenzugehörigkeit wird als bloßes Stilmittel benutzt.

Der damalige Bundesminister für Inneres Dr. Eckart Ratz ließ in der Anfragebeantwortung (3160/AB) zu der schriftlichen Anfrage (3139/J) der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend Aktueller Stand - Medienerlass des BMI verlauten:

"Ich habe am 23. Mai 2019 die Sektion I (Präsidium) angewiesen, eine umgehende Evaluierung und Anpassung der Erlasslage und Richtlinie, insbesondere im Hinblick auf die Allgemeine Politik-Empfehlung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates, vorzunehmen." (https://www.derstandard.at/story/2000104010971/ratz-laesst-medienerlass-des-innenministerium-evaluieren).

Seither gab es keine Informationen über die Ergebnisse der Evaluierung des umstrittenen Medienerlasses.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

1.    Welche konkreten Schritte wurden seit dem  23. Mai 2019 in Bezug auf den "Medienerlass" unternommen (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)?

2.    Wurde die angekündigte Evaluierung bereits durchgeführt?

a.    Wenn ja, wann und von welchen Stellen Ihres Ressorts?

b.    Wenn ja, seit wann liegt das Ergebnis dieser Evaluierung vor?

c.    Wenn nein, weshalb nicht?

3.    Zu welchem Ergebnis gelangte die Evaluierung in Bezug auf die Nennung von Herkunft und Aufenthaltsstatus von Verdächtigen (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)

4.    Inwiefern fanden die Ergebnisse der Evaluierung durch Änderungen des "Erlasses" ihren Niederschlag? 

5.    Sofern die Evaluierung noch nicht abgeschlossen ist, wann wird diese abgeschlossen sein und ein Ergebnis vorliegen?

6.    Wurde der "Medienerlass" inzwischen geändert (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)?

a.    Wenn ja, wann und wie? 

b.    Wenn nein, warum nicht?

7.    Was hinderte das Innenministerium daran, den betreffenden Passus abzuändern bzw zu streichen?

8.    Inwiefern ist die die Nennung von Herkunft und Aufenthaltsstatus von Verdächtigen vereinbar mit der allgemeinen Politik-Empfehlung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)?

9.    Wie wird die Nennung von Tatverdächtigen, insbesondere die Nennung der Staatsbürgerschaft bzw. die ethnische Herkunft hinkünftig gehandhabt werden (um detaillierte Erläuterung wird ersucht)?

a.    Soll es hier in Zukunft in jedem Fall zu einer Nennung der Staatsbürgerschaft bzw die ethnische Herkunft kommen?

b.    Soll es hier in Zukunft auf Basis von Einzelfallsentscheidungen zu einer Nennung der Staatsbürgerschaft bzw der ethnischen Herkunft kommen?

c.    Wie wird mit dem Spannungsverhältnis zwischen diskriminierenden Verallgemeinerungen individuellen Fehlverhaltens und dem berechtigten öffentlichen Interesse auf Information über die Strafrechtspflege umgegangen?

d.    Welche Parameter werden angeführt, die eine Nennung der Staatsbürgerschaft bzw der ethnischen Herkunft rechtfertigen bzw wo diese aus Sicht des Ministeriums geboten erscheint?

10. Wie soll hinkünftig der Umgang mit "kritischen" Medien seitens des Ministeriums ausgestaltet sein?

11. Wie soll hinkünftig der Umgang mit "unkritischen" Medien seitens des Ministeriums ausgestaltet sein?

12. Wie soll hinkünftig allgemein der Umgang mit Medien bzw die Medienarbeit seitens des Ministeriums ausgestaltet sein? (Um ausführliche Erläuterung wird ersucht.)

13. Wird es Änderungen in der Medienarbeit des Innenministeriums geben?

a.    Wenn ja, welche?

14. Für wann planen Sie eine Neufassung des Medienerlasses?