66/J XXVII. GP

Eingelangt am 13.11.2019
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Mag. Philipp Schrangl

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

 

betreffend die (Minder-)Qualität der deliktpräventiven Arbeit im Straf- und Maßnahmenvollzug.

 

Das Ziel deliktpräventiver Interventionen im Straf- und Maßnahmenvollzug ist es, durch spezielle (Therapie-)Verfahren das Rückfallrisiko zu vermindern. Ihr Bedarf resultiert unmittelbar aus dem im Strafvollzugsgesetz erstgenannten Vollzugszweck der Sicherstellung des künftigen Legalverhaltens und sie dienen damit dem Opferschutz.

 

Laut einem Artikel der Wochenzeitung NEWS vom 11. Mai 2019 wird in der für den Vollzug an geistig abnormen Rechtsbrechern zuständigen Justizanstalt (JA) Asten

„[…] auch gerne Neue ausprobiert. Es ist sozusagen ein Versuchslabor, um herauszufinden, wie die lang angekündigte Reform [des Maßnahmenvollzugs] in der Praxis aussehen könnte. Dazu gehören Einzel- und Gruppentherapien in unterschiedlichsten Formen sowie Basketballplatz, Tischtennistisch, Spazierhof, Ergotherapieraum, Gemeinschaftsküche, Fernsehzimmer und Raucherkammerl.“

 

Da solche „Innovationen“ keine kriminogenen Faktoren adressieren bzw. deliktpräventiven Wirkungen erwarten lassen, sondern vielmehr auf gravierende fachliche Defizite im Vollzugs- und Betreuungsbereich des Straf- und Maßnahmenvollzugs hindeuten, stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz folgende

 

Anfrage

1.    Gibt es konkrete Vorgaben (Kriterienkataloge etc.) des Justizministeriums hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen an die aus den Mitteln des Ressorts bezahlten Gutachten zur Schuldfähigkeit?

a. Wenn „ja“, Welche (bitte um genaue Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

2. Gibt es konkrete Vorgaben (Kriterienkataloge etc.) des Justizministeriums hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen an die aus den Mitteln des Ressorts bezahlten Gutachten zur Legalprognose von Insassen im Straf- und im Maßnahmenvollzug?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

3.    Gibt es konkrete Vorgaben (Kriterienkataloge etc.) des Justizministeriums hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Mindestanforderungen an die (intern u/o extern adressierten) vollzuglichen Stellungnahmen zur Legalprognose von Insassen im Straf- und im Maßnahmenvollzug?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue Darlegung; allfällige Vorgaben im Zusammenhang mit der BEST bitte gesondert nennen)?

b.  Wenn nein: Warum nicht?

 

4.    Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums hinsichtlich der formalen und inhaltlichen Gestaltung der ersten Behandlungsuntersuchungen (Zugangsdiagnostik) im Maßnahmenvollzug, damit diese unverzüglich, umfassend sowie den aktuellen Standards der forensischen Wissenschaften entsprechend erstellt werden?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue Darlegung; allfällige Vorgaben im Zusammenhang mit der BEST bitte gesondert nennen)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

5.    Wie stellt das Justizministerium laufend die bestmögliche Qualität der ersten Behandlungsuntersuchungen (Zugangsdiagnostik) im Maßnahmenvollzug sicher? (Bitte um genaue Beschreibung der Prozessroutinen, regelmäßig ergriffenen Maßnahmen etc. )

 

6. Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums hinsichtlich der Ergebnisdokumentation der ersten Behandlungsuntersuchungen (Zugangsdiagnostik) im Maßnahmenvollzug?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

7.    Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums hinsichtlich der Ergebniskommunikation der ersten Behandlungsuntersuchungen (Zugangsdiagnostik) im Maßnahmenvollzug?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

8. Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur Implementierung und Sicherstellung einer ausdrücklich an der Verringerung der Rückfallgefahr in kriminelles Verhalten orientierten Gestaltung des Vollzugsplans im Straf- und im Maßnahmenvollzug? (Gemeint sind hier keine unspezifischen, allgemeinen Unterhaltungs-, Beschäftigungs- und Betreuungsmaßnahmen bzw. „Wellness“-Angebote udgl., sondern nur solche Maßnahmen, deren erklärtes Ziel – und nicht bloß allfälliges Nebenprodukt – die Verringerung der Rückfallgefahr in kriminelles Verhalten ist.)

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b.  Wenn nein: Warum nicht?

 

9.  Wie stellt das Justizministerium laufend sicher, dass im Zuge der Gestaltung des Vollzugsplans tatsächlich kriminogene statt nichtkriminogener Faktoren adressiert werden? (Bitte um genaue Beschreibung der Prozessroutinen, regelmäßig ergriffenen Maßnahmen etc. )

 

10.         Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur Implementierung und Sicherstellung einer dem individuell erforderlichen Sicherungsgrad, den Behandlungsbedürfnissen sowie der therapeutischen Ansprechbarkeit bzw. Erreichbarkeit in ihrer Wechselwirkung entsprechenden Vollzugsgestaltung?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

11.         Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur Bildung von Delinquenzanamnesen im Straf- und im Maßnahmenvollzug (inklusive Auswertung von verfügbaren Vorakten durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachdienste etc.)?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht?

 

12. Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur Bildung von Delikthypothesen im Straf- und im Maßnahmenvollzug?

a. Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b. Wenn nein: Warum nicht? Auf welcher Basis wird stattdessen deliktpräventiv gearbeitet?

 

13. Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur standardisierten Erstellung individueller Risikoprofile im Straf- und im Maßnahmenvollzug?
Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

a. Wo und durch wen sind diese Risikoprofile einsehbar?

b. Wie sind sie nutzbar?

                     i.        Wenn nein: Warum nicht?

                    ii.        Auf welcher Basis werden stattdessen vollzugsbehördliche Entscheidungen getroffen?

 

14. Welche forensischen Modelle zur Reduktion krimineller Rückfälligkeit (RNR, GLM etc.) sind im Straf- und im Maßnahmenvollzug etabliert (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen)?

 

15. Welche manualisierten Behandlungen (DBT-F, MBT, TFB etc.) finden im Maßnahmenvollzug Anwendung (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen)?

a.    Wie stellt das Justizministerium laufend sicher, dass Insassen des Maßnahmenvollzugs die Behandlung so erhalten, wie es die Methodensektion des Behandlungsmanuals vorsieht? (Bitte um genaue Beschreibung der Prozessroutinen, regelmäßig ergriffenen Maßnahmen etc. inklusive der allfälligen Begründungs- und Entscheidungsprozesse für / über Abweichungen von den Behandlungsmanualen.)

 

16. Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur Implementierung und Sicherstellung einer hinreichenden Anzahl von Mitarbeitern, welche über ihre originäre Berufsqualifikation hinaus noch nachweisbar die für eine Tätigkeit im Straf- und Maßnahmenvollzug wohl erforderlichen Kenntnisse im Risk-Assessment (inklusive Risikokommunikation) und Bedrohungsmanagement aufweisen?

a.    Wenn ja: Welche (bitte um genaue Darlegung; allfällige Vorgaben im Zusammenhang mit dem Aus- und Fortbildungsangebot der Strafvollzugsakademie bitte gesondert nennen)?

b.    Wenn nein: Warum nicht?

 

17.         Gibt es konkrete Vorgaben des Justizministeriums zur Implementierung und Sicherstellung der Verwendung von strukturierten Risikobeurteilungsinstrumenten, insb. Prognoseverfahren der dritten und vierten Generation sowie SPJ im Straf- und im Maßnahmenvollzug?

a.    Wenn ja: Welche (bitte um genaue inhaltliche Darlegung)?

b.    Wenn nein: Warum nicht?

 

18. Welche Risikobeurteilungsinstrumente, insb. Prognoseverfahren der 3. und 4. Generation sowie SPJ finden im Straf- und im Maßnahmenvollzug regelmäßig Anwendung (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen, die BEST bitte gesondert ausweisen)?

 

19. Findet das international anerkannte, auf den Prinzipen des strukturierten klinischen Urteils beruhende deliktorientierte Risk-Assessment Instrument FOTRES im Straf- und im Maßnahmenvollzug regelmäßige Anwendung?

a.    Wenn ja: Wo und in welchem Umfang?

b.    Wenn nein: Wie stellt das Justizministerium dann sicher, dass es zu keiner Vermischung von Krankheitsdiagnosen und Risikobeurteilungen kommt? Wie werden nosologiefreie Risikoeigenschaften bzw. prognostische Syndrome stattdessen abgebildet?

 

20. Welche Instrumente zur Erfassung der sich im Laufe der Unterbringung ergebenden Risiken für Selbstverletzung / Suizid, Substanzmissbrauch, Flucht etc. (etwa das START) finden im Straf- und im Maßnahmenvollzug regelmäßig Anwendung (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen, die BEST bitte gesondert ausweisen)?

 

21. Wie stellt das Justizministerium laufend sicher, dass alle Anwender von Risikobeurteilungsinstrumenten auch über die allenfalls notwendigen qualifizierenden Schulungen und Zertifizierungen verfügen?

 

22. Wie viele Strafvollzugsmitarbeiter wurden als Anwender von VERA-2R zertifiziert? (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen).

 

23. Wie viele Risk-Assessments mit VERA-2R wurden von diesen Anwendern seit ihrer Zertifizierung vorgenommen? (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen).

 

24. Seit dem Jahr 2015 wird durch das Justizministerium immer wieder verlautbart, dass ein Screening-Verfahren für Insassen mit Delikten nach §§ 278b ff StGB ausgearbeitet wird (siehe dazu etwa die Presseinformation des BMJ vom 01. Jänner 2017: „Als unmittelbare Maßnahme plant Brandstetter die rasche Einführung von speziellen Screening-Verfahren im österreichischen Strafvollzug. Orientiert an internationalen Risikoeinschätzungsinstrumenten soll das Risiko einzelner Insassen und Insassinnen künftig noch besser und systematischer bewertet werden“). Warum erstreckt sich dieser Prozess bereits über Jahre und bis wann ist mit einem konkreten Ergebnis zu rechnen?

 

25. Der Geschäfts- und Personaleinteilung des Justizministeriums entsprechend ist eine Abteilung II 2 auch für die „Planung und Durchführung von Nachschauen (§ 14 StVG) und Inspektionen aller Organisationsbereiche (insbesondere Betreuung und Gestaltung des Vollzuges) sämtlicher nachgeordneter Dienststellen, die Aufgaben des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßnahmen wahrnehmen“ zuständig. Wie viele Nachschauen und Inspektionen haben in den hier ausdrücklich hervorgehobenen Bereichen „Betreuung und Gestaltung des Vollzugs“ durch Mitarbeiter dieser Abteilung seit dem Jahr 2015 stattgefunden (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen)?

 

26. Wie viele Nachschauen und Inspektionen haben im selben Zeitraum in den übrigen Strafvollzugsbereichen (insbesondere Exekutivdienst) stattgefunden? (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten und Außenstellen)

 

27. Hat das Justizministerium seit Einrichtung der Abteilung II 3 jemals insassenbezogene Maßnahmen beendet, da sie inhaltlich unspezifisch sind, unkritischen Resozialisierungsparadigmen folgen oder in ihrer Methodik bzw. Durchführung als fragwürdig bewertet wurden?

a.    Wenn ja: Welche und was waren die konkreten Gründe?

 

28. Wurden konkrete vollzugliche Maßnahmen zur Verringerung der Rückfallgefahr in kriminelles Verhalten jemals durch anerkannte (universitäre) Forschungseinrichtungen wissenschaftlich evaluiert?

a.    Wenn ja, durch wen?

b.    Mit welchem Ergebnis?

 

29. Wie stellt das Justizministerium sicher, dass Justizwachebeamte der nunmehrigen Justizanstalt Asten der Vorgabe des Art 78d B-VG entsprechend „Aufgaben polizeilichen Charakters“ übertragen sind und sie nicht mit dem Exekutivdienst wesensfremden Aufgaben (insb. mit Betreuungsaufgaben bis hin zu Pflegehilfsdiensten) überlastet werden?

 

30. Haben Justizwachebeamten der nunmehrigen Justizanstalt Asten in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 das erlassmäßig vorgesehene Übungs- und Wertungsschießen mit der Dienstwaffe Glock 17 nicht erfüllt?

a.    Wenn ja: Wie viele und warum nicht?

 

31. Haben Mitglieder der Einsatzgruppe der nunmehrigen Justizanstalt Asten in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 das erlassmäßig vorgesehene Einsatztraining sowie das Übungs- und Wertungsschießen mit der Dienstwaffe AUG 88 nicht im vollen Umfang absolviert?

a.    Wenn ja: Wie viel und warum nicht?

 

32. Wurden in der nunmehrigen Justizanstalt Asten in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 alle erlassmäßig vorgesehen Brandschutz- und Alarmübungen durchgeführt. Wenn nein: Warum nicht?

 

33. Wie viele Ordnungsstrafverfahren wurden in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 eingestellt, nachdem der betroffene Insasse zufolge einer internen Stellungnahme der Fachdienste als nicht diskretions- u/o dispositionsfähig erachtet wurde (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten). Wer ist zur Abgabe einer solchen Stellungnahme qualifiziert?

 

34. Wurden in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 Ordnungsstrafverfahren eingestellt, nachdem man das ihnen zugrunde liegende Verhalten kurzweg als „milieubedingte Unmutsäußerung“ exkulpiert hat? (bitte gesonderte Nennung für die einzelnen Justizanstalten).

 

35. Wurden seitens der gemäß Geschäfts- und Personaleinteilung des Justizministeriums auch und gerade für Sicherheit im Straf- und Maßnahmenvollzug zuständigen Abteilung II 2 in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 jemals Stellungnahmen betreffend schwerwiegende konzeptionelle bzw. strukturelle Sicherheitsmängel in der nunmehrigen Justizanstalt Asten abgegeben?

a.    Wenn ja: Mit welchem Inhalt?

b.    Wie wurde mit diesen Stellungnahmen weiter verfahren, mit welchem Ergebnis?