102/J XXVII. GP
Eingelangt am 13.11.2019
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Anfrage
der Abgeordneten Meri Disoski, Sibylle Hamann, Ewa Ernst-Dziedzic, Sigrid Maurer, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend
betreffend Umsetzung des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (Istanbul-Konvention)
BEGRÜNDUNG
In
den vergangenen Jahren gab es einen deutlichen Anstieg an Frauenmorden in
Österreich: 2014 wurden 19 Frauen von ihren (Ex-)Partnern oder
Familienmitgliedern getötet, vier Jahre später waren es mit 41 mehr
als doppelt so viele. Im Jahr 2019 gab es (Stand 28.10.2019) Medienberichten
zufolge 19 Frauenmorde.
Wie eine
Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA) zeigt, ist in
Österreich jede 7. Frau ab ihrem 15. Lebensjahr von Stalking betroffen, 35
Prozent der Frauen in Österreich haben seit ihrem 15. Lebensjahr sexuelle
Belästigung und 38 Prozent psychische Gewalt durch ihren (Ex-)Partner oder
ein Familienmitglied erlebt.[1]
Gewalt gegen Frauen tritt in vielen Facetten in Erscheinung. Sexismus, sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung spiegeln sich dementsprechend auch in der digitalen Welt wider: Eine umfassende empirische Untersuchung aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass jede dritte Frau/jedes dritte Mädchen im vergangenen Jahr mindestens eine Form von Gewalt im Netz erlebt hat[2], darunter Beleidigungen, Drohungen, Beschimpfungen („hate speech“), cyber-stalking, cyber-mobbing und cyber-grooming.
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind ein strukturelles, auf patriarchale Machtverhältnisse zurückzuführendes Problem und zählen zu den schwersten geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen in Europa. Deshalb hat der
Europarat eine Konvention zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, die Istanbul-Konvention, ausgearbeitet. Sie gilt als Meilenstein im europaweiten Kampf gegen Gewalt an Frauen.
Die insgesamt 81 Artikel der Istanbul-Konvention enthalten rechtlich bindende
und einheitliche Standards, Präventionsmaßnahmen sowie politische Maßnahmen
gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt.
Österreich hat die Istanbul-Konvention im November 2013 ratifiziert, im August 2014 trat sie verbindlich in Kraft. 2016/17 prüfte eine Gruppe aus zehn unabhängigen Expertinnen und Experten (GREVIO-Gruppe) die Umsetzung der Konvention, und stellte „bei einer Reihe von Punkten fest, dass Verbesserungen nötig sind, um eine umfassendere Umsetzung der Istanbul-Konvention zu gewährleisten“[3], und dass „die politischen Maßnahmen Österreichs sowie die zur Verfügung gestellten Mittel nicht vollständig den Anforderungen eines umfassenden und koordinierten Ansatzes zur Prävention und Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen entsprechen.“[4]
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. Die GREVIO-Gruppe hält fest, dass sich die bereits gesetzten politischen Maßnahmen auf häusliche Gewalt fokussieren, während alle anderen Formen von Gewalt gegen Frauen (wie z.B. sexuelle Gewalt, Vergewaltigung, Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung) deutlich weniger politische und finanzielle Unterstützung erhalten[5].
Welche Maßnahmen haben
Sie umgesetzt, veranlasst und geplant, um die vorhandenen Lücken im Unterstützungs-
und Beratungsangebot für Opfer aller in der Istanbul-Konvention
definierten Formen von Gewalt zu schließen und allen ein gleichwertiges
Ausmaß an Hilfsangeboten zu bieten?
Bitte um genaue Auflistung der geplanten Maßnahmen inklusive einer Auskunft
darüber, bis wann diese umgesetzt sein sollen.
Wenn keine Maßnahmen umgesetzt, veranlasst oder geplant worden sind:
warum nicht?
2. Im GREVIO-Bericht wird
kritisiert, dass präventive Maßnahmen primär auf häusliche
Gewalt ausgerichtet sind und sich auf singuläre bewusstseinsbildende
Maßnahmen in Form von Kampagnen und einmalig stattfindenden Veranstaltungen/Events
beschränken.
Welche langfristigen Maßnahmen zur Prävention von allen in
der Istanbul-Konvention definierten Formen von Gewalt hat das Bundesministerium
gesetzt/wird das Bundesministerium künftig setzen? Wird es eine
langfristige Strategie zur Gewaltprävention geben? Wenn ja: Unter
Einbeziehung welcher ExpertInnen wird diese ausgearbeitet und wann wird diese
vorliegen? Wenn nein: wieso nicht?
3. Die GREVIO-Gruppe hält
fest, dass sich „insbesondere für Frauen mit Behinderungen und
Frauen mit einem unsicheren oder beschränkten Aufenthaltsstatus wie
AsylwerberInnen“ der Zugang zu Hilfsangeboten schwierig gestaltet.
Welche Maßnahmen haben Sie umgesetzt, veranlasst und geplant, um etwaige
rechtliche oder praktische Hürden zu beseitigen, die derzeit Frauen mit
körperlichen oder geistigen Behinderungen oder aufgrund ihres
Aufenthaltstitels hindern, Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen und
Frauenhäuser aufzusuchen? Bitte um detaillierte Aufschlüsselung. Unter
Einbindung welcher ExpertInnen wurden/werden diese Maßnahmen
ausgearbeitet, bis wann sollen sie umgesetzt werden?
Wenn bislang keine Maßnahmen umgesetzt, veranlasst oder geplant worden
sind: wieso nicht?
4. Moniert wird im GREVIO-Bericht,
dass es keinerlei Maßnahmen gibt, mit denen „Mitglieder jener Gemeinschaften,
die in Österreich Zwangsheirat und Genitalverstümmelung praktizieren,
gezielt angesprochen und eingebunden“ werden. Planen Sie Maßnahmen,
die gezielt diese Gruppen adressieren? Wenn ja: welche? Wenn nein: wieso nicht?
5. An Frage 4 anknüpfend: GREVIO
hat der Bundesregierung die Einführung eines umfassenden
Maßnahmenkatalogs in den Bereichen Prävention, Opferschutz und
Strafverfolgung in Bezug auf alle Formen von Gewalt gegen Frauen, insbesondere
in Bezug auf weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsheirat, vorgeschlagen.
Haben Sie die Ausarbeitung eines derartigen Maßnahmenkataloges
veranlasst? Wenn ja: wer ist an seiner Ausarbeitung beteiligt, wann wird er
vorliegen und bis wann ist mit einer Umsetzung zu rechnen? Wenn nein: wieso
nicht?
6. Kritisiert wird zudem, dass
Kinder, die ZeugInnen von häuslicher Gewalt geworden sind, nicht die
notwendige Betreuung erhalten. Planen Sie Maßnahmen, um für Kinder,
die ZeugInnen von häuslicher Gewalt geworden sind, adäquate
Betreuungsangebote zu schaffen? Wenn ja: welche? Wenn nein: wieso nicht?
7. Der Bericht erörtert
Gründe dafür, dass Täter häuslicher Gewalt oder anderer
Formen von Gewalt gegen Frauen nur selten strafrechtlich belangt werden und
führt Qualitätsmängel bei den Ermittlungsverfahren und der Beweiserhebung
als zwei Gründe an.
Welche Maßnahmen wurden – auch ministerienübergreifend –
gesetzt bzw. sind geplant, um die notwendige Qualitätssteigerung bei den
Ermittlungsverfahren und der Beweiserhebung zu erreichen? Wenn bislang keine
Maßnahmen gesetzt worden sind: wieso nicht?
8.
Die GREVIO-Gruppe hält fest, dass für eine
umfassende und systematische Umsetzung der Istanbul-Konvention nicht die
notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt worden sind. Das
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zugewiesene
Budget beträgt mit 5 Mio. Euro zu wenig, um Maßnahmen für die
Umsetzung des „Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor
Gewalt“, die Erarbeitung von politischen Maßnahmen,
Präventionsarbeit, Datenerhebung oder die Evaluierung politischer
Maßnahmen durchzuführen.
Wie wird das zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche
Gewalt zugewiesene Budget in Höhe von 5 Mio. Euro genau aufgewandt? Bitte
um Aufschlüsselung des Budgets für die Jahre 2016, 2017 und 2018,
nach folgenden Posten:
(a) Finanzierung von Hilfseinrichtungen
(b) Gewaltschutzzentren
(c) Maßnahmen für die Umsetzung des „Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor Gewalt“
(d) (langfristige) Präventionsarbeit
(e) Datenerhebung, Forschung oder die Evaluierung von politischen Maßnahmen
9.
An Frage 8 anknüpfend: Welche finanziellen Mittel
müssten zugewiesen werden, um eine umfassende und systematische Umsetzung
der Istanbul-Konvention, zu deren Einhaltung sich Österreich verpflichtet
hat, zu gewährleisten? Bitte um die Nennung einer Gesamtsumme sowie einer
Aufschlüsselung nach
(a) Finanzierung von Hilfseinrichtungen
(b) Finanzierung von Gewaltschutzzentren
(c) Maßnahmen für die Umsetzung des „Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor Gewalt“
(d) (Langfristige) Präventionsarbeit
(e) Datenerhebung, Forschung oder die
Evaluierung von politischen Maßnahmen
10.
GREVIO empfiehlt die Institutionalisierung der
Koordinierungsstelle wie in Artikel10 der Istanbul-Konvention vorgesehen, sowie
deren Ausstattung mit klar definierten Aufgaben und Kompetenzen und den
notwendigen finanziellen und personellen Mitteln. Welche Maßnahmen haben
Sie gesetzt, um dieser Empfehlung nachzukommen? Bitte um Auflistung der
geplanten Maßnahmen inkl. Zeitplan für deren Umsetzung.
Wenn keine Maßnahmen gesetzt wurden: warum nicht?
[1] https://fra.europa.eu/de/publications-and-resources/data-and-maps/gewalt-gegen-frauen-eine-eu-weite-erhebung; abgerufen am 6.11.2019.
[2] https://www.weisser-ring.at/wp-content/uploads/2018/10/Broschuere-Gewalt-im-Netz.pdf; abgerufen am 6.11.2019, S. 49ff.
[3] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/III/III_00163/imfname_700585.pdf, S. 8; abgerufen am 7.11.2019.
[4] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/III/III_00163/imfname_700585.pdf, S. 10; abgerufen am 7.11.2019.
[5] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/III/III_00163/imfname_700585.pdf, S. 8; abgerufen am 12.11.2019.