420/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.12.2019
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Anfrage

 

 

der Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

 

betreffend Ermittlungen gegen den Journalisten Max Zirngast

 

 

BEGRÜNDUNG 

 

Am 11. September 2018 wurde Max Zirngast in der Türkei wegen Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation festgenommen und vor Gericht gestellt. Die gesamte Farce dieses Prozesses offenbarte sich allein schon darin, dass sich die Spuren der fraglichen Terrororganisation namens TKP/K bereits in den 1990er Jahren verloren hatten. Wie vielen anderen in- und ausländischen JournalistInnnen dürfte dem Österreicher zum Verhängnis geworden sein, dass er kritisch über den türkischen Präsidenten Erdoğan und dessen Kurdenpolitik berichtet hat. Seit der Niederschlagung des Putschversuches von 2016 gehen türkische Justiz und Regierung besonders rigoros gegen RegimekritikerInnen vor. „Willkürliche, verlängerte und zu Bestrafungszwecken verhängte Untersuchungshaft sowie unfaire Gerichtsverfahren sind weiterhin an der Tagesordnung“, wie auch der Amnesty International Report 2017/18 anführt.[1]

Genau ein Jahr nach seiner Verhaftung wurde Max Zirngast „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen. Ein Freispruch, der so willkürlich war, wie die Anklage selbst, denn am Informationsstand der Behörden hatte sich seit Zirngasts Verhaftung nichts geändert. Über die Hintergründe der Gerichtsentscheidung kann also nur spekuliert werden. Aufgrund vieler ähnlicher, gut dokumentierter, Fälle besteht allerdings die berechtigte Annahme, dass die ganze Angelegenheit von Seiten der türkischen Justiz von vornherein mehr als politische Botschaft denn als Rechtsverfahren ausgerichtet war.

Insofern ist es mehr als befremdlich, dass auch die Staatsanwaltschaft Graz – auf Grundlage eines Berichts des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) – aus eigener Initiative heraus gegen Max Zirngast ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in der „terroristischen Vereinigung“ TKP/K anstrengte.[2] Obwohl das BVT festhielt, dass ihm zu der besagten Vereinigung keine Erkenntnisse vorliegen, wird in demselben Bericht die Vermutung geäußert, dass es sich dabei um eine Abspaltung einer anderen Organisation, nämlich der TKP/ML handle. Diese TKP/ML, mit vollem Namen Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch, existiert tatsächlich und wird von der türkischen Regierung – und nur von dieser – als Terrororganisation gelistet. Nachdem aber nicht einmal die türkischen Behörden hier in ihrer Anklage eine Verbindung herstellten, ist es schleierhaft, wie das BVT auf den entsprechenden Verdacht kam.

Die indirekte Verknüpfung von Max Zirngast mit der TKP/ML hatte aber direkte Konsequenzen. Da diese in der Tat einen bewaffneten Arm unterhält, behauptete nun die Staatsanwaltschaft Graz, auch die TKP/K, deren Mitglied Zirngast sein könne, unterhalte eine revolutionäre Guerillaarmee, die auf einen gewaltsamen Umsturz in der Türkei hinarbeite. Mit dieser Spekulation wurde Zirngasts Mitgliedschaft in einer Terrororganisation insinuiert.

Wie ernsthaft die Grazer Staatsanwaltschaft „ihren“ Fall verfolgte, lässt sich daran ablesen, dass sie sich über das Justizministerium zumindest zwei Mal mit einem Rechtshilfeersuchen an die türkischen Behörden wandte. Darin nährt die Grazer Staatsanwaltschaft sogar den Verdacht gegen Max Zirngast, indem sie die Aufnahme des Verfahrens in Österreich über die Vernehmungsprotokolle der türkischen Strafverfolgungsbehörden hinaus auch auf die „bisherigen Ermittlungen der österreichischen Kriminalpolizei“ zurückführt. Selbst nach Veröffentlichung der Anklageschrift, die das willkürliche Vorgehen der türkischen Justiz öffentlich vor Augen führte, wurde der Fall von den österreichischen Behörden weiter verfolgt.

Erst am 29. Oktober 2019 – also ein Monat nach dem rechtskräftigen Freispruch von Max Zirngast – wurde das Verfahren gegen diesen auch in Österreich eingestellt. Während sich also Zivilgesellschaft und Teile der Politik um die Freilassung von Max Zirngast bemühten, führte die Staatsanwaltschaft Graz gegen diesen ein Ermittlungsverfahren, das durch kein einziges Indiz gerechtfertigt war, und brauchte darüber hinaus ein knappes Jahr, um dieses Verfahren auch ad acta zu legen. Die Vorgehensweise der Grazer Staatsanwaltschaft mitsamt den tatsachenwidrigen Behauptungen in den Schreiben an die türkischen Justizbehörden war sicherlich nicht dazu angetan, die Freilassung des zu Unrecht Beschuldigten zu beschleunigen. Eher im Gegenteil.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende 

ANFRAGE 

1)     Wann wurde das Ermittlungsverfahren gegen Max Zirngast eröffnet?

2)    Von wem ging in welcher Form die Initiative dazu aus?

3)    Zu welchem Zeitpunkt hat das Justizministerium Kenntnis davon erhalten, dass die Staatsanwaltschaft Graz wegen Terrorismusverdacht gegen Max Zirngast ermittelt?

4)    Von wem hat das Justizministerium von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Graz gegen Max Zirngast erfahren?

5)    Hat das Justizministerium, nachdem es Kenntnis von diesen Ermittlungen erhalten hatte, mittels konkreter Schritte auf diese reagiert?

a.    Falls ja, mit welchen?

b.    Falls nein, warum nicht?

4) Gab es in Bezug auf das Verfahren gegen Max Zirngast Weisungen?

a.    Wenn ja, welche?

b.    Wenn ja, durch wen?

c.    Wenn ja, wurde der Weisungsrat konsultiert?

6)    Waren der Bericht des BVT und/oder das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Graz zu dem politisch sensiblen Fall Gegenstand von schriftlichen (inklusive Mailverkehr) oder mündlichen Besprechungen im Justizministerium?

a.    Falls ja, was waren der Inhalt und das Ergebnis der Gespräche?

b.    Falls nein, warum nicht?

7)    Hatten der Bericht des BVT und/oder das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Graz Auswirkungen auf Entscheidungen der Bundesregierung bzw. des Justizministeriums in Bezug auf ihre öffentliche Vorgehensweise im Fall Zirngast?

8)    Gab es innerhalb des Justizministeriums von Seiten der damit befassten MitarbeiterInnen zu irgendeinem Zeitpunkt Bedenken, dass die Ermittlungen in Österreich den Ausgang des Prozesses in der Türkei zuungunsten von Max Zirngast beeinflussen könnten?

9)    Gab es von Seiten irgendeiner anderen österreichischen Behörde zu irgendeinem Zeitpunkt an das Justizministerium herangetragene Bedenken, dass die Ermittlungen in Österreich den Ausgang des Prozesses in der Türkei zuungunsten von Max Zirngast beeinflussen könnten?

10) Wurde das Vorgehen des Justizministeriums im Fall Zirngast zu irgendeinem Zeitpunkt mit anderen Bundesministerien oder Bundesbehörden abgestimmt?

a.    Falls ja, mit wem?

b.    Falls ja, welche Maßnahmen erwuchsen daraus?

c.    Falls nein, warum nicht?

11) Haben türkische Behörden ihre österreichischen Pendants in irgendeiner Form zu Ermittlungen in Österreich gegen Max Zirngast angeregt?

a.    Falls ja, wie und über welchen Kanal?

b.    Falls nein, wie kamen die Ermittlungen dann zustande?

12) Haben türkische Behörden bei österreichischen Behörden um Dokumente oder Informationen rund um den Fall Zirngast angefragt?

a.    Wenn ja, welche und wurden diese weitergeleitet?

13) Um welche Informationen suchten das Justizministerium und die Staatsanwaltschaft Graz bei den türkischen Behörden an und in welchem Umfang wurden diese geliefert?

14) War dem Justizministerium und/oder der Grazer Staatsanwaltschaft die türkische Anklageschrift gegen Max Zirngast zum Zeitpunkt des Eröffnung des Ermittlungsverfahrens in Österreich bekannt?

15) Max Zirngast befand sich seit 24.12.2018 auf freiem Fuß und übermittelte bei seiner Freilassung sämtliche zur Verfügung stehenden Unterlagen aus dem türkischen Strafverfahren an die österreichische Botschaft in Ankara. Wer in der Staatsanwaltschaft Graz entschied zu welchem Zeitpunkt und warum, Aktenteile bzw. Informationen über das Verfahren nicht über die österreichische Botschaft oder den Beschuldigten selbst zu erhalten, sondern mittels der am 23.1. 2019 und 29.4. 2019 ausgefertigten Rechtshilfeersuchen an das 4. Amtsgericht Ankara?

16) Wurden dem Justizministerium und/oder der Grazer Staatsanwaltschaft die türkische Anklageschrift gegen Max Zirngast von der österreichischen Botschaft in Ankara direkt oder indirekt übermittelt?

a.    Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt und über welche Instanzen geschah dies?

b.    Wenn ja, warum findet sich diese Anklageschrift nicht in den österreichischen Ermittlungsakten wieder?

c.    Wenn nein, warum nicht?

17) Wie kam die Grazer Staatsanwaltschaft, als sie sich am 6.12. 2018 im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens an das 4. Amtsgericht in Ankara wandte, zu ihrer Einschätzung, dass unter anderem auch die „bisherigen Ermittlungen der österreichischen Kriminalpolizei“ die Verdachtsmomente gegen Max Zirngast begründeten und welche Ermittlungsergebnisse meinte die Staatsanwaltschaft damit konkret?

18) Aufgrund welcher Tatbestände wurde in Österreich gegen Max Zirngast ermittelt?

19) Hat die Oberstaatsanwaltschaft Graz das Verhörprotokoll des 4. Amtsgerichts für Strafsachen in Ankara geprüft?

a.    Wenn ja, aufgrund welcher darin enthaltenen Anhaltspunkte schloss sie sich dem „starken Verdacht“ der türkischen Behörden an, Max Zirngast sei Mitglied einer bewaffneten Terrororganisation gewesen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

c.    Wenn nein, warum übernahm die Oberstaatsanwaltschaft ungeprüft die Anschuldigungen des 4. Amtsgerichts für Strafsachen in Ankara und rechtfertigte damit ihrerseits ein eigenes Ermittlungsverfahren in Österreich?

20) Warum hielt die Staatsanwaltschaft Graz, selbst nachdem sie mit dem ersten Rechtshilfeersuchen beim 4. Amtsgericht für Strafsachen in Ankara auf Unverständnis gestoßen und mit ihrem Vorstoß erfolglos geblieben ist, an weiteren Ermittlungen gegen Max Zirngast in Österreich fest?

21) Welche konkreten Ermittlungsschritte wurden seit Beginn des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten gesetzt? (Bitte um Auflistung der konkreten Ermittlungshandlungen sowie der Dauer derselben.)

a.    Wurden Zeugen einvernommen?

b.     Wenn ja, welche?

c.    Mit welchem Ergebnis?

d.    Wenn nein: Weshalb nicht?

22) Kamen die österreichischen Ermittlungen zu Erkenntnissen, die über jene der türkischen hinausgingen?

a.    Wenn ja, welche waren diese?

23) Welche Umstände rechtfertigten die Dauer des Verfahrens von fast einem Jahr?

24) Wer und welche Instanz bestimmte aus welchem Grund, den Beschuldigten gemäß § 50 Abs. 1 StPO nicht über die Ermittlungen zu informieren?

25) Wie begründen Sie, dass die Staatsanwaltschaft Graz die Einstellung des Verfahrens gegen Max Zirngast, wie aus dem Benachrichtigungsschreiben an diesen hervorgeht, vom Ausgang des Verfahrens in der Türkei abhängig gemacht hat, obwohl selbst die Europäischen Richtervereinigungen die Rechtsstaatlichkeit der türkischen Justiz in Zweifel ziehen?[3]

26) Was gedenken Sie angesichts der Abhängigkeit der türkischen Justiz von der Exekutive zu tun, um ähnlich gelagerte Verfahren in Österreich zukünftig von einem Gerichtsprozess in der Türkei zu entkoppeln?

27) Inwiefern wurden im Justizministerium und in der Staatsanwaltschaft Graz die Einschätzungen zahlreicher internationaler Organisationen in Bezug auf die Abhängigkeit der türkischen Justiz von der Exekutive des Landes bei der Beurteilung des Falles Max Zirngast in Österreich in Erwägung gezogen? Bitte um entsprechenden Nachweis in der internen Kommunikation.

28) Gegen wie viele andere ÖsterreicherInnen, die in der Türkei in Haft sitzen oder mit einer Ausreisesperre belegt sind, läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren in Österreich?

29) Ist Ihnen bekannt, gegen wie viele ÖsterreicherInnen derzeit ein Verfahren in der Türkei im Zusammenhang mit „Terrorpropaganda“, „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ o.ä. läuft?

a.    Wenn ja, wie viele Menschen betrifft dies?

b.    Wenn nein, warum nicht?



[1] https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/tuerkei#section-1727955

[2] Siehe entsprechende Medienberichte vom 11. und 12.12. 2019.

[3] https://richtervereinigung.at/europaeische-richterinnen-und-richter-warnen-vor-bedingungslosen-zusagen-an-die-tuerkei/