864/J XXVII. GP

Eingelangt am 14.02.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Verhinderung der Eintragung des dritten Geschlechts durch Weisung des ehemaligen Bundesministers Herbert Kickls

 

Seit dem Erkenntnis des Bundes-Verfassungsgerichtshofes im Juli 2018 (G77/2017 zu § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013) ist es Personen in Österreich so wie auch schon in 19 anderen Ländern der Welt theoretisch möglich, im zentralen Personenstandsregister ZPR neben den Geschlechtskategorien "männlich" und "weiblich" eine dritte Geschlechtskategorie zu wählen. Österreich ist im europäischen Vergleich übrigens das erste Land, in dem dieser Fortschritt gerichtlich erstritten werden musste und nicht auf politischem Wege erfolgte.1 Obwohl verfassungsgerichtlich anerkannt, bleibt die dritte Geschlechtskategorie faktisch jedoch eine Utopie.

Schuld daran ist eine Weisung des ehem. Innenministers Herbert Kickl an die Standesämter im Dezember 2018. Daraus geht einerseits hervor, dass aufgrund der beschränkten Möglichkeiten der Ministeriumssoftware als dritte Geschlechtskategorie lediglich der Begriff "divers" anzuerkennen sei - eine unnötig enge Fassung des Ausdrucks des dritten Geschlechts, dem das Erkenntnis des VfGH deutlich mehr Spielraum einräumt. Andererseits soll die Zuerkennung der dritten Geschlechtskategorie ausschließlich "auf Basis eines einschlägigen medizinischen Gutachtens" erfolgen und zwar durch eigens zusammengestellte "interdisziplinäre und multiprofessionelle medizinische Expertengruppen" bzw. "Boards".

Laut eines Artikels in der Tageszeitung Der Standard vom 23.12.20192 sind ebendiese Boards ein Jahr später immer noch nicht eingerichtet, womit für betroffene Personen eineinhalb Jahre nach dem verfassungsgerichtlichen Erkenntnis faktisch immer noch nicht die Möglichkeit besteht, die dritte Geschlechtskategorie auch tatsächlich eintragen zu lassen. Nicht nur werden solche verpflichtenden medizinischen Gutachten von LGBTIQ-Organisationen wie der HOSI Salzburg als "pathologisierend" und "potentiell traumatisierend" eingestuft und daher strengstens abgelehnt, sondern sie dienen offensichtlich durch ihren obligatorischen Charakter bei gleichzeitiger Nichtkonstituierung der dafür notwendigen Boards auch dazu, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes schlicht zu umgehen. Dieser Schwebezustand ist für die Betroffenen untragbar, zumal die Sachlage schon längst verfassungsrechtlich geregelt wurde und kann daher nur als Schikane aufgefasst werden. Außerdem kommen zahlreiche Länder wie Norwegen, Portugal, Malta, Belgien, Dänemark und Irland hinsichtlich der dritten Geschlechtskategorie ganz ohne ärztliches Attest aus, die einen höchst sensiblen Teil der Privatsphäre eines jeden Menschen betreffen.3 Das sollte auch in Österreich möglich sein.

 

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage:

 

 

1.    Wie viele Personen haben seit dem Erkenntnis des VfGH von Juli 2018 die dritte Geschlechtskategorie eintragen lassen (Bitte um Aufschlüsselung nach Monaten)?

 

2.    Wie viele Personen sind aufgrund der oben genannten Weisung des ehemaligen Bundesministers von Dezember 2018 zurzeit nicht in der Lage, die dritte Geschlechtskategorie auch tatsächlich im ZPR eintragen zu lassen?

 

3.    Ist besagte Weisung des ehemaligen Bundesministers an die Standesämter von Dezember 2018 noch in Kraft und wenn ja, mit welcher Begründung?

 

4.    Wie rechtfertigen Sie, dass diese Weisung ganz klar die Umsetzung des Erkenntnisses des VfGH behindert?

 

5.    Warum erachtet das Innenministerium für die Eintragung der dritten Geschlechtskategorie eine obligatorische medizinische Untersuchung überhaupt für notwendig?

 

6.    Warum hat diese obligatorische medizinische Untersuchung bei eigens (noch immer nicht) eingerichteten Boards zu erfolgen und kann nicht bei einem/einer niedergelassenen Arzt/Ärztin passieren?

 

7.    Mit welcher Begründung regelt Österreich die Eintragung der dritten Geschlechtskategorie durch die Voraussetzung medizinischer Untersuchungen strenger als andere europäische Länder, in denen die Eintragung des dritten Geschlechts ohne obligatorische medizinische Untersuchung anerkannt wird?


8.    Warum genau sind diese "interdisziplinären und multiprofessionellen medizinischen Expertengruppen" bzw. "Boards" noch nicht eingerichtet?

 

9.    Was ist der genaue Stand der Einrichtung dieser Boards?

a.    Wie viele "interdisziplinäre und multiprofessionelle medizinische Experten" wurden zur Einrichtung dieser Boards bereits rekrutiert?

b.    Wie viele finanzielle Ressourcen (Personalkosten, Raummiete, Gerätschaften etc.) wurden bereits aufgewendet, um sicherzustellen, dass diese Boards schnellstmöglich tätig werden können?

c.    Wem gegenüber sind diese Boards bei ihren Entscheidungen rechenschaftspflichtig bzw. welchem Kontrollorgan unterstehen diese Boards bei ihrer Arbeit?

 

10. Wann genau werden diese Boards eingerichtet sein und ihre Tätigkeit aufnehmen können?

 

1 https://www.diepresse.com/5456182/urteil-drittes-geschlecht-ab-sofort;

2 https://www.derstandard.at/story/2000112574005/weisung-kickls-als-minister-blockiert-eintrag-des-dritten-geschlechts;

3 https://www.salzburg24.at/news/salzburg/drittes-geschlecht-hosi-kritik-am-verpflichtenden-arztattest-62674825;