936/J XXVII. GP

Eingelangt am 18.02.2020
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Mag.a Dr.in Sonja Hammerschmid,

Genossinnen und Genossen

 

an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

 

betreffend mehr Hürden anstatt Chancen

 

Anfang bis Mitte Februar sind für viele 9- bis 10-jährige Kinder in Österreich folgenreiche Tage für die gesamte Bildungs- und damit auch Berufskarriere. Folgenreich deswegen, weil an den Schulen mit den Zeugnissen der erste Bewerbungsschein für die Aufnahme an einer AHS verteilt wird. Bis spätestens am zweiten Freitag nach den Semesterferien muss der Antrag auf Aufnahme bei der Schule, deren Schulbesuch in Aussicht genommen wird, eingelangt sein. Teil dieses Antrages ist die Schulnachricht. Nach Maßgabe der verfügbaren Plätze ist dann ein Schulplatz vorläufig zuzuweisen. Voraussetzung für die erfolgreiche Aufnahme ist, dass die Schülerin/der Schüler im Jahreszeugnis in Deutsch und Mathematik keine schlechtere Note als "Gut" und alle anderen Pflichtgegenstände positiv abgeschlossen hat. Bei "Befriedigend" in einem oder mehreren der oben genannten Pflichtgegenstände kann die Schulkonferenz der Volksschule trotzdem die Eignung für die AHS aussprechen. Spricht sich die Schulkonferenz nicht für die Eignung aus, dann ist eine Aufnahmeprüfung an der AHS abzulegen. Im Bundesschnitt geht rund ein Drittel der VolksschülerInnen nach der vierten Klasse in ein Gymnasium. In Wien und in den meisten anderen Städten sind es inzwischen mehr als 50 Prozent. Das Bestreben, dass das Kind auf ein Gymnasium geht, ist aber natürlich kein irrationales Verlangen der Eltern: Denn damit steigt die Wahrscheinlichkeit auf einen Maturaabschluss und in Folge die Chance auf den Zugang zu einem Studium. Selbst für das Ergattern einer Lehrstelle ist der Besuch eines Gymnasiums eine durchaus gute Visitenkarte. In einer dynamisierten Welt, in der Qualifikation am Arbeitsmarkt eine immer wichtigere Rolle spielt, sollte man Eltern bei ihrem Bestreben nach einem guten Bildungsabschluss natürlich nicht im Wege, sondern unterstützend zur Seite stehen.

Durch die frühe Trennung der Kinder in AHS und Mittelschule wird aber ein flächendeckender Stresstest für Eltern und Kinder aufgebaut. Völlig unnötig, wie viele BildungswissenschafterInnen bestätigen. Das Aussortieren von Schülern ("Stratifikation") durch eine frühe Trennung in verschiedene Bildungswege oder durch Sitzenbleiben fördert die Leistung nicht, verstärkt aber die Chancenungerechtigkeit, wie dies immer wieder auch in Publikationen der OECD[1] zu lesen ist. ExpertInnen fordern daher seit langem die Einführung einer gemeinsamen Schule:

„Am sinnvollsten wäre eine achtjährige gemeinsame Schule mit möglichst viel Differenzierung und individuellen Wahlmöglichkeiten auf der Sekundarstufe I und nach der Zäsur mit 14 Jahren für alle Kinder die organisatorische Differenzierung in eine Vielfalt von weiterführenden Schullaufbahnen.“, schlägt etwa Karl Heinz Gruber von der Universität Wien vor[2].

In der letzten Regierungsperiode hat die schwarz-blaue Bundesregierung bereits angekündigt, den Zugang zum Gymnasium zu verschärfen. Grob gesagt ging es darum, die Zahl der Kinder, die in ein Gymnasium gehen, zu reduzieren, in dem nicht nur das Zeugnis bei der Aufnahme eine Rolle spielt, sondern zusätzliche Testungen durchgeführt werden. Dieses Vorhaben wurde unter Schwarz-Blau nicht realisiert, die Politik des Aussortierens wird nun aber unter Schwarz-Grün fortgesetzt: geplant ist ein Test, der bereits in der dritten Klasse Volksschule flächendeckend durchgeführt wird – die „individualisierte Kompetenzfeststellung“. Konkret heißt es da: „Die Entscheidung über die weitere Bildungslaufbahn soll nicht mehr nur von einer Leistungsfeststellung (Schulnachricht der 4. Schulstufe) abhängig gemacht werden, sondern auf Basis der Ergebnisse einer individualisierten Kompetenzfeststellung in der 3. Schulstufe, des Jahreszeugnisses der 3. Klasse und der Schulnachricht der 4. Klasse getroffen werden.“[3]

Der Druck auf die Lehrer und Kinder, dem Wunsch vieler Eltern nachzukommen, dass ihre Kinder das Gymnasium besuchen, wird nun vorverlagert und weiter verschärft.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

Anfrage

 

1.    Wie viele Kinder besuchen in Österreich eine allgemeinbildende höhere Schule (AHS – Sek I)? Bitte um Darstellung je Bundesland und Entwicklung der Zahl der SchülerInnen vom Schuljahr 2000/01 bis 2019/20.

 

2.    Wie viele Kinder beginnen in Österreich eine allgemeinbildende höhere Schule (AHS – Sek I)? Bitte um Darstellung je Bundesland und Entwicklung der Zahl der SchulanfängerInnen vom Schuljahr 2000/01 bis 2019/20.

 

3.    Wie ist die soziale Durchmischung (Bildungsabschlüsse/Einkommen der Eltern, Herkunft) an den allgemeinbildenden höheren Schulen? Bitte um Darstellung je Bundesland und Entwicklung der SchülerInnenpopulation vom Schuljahr 2000/01 bis 2019/20.

 

4.    Allgemeinbildende höhere Schulen sind Bundeskompetenz. Wie ergibt sich die Anzahl der Schulplätze und damit die Zahl der Kinder, die bundesweit eine AHS derzeit besuchen können?

a.    Welche Steuerungsinstrumente hat das Bildungsministerium diesbezüglich?

b.    Wie ergibt sich der Stellenplan und Planung, wie viele LehrerInnen bundesweit an einer AHS unterrichten?

 

5.    Wie viele BewerberInnen gab es im Februar 2019 für die Aufnahme an einer AHS? Bitte um Darstellung je Bundesland.

a.    Wie viele dieser BewerberInnen wurden aufgenommen?

b.    Wie viele dieser BewerberInnen wurden auf Grund der positiv erfüllten Voraussetzungen ihres Zeugnisses aufgenommen?

c.    Wie viele dieser BewerberInnen wurden aufgrund der von der Schulkonferenz ausgesprochenen Eignung aufgenommen?

d.    Wie viele dieser BewerberInnen legten eine Aufnahmeprüfung ab?

e.    Wie viele jener BewerberInnen, die eine Aufnahmeprüfung absolvierten, wurden aufgenommen?

 

6.    Wie viele SchülerInnen mit sonderpädagogischen Förderbedarf besuchen derzeit (Schuljahr 2019/20) eine AHS? Bitte um Darstellung je Bundesland.

a.     Bitte weiters um Darstellung der Entwicklung der Zahl der SchülerInnen mit SPF vom Schuljahr 2000/01 bis 2019/20 je Schultyp.

 

7.    Bis wann soll die Reform des Zugangs zur AHS – etwa über die Einführung der individualisierten Kompetenzfeststellung – abgeschlossen sein?

a.    Welchen Effekt erwarten Sie auf die Zahl der SchulanfängerInnen? Bitte um Darstellung je Bundesland.

b.    Um wie viel sollen diese jährlich sinken? Bitte um Darstellung je Bundesland.

c.    Wie viele Kinder werden laut Test in Zukunft nicht mehr fürs Gymnasium „geeignet“ sein?

d.    Welche Rolle wird das Ergebnis der IKPMs bei der Aufnahme zur AHS in Zukunft haben?

e.    Wie stark werden weiterhin die Zeugnisnoten für die Aufnahme zur AHS berücksichtigt werden?

f.      Bitte um Darstellung, welche Maßnahmen im Detail geplant sind und bis wann diese zur Umsetzung kommen?

 

8.    Derzeit wird Bildung in Österreich vererbt. Schuld daran ist unter anderem die frühe Trennung der Kinder in AHS und Mittelschule. Im Regierungsprogramm ist hiervon nichts zu lesen. Hat ihr Koalitionspartner die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen die Einführung der gemeinsamen Schule gefordert?

a.    Wenn ja, warum konnte man sich auf dieses Vorhaben nicht einigen?

b.    Wurden Erleichterungen bei der Einführung der Modellregionen diskutiert?

                                  i.    Wenn ja, warum konnte man sich auf keine Reform einigen?

                                 ii.    Wenn nein, warum nicht?

 



[1] Vgl. hierzu etwa OECD (2011), PISA 2009 Ergebnisse: Was macht eine Schule erfolgreich? – Lernumfeld und schulische Organisation in PISA (Band IV). http://dx.doi.org/10.1787/9789264095410-de

[2] https://www.derstandard.at/story/2000110510136/fuer-einen-bildungspolitischen-klimawandel

[3] ÖVP-Grüne, Regierungsprogramm 2020-2024, S. 299