997/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.02.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Migrationspakt

Ende 2017 gab es laut Vereinte Nationen weltweit fast 260 Millionen Migrant_innen. Das entspricht etwa 3,4 Prozent der Weltbevölkerung und repräsentiert einen Anstieg um fast 50 Prozent seit dem Beginn des Jahrhunderts. Die Zahl der Flüchtlinge stand 2018 bei 16 Millionen. Als Antwort auf die Herausforderung haben die Vereinten Nationen den „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ erarbeitet, da diese Herausforderungen nur auf globaler Ebene konstruktiv gemeinsam gemeistert werden können.

Im Jänner dieses Jahres sagte Außenminister Schallenberg im Rahmen eines Treffens mit UNO Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet unter Verweis darauf, dass Staaten sich vermehrt aus internationalen Abkommen zurückziehen, dass gerade kleine Länder wie Österreich internationale Regeln brauchen, um nicht dem Gesetz des Dschungels zu unterliegen.

Trotz federführender Mitarbeit Österreichs bei der Erarbeitung des Dokuments hat die Bundesregierung letztendlich als einer von wenigen Staaten den Pakt abgelehnt. Der außenpolitische Sprecher des damaligen Regierungspartners FPÖ, Nationalratsabgeordneter Roman Haider, sagte (31.10.2018) dass ein „Nein“ zum Migrationspakt bedeutet dass „Österreich … nie wieder so ungeschützt einer Migrationsflut ausgesetzt sein [würde] wie im Herbst 2015.“ Da Syrienflüchtlinge im Jahr 2015, also vor der Ausverhandlung des Migrationspakts ereignete ist schwer nachvollziehbar, wie die Ablehnung dieses Pakts eine solche „Welle“ verhindern hätte können. Experten und Hilfsorganisationen, wie Caritas oder Rotes Kreuz, sehen die Ablehnung durch Österreich als Fehler, Völkerrechtler Manfred Nowak bezeichnete die Ablehnung als „fatales Signal“ mit dem sich Österreich „ins eigene Fleisch schneidet.

Das im Jänner 2020 vorgestellte Regierungsprogramm nimmt widersprüchliche Positionen zum Thema Migration ein: einerseits mit Fokus auf internationale Zusammenarbeit, andererseits Ablehnung internationaler Abkommen wie „Dublin“, „Sophia“ oder „Migrationspakt“.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage

1.    Die österreichische diplomatische Gemeinschaft war in der Erarbeitung des Migrationspakts eingebunden und hat diese Resultate mitgetragen. Österreichs zustimmende Position zum Pakt wurde in letzter Minute von der ÖVP-FPÖ Regierung gekippt.

a.    Hat das Außenamt zur letztendlichen Ablehnung geraten, oder handelte es sich in diesem Fall auch um eine Situation, in dem (in den Worten von Minister Faßmann) der Gestaltungsfreiraum der Politik“ Evidenz und Expertise ausstach?

b.    Sind die Eingaben von Außenminister Schallenberg oder Mitarbeitern aus dem außenpolitischen Dienst ins Regierungsprogramm miteinbezogen worden?

c.    Wenn ja, welche, und an welchen Stellen sind sie ins Regierungsprogramm eingegangen?

2.    Das Regierungsprogramm spricht von einem Europa, das „innovative Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit … (z.B. Migration …)“ gibt. Es bekennt sich zu einem „neuen Miteinander statt Rückkehr zu altem Gegeneinander.“ Weiters betrachtet es die Einstimmigkeit in der EU als nicht länger den Erfordernissen unserer Zeit entsprechend.

a.    Was ist die Position des Außenministeriums im Falle einer klaren Mehrheit innerhalb der Europäischen Union für eine gemeinsame Asylpolitik?

b.    Was ist die Position des Außenministeriums im Falle einer klaren Mehrheit innerhalb der Europäischen Union für die Verlängerung der Seenotrettungsmission Sophia?

c.    Was ist die Position des Außenministeriums im Falle einer klaren Mehrheit innerhalb der Europäischen Union für einen Aufteilungsschlüssel für anerkannte Schutzbedürftige innerhalb der EU?

d.    Welchen Teil des Regierungsprogramms würde der Außenminister durchsetzen, welchen verwerfen – Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit unter Mehrheitsbeschlüssen, oder unilaterale Ablehnung von internationalen Projekten?

3.    Das Regierungsprogramm spricht von „Hilfe vor Ort“ unter anderem in Lagern. Aus der akademischen Development-Fachliteratur wissen wir, dass (a) nur ein Bruchteil der Menschen nach der Flucht nach Hause zurückkehren (kann), und (b) Entwicklungshilfe kurz- und mittelfristig Migration beflügelt, nicht vermindert.

a.    Stimmt das Außenministerium diesem gängigen akademischen Wissensstand zu?

b.    Wenn nein, welche Daten hat das Ministerium, um seine gegenteilige Meinung zu untermauern?

c.    Welche Strategien hat das Außenministerium, um Geflüchteten vor Ort auf eine Weise zu helfen, die es ihnen erlaubt, in Gebiete zurückzukehren, aus denen sie vor einem ihnen nicht wohlgesinnten Regime geflohen sind?

d.    Wie viele Jahre sollen Menschen „vor Ort“ in Lagern – also temporären Unterkünften – betreut werden bevor sie als nicht ins Ursprungsland rückführbar klassifiziert werden?

e.    Wird die Situation von Kindern, die in temporären Lagern im Regelfall keine adäquate Schulung, aber in keinem Fall normale Sozialisierung erhalten, berücksichtigt? Werden diese Kinder gegebenenfalls Zugang zu einem pädagogisch relevanten schulischen Angebot haben?

4.    Wie interpretiert das BMEIA die Vorgabe zur „Verstärkten Fokussierung auf das Thema Migration, etwa durch Prüfung der Verwendung zusätzlicher und freiwerdender österreichischer EZA-Mittel in Herkunfts- und Transitländern von Migrantinnen und Migranten nach Österreich?

a.    Welche Mittel erwartet das Ministerium zusätzlich? Bedeutet diese Vorgabe, nach Deutung des Ministeriums, dass die versprochenen zusätzlichen Entwicklungszusammenarbeits-Mittel zum Thema Migration zu verwenden sind?

b.    Welche Mittel werden, in der Deutung des Ministeriums, frei?

c.    Wie wird das Ministerium diese Mittel verwenden, um die Vorgabe der „verstärkten Fokussierung“ auf Migration zu erfüllen?

5.    Was bedeutet, in der Deutung des Ministeriums, „menschenrechtskonformer EU Außengrenzschutz“ mit Hinblick auf Ablehnung des Migrationspakts, der dieses Thema erläutert und von der großen Mehrheit der EU Staaten angenommen wurde?

a.    Beinhaltet „menschenrechtskonformer EU Außengrenzschutz“ ein Recht auf Asyl unter gewissen Bedingungen?

b.    Wenn ja, deutet das Ministerium einen „menschenrechtskonformen EU Außengrenzschutz“ als Alleinverantwortung der EU Grenzstaaten, da die Bundesregierung Umverteilung von anerkannten Flüchtlingen (wie von der UNO anerkannte Kandidat_innen für Resettlement) ablehnt?

6.    Wird Österreich als EU-Binnenland unter den Provisionen des Regierungsprogramms weiterhin Asylsuchende akzeptieren? 

7.    Das Regierungsprogramm setzt den Fokus auf den „Schutz der österreichischen Binnengrenzen solange der EU Außengrenzschutz nicht lückenlos funktioniert.“ Im Falle von möglichen neuerlichen signifikanten Flüchtlingsbewegungen, wie würde dieser Binnengrenzschutz funktionieren? Würde Österreich seine Grenzen militarisieren?