1177/J XXVII. GP

Eingelangt am 04.03.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Trennung von Familien durch das BFA

 

Leider kommt es immer wieder vor, dass Familien mit minderjährigen Kindern bei Abschiebungen oder der Vorbereitung von Abschiebungen von den österreichischen Behörden getrennt werden. Aktuell wurde uns die Situation von Familie Y./Z. aus Afghanistan bekannt. Die Familie stellte Anfang 2016 einen Asylantrag in Österreich und befand sich dann mehr als 3 Jahre im Zulassungsverfahren. Das Dublinverfahren wurde - nach eine Zulassung durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im März 2019 und Revision durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - im Mai 2019 durch den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) negativ beendet. Kroatien sei für das Asylverfahren der Familie zuständig.

Die Mutter, Frau M. Z., befindet sich seit Anfang April 2019 aufgrund einer psychischen Erkrankung und permanenter Suizidgefahr in stationärer Behandlung im Landesklinikum Hollabrunn. Zuletzt wurde die Unterbringung in der Abteilung für Sozialpsychiatrie im Dezember 2019 mit Beschluss des Bezirksgericht Hollabrunn bis 24. März 2020 für zulässig erklärt. Der Vater wohnte mit den vier Kindern in einer Unterkunft in Stockerau. Dort gingen die älteren Kinder (geb. 2009, geb. 2011, geb. 2013) in die Schule und konnten mit Hilfe eines Bekannten die Mutter regelmäßig im Spital in Hollabrunn besuchen. Die Familie ist gut integriert, sei sprechen Deutsch, das vierte Kind wurde vor zwei Jahren in Österreich geboren.

Am 16. Jänner 2020 wurde der Vater, Herr M. E. Y., mit den vier Kindern festgenommen und in das Familienanhaltezentrum Zinnergasse gebracht, wo ihnen am 17. Jänner 2020 per Bescheid gemäß § 77 Abs 1 und 3 iVm § 76 Abs 2 Z 3 FPG angeordnet wurde, dort Unterkunft zu nehmen. 60 Kilometer von der Mutter entfernt. Dadurch ist kein Kontakt der Kinder zur Mutter mehr möglich, was sowohl für die Kinder, als auch für die Mutter eine massive psychische Belastung bedeutet. Außerdem gibt bis dato auch noch keine Schulplätze für die Kinder.

Neben dem gelinderen Mittel kann zur Sicherung der Ausreise gemäß § 57 FPG die Unterkunftnahme in bestimmten Quartieren des Bundes angeordnet werden (Wohnsitzauflage), z.B. wenn ein Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist und bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er dieser auch weiterhin nicht nachkommen wird. In den Erläuterungen zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 wird betreffend der Wohnsitzauflage gemäß § 57 FPG Folgendes ausgeführt (2285/A XXV. GP, S. 63f):

"Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll dabei nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird."

Diese Kriterien müssen wohl auch für die Anordnung zur Unterkunftnahme gemäß § 77 Abs 2 Z 1 FPG, also des gelinderen Mittels zur Sicherung der Außerlandesbringung, gelten. Auch hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Erwägungen, insbesondere die Bedürfnisse der vier minderjährigen Kinder, im gegenständlichen Fall berücksichtigt wurden.

Auch die Volksanwaltschaft kritisierte in ihren Parlamentsberichten der vergangenen Jahre wiederholt, dass bei Abschiebungen bzw. Rückführungen Familien getrennt werden und beim Zeitpunkt von Rückführungen zu wenig Rücksicht auf das Kindeswohl und insbesondere die Bedürfnisse von Kindern, insbesondere von Kleinkindern, genommen wird (vgl. etwa PB 2017, 180 f; PB 2015, 157 f; PB 2014, 143 f). Die Volksanwaltschaft empfiehlt im Sinne des durch Artikel 8 EMRK gewährleisteten Schutzes der Kinder und des Familienleben bei Abschiebungen bzw. Rückführungen Familien nicht zu trennen, auch wenn ein Elternteil nicht transportfähig oder unauffindbar ist.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Welche Stelle erteilte die Weisung bzw. den Auftrag, dem Vater mit den vier Kindern anzuordnen, im Familienanhaltezentrum Zinnergasse Unterkunft zu nehmen?

2.    Ist es Teil der üblichen Vorgehensweise vor Anordnung zur Unterkunftnahme oder Anordnung der Schubhaft für Familien mit Kindern zu prüfen, ob es dadurch zu einer Trennung der Familie kommen könnte?

a.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Wenn ja, wie läuft diese Prüfung ab?

3.    Welche Maßnahmen setzt das BMI, um eine Trennung von Familien mit Kindern durch Anordnung zur Unterkunftnahme oder Anordnung der Schubhaft zu vermeiden?

a.    Wann wurden diese Maßnahmen gesetzt?

4.    Ist es Teil der üblichen Vorgehensweise vor Anordnung zur Unterkunftnahme oder Anordnung der Schubhaft für minderjährige Kinder zu prüfen, ob es dadurch zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohls kommen könnte?

a.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Wenn ja, wie läuft diese Prüfung ab?

5.    Welche Maßnahmen setzt das BMI, um eine Beeinträchtigung des Kindeswohls durch eine Anordnung zur Unterkunftnahme oder Anordnung der Schubhaft zu vermeiden?

a.    Wann wurden diese Maßnahmen gesetzt?

6.    Warum wurde im gegenständlichen Fall die Unterkunftnahme der Familie im Familienanhaltezentrum Zinnergasse angeordnet, obwohl die Mutter - bewilligt durch das Bezirksgericht Hollabrunn jedenfalls noch bis 24. März 2020 - im Landesklinikum Hollabrunn in stationärer Behandlung ist?

7.    War dem BFA zum Zeitpunkt der Anordnung zur Unterkunftnahme für das Familienanhaltezentrum Zinnergasse bekannt, dass die Mutter im Landesklinikum Hollabrunn in stationärer Behandlung ist?

a.    Wenn nein, hat sich das BFA vor Anordnung zur Unterkunftnahme ein Bild über die aktuelle Situation der Familie gemacht?

                                  i.    Wenn ja, auf welche Weise?

                                ii.    Wenn nein, warum nicht?

8.    Inwiefern wurden bei Anordnung zur Unterkunftnahme im gegenständlichen Fall das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen berücksichtigt (siehe auch die Erläuterungen zum FrÄG 2017)?

9.    Wurde bei Anordnung zur Unterkunftnahme berücksichtigt, dass die Mutter im Landesklinikum Hollabrunn in stationärer Behandlung liegt und eine Abschiebung der Familie daher unzulässig ist?

10. Wurde bei Anordnung zur Unterkunftnahme berücksichtigt, dass für die Kinder durch die angeordnete Unterkunftnahme kein Kontakt zur Mutter mehr möglich ist?

11. Inwiefern entspricht es dem Kindeswohl, dass für die Kinder durch die Anordnung zur Unterkunftnahme kein Kontakt zur Mutter mehr möglich ist?

12. Inwiefern entspricht es dem Kindeswohl, dass die Kinder durch die Anordnung zur Unterkunftnahme aus ihrer gewohnten Umgebung inkl. Schule herausgerissen wurden und ihnen nun nicht mehr möglich ist, eine Schule zu besuchen?

13. Welche Maßnahmen setzt das BMI, um im Familienanhaltezentrum Zinnergasse eine das Kindeswohl entsprechende Unterbringung zu gewährleisten und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen zu berücksichtigen?

14. Wie wird die medizinische Versorgung der Bewohner_innen im Familienanhaltezentrum Zinnergasse sichergestellt?

15. Ist dem BMI bekannt, dass im Familienanhaltezentrum Zinnergasse dem jüngsten, zweijährigen Kind der Familie bei 39 Grad Fieber vom gerufenen Arzt wegen "Nichtversicherung" die Behandlung verweigert wurde?

a.    Welche Schritte wurden daraufhin gesetzt, um eine adäquate medizinische Versorgung für das kranke Kleinkind sicherzustellen?

16. Ist es Teil der üblichen Vorgehensweise vor Anordnung zur Unterkunftnahme oder Anordnung der Schubhaft für Familien mit Kindern zu prüfen, ob die Anordnung (anderer) gelinderer Mittel zur Zweckerreichung ausreichen würden?

a.    Wenn nein, warum nicht?

17. Wurde im gegenständlichen Fall vor Anordnung zur Unterkunftnahme, die Anordnung anderer gelinderer Mittel geprüft?

a.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Wenn ja, wurde dabei berücksichtigt, dass die Mutter im Landesklinikum Hollabrunn in stationärer Behandlung liegt und eine Abschiebung der Familie daher unzulässig ist?

c.    Wenn ja, wurde dabei berücksichtigt, dass für die Kinder durch die Anordnung zur Unterkunftnahme kein Kontakt zur Mutter mehr möglich ist?

d.    Wenn ja, was war das Ergebnis der Prüfung?

18. Warum wurde im gegenständlichen Fall anstelle der Unterkunftnahme im Familienanhaltezentrum Zinnergasse kein anderes gelinderes Mittel, wie etwa eine Meldeverplfichtung in periodischen Abständen gemäß § 77 Abs 3 Z 2 FPG, angeordnet?

19. Warum ist die Anordnung zur Unterkunftnahme im gegenständlichen Fall aus Sicht des BMI notwendig und verhältnismäßig?

20. Ist geplant, im gegenständlichen Fall die Anordnung zur Unterkunftnahme aufzuheben und gegebenfalls durch ein anderes gelinderes Mittel zu ersetzen?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?

21. Warum ging aus Sicht des BMI die Zuständigkeit für das gegenständliche Asylverfahren nicht gemäß Artikel 29 Abs 2 Dublin-III-VO aufgrund der Überschreitung der sechsmonatigen Frist für Überstellung auf Österreich über?

22. Warum ging aus Sicht des BMI die Zuständigkeit für das gegenständliche Asylverfahren nicht gemäß Artikel 13 Abs 1 Dublin-III-VO aufgrund der Überschreitung der zwölfmonatigen Frist nach dem Grenzübertritt auf Österreich über?

23. Ist geplant, das Asylverfahren der Familie Y./Z. gemäß Artikel 17 Dublin-III-VO in Österreich zuzulassen?

a.    Wenn ja, wann?

b.    Wenn nein, warum nicht?