1295/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.03.2020
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Edith Mühlberghuber

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend

betreffend Rechtswidrigkeit bei Kinderabsetzbetrag gemäß EU-VO 883/2004

 

 

Der Rechnungshof hat im Jahr 2018 einen Bericht zur Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag veröffentlicht.

 

https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/Familienbeihilfe.pdf

 

In diesem Bericht wird auch über den Sachverhalt informiert, dass Österreich gemäß EU-rechtlicher Vorgaben Familienleistungen für Kinder bezahlen muss, die nicht in Österreich leben.

Auf Seite 47 verweist der Rechnungshof auf eine Besonderheit, die EU-rechtlich äußerst problematisch ist: Wenn ein Kind in Österreich lebt und nur einer der beiden Elternteile arbeitet und dieser Elternteil in einem Staat arbeitet (und dort auch seine Beiträge bezahlt), der höhere Familienleistungen hat als die österreichischen Familienleistungen, dann besagt das Gesetz, dass ausschließlich der andere Staat seine Familienleistungen an den Elternteil bezahlen muss. Österreich allerdings bezahlt laut RH zusätzlich zur ausländischen Familienleistung den Kinderabsetzbetrag.

 

In 16.3. des Berichts heißt es, dass im Regierungsprogramm 2017-2022 geplant ist, dass Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zusammengeführt werden soll. Diese Maßnahme befindet sich allerdings nicht im Regierungsprogramm 2020-2024.

Somit muss davon ausgegangen werden, dass Österreich nach wie vor rechtswidrig den Kinderabsetzbetrag bezahlt und somit Familien, die einen Auslandsbezug zu einem Land haben, das höhere Familienleistungen hat als jene in Österreich, finanziell noch stärker profitieren.

 

Dass insgesamt 32 Staaten Familienleistungen für Kinder bezahlen müssen, die in einem anderen Staat leben, regelt die EU-Verordnung 883/2004.

 

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02004R0883-20140101

 

Die Verordnung besagt in Artikel 1 z:

„„Familienleistungen“ alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.“

 

Artikel 3 besagt:

„Sachlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

 j) Familienleistungen.“

 

Artikel 4 besagt:

„Gleichbehandlung

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.“

 

Artikel 10 besagt:

„Verbot des Zusammentreffens von Leistungen

Sofern nichts anderes bestimmt ist, wird aufgrund dieser Verordnung ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit weder erworben noch aufrechterhalten.“

 

Erwägungsgrund 35 besagt:

„Zur Vermeidung ungerechtfertigter Doppelleistungen sind für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats mit Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der Familienangehörigen Prioritätsregeln vorzusehen.“

 

Artikel 67 besagt:

„Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.“

 

Artikel 68 besagt:

„Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2)  Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriftengewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.“

 

Es gibt ein umfassendes Regelwerk, das vorschreibt, wann welcher Staat unter welchen Bedingungen Familienleistungen bezahlen muss. Je nachdem, im welchen Staat das Kind wohnt, welcher Elternteil erwerbstätig ist, einen Rentenanspruch oder Wohnortanspruch hat, ergeben sich 16 mögliche Varianten die über die Auszahlung der Familienleistungen entscheiden. Das Regelwerk besagt jedenfalls, dass Eltern maximal Anspruch auf die höchste Familienleistungen haben. Es ist nicht so, dass Eltern den vollen Anspruch auf Familienleistungen von beiden haben können.

Da Österreich allerdings zusätzlich zu einer höheren Familienbeihilfe aus dem Ausland den Kinderabsetzbetrag bezahlen dürfte, wird EU-Recht gebrochen, was gravierende Auswirkungen für die betroffenen Familien haben kann. Das Finanzamt könnte rückwirkend auf fünf Jahre den Kinderabsetzbetrag zurückfordern.

 

Der Kinderabsetzbetrag ist ein direkter monetärer Transfer und wird gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlt (gemäß §33 Abs.3 Einkommensteuergesetz1988). Er steht der Person zu, der Familienbeihilfe gewährt wird, und soll dazu beitragen, die Unterhaltskosten für Kinder abzugelten. Der Kinderabsetzbetrag ist - wie auch die Familienbeihilfe - unabhängig von Einkommen und Beschäftigung sowie unabhängig von einer Steuerpflicht und der Höhe der Unterhaltspflicht.

 

Der Kinderabsetzbetrag ist als eine Familienleistung im Sinne der EU-Verordnung 883/2004 Artikel 1 z anzusehen. In Hinblick auf den Erwägungsgrund 35 ist es unzulässig, diesen Betrag zusätzlich zu einer vollen Familienleistung aus dem Ausland zu bezahlen. Die EU-Kommission könnte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten, was zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) führen könnte. Wie viele Eltern betroffen wären, ist nicht bekannt.

 

In der Vergangenheit gab es die Anfragebeantwortungen 11248/AB (XXV.GP), 1481/AB (XXVI.GP), 7838/AB (XXV.GP). Zuletzt gab es die Anfrage 233/J (XXVII. GP).In keinen Anfragen ging es bis dato darum, wie viele Kinder in Österreich ihren Lebensmittelpunkt hatten, aber auf die dennoch die EU-Verordnung 883/2004 anzuwenden war, weil ein anderer Staat für die Auszahlung vorrangig zuständig war. Etwa dann, wenn der Elternteil in diesem Staat erwerbstätig war, während jener Elternteil, der mit dem Kind in Österreich lebte, entweder einen Rentenanspruch hatte oder nur einen Wohnortanspruch hatte.

 

Ansonsten gäbe es noch die Variante, dass jener Elternteil im anderen Mitgliedstaat einen Rentenanspruch hat, während der in Österreich mit dem Kind lebende Elternteil nur einen Wohnortanspruch hat. Bei diesen Konstellationen bezahlt der vorrangig zuständige Staat zuerst seine Familienleistung. Ist diese niedriger als die österreichische Familienleistung, muss Österreich eine Differenzzahlung überweisen, damit die Eltern insgesamt auf jene Höhe kommen, die der österreichischen Familienleistung entspricht. Ist die Familienleistung des vorrangig zuständigen Staats höher als die österreichische, so bezahlt Österreich nichts. Hat der vorrangig zuständige Staat einkommensabhängige Familienleistungen, womit aufgrund des zu hohen Einkommens des Elternteils keine Familienleistung bezahlt werden muss, bezahlt Österreich seine Familienleistungen in voller Höhe.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend folgende

 

Anfrage

 

1.     Wie viele Fälle gab es in den Jahren 2014 bis 2019, bei denen das Kind in Österreich lebte, allerdings Österreich aufgrund der EU-Verordnung 883/2004 Artikel 67 und 68 für die Auszahlung seiner Familienleistungen nachrangig zuständig war?

2.     Welche Staaten waren für wie viele Familien, bei denen die Kinder in Österreich wohnhaft waren, vorrangig zuständig aufgeschlüsselt die Jahre 2014 bis 2019?

3.     Wie vielen Beziehern, bei denen das Kind in Österreich lebte, aber Österreich nachrangig zuständig war, hat Österreich eine Differenzzahlung seiner Familienleistungen in den Jahren 2014 bis 2019 aufgeschlüsselt nach Jahren bezahlt?

4.     Wie hoch war die Summe insgesamt aufgeschlüsselt nach Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Geschwisterstaffelung, Schulbeihilfe, erhöhter Familienbeihilfe und Mehrkindzuschlag aufgeschlüsselt die Jahre 2014 bis 2019?

5.     Wie vielen Beziehern bei denen das Kind in Österreich lebte, aber Österreich nachrangig zuständig war, hat Österreich in den Jahren 2014 bis 2019 aufgeschlüsselt nach Jahren die volle Höhe der Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag bezahlt?

6.     Wie hoch war die Summe insgesamt aufgeschlüsselt nach Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Mehrkindzuschlag aufgeschlüsselt nach Jahren?

7.     Wie vielen Beziehern bei denen das Kind in Österreich lebte, aber Österreich nachrangig zuständig war, hat Österreich in den Jahren 2014 bis 2019 aufgeschlüsselt nach Jahren keine Familienbeihilfe bezahlt?

8.     Wurde diesen Beziehern der Kinderabsetzbetrag bezahlt?

9.     Wenn ja, warum, obwohl dies EU-rechtlich nicht zulässig ist?

10.  Wie hoch war die gesamte Summe des ausbezahlten Kinderabsetzbetrages aufgeschlüsselt nach Jahren?

11.  Ist es geplant, dass die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag zusammengeführt werden?

12.  Wird Österreich von jenen Familien, die zu Unrecht den Kinderabsetzbetrag erhalten haben, diesen rückwirkend auf fünf Jahre zurückfordern, falls Österreich bei einer etwaigen Klage der EU-Kommission vom EuGH verurteilt wird?