1435/J XXVII. GP

Eingelangt am 06.04.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumenten­schutz

betreffend Fragen zum Corona-Expertenpapier

Letzte Woche veröffentliche die Bundesregierung auf www.oesterreich.gv.at eine "Executive Summary" eines "Expertenpapiers" über Corona. Darin wurde prognosti­ziert, dass das österreichische Gesundheitssystem "unter realistischen Annahmen Mitte April zusammenbrechen" würde. Das Nachprüfen dieser extremen Prognosen wurde leider durch den Umstand verunmöglicht, dass das gesamte "Expertenpapier" nie veröffentlicht wurde. Auch die Quellenangaben und Datengrundlagen wurden seitens der Regierung nicht bekannt gegeben. Das "Expertenpapier" steht seither unter massiver Kritik und die "Executive Summary" wurde von der Bundesregierung mittlerweile sogar wieder von www.oesterreich.gv.at entfernt. Die intransparente Vorgehensweise der Regierung wirft nun massive Fragen auf. Unter anderem, weil die Regierung offensichtlich allein auf Basis dieses ominösen "Expertenpapiers" eini­ge ihrer früheren Aussagen grundlegend revidiert hat (z.B.: Atemschutzmasken- pflicht), ohne sich eine Bild über die gesamte Evidenz zu machen.

Grundsätzlich ist es wünschenswert, schnellstmöglich mit Szenarien-Prognosen zu Corona zu beginnen. Allerdings begleitet von maximaler Transparenz und einer vali­den Datengrundlage. Die nationale Datenlage zu Corona ist jedoch zum aktuellen Zeitpunkt von zahlreichen Limitationen (z.B.: zu wenige Tests) und Datenerfas­sungsproblemen (siehe Datenerfassung zu Tests, Intensivbetten und Beatmungsge­räten) verzerrt. Voreilige Berechnungen ("Expertenpapier"-Veröffentlichung: 30.3.) mit extremen Resultaten (100.000 Corona-Tote und ein Zusammenbrechen des öst. Gesundheitssystems Mitte April in einem realistischen Szenario) sind daher aus fol­genden Gründen strittig:

      Verzögerte Wirkung der Corona-Einschränkungen: Die flächendeckenden Pandemie-Einschränkungen erfolgten am 16.3.2020. Aufgrund des langwierigen Corona-Erkrankungsverlaufs (ca. 2 Wochen) hätte man zumindest die erste Ap­rilwoche abwarten müssen. Erst dann hätte die verzögerte Wirkung der Ein­schränkungen in den Prognosen Platz gefunden. Die Echtdaten der ersten April­woche zeigen beispielsweise bereits eine relativ stabile Entwicklung der Intensiv- KH-Aufenthalte (siehe Grafik), wodurch das "realistische" Szenario im "Experten­papier" bereits wenige Tage nach der Publikation widerlegt wird, weil die getroffe­nen Corona-Einschränkungen erst mit etwa zwei Wochen Verzögerung wirken.

      Anzahl der Tests: Die Zahl der Neuinfektionen hängt derzeit noch enorm von der Anzahl der Tests und der Teststrategie ab. Da täglich nur knapp 3.000 bis 4.000 (nicht repräsentative) Testungen erfolgen (von Sebastian Kurz genanntes Ziel: 15.000 pro Tag), ist es naheliegend, dass bei einer kurzen Datenreihe keine vali­den Prognosen berechnet werden können.

      Datenqualität: zudem ist die Datenqualität des Bundes und der Länder subopti­mal. Auf diesen unsicheren Daten basierten allerdings die Prognosen des Exper­tenpapiers. Beispielsweise veröffentliche das BMSGPK bis 24.3. versehentlich nur ein Viertel der tatsächlichen Corona-Intensivbettenauslastung. Die Klarstei­lung, wie viele Beatmungsgeräte aktuell zu Verfügung stehen, hat sich ebenfalls bis Ende März hinausgezögert. Schlussendlich werden die täglichen Neuinfektio­nen verzögert eingemeldet und täglich rückwirkend nach oben revidiert.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das die Krisenkommunikation der Regierung deutlich besser ist als das tatsächliche Krisenmanagement, welches das Datenma­nagement umfasst. Hier muss sich die Regierung schleunigst besser aufstellen, um weitere Fehler zu vermeiden.


 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Wieso wurde auf www.oesterreich.gv.at nur das "Executive Summary" des Corona-"Expertenpapiers" hochgeladen?

2.    Liegt Ihnen das gesamt "Expertenpapier" vor?

a.    Wenn ja, wieso wurde es nicht vollständig veröffentlicht?

b.    Bitte um Übermittlung des vollständigen Expertenpapiers!

3.    Wieso wurde das "Executive Summary" des "Expertenpapiers" am 3.4.2020 wie­der von www.oesterreich.gv at entfernt?

4.    Wer hat die Autoren des "Expertenpapiers" ausgewählt?

5.    Welche Fachrichtungen decken die Autoren ab?

6.    Wie hoch war das Honorar für das "Expertenpapier"?

7.    Sind Folgeaufträge an die im "Executive Summary" genannten Experten erfolgt?

a.    Wenn ja, welche Forschungsschwerpunkte wurden vereinbart?

b.    Wenn ja, welche Honorare wurden vereinbart?

8.    Wieso wurden mit der "Veröffentlichung" des "Executive Summary" keine Quel­lenangaben veröffentlicht?

9.    Auf welchen nationalen und internationalen Datenquellen basiert das Experten­papier und welchen Zeitraum umfassen die für die Prognosen zugrunde liegen­den Echtdaten?

10. Auf welchen Echtdaten (inkl. Zeitraum) basieren die Prognosen, die 100.000 Tote vorhersehen und welche Parameter wurden dabei angenommen (Sterblich­keit,...)?

11. Wurden die Prognosen und Feststellungen des "Expertenpapiers" Ihrerseits überprüft? Speziell die Prognose über 100.000-Corana-Tote und die Feststellun­gen darüber, dass das österreichische Gesundheitssystem in einem realistischen Szenario Mitte April zusammenbrechen könnte?

12. Zunächst wurde von Regierungsseite verkündet, dass keine Atemschutzmasken nötig seien.

a.    Auf Basis welcher Evidenz wurde die Atemschutzmaskenpflicht in Super­märkten entschieden?

b.    Hat das "Expertenpapier" den Ausschlag für die Atemschutzmaskenpflicht gegeben?