1574/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.04.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Petra Wimmer, Eva-Maria Holzleitner BSc,

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend „Wo bleibt der Kinderschutz in Österreich?“

Im türkis-grünen Regierungsübereinkommen 2020 - 2024 ist der „Ausbau und die Absicherung von Kinderschutzzentren“ als Vorhaben angeführt. Hinweise auf einen Zeitrahmen und die Höhe der Absicherung fehlen völlig. Seit Mitte Februar liegen in Österreich zudem die „Concluding Observations“ auf, also jene offiziellen Empfehlungen, welche die UNO alle fünf Jahre an die Österreichische Regierung übermittelt, was im Bereich der Kinderrechte zu verbessern ist. Hier werden im Kapitel III E wichtige Empfehlungen im Bereich Gewaltschutz ausgesprochen, die es zügig umzusetzen gilt. Die wichtige Rolle der Kinderschutzzentren in Österreich ist sowohl in der Praxis als auch in ihrem Selbstverständnis unbestritten.

„Die knapp 30 Österreichischen Kinderschutzzentren betreuen jährlich mit insgesamt ca. 200 MitarbeiterInnen über 70.000 minderjährige Gewalt- und Missbrauchsopfer und deren Bezugspersonen in ca. 65.000 Beratungs- und Therapiestunden. Primäre Aufgabe eines Kinderschutzzentrums ist das Angebot von Beratung, Krisenintervention und Psychotherapie in Fällen von Gewalt oder Verdacht auf Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Gegebenenfalls werden Prozessbegleitung, Besuchsbegleitung und Kinderbeistand angeboten. Diese Angebote richten sich an betroffene Kinder und Jugendliche selbst, deren Familien und Bezugspersonen, einschließlich der Personen, von denen Gewalt ausgeht, sowie an alle, die in ihrer beruflichen Arbeit oder privat mit dem Problem der Gewalt an Kindern und

Jugendlichen konfrontiert werden…… Multiprofessionelle Teams bieten ein hilfe- und

entwicklungsorientiertes Unterstützungsangebot, das so gestaltet sein soll, dass die KlientInnen es als Hilfe annehmen und sich aktiv darauf einlassen können. Dazu ist es notwendig, die KlientInnen als autonome Wesen zu achten und sie in ihren gesamten Lebenszusammenhängen zu verstehen. Ihre Aufgabe ist, die Konflikte und Probleme anzusprechen, die das Wohl von Kindern und Jugendlichen gefährden und die KlientInnen in der Wahrnehmung und Ausübung ihrer diesbezüglichen spezifischen Verantwortung zu fördern. Die Beratung und therapeutische Arbeit der Kinderschutzzentren geht von einem Verständnis aus, das Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in einem Kontext psychischer, sozialer, ökonomischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge sieht. Daher ist über die Einzelfallarbeit hinaus der Auseinandersetzung mit den Bedingungen für die Entstehung von Gewalt Rechnung zu tragen."

Um Betreuungs- und Rechtssicherheit künftig zu gewährleisten, müssen diese wichtigen Aufgaben der Kinderschutzzentren auch gesetzlich abgesichert werden. Es braucht eine einheitliche gesetzliche Verankerung sowie eine bundesweit einheitliche Basisfinanzierung der Österreichischen Kinderschutzzentren. Darüber hinaus fordern die Kinderschutzzentren schon lange eine unabhängige für Kinderschutz und Kinderrechte verantwortliche Stelle.

Auch im Zusammenhang mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 spielen Kinderschutzzentren eine wichtige Rolle. In diesem von ExpertInnen heftig kritisierten türkis-blauen Bundesgesetz wurden alle mit Kindern befassten Gesundheitsberufe dazu verpflichtet eine Anzeige bei der Polizei zu machen, sobald sie von einer aktuellen oder vergangenen Gewalthandlung an einem Kind erfahren. Von den ExpertInnen der Kinderschutzzentren werden nun insbesondere massive Verschlechterungen befürchtet.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Inneres nachstehende

Anfrage:

1.   Welche gesetzlichen Änderungen sind in der aktuellen Legislaturperiode im Bereich des Kinderschutzes geplant?

2.   Was ist unter der im Regierungsprogramm 2020 - 2024 angeführten Formulierung „Ausbau und Absicherung von Kinderschutzzentren“ konkret zu verstehen? (Bitte um detaillierte Aufschlüsselung der Maßnahmen und auch der Finanzierung)

2.1 Wann ist mit der Umsetzung zu rechnen?

3.   Mit welchen Maßnahmen werden Sie sicherstellen, dass ProfessionistInnen in den Österreichischen Kinderschutzzentren durch die im Gewaltschutzgesetz 2019 verankerte Anzeigeplicht in ihrer Tätigkeit nicht beeinträchtigt werden?

4.   Die Person/Institution, die anzeigt, kann nicht gleichzeitig das Kind im Prozess stützen! Welche Überlegungen gibt es in ihrem Ressort, die bisher klare Rollenzuordnung der MitarbeiterInnen in einem Kinderschutzzentrum im Falle einer Anzeige bei Gerichtsverfahren und im Prozess wiederherzustellen?

5.   Wie stehen Sie zu der Kritik von ExpertInnen, wonach die Anzeigepflicht dazu führen wird, dass kaum jemand offen über eigene Gewalthandlungen sprechen wird, wenn er/sie deshalb von einer Anzeige bedroht ist.

6.   Stimmt es, dass Kinder selbst die Polizei verständigen müssen, wenn sich ein Gefährder trotz Annäherungsverbotes in ihrer Nähe befindet?

6.1             Wenn nein, wer verständigt die Polizei?

6.2             Wenn ja, warum wurde das Betretungsverbot ausgesetzt?

7.   Wie viele Annäherungsverbote wurden seit 1. Jänner 2020 ausgesprochen? Wie viele Annäherungsverbote wurden für gefährdete Kinder ausgesprochen?

8.   Aktuell werden nur Mittel für Kinder zur Verfügung gestellt, die direkt von Gewalt betroffen sind. Welche Maßnahmen werden gesetzt, um Kinder, die ZeugInnen von Gewalt werden, zu schützen?

9.   Werden Sie sich in Zusammenarbeit mit ExpertInnen dafür einsetzen, dass es zu einer Rücknahme der Anzeigepflicht im Gewaltschutzgesetz 2019 bzw. die Schaffung von klaren Ausnahmeregelungen für Opferschutzeinrichtungen kommt?

9.1             Wenn nein, warum nicht?

10.  Eine der Maßnahmen des Gewaltschutzpaketes ist die Anzeigepflicht. Laut einer Stellungnahme der Kinderschutzzentren ist diese Maßnahme zum Schutz von Frauen und Kindern nicht geeignet, da ein (durch die KJH) koordiniertes, auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmtes, Vorgehen verhindert, der (freiwillige) Zugang zu Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen erschwert wird, da es im Hinblick auf eine mögliche Konsequenz einer Anzeige für Betroffene schwieriger wird, von Gewalttaten zu erzählen und zu einer Rollenkonfusion unterschiedlicher Akteure im Kinderschutz führt, was auf Kosten der Unterstützung von Kindern- und Jugendlichen geht. Wird es zur Präzisierung einen Leitfaden von Seiten des Ministeriums geben?

10.1             Wenn ja, wie ist dieser gestaltet?

10.2.               Wenn ja, wann wird dieser an die Kinderschutzzentren übermittelt?

10.3             Wenn nein, warum nicht?

11.  In wie weit ist geplant, verbindliche Strukturen für die Kooperationen und Vernetzungen zwischen den unterschiedlichen AkteurInnen und Angeboten im Kinder- und Jugendschutz zu schaffen?

12.  In wie weit ist geplant, Fachberatung in Kinderschutzzentren als Angebot für alle Berufsgruppen, die einen Verdacht auf Gewalt haben, zu installieren und zu finanzieren, um Hilfestellung bei der Verdachtseinschätzung als auch den nächsten Handlungsschritten zu geben?

13.  In wie weit ist geplant, Kinder bereits vor der Anzeige an eine kinder- und jugendspezifische Prozessbegleitungseinrichtung zu überweisen, um die Anzeige gut vorzubereiten, in dem Sinne, dass Kinder gut informiert und von einer kompetenten Fachperson begleitet werden?