1595/J XXVII. GP

Eingelangt am 22.04.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim, Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Abreise von Saisonarbeitskräften und Gästen aus den Corona­Quarantänegebieten in Tirol

Am 13. März 2020 hat das Land Tirol über das Paznaun sowie St. Anton am Arlberg aufgrund von Corona-Erkrankungen Quarantäne verhängt. „Ausländische Gäste wurden zur Ausreise aufgefordert. Teilweise flüchteten Gäste zu Fuß aus St. Anton“[1], berichtete dazu ORF Tirol.

Behauptet wurde, dass die zuständigen VertreterInnen des Landes Tirol die ausländischen Gäste aufgefordert hätten, ohne Zwischenstopp aus Österreich auszureisen, sich bei ihren dortigen (heimischen) Behörden zu melden und sich in ihren Ländern in eine zwei Wochen dauernde Heimquarantäne zu begeben.

Tatsächlich dürfte das in sehr vielen Fällen so nicht passiert sein. Der Standard schreibt dazu am 17. März 2020: „Offenbar haben Hoteliers in Ischgl und St. Anton am Arlberg Urlauber trotz aufrechter Buchungen vor die Tür gesetzt, als Quarantäne erlassen wurde. (...) Die Behörden sollen offenbar sogar eingegriffen und geholfen haben, die Touristen auf andere Hotels in Tirol zu verteilen. So wurde etwa ein Bus mit einer Gruppe Briten - 159 Personen, darunter Familien mit Kleinkindern - Freitagabend mit Polizeieskorte in ein Hotel nach Imst gebracht. (...) Wie viele solcher Umverteilungen mithilfe der Behörden es gegeben hat, ist noch unklar. (...) Warum es die Behörden in Kauf genommen haben, dass zahlreiche, potenziell infizierte Gäste aus Quarantänegebieten sich in Tirol verteilen konnten, ist noch unklar.“[2]

Anders erging es offenbar zahlreichen inländischen Urlauberinnen und Urlaubern. Diese durften die Quarantäne-Gebiete nicht mehr verlassen. „Während das Außenministerium großen Aufwand betreibt, im Ausland aufhältige Österreicher heimzuholen, scheint man auf die im Inland weilenden Urlauber völlig vergessen zu haben“, berichtet die Tiroler Kronenzeitung am 28. März 2020.[3] Zu diesem Zeitpunkt saßen die UrlauberInnen bereits seit zwei Wochen fest. „Hätten wir unseren Urlaub im Ausland verbracht, wären wir längst zu Hause. So sitzen wir bereits seit zwei Wochen ohne vernünftige Verpflegung in Skibekleidung und ohne jede Infrastruktur unter teilweise menschenverachtenden Umständen in Tirol fest. Langsam gehen uns alle Reserven aus. Ich habe mehrere Mails an zuständige Stellen geschrieben, ohne Ergebnis“, so ein Betroffener gegenüber der Kronen Zeitung.

Am 30. März 2020 schreibt die Tiroler Kronen Zeitung: „Österreicher, bitte warten. Während 260 britische Mitarbeiter nach Hause geflogen wurden, sitzen die Inländer noch fest. (...) Meine Eltern sitzen seit 13. März in Ischgl fest. Sie erhalten von  keinen öffentlichen Stellen Informationen und werden von Tag zu Tag vertröstet‘, schildert eine Tochter die Situation ihrer österreichischen Eltern. Sie seien gesund, ungetestet und niemand habe je gefragt, wie es ihnen gehe. Offen sei auch die Frage, wer die Hotelrechnung bezahlt. ,Auch für inländische Personen wird das Ausreisemanagement derzeit in enger Abstimmung mit dem Gesundheits- und dem Innenministerium vorbereitet‘, heißt es in einer Stellungnahme des Landes."[4]

Wieder anders gestaltete sich offensichtlich die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Verwirrung um Tiroler Saisonarbeitskräfte“[5], titelt Der Standard am 31. März.

„Seit dem vergangenen Wochenende laufen die Rückreisen der rund 3600 in- und ausländischen Mitarbeiter aus diesen abgesperrten Regionen im Tiroler Oberland. Mit Stand Dienstag, 15 Uhr, waren 1.451 der Saison-Mitarbeiter abgereist, davon  222 Österreicher. Daneben waren es vor allem Deutsche, Ungarn, Briten, Schweden, Slowenen und Bulgaren. Das Land Tirol koordinierte diese Abreise zusammen mit den Bundesministerien und den jeweiligen Botschaften. Innerhalb Österreichs wurden die jeweiligen Bezirkshauptmannschaften von rückkehrenden Arbeitskräften aus den Quarantänegebieten informiert.“

(...)

''Wollen Sie mir sagen, dass da womöglich infizierte Personen drinsitzen?", fragte einer der Beamten, der mit einer Gruppe junger Männer diskutierte, die nicht wussten, wie es nun für sie weitergeht, da man ihnen bei der Abreise in Tirol gesagt habe, ab Mittenwald sei die Weiterreise organisiert - was nicht der Fall war. ''Wahrscheinlich, ja. Aber woher sollen wir das wissen?", antworteten diese sichtlich entnervt dem Polizisten, "Wir wurden ja nicht getestet, wir haben nur unterschreiben müssen, dass wir uns gesund fühlen.'' Um ausreisen zu dürfen, mussten alle Mitarbeiter schriftlich bestätigen, "symptomfrei" zu sein.

''Ich bin doch kein Arzt", ärgerte sich einer der jungen Männer. Sie hätten in Ischgl darum gebeten, getestet zu werden, weil sie Sorge haben, nach ihrer Rückkehr womöglich Verwandte oder Bekannte zu infizieren. "Wir kommen direkt aus Europas Seuchenherd und ich habe eine Mutter mit Vorerkrankung zu Hause", erklärte Daniel S. (Name der Redaktion bekannt) sein Dilemma. Doch ohne Symptome kein Test, hieß es für sie. Ihre Bitte, länger bleiben zu können, sei abgelehnt worden.

(...)

Daniel S. kam am frühen Dienstagmorgen endlich zu Hause an, berichtete er dem Standard. Dort meldete er sich vormittags umgehend beim örtlichen Gesundheitsamt. ''Die wussten von nichts und meinten nur, ich solle nun bitte zwei Wochen in Heimquarantäne bleiben."

Bei den österreichischen Saisonarbeitskräften zeigte sich laut Standard folgendes Bild: „Laut Auskunft des Landes Tirols war ihre Rückkehr mit den jeweiligen Bezirkshauptmannschaften akkordiert. Laut Gesundheitsministerium handhabe jedes Bundesland die Rückkehrer unterschiedlich.

Das Linzer Stadtmagistrat erklärte, Personen aus Tirol müssen sich nach Ankunft zu Hause noch einmal in 14-tägige Quarantäne begeben. Es spiele dabei keine Rolle, ob die Personen schon in Quarantäne waren.

Aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ) heißt es, dass bei den betroffenen Rückkehrern keine zusätzlichen Quarantänemaßnahmen notwendig seien, da diese sich schon in Tirol unter Quarantäne befunden hätten. Dies sei mit dem Bundeskrisenstab abgestimmt.“[6]

Es zeigt sich also ein äußerst verwirrendes, höchst unterschiedliches und unkoordiniert erscheinendes Bild rund um die Abreise von MitarbeiterInnen, in- bzw. ausländischen Gästen sowie deren Behandlung in der jeweiligen Heimat.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten nachstehende:

Anfrage

1)  Trifft es zu, dass das Ab- bzw. Ausreisemanagement aus den Tiroler Quarantäneorten in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler, dem Gesundheits­und dem Innenminister vorbereitet bzw. organisiert wurde?
Wenn ja,

a)  wann erfolgte die erste diesbezügliche Kontaktaufnahme und zwischen wem (bitte um Angabe von Behörde und verantwortlicher BehördenvertreterIn) erfolgte diese

b)  wie gestaltete sich die weitere Kontaktaufnahme (bitte um Angabe von Behörde und verantwortlicher BehördenvertreterIn)

c)  liegt ein diesbezüglicher Schriftverkehr vor?

2)  Welche Bundesbehörden bzw. Ministerien waren in das Ab- bzw. Ausreisemanagement seit 11. März 2020 eingebunden?

3)  Welche Behörden bzw. Personen waren für die Organisation und den Ablauf der Ausreisen der ausländischen Gäste verantwortlich?

4)  Welche Umstände verursachten die letztlich zumindest teilweise chaotisch verlaufend Ausreise der ausländischen Gäste aus den Quarantänegebieten?

5)  Wurde auf die zumindest teilweise chaotischen Zustände bereits im Laufe des ersten Ausreisetages reagiert? Wenn ja, wie?

6)  Fand nach dem ersten Ausreisetag eine Analyse der Vorkommnisse, die zu den chaotischen Zuständen geführt haben, statt? Wenn ja, zu welchen Ergebnissen führte diese Analyse?

7)  Wie kann gerechtfertigt werden, dass die Polizei eine Gruppe ausländischer Urlauber (befördert in einem Bus) in ein anderes Hotel eskortierte (siehe Standard­Artikel), wo diese übernachteten, obwohl das Land die direkte Ausreise angeordnet hatte und dies auch von den Ausreisenden auf den „Ausreiseformularen“ schriftlich garantiert wurde?

8)  Sind weitere Urlaubergruppen mit Bussen aus den Quarantänegebieten ausgereist und wenn ja, von wem wurden diese Busse organisiert und finanziert?

9)  Sind Ihnen noch andere gleichartige (wie Pkt 7 und 8) Fälle bekannt? Wenn ja, um wie viele Personen handelt es sich und wo wurden diese untergebracht?

10) Warum wurde seitens der abgestimmt tätig werdenden Bundes- bzw. Landesbehörden und VerantwortungsträgerInnen eine unkontrollierte Abreise von hunderten Personen mit ausländischem Wohnsitz in einem derart kurzen Zeitfenster nicht nur toleriert, sondern sogar gefördert und damit in Kauf genommen, dass potenziell infizierte Gäste aus Quarantänegebieten sich in Tirol verteilen konnten?

11) Welche gesundheitspolitischen Folgen sehen Sie durch die Verteilung hunderter potentiell infizierter Gäste von den Quarantänegebieten auf den Rest Tirols?

12) Wer trägt für die gesundheitspolitischen Folgen die Verantwortung?

13) Welche Gründe und Überlegungen waren dafür ausschlaggebend, dass Gäste mit Wohnort in Österreich, zum Teil sogar Tirolerinnen und Tiroler, nicht ausreisen und sich in Heimquarantäne begeben durften, sondern über zwei Wochen lang in den Quarantänegebieten festgehalten wurden?

14) Wie viele Gäste mit inländischem Wohnort waren betroffen?

15) Wurde mit betroffenen Gästen Kontakt aufgenommen? Wenn ja, in welcher Form, wenn nein, warum nicht?

16) Wurden Erhebungen/Testungen über deren Gesundheitszustand durchgeführt? Wenn ja, wann und in welcher Form, wenn nein, warum nicht?

17) Wer kommt für die Unterbringungs- und Versorgungskosten dieser Personen in der Zeit des „Zwangsaufenthaltes“ auf?

18) Trifft es zu, dass auch für inländische Personen bzw. Personen, die ihren Wohnsitz im Inland haben, das Ab- bzw. Ausreisemanagement in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler, dem Gesundheits- und dem Innenministerium vorbereitet bzw. organisiert wurde?

19) Galten für die inländischen Gäste nach ihrer Abreise einheitliche gesundheitspolitische Maßnahmen bzw. weitere Quarantänebestimmungen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

20) Wann konnten die letzten inländischen Gäste aus den Quarantänegemeinden Ischgl, St. Anton am Arlberg und Sölden abreisen?

21) Wurden die inländischen Gäste vor ihrer Abreise auf eine Infektion mit dem Corona-Virus getestet?

22) Wie erfolgten allfällige Ab- bzw. Ausreisen der (ehemaligen) ArbeiterInnen und Angestellten mit Wohnsitz im Ausland der Tourismusbetriebe aus den Tiroler Quarantänegebieten Ischgl, St. Anton am Arlberg und Sölden in der Zeit vom 11. bis 16. März 2020.

23) Wurde die Ab- bzw. Ausreise zwischen den betreffenden Gemeinden, Land und Bund, sowie allenfalls den Botschaften oder anderen Behörden der Heimatstaaten koordiniert?

24) Wie erfolgte die Ab- bzw. Ausreise der unter Pkt 22 genannten Personen ab dem 16. März 2020 und insbesondere in der Zeit vom 25. bis 28. März 2020.

25) Wurde die Ausreise zwischen den betreffenden Gemeinden, Land und Bund, sowie allenfalls den Botschaften oder anderen Behörden der Heimatstaaten koordiniert?

26) Wann durften bzw. mussten die (auch ehemaligen) ArbeiterInnen und Angestellten der Tourismusbetriebe mit inländischem Wohnsitz aus den Gemeinden Ischgl, St. Anton am Arlberg und Sölden ab- bzw. ausreisen?

27) Erfolgten nach ihrer Abreise einheitliche gesundheits- und sicherheitspolitische Maßnahmen bzw. weitere Quarantänebestimmungen? Wenn ja, welche?

28) Oder ist es zutreffend, dass jedes Heimatbundesland den Umgang mit den Rückkehrern unterschiedlich handhabte? Wenn ja, warum gab es keine einheitlichen Anordnungen?

29) Wie ist eine allenfalls unterschiedliche Handhabung im Falle einer Epidemie gesundheits- und sicherheitspolitisch begründbar?

30) Wurden und wenn ja, warum wurden unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Ab- bzw. Ausreise von ausländischen und inländischen Gästen bzw. ausländischen und inländischen (zum Teil ehemaligen) ArbeiterInnen und Angestellten in den Quarantänegebieten Ischgl, St. Anton am Arlberg und Sölden angewendet?



[1] Vgl.: https://tirol.orf.at/stories/3038911/

[2] Vgl.: https://www.derstandard.at/story/2000115838597/tiroler-behoerden-halfen-touristen-aus-quarantaenegebieten-zu-verteilen

[3] Vgl.: Tiroler Kronenzeitung, 28.3.2020, S. 24.

[4] Vgl.: Tiroler Kronen Zeitung, 30.3.2020, S. 14.

[5] Vgl.: https://www.derstandard.at/story/2000116379790/verwirrung-um-tiroler-saisonarbeitskraefte

[6] Vgl.: https://www.derstandard.at/story/2000116379790/verwirrung-um-tiroler-saisonarbeitskraefte