1855/J XXVII. GP

Eingelangt am 30.04.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Arbeit‚ Familie und Jugend

betreffend Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt während und nach der Corona-Krise

 

Der Kampf gegen das Corona-Virus fordert unzählige Kollateralschäden, von denen uns manche noch sehr lange begleiten werden. Besonders vulnerable Gruppen wie Kinder leiden unter Nebenwirkungen von Krisen, die meist erst zu spät erkannt werden. Es ist allgemeinhin bekannt, dass während Krisensituationen, aber auch bei Ferienzeiten und Feiertagen Phänomene wie häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch zunehmen. Die New York Times berichtet bereits jetzt von einer Zunahme an Kindesmissbrauchsfällen während der Beschränkungen durch die Corona-Krise.1 Die gleichen Entwicklungen hätte es während der Wirtschaftskrise 2008 ebenfalls gegeben, als vermehrt Kinder mit Verletzungen in Spitäler eingeliefert wurden oder an schweren Kopftraumata verstarben. Diese Nebeneffekte bildeten sich noch Jahre nach der Wirtschaftskrise ab und haben das Potential, die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen und somit unserer Gesellschaft nachhaltig zu beeinträchtigen. Auch UNICEF warnt bereits eindringlich davor, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, damit aus der Corona Gesundheits-Krise keine nachhaltige Kinderrechts-Krise wird.2 Häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung, Ausbeutung und Teenager-Schwangerschaften sind nur einige der Phänomene, die durch Krisen verstärkt werden.

Eine fatale Besonderheit der Corona-Krise im Vergleich z.B. zu Wirtschaftskrisen sind jedoch die Ausgangsbeschränkungen und der Wegfall sozialer Kontakte bei gleichzeitig teils massiven Existenzängsten. Schulen, Kindergärten und Sportstätten sind geschlossen, Aktivitäten im Freien sollen nach Möglichkeit eingeschränkt werden. Aber auch Bars und andere Lokale, Geschäfte oder das tägliche Treffen mit Nachbar_innen und Freund_innen ist nicht oder nur extrem beschränkt möglich. Das soziale Umfeld ist mit einem Schlag auf die Kernfamilie und die eigenen vier Wände beschränkt. Besonders Großeltern, die Eltern oft bei der Kindererziehung oder Freizeitgestaltung unterstützen, fallen weg und man verbringt ungewohnt viel Zeit miteinander, oft ohne Rückzugsmöglichkeiten. Diese Bedingungen wirken sich schon auf stabile Familienverhältnisse massiv aus, sozial schwächere Familien sind jedoch in besonderem Maße betroffen.

Laut Medienberichten sind die Kindergefährdungsmeldungen seit Beginn der Corona-Krise in Österreich in einigen Bundesländern zurückgegangen.3 Kein Grund zur Freude, sind sich Expert_innen einig. Der Grund dafür sei leicht zu erklären: die gängigen Frühwarnsysteme wie Schulen und Kindergärten fallen nun weg - rund ein Viertel aller Gefährdungsmeldungen gehen normalerweise von Schulen und anderen Kinderbetreuungseinrichtungen aus. Häusliche Gewalt und Missbrauch finden weiterhin statt, nur eben hinter verschlossenen Türen und unter verschärften Umständen. Hinzu kommt, dass viele Eltern zurzeit unter massiven Existenzängsten leiden, ihren Job verlieren, Miete etc. nicht bezahlen können und nicht wissen, wie die Zukunft aussieht. Kinder und Jugendliche werden häufig zu Opfern dieser Umstände, sie verlieren ihr gewohntes soziales Netz, erleiden zu Hause enormen emotionalen Stress, leiden unter Schlafstörungen, fangen wieder an zu bettnässen, entwickeln Angststörungen oder leiden an Einsamkeit und Vernachlässigung. Wenn wir nicht wollen, dass die Kinder und Jugendlichen von heute die zukünftigen Patient_innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie von morgen werden, wie Martin Sprenger4 es formuliert, müssen wir besser gestern als heute handeln, jedenfalls aber schnell.

1 https://www.nytimes.com/2020/04/07/opinion/coronavirus-child-abuse.html

2 https://www.unicef.org/coronavirus/agenda-for-action

3 https://www.noen.at/niederoesterreich/chronik-gericht/coronavirus-experten-alarmiert-wegen-gewalt-gegen-kinder-oesterreich-epidemie-kinder-wien-coronavirus-gewalt-202016542

4 https://www.addendum.org/coronavirus/wie-weiter-sprenger/

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:



1.    Wie viele Kinder-Gefährdungsmeldungen gingen in den österreichischen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen seit Beginn des Jahres 2020 monatlich ein und wie sehen im Vergleich dazu die Zahlen des Jahres 2019 aus (bitte um Auflistung nach Monat und Bundesländern)?

2.    Gibt es hinsichtlich der Gefährdungsmeldungen Unterschiede zwischen den Bundesländern und wenn ja, wie können diese erklärt werden?

3.    Um welche Art von Meldungen handelt es sich bei den Gefährdungsmeldungen genau (bitte um Angabe in Prozent und nach Art der Meldung)?

4.    In Tirol wird automatisch eine Gefährdungsmeldung an die Kinder- und Jugendhilfe erstattet, wenn Kinder für die Schule unerreichbar sind.

a.    Wie lange müssen Kinder unerreichbar sein, damit eine solche automatische Gefährdungsmeldung erstattet wird?

b.    Welche anderen Maßnahmen werden getroffen, bevor eine solche automatische Gefährdungsmeldung erstattet wird?

c.    Welche Folgen hat eine solche automatische Gefährdungsmeldung bzw. welche weiteren Schritte setzt die Kinder- und Jugendhilfe im Anschluss an eine solche Meldung?

d.    Wissen Sie, ob neben Tirol auch die anderen Länder planen, diese Regelung umzusetzen, um den besseren Zugang zu Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten?

5.    Welche anderen Regelungen und Möglichkeiten neben der automatischen Meldung durch die Schule bei Nicht-Erreichen von Schüler_innen gibt es, die den Schutz von Kindern und Jugendlichen unter den aktuellen Umständen ermöglichen?

6.    Welche konkreten Maßnahmen werden ergriffen, um besonders während und nach dieser Krisenzeit die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schützen?

7.    Welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um die Wiederöffnung von Schulen und die Aufarbeitung der Auswirkungen der Corona-Krise auf die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten?

8.    Ist der verstärkte Einsatz von Schul- und Kindergartenpsycholog_innen geplant, um Kindern und Jugendlichen die Aufarbeitung der Auswirkungen der Krise auf ihre psychische und physische Gesundheit zu ermöglichen?

9.    Es gibt eine Männerhotline für gewalttätige oder von Gewalt betroffene Männer, es gibt z.B. Frauenhäuser und Hotlines für von Gewalt betroffene Frauen. Diese Themen werden vereinzelt auch über Radio und andere Medien angesprochen, Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist jedoch ein absolutes Tabuthema. Da Kinder und Jugendliche meist nicht für sich selbst sprechen und um Hilfe bitten können:

a.    Welche Informationskampagnen gibt es zum Thema "Gewalt an Kindern und Jugendlichen", wann wurden diese Informationen veröffentlicht und wo bzw. wie werden diese Informationen verbreitet?

b.    Wie oft hat das Ministerium speziell seit Einsetzen der Corona-Krise auf die spezifische Thematik "Gewalt an Kindern und Jugendlichen" hingewiesen, auf welchen Kanälen ist das geschehen und um welche Informationen handelt es sich genau?

c.    Ergehen Informationen zu diesem Thema an Schulen, Kindergärten und andere Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche?

10. Welche Lehren zieht das zuständige Ministerium für zukünftige Krisensituationen, um ab Tag 1 den notwendigen Zugang zu Kindern und Jugendlichen und somit deren Schutz vor Gewalt, sexuellen Übergriffen, Vernachlässigung etc. zu gewährleisten und welche konkreten Schritte werden hier mit den zuständigen Ländern ergriffen?