2051/J XXVII. GP

Eingelangt am 20.05.2020
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Anfrage

 

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Folgeanfrage - Verhinderung der Eintragung des dritten Geschlechts durch Weisung des ehemaligen Bundesministers Herbert Kickl

 

Am 14.02.2020 haben wir eine Anfrage (864/J) mit obigem Titel eingebracht, deren Beantwortung in einigen Punkten unzureichend ausgefallen ist.  Wesentliche Punkte der Anfrage sind weiterhin unklar und sollen hier endgültig geklärt werden. Außerdem hat sich seit Februar eine Neuerung ergeben: das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat am 18. Februar 2020 (LVwG-750727/5/MZ) zum zweiten Mal zu Gunsten der intergeschlechtlichen Person Alex Jürgen (Künstlername) entschieden und in aller Deutlichkeit festgestellt, dass der Erlass des ehemaligen Innenministers Kickl "nicht dazu geeignet ist, Rechte und Pflichten für die Rechtsunterworfenen zu begründen, und dass das Verwaltungsgericht keiner Erlassbindung unterliegt". Mit dem verfassungsgerichtlichen Urteil 2018 ist es nun bereits das dritte Mal, dass Alex Jürgen ausdrücklich das Recht zugesprochen wird, den Eintrag "inter" als dritte Geschlechtsoption im ZPR eintragen zu lassen.

Nach der erneuten Entscheidung des oberösterreichischen LVwG bejubelt die Grüne LGBTI-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic in einer OTS vom 06. März 2020 die "Aufhebung" des Kickl-Erlasses und meint: "Die eigenständige Identität von intergeschlechtlichen Personen hätte seit dem VfGH-Urteil anerkannt werden müssen. Dem ehemaligen Innenminister gefiel die Beseitigung dieser Diskriminierung wohl nicht und er legte mit einem Erlass den betroffenen Personen Steine in den Weg. Zum Glück hat nun das Landesverwaltungsgericht OÖ bestätigt, dass der Kickl-Erlass gesetzwidrig ist. Auf Österreichs Gerichte ist Verlass.“1 Es klingt also eindeutig so, als wäre der Erlass aufgehoben - das widerum steht im Widerspruch zu Ihrer Anfragebeantwortung vom 10. April 2020 (919/AB), in der Sie den Erlass des ehemaligen Innenministers klar bestätigen. Genauso berichten der Standard, orf.at und andere Quellen aus der Community von der weiter bestehenden Gültigkeit des Erlasses.2

Auch im konkreten Fall des Alex Jürgen ist die Eintragung der dritten Geschlechtsoption "inter" nach jahrelangen Prozessen und mehreren Urteilen zu seinen Gunsten unseren Informationen zufolge immer noch nicht erfolgt. Es stellt sich einem unweigerlich die Frage, warum das Innenministerium offensichtlich mit aller Gewalt an dem schikanösen Erlass des ehemaligen Innenministers festhalten will, wo doch in unzähligen anderen Bereichen dessen fragwürdige Erlässe wie die ausbeuterischen EUR 1,50 Jobs für Asylwerber_innen besseren Wissens gezielt rückgängig gemacht wurden? Der Fall Alex Jürgen macht deutlich, dass es hier um etwas geht, um das es sich zu kämpfen lohnt, nämlich um die unmittelbare Identität im intimsten Bereich eines Menschen und nicht um eine für Sie verwaltungstechnisch unannehmliche Minderheitenfrage. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende


Anfrage:



1.    Aus Ihrer Stellungnahme zur ursprünglichen Frage 3 geht keine klare Antwort hervor, daher wird sie erneut gestellt. Ist besagte Weisung des ehemaligen Bundesministers an die Standesämter von Dezember 2018 noch in Kraft?

a.    Wenn nicht, seit wann nicht mehr?

2.    Sie sprechen in Ihrer Antwort auf die ursprüngliche Frage 3 von "fachlichen Empfehlungen zur Eintragung des BMI in Bezug auf Varianten der Geschlechtsentwicklung". Welche fachlichen Empfehlungen meinen Sie damit genau (bitte um detaillierte Auflistung)?

a.    Meinen sie mit "fachlichen Empfehlung" eben jenen Erlass des ehemaligen Innenministers Kickl und wenn ja, heißt das, es handle sich bei dem Erlass eben nur um Empfehlungen ohne rechtliche Wirkung?

b.    Ihrer Antwort zufolge gewährleistet dieser Erlass außerdem "den im Sinne des Höchstgerichts verfassungskonformen, bundesweit einheitlichen Vollzug des Personenstandsrechts in diesem Bereich". Inwiefern trägt der Erlass konkret dazu bei und inwiefern steht z.B. das Anliegen des Alex Jürgen konkret im Gegensatz zu jener verfassungskonformen Umsetzung des Personenstandsrechts?

3.    Frage 4 wurde von Ihnen mit Verweis auf die Grenzen des parlamentarischen Interpellationsrechts nicht beantwortet. Es wurde jedoch weder nach Ihrer Meinung, noch nach Ihrer Einschätzung gefragt, sondern Sie wurden angehalten, Ihr Handeln als zuständiger Bundesminister zu "rechtfertigen" bzw. zu begründen. Bitte begründen Sie diesmal auf Basis Ihrer fachlichen Kompetenz als zuständiger Bundesminister Ihr Handeln im Sinne der Nachvollziehbarkeit: Warum halten Sie an diesem Erlass fest, der seit rund eineinhalb Jahren eindeutig die Umsetzung des Erkenntnisses des VfGH behindert und den mittlerweile das oberösterreichische LVwG klar als "nicht geeignet" eingestuft hat, um "Rechte und Pflichten für die Rechtsunterworfenen zu begründen"?

4.    Aus Ihrer zusammenfassenden Antwort auf die ursprünglichen Fragen 5 bis 7 geht hervor, dass Sie der Meinung sind, die Feststellung des Geschlechts könne als medizinische Frage nur durch eine fachärztlich objektive, gutachterliche Feststellung geschehen. Wie aus Frage 7 jedoch hervorgeht, finden zahlreiche andere Länder sehr wohl Möglichkeiten, auf potentiell traumatisierende und pathologisierende verpflichtende medizinische Untersuchungen zu verzichten. Im Konkreten sind das z.B. Norwegen, Dänemark, Irland, Portugal, Belgien und Malta.3 Dort setzt man nämlich auf die Selbsteinschätzung der betroffenen Personen und die müssen es ja immerhin am besten wissen. Außerdem würde Intergeschlechtlichkeit, die oftmals nicht genau diagnostiziert werden kann, durch medizinische Untersuchungen auf die physischen Aspekte beschränkt und psychische und soziale Aspekte unzureichend berücksichtigt werden. Bitte begründen Sie diesmal die abgeänderte Frage: Warum geht Österreich hier weiterhin den restriktiven und für viele Personen abschreckenden Weg der verpflichtenden medizinischen Untersuchungen?

a.    Warum setzen Sie hier nicht im Sinne der Progressivität ebenfalls auf die Selbsteinschätzung der Betroffenen?

b.    Welche konkreten negativen Konsequenzen bzw. Nachteile sehen Sie darin, auf die Selbsteinschätzung der Betroffenen zu vertrauen?

5.    Sie schreiben außerdem zu den ursprünglichen Fragen 5 bis 7, "diese gutachterliche Feststellung zu Varianten der Geschlechtsentwicklung kann nur von fachlich qualifizierten Experten in interdisziplinärer Kooperation verlässlich getroffen werden". Hier stellt sich nun tatsächlich die Frage, ob das zu beurteilen in Ihren Wirkungsbereich fällt. Immerhin weisen Sie bei den ursprünglichen Fragen 8 bis 10 zum Status und der Ausgestaltung der "interdisziplinären und multiprofessionellen medizinischen Expertengruppen" jegliche Zuständigkeit von sich. Wie begründen Sie also Ihre Aussage?

6.    Sie sehen sich zwar laut Beantwortung der ursprünglichen Fragen 8-10 nicht für die Einrichtung der "interdisziplinären und multiprofessionellen medizinischen Expertengruppen" zuständig, sind aber gleichzeitig durch das Festhalten an dem schikanösen Erlass des ehemaligen Innenministers Kickl dafür verantwortlich, dass die Begutachtung durch diese Expertengruppen überhaupt eine verpflichtende Voraussetzung zur Eintragung der dritten Geschlechtsoption ins ZPR ist. Sie machen damit die Erfüllung eines Grundrechts von einer Begutachtung durch Einrichtungen abhängig, die gar nicht existieren. Wie rechtfertigen Sie diese schwere Rechtsverweigerung, für die Sie zumindest mitverantwortlich sind und wie gedenken Sie dieses Problem raschest möglich aufzulösen, damit alle Betroffenen auch tatsächlich zu ihrem Recht kommen?

7.    Werden Sie sich außerdem dafür einsetzten, dass Alex Jürgen endlich zu seinem bereits mehrmals zugesprochenen Recht kommt (siehe LVwG-750727/5/MZ), die Bezeichnung "inter" als dritte Geschlechtsoption ins ZPR eintragen zu lassen?

a.    Wenn ja, wann kann Alex Jürgen mit der Umsetzung der Entscheidung des oberösterreichischen LVwG rechnen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

8.    Die Eintragung "inter" wurde Alex Jürgen verweigert, da die Ministeriumssoftware nicht dementsprechend programmiert wäre. Um Alex Jürgen zu seinem Recht zu verhelfen, muss das Innenministerium also die Umprogrammierung der betreffenden Software veranlassen. Wann wird das geschehen?

a.    Wenn das nicht vorgesehen ist, warum nicht?

9.    Laut § 28 Abs. 5 VwGVG gilt: "Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen." Mit welcher Berechtigung halten Sie sich nicht an diese gesetzliche Vorgabe?

 

1 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200306_OTS0175/ernst-dziedzic-zu-aufhebung-von-kickl-erlass-zum-dritten-geschlecht-gruene-erfreut-ueber-ende-der-diskriminierung;

2https://www.derstandard.at/story/2000115441051/kickl-erlass-zum-dritten-geschlecht-gesetzeswidrig; https://orf.at/stories/3156874/;

3 https://www.salzburg24.at/news/salzburg/drittes-geschlecht-hosi-kritik-am-verpflichtenden-arztattest-62674825;