2191/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.05.2020
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Anfrage

 

 

des Abgeordneten Christian Hafenecker, MA

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Kenntnis des „Ibiza-Videos“ 

 

 

Am 16. Juli 2019 richtete der Abgeordnete Hans-Jörg Jenewein, MA eine Anfrage (3927/J, XXVI.GP) unter dem Titel „Ibiza-Netzwerk und Projekt ,Mezzo´“ an den Bundesminister für Inneres. Grundlage für diese war ein Artikel der investigativen Online-Plattform „Fass ohne Boden“ (https://www.fass-ohne-boden.at/ibiza-netzwerk-undercover-fuer-bundeskriminalamt-und-finanzpolizei/), in welchem über eine Kooperation unter dem Projektnamen „Mezzo“ zwischen Finanzpolizei und Bundeskriminalamt mit einer privaten Sicherheitsfirma im Zuge der Aufdeckung eines Falls von großangelegtem Zigarettenschmuggel im Jahre 2013 berichtet wurde. Als Protagonist und privater Kooperationspartner der Behörden wurde ein gewisser Julian Hessenthaler ausgewiesen, welcher durch öffentliches Outing als einer der Drahtzieher des sogenannten Ibiza-Videos gilt, infolge dessen Veröffentlichung 2019 der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache und gf. Klubobmann Mag. Johann Gudenus von ihren Ämtern zurücktraten. Diesbezüglich richtete der Abgeordnete Jenewein unter anderem folgende Fragen an den damaligen Bundesminister für Inneres, welche dieser in der Anfragebeantwortung (4027/AB, XXVI.GP) am 29. August wie folgt beantwortete:

 

Zu den Fragen 1 bis 15:

 

·        Kennen sie das Projekt Mezzo?

·        Gab es bei diesem Projekt eine Zusammenarbeit mit privaten Firmen?

·        Wenn ja, mit welchen?

·        Wenn ja, in welcher Form gab es eine Zusammenarbeit?

·        Sind für die Zusammenarbeit Kosten entstanden?

·        Wenn ja, welche?

·        Welche Abteilungen waren im BKA mit dem Projekt Mezzo betraut?

·        Gab es eine offizielle Zusammenarbeit mit der Firma „Die Gruppe Sicherheit GmbH“?

·        Wenn ja, wann?

·        Wenn ja, mit wem genau?

·        Wer repräsentierte die Firma?

·        Welche Leistungen waren vertraglich vereinbart?

·        Welche Kosten sind durch die Zusammenarbeit entstanden?

·        War Herr Julian Hessenthaler involviert?

·        Wenn ja, in welcher Form?

 

 

Im Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Inneres ist es kein Projekt „Mezzo“ bekannt geworden.

 

 

Zu den Fragen 16 bis 24, 27 bis 31, 35 bis 41:

 

·        Gab es mehrere Verträge oder Zusammenarbeiten des Ressorts oder von Organisationseinheiten der Exekutive mit Sicherheitsfirmen oder Detekteien?

·        Wenn ja, mit welchen?

·        Wenn ja, jeweils wann und über welchen Zeitraum?

·        Wenn ja, welche Leistungen waren jeweils vereinbart?

·        Wenn ja, welche Kosten sind jeweils entstanden?

·        Gab es eine Zusammenarbeit mit Julian Hessenthaler oder einer ihm gehörigen Firma?

·        Wenn ja, wann und über welchen Zeitraum?

·        Wenn ja, welche Leistungen waren vereinbart?

·        Wenn ja, welche Kosten sind entstanden?

·        Wie viele Sicherheitsfirmen, Detekteien oder sonstige Firmen sind im BK behördlich registrierte Informanten?

·        Welche Voraussetzungen müssen bei solchen Firmen gegeben sein, um behördlich registrierter Informant zu werden?

·        Welche Gegenleistungen erhalten solche Firmen?

·        Wie viele Personen sind im BK behördlich registrierte Informanten?

·        Welche Voraussetzungen müssen bei solchen Personen gegeben sein, um behördlich registrierter Informant zu werden?

·        Welche Gegenleistungen erhalten solche Personen?

·        Wer entscheidet darüber, welche Firma oder Person als Informant geführt wird?

·        Welche Kosten sind für Informanten in den letzten 10 Jahren, aufgegliedert auf die einzelnen Jahre, entstanden?

·        Wie viele Sicherheitsfirmen, Detekteien oder sonstige Firmen sind im BVT behördlich registrierte Informanten?

·        Wie viele Personen sind im BVT behördlich registrierte Informanten?•Welche Kooperationen gab es mit Tabakkonzernen in den letzten 10 Jahren?•Wie sahen die Kooperationen genau aus?“

 

 

Im Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Inneres werden keine derartigen Verträge abgeschlossen.

 

Dessen ungeachtet wird österreichweit in vielen Bereichen wie beispielsweise bei Sportveranstaltungen, Konzerten, Festveranstaltungen, Präventionsveranstaltungen, Notrufzentralen und dergleichen mit Sicherheitsunternehmen zusammengearbeitet. Soweit mit den Fragen auf alle denkmöglichen Kooperationsformen eingegangenen werden soll, wäre mit deren Beantwortung ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand verbunden, weswegen auch unter Hinweis auf Art126b B-VG von der Beantwortung Abstand genommen werden muss.

 

Soweit allfällige Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit Informanten oder Vertrauenspersonen angesprochen wird, ist unter Verweis auf die auch bei der Beantwortung von Anfragen im Rahmen der parlamentarischen Interpellation zu beachtenden gesetzlichen Beschränkungen der Auskunft insbesondere gemäß §54bAbs.2Sicherheitspolizeigesetz(SPG) sowie des Datenschutzes eine Offenlegung nicht zulässig.

 

In der Vertrauenspersonenevidenz gemäß §54b Abs.1 SPG bzw. §12Abs.7PStSG dürfen nur personenbezogene Daten von Menschen, die für eine Sicherheitsbehörde Informationen zur Abwehr gefährlicher Angriffe oder krimineller Verbindungen gegen Zusage einer Belohnung weitergeben, verarbeitet werden. Im Übrigen muss auch auf Grund der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit, insbesondere im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, gemäß Art20 Abs.3B-VG von einer weiteren Beantwortung der Fragen Abstand genommen werden.“

 

 

Diesen Antworten, dass weder das Projekt „Mezzo“ noch die Person Julian Hessenthaler dem Bundesministerium bekannt waren, widersprechen auch weitere Enthüllungen von „Fass ohne Boden“ (https://www.fass-ohne-boden.at/ibiza-video-kripo-war-seit-2018-informiert/), welche am 08. Mai 2020 veröffentlicht wurden:

 

Ibiza-Video: Kripo war seit 2018 informiert

 

Warum wurde ‘nicht schon im Jahr 2018, als Herr K. die Informationen an Chefinsp P. S. und dieser in weiterer Folge an das .BK, Büro 5.3. weitergeleitet hat, die entsprechenden Ermittlungen eingeleitet?’

 

Wie wichtig der bevorstehende “Ibiza Untersuchungsausschuss” im Juni 2020 sein wird, belegt das “Fass ohne Boden” zugespielte Dokumente bei der Aufarbeitung der sogenannten “Ibiza Affäre”.

 

Knapp ein Jahr ermittelt die „Soko Ibiza“ (polizeiintern auch “Soko Tape genannt”) über die Drahtzieher des Ibiza-Videos. Die Veröffentlichung des Videos beendeten die politische Karrieren von Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache (beide FPÖ). Laut addendum sind die “Soko Ibiza”-Fahnder in insgesamt 35 Ermittlungsverfahren aktiv. Ein Ermittlungsverfahren, angesiedelt bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten, bezieht sich auf einen “Missbrauch der Amtsgewalt bzw. Verletzung des Amtsgeheimnisses” gegen einen Exekutivbeamten.

 

Salzburger Kriminalbeamter packt aus

 

Im Zuge dieses Verfahrens ist die schriftliche Stellungnahme von dem Exekutivbeamten M. P. aus Salzburg, welche mit 4. April 2020 datiert ist, zu entnehmen. Und die zehnseitige Stellungnahme hat es in sich: Das Schriftstück gleicht einem Rundumschlag gegen mehrere Kriminalbeamte und zeigt die Nähe einzelner Protagonisten des Ibiza-Netzwerks zur österreichischen Kriminalpolizei.

 

Dem Leser wird bewusst, dass den Gesetzeshütern jegliches Verständnis für Gesetze, Werte und Normen fehlt. Umso mehr wird nun verständlich, warum auf der Firmenwebseite des Sicherheitsunternehmens vom Ibiza-Detektiv diese Referenzen zu entnehmen waren: „Zu den Klienten gehören renommierte Unternehmen und Konzerne, sowie BKA, BMI und Regierungen innerhalb Europas.“

 

Der geplatzte 15.000 Euro Informanten-Deal

 

Das Dokument beschäftigt sich in erster Linie mit einem Scheinkauf von Heroin vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019. “So kam es am 29.03.2019 zu einem angeordneten Scheinkauf im Bereich von Vösendorf.” Bei dem Tippgeber handelt es sich um den Beschuldigten S. K. aus dem Ibiza-Netzwerk, der seit einer Hausdurchsuchung im vergangenen Jahr sich in Untersuchungshaft befindet. Für diesen Fahndungserfolg hätte der Tippgeber 15.000 Euro vom Bundeskriminalamt erhalten sollen.

 

Doch ein Kripobeamter aus dem Bundeskriminalamt war skeptisch und intervenierte. Somit floss kein Geld an Informanten: “Durch Chefinspektor S. wurde zu Beginn als Begründung für die Nichtausbezahlung angeführt, dass der eigentliche Informationsgeber zu der Tätergruppe im Verdacht stehen würde, von den eigentlich vereinbarten 60 Kilogramm Heroin, 40 Kilogramm selbst behalten und nur 19 Kilogramm hatte liefern lassen.” Doch dieser Vorwurf sollte sich “als völlig haltlos darstellen” ist dem Dokument zu entnehmen.

 

 

Bei dem Chefinspektor P. S. handelt es sich aber um jenen Kriminalbeamten, der sowohl den Ibiza-Detektiv, als auch den Tippgeber S. K. als Informanten führte. Der Chefinspektor ist aber auch schon “Fass ohne Boden”-Lesern seit der “Mezzo“-Berichterstattung bekannt. Dieser beantragte verdeckte Observationen 2012 in der “Operation Daviscup”.

 

Treffen des Salzburger Beamten mit S. K. am 21. Mai 2019

 

“Einige Tage, nachdem das erwähnte Video veröffentlicht wurde, es war der 21.05.2019, kam es zu einem erneuten Treffen zwischen mir und S. K. im Cafe Leiner wobei es aber vorrangig um die Nichtauszahlung der Belohnung für den umseitig angeführten Scheinkauf ging.” Und das Treffen hat es in sich:

 

“Im Laufe des Treffens wurde auch das veröffentlichte Video zum Gesprächsthema woraufhin ich S. K. fragte, woher er das denn alles gewusst hat. Daraufhin gab dieser an, dass halb Wien von dem Video weiß. Auf Nachfrage ob er das auch alles P., gemeint Cheflnsp P. S, erzählt hat, gab S. K. an, dass er diesem das alles schon im Jahr 2018 erzählte und dieser auch einen entsprechenden Bericht verfasst hatte. Weiters sei er sich sicher, dass anhand der von ihm an Cheflnsp P. S. herangetragenen Informationen bereits Ermittlungen geführt würden, zumal der Ibiza-Detektiv auch ein ehemaliger Informant von Cheflnsp P. S. sei.”

 

Warum leitete das Bundeskriminalamt keine Ermittlungen ein?

 

So hält des Salzburger Kriminalbeamte abschließend in seiner schriftlichen Stellungnahme fest:

 

“Im Gegenteil stellt sich die Frage, warum nicht schon im Jahr 2018, als Herr K. die Informationen an Chefinsp P. S. und dieser in weiterer Folge an das .BK, Büro 5.3. weitergeleitet hat die entsprechenden Ermittlungen eingeleitet wurden?”

 

Fazit

 

Das Dokument ist nicht nur brisant, sondern stellt das Bundesministerium für Inneres in Frage. So wurde bis dato von der Exekutive bestritten, jegliche Kenntnis des Ibiza-Videos vor der Veröffentlichung gehabt zu haben.

 

Nach Sichtung der schriftlichen Stellungnahme des Drogenfahnders M. P. aus Salzburg wird zunehmend klar, dass die Amtsverschwiegenheit von Kriminalbeamten für das Netzwerk vom Ibiza-Detektiv J. H. keine Rolle gespielt hat. Ob Landeskriminalbeamte in Salzburg, Kripobeamte des Bundeskriminalamts oder Beamte des Finanzministeriums, sie kooperierten gerne mit dem Unternehmen und teilten ihren Informationsstand mit dem Ibiza-Detektiv. Diese Kooperation fand bereits 2012 und 2013 statt. “Dass der Ibiza-Detektiv weiterhin sehr gute Kontakte in das .BK (= Bundeskriminalamt) haben soll geht auch aus dem Amtsvermerk vom 14.06.2019 hervor.”

 

Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum der Informant S. K. tatsächlich nicht die vereinbarte Prämie in der Höhe von 15.0000 Euro vom Bundeskriminalamt erhalten hat.

 

Beim kommenden Ibiza-Untersuchungsausschuss werden wohl noch mehr Kriminalbeamte die Möglichkeit bekommen, sich den Fragen der Abgeordneten zu verantworten.“

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Inneres folgende

 

 

Anfrage

 

1.    Warum wurde in der Beantwortung der Anfrage 3927/XXVI.GP angegeben, dass dem Bundesministerium für Inneres weder das Projekt „Mezzo“ noch die Person Jürgen Hessenthaler bekannt sei?

2.    Ist es richtig, dass der Salzburger Kriminalbeamte M.P. unter anderem aussagte, dass der Beschuldigte S.K. Chefinspektor P.S. bereits 2018 über das Ibiza-Video informiert habe?

3.    In welchem Verhältnis steht dieser Umstand zu bisherigen Aussagen des BMI bzw. des Bundeskriminalamtes keine Kenntnis des Videos vor dessen Veröffentlichung gehabt zu haben?

4.    Wurden infolge dieser Information bereits 2018 Ermittlungen eingeleitet?

5.    Wenn ja, von welcher Behörde?

6.    Wenn nein, warum nicht?

7.    Wenn keine Ermittlungen eingeleitet wurden, welcher Umgang wurde diese Information betreffend gewählt?

8.    An welche Stellen bzw. Personen und jeweils wann leitete ChefInsp P.S. diese Informationen weiter?

9.    Wurde auch der Präsident des BKA, General Franz Lang, in Kenntnis gesetzt?

10. Gab das BKA bzw. das LKA die Kenntnis über die Existenz des Videos an das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung weiter?

11. Wenn ja, wann und an wen genau, falls nein warum nicht?

12. Leitete das BVT Ermittlungen ein?

13. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

14. Wenn nein, warum nicht?

15. Wurde in diesem Rahmen auch BVT-Direktor Peter Gridling informiert?

16. Wurde der Kenntnisstand über die Existenz des Videos auch dem Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung übermittelt?

17. Wenn ja, wann und an wen genau?

18. Wenn nein, warum nicht?

19. Leitete das BAK in weiterer Folge Ermittlungen ein?

20. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

21. Wenn nein, warum nicht?

22. Wurde auch BAK-Direktor Andreas Wiesenthaler darüber informiert?

23. Gab es im Zusammenhang mit dem Umgang mit dieser Information Weisungen?

24. Wenn ja, von wem?

25. Wenn ja, an wen?