2214/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.06.2020
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Edith Mühlberghuber

und weiterer Abgeordneten

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Rechtswidrigkeit bei Kinderabsetzbetrag gemäß EU-VO 883/2004 – Folgeanfrage

 

 

Die Anfrage 1295/J (XXVII. GP) hat als Gegenstand einen Bericht des Rechnungshofs zum Thema Familienbeihilfe. Der Rechnungshof hielt fest, dass Österreich offenbar den Kinderabsetzbetrag an Familien bezahlt, wenn Österreich gemäß der EU-VO 883/2004 – insbesondere Artikel 67 und 68 – nachrangig zuständig ist und obwohl die Familienleistung des vorrangig zuständigen Staats höher ist als die österreichische Familienleistung. Im konkreten Fall geht es bei der „österreichischen Familienleistung“ um die Familienbeihilfe und weitere Leistungen, die bezahlt werden, wenn mehr Kinder in einem Haushalt eines Elternteils oder beider Eltern wohnhaft sind (Mehrkindzuschlag, Geschwisterstaffelung).

 

Die Anfrage 1295/J (XXVII. GP) beschreibt ausführlich die Gesetzeslage der EU-VO 883/2004. Es darf auf die Ausführungen dieser Anfrage verwiesen werden. Der Kinderabsetzbetrag ist als eine Familienleistung im Sinne der EU-VO 883/2004 anzusehen.

 

Der Kinderabsetzbetrag wird in der MISSOC-Datenbank im Bereich „Familienleistungen“ angeführt. Allerdings nicht im Bereich „Kindergeld“, sondern im Bereich „Sonstige Beihilfen“.

 

Der EuGH hat festgehalten, dass Leistungen der sozialen Sicherheit unabhängig von den besonderen Eigenheiten der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten als Leistungen gleicher Art zu betrachten sind, wenn ihr Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung übereinstimmen. Dagegen sind rein formale Merkmale nicht als wesentliche Tatbestandsmerkmale für die Einstufung der Leistungen anzusehen (vgl. u. a. Urteile Valentini, 171/82, EU:C:1983:189, Rn. 13, und Knoch, C‑102/91, EU:C:1992:303, Rn. 40).

 

Die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag werden gemeinsam ausbezahlt. Beide erfüllen den gleichen Sinn und Zweck. Sie mildern die Unterhaltskosten für Eltern aufgrund ihrer Kinder. Sogar ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung sind gleich. Unterschiedlich ist lediglich der Umstand, dass die Familienbeihilfe aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) finanziert wird, dessen Einnahmen überwiegend von Dienstgeberbeiträgen und Einkommenssteuern lukriert werden, während der Kinderabsetzbetrag durch allgemeine Steuern finanziert wird. Der Kinderabsetzbetrag kann daher nicht als eine „sonstige Beihilfe“ gesehen werden. Sie ist als gleichartig anzusehen mit der österreichischen Familienbeihilfe und Familienbeihilfen anderer Staaten.

 

Die EU-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 regeln, dass „gleichartige Leistungen“ bei der Berechnung, ob ein Anspruch auf eine Familienleistung besteht und wie hoch dieser Betrag zu gewähren ist, zu berücksichtigen sind. Die EU-Verordnungen untersagen allerdings den Bezug von Doppelleistungen (Artikel 10 der EU-VO 883/2004 und Erwägungsgrund 35).

 

Dass allerdings Österreich – sofern die Ausführungen des Rechnungshofes zutreffend sind – den Kinderabsetzbetrag zusätzlich zu einer Familienleistung eines vorrangig zuständigen Staats bezahlt, selbst dann, wenn diese Leistung höher ist, könnte eine Rechtswidrigkeit darstellen, wenn der Kinderabsetzbetrag als gleichartig zu anderen Familienleistungen anzusehen ist.

 

Das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend hat die Anfrage 1295/J (XXVII. GP) mangels Zuständigkeit im Bereich des Kinderabsetzbetrages unzureichend beantwortet.

 

Folgende Fragen wurden u.a. ausweichend beantwortet:

Wie vielen Beziehern bei denen das Kind in Österreich lebte, aber Österreich nachrangig zuständig war, hat Österreich in den Jahren 2014 bis 2019 aufgeschlüsselt nach Jahren keine Familienbeihilfe bezahlt?

Wie hoch war die gesamte Summe des ausbezahlten Kinderabsetzbetrages aufgeschlüsselt nach Jahren?

 

Das Ministerium antwortete:

Da Datenbasis für alle Auswertungen die Auszahlungen sind und in diesen Fällen keine Familienbeihilfe oder Ausgleichszahlung ausbezahlt wurde, können diese Fälle nicht ermittelt werden.

Diese Antwort kann nicht als ausreichend erachtet werden. Wenngleich solche Eltern keinen Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe haben, so haben sie dennoch offenbar einen Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag. Dies deswegen, weil ein Anspruch auf eine gleichartige „Familienbeihilfe“ des vorrangig zuständigen Staats besteht. Die Finanzämter als Vollzugsbehörden müssen in diesem Fall eben die Auszahlung der ausländischen Familienbeihilfe berücksichtigen. Warum eine Datenauswertung nicht möglich ist, erscheint in diesem Zusammenhang besonders abstrus.

Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es Staaten gibt, die zwar eine höhere „Familienbeihilfe“ haben als die österreichische Familienbeihilfe. Allerdings kann diese Leistung (des vorrangig zuständigen Staats) einkommensabhängig sein. Das führt in Folge dazu, dass der vorrangig zuständige Träger nicht die volle Höhe seiner Familienbeihilfe bezahlen muss, weshalb Österreich wiederum eine Differenzzahlung überweisen muss – oder sogar die Familienbeihilfe in voller Höhe, wenn das Einkommen der Familie zu hoch ist. Solche Fälle müssten, da Österreich dennoch eine Leistung bezahlen muss, in jedem Fall ausgewertet werden können.


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Finanzen folgende

Anfrage

 

1.     Ist es zutreffend, dass – wie der Rechnungshof festgehalten hat – Österreich bei nachrangiger Zuständigkeit im Sinne des Artikel 68 der EU-VO 883/2004 einem Elternteil den Kinderabsetzbetrag gewährt – und zwar auch dann, wenn die Familienleistung des vorrangig zuständigen Staates höher ist als die österreichische Familienbeihilfe und eventuell höher als die Summe von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag?

2.     Ist es zutreffend, dass wenn ein Kind in Österreich lebt und einer der Eltern in Deutschland erwerbstätig ist und der andere Elternteil in Österreich maximal Rentenansprüche hat, ein Anspruch auf das deutsche Kindergeld in der Höhe von 204 Euro besteht und Österreich zusätzlich zu dieser Summe (die höher als die Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag ist) den Kinderabsetzbetrag in der indexieren Höhe von 56,88 Euro überweist?

3.     Wie viele Bezieher, die den Kinderabsetzbetrag erhalten haben, haben im Monat Mai 2020 keine österreichische Familienbeihilfe erhalten (Führen Sie auch die Anzahl der Kinder an)?

4.     Wie viele Bezieher, die den Kinderabsetzbetrag erhalten haben, haben im Monat Mai 2020 eine Differenzzahlung der österreichischen Familienbeihilfe erhalten (Führen Sie auch die Anzahl der Kinder an)?

5.     Welche Staaten waren vorrangig gemäß Artikel 68 der EU-VO 883/2004 für die Auszahlung von Familienleistungen zuständig und Österreich musste bei nachrangiger Zuständigkeit keine Familienbeihilfe (aber möglichweise den Kinderabsetzbetrag) bezahlen?

6.     Wie viele Personen, die im vorrangig zuständigen Staat erwerbstätig waren, gab es jeweils aufgeschlüsselt nach Staaten?

7.     Wie viele Personen, die im vorrangig zuständigen Staat einen Rentenanspruch hatten, gab es jeweils aufgeschlüsselt nach Staaten?

8.     Wie hoch sind die gesamten Kosten des Kinderabsetzbetrags aufgeschlüsselt nach Staaten, die Österreich bei nachrangiger Zuständigkeit gesamt im angefragten Zeitraum bezahlen musste (Geben Sie außerdem in der Liste bekannt, wie viel der Summe an Kinderabsetzbetrag bezahlt wurde, für 1.: jene Personen, die von Österreich keine Familienbeihilfe erhalten haben, für 2.: jene Personen, die von Österreich eine Differenzzahlung erhalten haben und 3.: für jene Personen, die von Österreich – trotz nachrangig zuständig – die Familienbeihilfe in voller Höhe erhalten haben)?

9.     Wie vielen Beziehern, bei denen das Kind in Österreich lebte, aber Österreich nachrangig zuständig war, hat Österreich in den Jahren 2014 bis 2019 aufgeschlüsselt nach Jahren keine Familienbeihilfe bezahlt?

10.  Wie hoch war die gesamte Summe des ausbezahlten Kinderabsetzbetrages aufgeschlüsselt nach Jahren für diese Gruppe von Beziehern?

11.  Wurde diesen Beziehern der Kinderabsetzbetrag bezahlt?

12.  Wenn eine statistische Auswertung der angeführten Fragen technisch nicht möglich sein sollte, warum ist es technisch nicht möglich?

13.  Wird FABIAN entsprechende statistische Auswertungen vornehmen können?

14.  Wenn nein, warum nicht?

15.  Welche Schritte werden Sie setzen, damit zukünftig auch solche Auswertungen endlich möglich werden?

16.  Warum wird der Kinderabsetzbetrag in der MISSOC-Datenbank im Bereich „sonstige Beihilfe“ angeführt?

17.  Weshalb wird der Kinderabsetzbetrag offensichtlich nicht als gleichartige Familienleistung zur österreichischen Familienbeihilfe und somit nicht auch als gleichartig zu Familienbeihilfen der anderen Staaten angesehen, obwohl der Kinderabsetzbetrag den gleichen Sinn und Zweck, die gleiche Berechnungsgrundlage und die gleichen Voraussetzungen erfüllt und lediglich der Umstand ungleich ist, dass der Kinderabsetzbetrag nicht durch den FLAF finanziert wird?

18.  Hat es außer dem Rechnungshof noch andere Einrichtungen gegeben, die kritisch beurteilt haben, dass der Kinderabsetzbetrag zusätzlich zu einer Familienleistung bezahlt wird, die höher ist als die österreichische Familienbeihilfe?

19.  Hat die EU-Kommission Österreich in der Vergangenheit um Stellungnahme in diesbezüglicher Sache ersucht?

20.  Hat die EU-Kommission Österreich jemals aufgefordert, den Doppelbezug von Familienleistungen, der sich durch die Auszahlung des Kinderabsetzbetrags zu einer höheren Familienleistung des vorrangig zuständigen Staats ergibt, einzustellen?

21.  Wird Österreich von jenen Familien, die zu Unrecht den Kinderabsetzbetrag erhalten haben, diesen rückwirkend auf fünf Jahre zurückfordern, falls Österreich von der EU-Kommission aufgefordert wird, den Kinderabsetzbetrag als gleichartig zur Familienbeihilfe zu werten bzw. wird Österreich den Kinderabsetzbetrag zurückfordern, wenn die EU-Kommission nach einem Vertragsverletzungsver-fahren Klage beim EuGH einbringt und Österreich verurteilt wird?

22.  Haben andere Staaten, die die EU-VO 883/2004 anwenden müssen, eine Familienleistung, die als gleichartig zum Kinderabsetzbetrag zu werten ist?

23.  Wenn ja, welche Staaten sind es und um welche Leistung handelt es sich jeweils aufgeschlüsselt nach Staaten?